Hannes Stein / 02.05.2008 / 14:35 / / Seite ausdrucken

Immer Recht haben!

Vom kommenden Montag an ist in jeder gut sortierten Buchhandlung mein neues Buch zu haben. Es handelt sich um den ersten KONVERSATIONSFÜHRER Deutschlands (analog zu einem “Opernführer”): In der Einleitung stelle ich “Kampfregeln für das zivilisierte Gespräch” auf, dann geht es munter zur Sache. Das heißt, ich vertrete zu jedem Thema unter der Sonne zwei diametral entgegengesetzte Meinungen—beide natürlich mit derselben Verve, derselben unbezwinglichen inneren Logik, derselben Überzeugungskraft.

Hier schon mal eine kleine Kostprobe, ein Abschnitt aus der Einleitung: Ich verrate Ihnen, mit welchen SCHMUTZIGEN TRICKS sie bei einem Streitgespräch schneller ans Ziel kommen. (Damit Kenner nicht lange grübeln müssen: Selbstverständlich habe ich wie eine Elster bei Aristoteles und Schopenhauer geklaut. Bei wem denn sonst!)

Zwölf schmutzige Tricks

Für den militärischen Ernstfall gelten bekanntlich die Genfer Konventionen. Sie verpflichten die Konfliktparteien darauf, Zivilisten möglichst zu schonen, Kriegsgefangene menschlich zu behandeln und nicht ohne Uniform auf dem Schlachtfeld zu erscheinen. Analog gibt es auch für polemische Diskussionen gewisse Regeln: Man soll nicht lügen, den Kontrahenten nicht beleidigen und während des Gesprächs keine Schürhaken schwingen. Der liberale Philosoph Karl Popper schrieb, Fundament eines zivilisierten Streites sei die Annahme, „dass du dich irren kannst, dass ich mich irren kann und dass wir gemeinsam vielleicht der Wahrheit ein Stück näher kommen“. Leider zeigt die Erfahrung, dass sich nicht immer alle Gesprächsteilnehmer an diese Regeln halten. (Auch die Genfer Konventionen sind ja in der Militärgeschichte schon häufiger verletzt worden, etwa als die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg ihre Atombomben auf das faschistische Japan warfen.) Leider zeigt die Erfahrung auch, dass jene, die sich nicht an die Regeln halten, häufig den rhetorischen Sieg davontragen. Es gibt nur ein Mittel, gegen dieses Unrecht vorzugehen: Auch Sie müssen wissen, wie man einen schmutzigen Krieg führt. Damit Sie für alle Eventualitäten gerüstet sind, möchte ich Sie an dieser Stelle mit den wichtigsten miesen Tricks bekanntmachen, auf die in Maulschlachten immer wieder zurückgegriffen wird.

Im Wesentlichen lassen sie sich in zwei Kategorien sortieren – die groben und die feinen. Fangen wir mit den feinen Tricks an. Besonders beliebt ist die Strategie: Strohmann bauen. Dabei unterstellen Sie dem Gesprächspartner, er vertrete eine Position, die er in Wahrheit gar nicht hat, und nehmen diese dann so genüsslich auseinander, wie man mit einem Bajonett eine Strohpuppe zerfetzt. Ihr Gesprächspartner wird also damit beschäftigt sein, wortreich seine eigene Position zu erläutern – er wird gar nicht die Zeit haben, zum rhetorischen Gegenangriff überzugehen. Zum Beispiel: Wenn Ihr Kontrahent das Recht der Frauen auf Abtreibung befürwortet, stellen Sie es so hin, als plädiere er gleichzeitig für Kindesmord und/oder Pädophilie. Er wird dann alle Hände damit zu tun haben, den Eindruck zu widerlegen, er sei ein moralisches Ungeheuer, und ergo gar nicht dazu kommen, seine Argumente in Stellung zu bringen.

