Das Amtsenthebungsverfahren gegen den nicht mehr im Amt befindlichen Rentner Donald Trump hat auf den ersten Blick den Charme des Absurden. Auf den zweiten Blick auch. Bei genauerem Hinschauen aber offenbart sich der wenig charmante, knallharte politische Hintergrund. Das Ergebnis ist vorhersehbar. Donald Trump wird aus dem Amt, das er nicht mehr innehat, sicher nicht entfernt werden.
Aber die juristische Auseinandersetzung, die dem Zuschauer in diesen Impeachment-Tagen geboten wird, hat es in sich. Wie im Fußball, der trotz eines Null-zu-null-Ergebnisses ein spannendes Spiel bieten kann, so ist auch die Impeachment-Show trotz des vorhersehbaren Ausgangs höchst anregend.
Es ist allerdings ein Hybrid-Sport nach zweierlei Regeln. Die Senatoren sind einerseits Richter, zugleich aber auch Parteipolitiker. Das Spiel wird einerseits nach juristischen Regeln gespielt, zugleich aber auch nach parteipolitischen. Auf dem Spielfeld wird eine juristische Schlacht geboten, aber dem Zuschauer ist zu jeder Zeit klar, dass der Ausgang hinten in den Vereinsräumen nach parteipolitischen Interessen bestimmt wird.
Das gilt nicht nur für den Ausgang, sondern auch für den Auftakt. Auch der Einstieg in das Verfahren, den das Repräsentantenhaus beschlossen hatte, war eine Hybrid-Veranstaltung aus Juristerei vor Publikum und Parteipolitik nach Corona-Art, nämlich ohne Publikum.
Oberste Richter auf Zeit
Schauplatz der jetzigen Aufführung ist der US-Senat, weil die US-Verfassung ihm das alleinige Recht gibt, in einem Impeachment-Verfahren über „schuldig“ oder „nicht schuldig“ zu entscheiden. Die Senatoren sind oberste Richter auf Zeit. Das Repräsentantenhaus ist nur für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens zuständig, seine Mitglieder sind Untersuchungsrichter auf Zeit. Sie hatten sich noch in den letzten Amtstagen Donald Trumps entschlossen, seinen Rauswurf anzustoßen, im Wissen, dass das eigentliche Verfahren dann dem politischen Rentner Trump gelten würde.
Am ersten Tag im Senat ging es darum, ob die hundert hohen Damen und Herren überhaupt einen ehemaligen Präsidenten des Amtes entheben können, das er nicht mehr bekleidet. Also um ihre Zuständigkeit. Am zweiten und dritten Tag ging und geht es darum, ob Donald Trump für den Sturm auf den Kongress unmittelbar verantwortlich war, also für den Versuch, den demokratischen Amtswechsel mit Gewalt zu verhindern. Mit anderen Worten: Hat er zu einem Putschversuch aufgerufen, was einen Rauswurf aus dem Amt notwendig machen würde.
Zu diesem zweiten Teil kam es allerdings nur, weil sich der Senat am ersten Tag für zuständig erklärte. Dazu genügte eine einfache Mehrheit, die dank der Ja-Stimmen von sechs Republikanern sicher zustande kam. Für die Demokraten allein wäre es im Fifty-Fifty-Senat knapp geworden.
Aber warum erklärte sich der Senat zuständig, einen Präsidenten noch nach seinem Abgang rauszuschmeißen? Lässt die US-Verfassung eine solche Merkwürdigkeit überhaupt zu?
Aus dem Amt und dann noch enthoben
Die Demokraten Jamie Raskin und Joe Neguse beriefen sich – typisch für das amerikanische Rechtssystem – auf Präzedenz-Fälle. Mehrmals in der US-Geschichte hat der Senat entschieden, Amtsträger auch nachträglich noch ihres Amtes zu entheben. Mit welcher Begründung? Damit sie für ihre Verfehlungen im Amt zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Und damit sie sich nicht durch einen schnellen Abschied vor den Folgen ihrer Unkorrektheiten drücken konnten.
Einer, der Kriegsminister William Belknap, hatte 1876 auf den letzten Drücker sein Amt aufgegeben, um sich so einer Korruptionsverurteilung durch den Senat zu entziehen. Mit zweischneidigem Ergebnis: Der Senat führte den Prozess gegen den inzwischen zum Zivilisten mutierten Ex-Kriegsminister durch. Aber der „Angeklagte“ wurde freigesprochen. Futter also für beide Seiten.
Aber da war noch etwas, nämlich das, worum es den Demokraten eigentlich ging. Ein Impeachment kann den Amtsinhaber nicht nur aus seinem Amt entfernen, es kann ihm auch auf Lebenszeit verbieten, wieder ein Staatsamt zu bekleiden. Kämen die Demokraten also mit dem Impeachment durch, so wären sie den verhassten Donald Trump ein für allemal los.
Trumps Verteidiger Bruce Castor und David Schoen führten genau in diese Richtung ihren Gegenstoß. Den Versuch, Donald Trump für alle Zeiten aus der Politik zu verbannen, nannte Schoen keine juristische, sondern eine rein politische Aktion. Hätten sie Erfolg damit, käme dies einer politischen Entmündigung der fast 75 Millionen Amerikaner gleich, die ihm zuletzt ihre Stimme gegeben haben.