Eng damit verwandt ist das Verfahren der Homonymie. Hierfür macht man sich die Tatsache zunutze, dass zwei Dinge, die wenig oder nichts miteinander zu schaffen haben, häufig mit demselben Wort bezeichnet werden. Man nimmt also einen Satz des Gesprächsgegners und dehnt ihn – indem man ihn bewusst missversteht – auf ein Gebiet aus, von dem jener gar nicht gesprochen hat. Sodann widerlegt man ihn nach allen Regeln der Kunst. Beispiel: „Das Vermögen von XY wird auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt.“ – „Ich glaube nicht, dass das Vermögen von XY wirklich so gewaltig ist. Er ist doch ein eher dummer Mensch. Sein Unvermögen zeigt sich allein schon darin ...“ usf. Hier spielen wir mit dem Doppelsinn, den der Ausdruck „Vermögen“ im Deutschen besitzt, und beweisen im Handumdrehen, was zu beweisen war.

Wer in die peinliche Lage gerät, vor Publikum mit jemandem zu streiten und dabei mit seinen Argumenten ins Hintertreffen gerät, der mache ein argumentum ad auditores. Er rede also irgendwelchen Unsinn, der lustig klingt und nicht so leicht nachgeprüft werden kann. Die Lacher hat er dann jedenfalls auf seiner Seite; sein Gesprächspartner jedoch muss erst einmal zu langwierigen Erklärungen ausholen – was ihn bei den Zuhörern nicht beliebter macht.

Das argumentum ad verecundiam erfüllt im wesentlichen dieselbe Aufgabe. Dabei untermauern wir unsere Meinung durch Zitate von Autoritäten und vertrauen darauf, dass die meisten Leute gern Zitate mit Beweisen verwechseln. Sind in der Eile keine passenden Zitate bereit, erfinden wir welche – nach dem Muster: „Schon Goethe hat gesagt, dass Tütensuppe prima schmeckt.“ (Wer kess sein will, füge das Wörtchen „bekanntlich“ hinzu.) Ganz früher berief man sich bei Grundsatzdiskussionen gern auf die Kirchenväter oder den Philosophen Aristoteles; bis gerade gestern bevorzugte man weise Worte von Marx, Engels, Lenin, Rosa Luxemburg, Stalin, Trotzki und dem Großen Vorsitzenden Mao. All diese Autoritäten sind mittlerweile aus der Mode gekommen. Heute führt man eher „die Wissenschaftler“ oder „Experten“ ins Feld (wenn es um die arabische Halbinsel geht, die beliebten „Nahostexperten“). Häufig genügt auch der schlichte Hinweis: „Das weiß jeder“ oder „Das ist längst bewiesen“.
Von nicht zu überschätzender Wichtigkeit ist, welche Namen wir uns selbst geben und welche Pappschilder wir unseren Gegnern anheften. Diese sind stets: Reaktionäre, Neoliberale, herzlos, Pfaffen, Absahner, Bankrotteure, amerikahörig, Ewiggestrige, gekauft, abergläubisch, Spekulanten, Schnäppchenjäger, Bellizisten und Agenten des Opus Dei. Wir dagegen sind: Fortschrittsfreunde, Sozialdemokraten, gemütvoll, Kirchenkritiker, Wohltäter, Unternehmer, patriotisch, Nach-Vorne-Schauer, unabhängig, aufgeklärt, Steuerzahler, qualitätsbewusst, Pazifisten und Mitglieder des örtlichen Schützenvereins. Wer elegant sein will, der überhäufe nicht den rhetorischen Feind mit Schmähungen; statt dessen strecke er die Ansicht, die jener vertritt, mit einem einfachen Schlagwort nieder. Am besten eignen sich dazu Begriffe, die auf „-ismus“ enden – Beispiele: „Das ist Keynesianismus; Manichäismus; Zynismus; Rationalismus; Romantizismus; Antikommunismus; Zionismus; Neoliberalismus; Antisemitismus; Faschismus.“ Dieser Liste hat sich in jüngster Zeit nur ein Wort zugesellt, das sich nicht auf „-ismus“ reimt, nämlich die vielbeschrieene „Islamophobie“. Mittels solcher Schlagworte erledigt man den Gegner gleich doppelt: Man gibt zu verstehen, dass seine Meinung als unoriginell ad acta gelegt wurde, dass sie längst klassifiziert, eingeordnet, erledigt ist – und man macht deutlich, dass nur ein Volltrottel sich mit solchem Zeug beschäftigt. 