Der Senat ist kein Gericht
Auch dem Argument, der Präsident müsse nachträglich noch zur Rechenschaft gezogen werden, damit Amtsinhaber auf ihre letzten Tage nicht ungestraft Unheil anrichten können, stellten sie sich entgegen. Ein Ex-Präsident sei ein Privatmann, über den der politische Senat kein Urteil mehr zu sprechen habe. Das sei vielmehr Sache der Gerichte, vor denen Trump sich im Zweifel wie jeder andere Bürger zu verantworten habe. Ein Gericht sei politisch neutral, der Senat nicht. Das zeigte sich dann auch prompt, als der Senat nach dem Mehrheitsprinzip sein erstes „Urteil“ in Sachen Zuständigkeit fällte.
Damit war der Weg frei für die nächsten Tage und für die Behandlung der inhaltlichen Frage: War Donald Trump für den Putschversuch der Kapitol-Erstürmer unmittelbar verantwortlich? Und auch hier zeichnete sich wieder das interessante Spiel mit doppeltem Boden ab: juristische Debatte und parteipolitische Mehrheitsentscheidung. Allerdings nach einer anderen Spielregel. Zur Verurteilung genügt nicht eine einfache, sondern eine Zweidrittel-Mehrheit. Dass sie diese hohe Hürde nicht nehmen werden, war den Demokraten von Beginn an klar. Aber sie wollten das Spiel spielen. Politik eben.
Und so begann, dem Hybrid-Prinzip folgend, vor den Kulissen wieder ein spannender, juristisch geführter zweiter Akt. Donald Trumps Worte unmittelbar vor und unmittelbar nach der Erstürmung des Kongresses wurden und werden von beiden Seiten akribisch unter die Lupe genommen.
Wie die Argumentationslinien verlaufen, deutete sich bereits am ersten Tag an. Die Demokraten sehen Trump der Anstiftung zum Staatsstreich überführt. Seine in der Tat grenzwertigen Aufrufe an die protestierende Menge seiner Anhänger, zum Kapitol zu marschieren, seien ein Vergehen gewesen, das eine Amtsenthebung und ein künftiges Amtsverbot notwendig mache.
Was bleibt? Heiße Luft!
Die Verteidiger des Ex-Präsidenten traten dem bereits am ersten Tag mit einem doppelten Argument entgegen. Erstens mit einem leidenschaftlichen Verweis auf die freie Meinungsäußerung: Donald Trump habe nur von seinem Verfassungsrecht der freien Rede Gebrauch gemacht. Und die Verfassung schütze auch sehr entschiedene und umstrittene Meinungsäußerungen. Trump habe aber nie zum gewaltsamen Sturm auf den Kongress aufgerufen.
Und zweitens: Die Gewalttäter, die das Kapitol gestürmt haben, seien für ihre Tat selber und ganz allein verantwortlich. Gegen viele seien bereits Strafverfahren eingeleitet worden. Aber in keinem dieser Strafverfahren sei der Vorwurf gefallen, Donald Trump habe sie dazu angestiftet.
So ging und geht es spannend hin und her. Doch wenn die endgültige parteipolitisch geprägte Abstimmung kommt, wird von allem nur noch heiße Luft übrig bleiben. Eine heiße Luft allerdings, von der Juristen beim nächsten Impeachment-Verfahren – vielleicht gegen einen Demokraten – zehren werden.
Eines aber hat die Aufführung schon gebracht: Sie hat sich zweimal das Prädikat „historisch“ verdient. Donald Trump wurde als erster Präsident in der amerikanischen Geschichte gleich zweimal durch ein Impeachment-Verfahren gejagt. Das erste, bei dem es um anrüchige Versuche ging, seinem Konkurrenten Joe Biden über außenpolitische Kanäle ein Bein zu stellen, wurde im Keim erstickt. Und das jetzige zweite Verfahren schmückt auch noch das historische und kuriose Etikett, dass erstmals ein Präsident, der nicht mehr im Amt ist, des Amtes enthoben werden soll. Im Übrigen haben Impeachment-Forderungen Trumps ganzen Amtsweg begleitet. Er stand, auch das ein Rekord, unter konstantem Impeachment-Feuer.
Und jetzt? Die Demokraten haben ihren Spaß, Donald Trump noch einmal richtig zu ärgern. Aber der wird als Letzter lachen. Er wird sich über einen neuerlichen Freispruch freuen und den Demokraten primitive Rachsucht vorwerfen. Die Spaltung des Landes verschärft sich eher noch. Trump umschwebt bei seinen Anhängern jetzt schon der Glorienschein eines Märtyrers. Die Bereitschaft der Republikaner, künftig mit dem Demokraten Joe Biden zusammen zu arbeiten, ist durch die Impeachment-Show sicher nicht gewachsen. Die Partei der Republikaner scheint sich, anders als die Demokraten hofften, noch nicht von Donald Trump abzusetzen.
Den Gewinn hat der Augen- und Ohrenzeuge. Der amerikanische Zuschauersport Politik bietet immer wieder tiefe Einblicke in die Stärken und Schwächen dieser alten Demokratie. Sie beeindruckt mit echten und klugen Debatten über schwierige Grundsatzfragen, wie man sie bei uns kaum erlebt. Aber zu sehen ist auch der Zynismus eines auf Konfrontation angelegten Zweiparteien-Systems. Eine Show mit Stars, aber ohne Helden.