Manchmal kommt es leider dazu, dass man trotz aller rhetorischen Kriegslisten im Begriff ist, die Maulschlacht zu verlieren – dann hilft nur noch eins: die Diversion. Man fängt also an, von etwas anderem zu reden, als gehöre es ganz selbstverständlich zur Sache. Beispiel: Jemand vertritt die Ansicht, dass unaufhörlich fliegende Untertassen voller kleiner grüner Männchen auf unserem Planeten landen, diese Tatsache aber vom amerikanischen Geheimdienst vertuscht wird. Sein Kontrahent bestreitet dies unter Hinweis auf moderne physikalische Erkenntnisse, nach denen es unmöglich sei, schneller als Licht zu fliegen; schon der nächste Fixstern sei aber unvorstellbare 4,6 Lichtjahre von der Erde entfernt. Daraufhin der Untertassengläubige: „Ja, aber du musst doch zugeben, dass ständig Fußspuren von Yetis gefunden werden.“

Nur für Geistesgegenwärtige ist ein ebenso perfider wie hübscher Kunstgriff geeignet: die Inversion. Dabei nimmt man dem Gegner sein Argument aus der Hand, als wäre es ein Degen, und kehrt es mit der Spitze gegen ihn. Schon ist er wehrlos. Beispiel: „Auf Petri Stuhl in Rom haben schon Debile, Mörder und Ehebrecher gesessen. Das beweist, was für eine korrupte Institution die katholische Kirche ist.“ – „Im Gegenteil! Das Papsttum hat all seine historischen Entstellungen überlebt – das ist der endgültige Beweis (wenn es eines solchen Beweises bedürfte), dass es sich um eine von Gott geheiligte Einrichtung handeln muss.“ 

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun den gröberen Tricks zu! Hier wäre an erster Stelle eine Lieblingsstrategie der Schachspieler zu nennen: Reizen Sie den Feind, ärgern Sie ihn, fallen Sie ihm auf die Nerven, bringen Sie ihn zur Weißglut. Hierzu eignet sich am besten die Unverschämtheit. Ferner: Schreien Sie nach einer längeren Argumentationskette, die nicht zu dem von Ihnen gewünschten Ergebnis geführt hat, allen Tatsachen zum Trotz das Wunschresultat mit lauter Stimme aus, als ergebe es sich logisch aus dem vorher Gesagten! Die meisten Leute werden zu verdattert oder zu schüchtern sein, um Einwände vorzubringen.

Sollten Sie Nobelpreisträger sein, kommt es gut an, wenn Sie sich in einem Streitgespräch selbst ironisch für inkompetent erklären: „Was Herr X da gerade gesagt hat, übersteigt meine intellektuellen Fähigkeiten.“ Die Widerlegung dessen, was Herr X gerade gesagt hat, können Sie sich getrost sparen. Manchmal führen die einfachen Strategien am schnellsten zum Ziel: Überrumpeln Sie Ihren rhetorischen Feind mit einem Redeschwall, lassen sie Wortkaskaden auf ihn niedergehen, ersäufen Sie ihn in pfützenflachen Tiefsinnigkeiten. Schließlich gibt es da noch Anton Kuhs schöne Maxime: „Warum denn sachlich, wenn´s auch persönlich geht.“ Also: Beleidigen Sie Ihren Gegner, schlagen Sie unter die Gürtellinie! So ist mancher rhetorische Krieg, der nach allen Regeln der redlichen Redekunst als verloren gelten musste, in letzter Minute doch noch gewonnen worden.

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