Am 6. März wurde nach jahrelanger Bauzeit der neue Innenstadtkomplex „Les Halles“, der Bauch von Paris wie Emile Zola es nannte, wieder für das Publikum eröffnet. Wie es sich für ein ordentliches großes Staatsprojekt gehört, natürlich nach mehrfach verlängerter Bauzeit und mit vielfach erhöhten Kosten. Und selbstverständlich ist es auch noch nicht ganz fertiggestellt, innen findet man noch jede Menge nicht verkleidete Decken und abgesperrte Bereiche sind mit hübsch bunt beklebtem Gipskarton verschalt.
Doch fangen wir von vorn an. Liebe Leser, der Mai kommt und damit die beste Zeit, seine Liebste zu einem romantischen Wochenende in die schönste Stadt der Welt zu entführen - das gilt auch für ü-Sechziger. Natürlich gehört ein Besuch von „Les Halles“ dazu, mit dem Zola im Reisegepäck: „Wenn Sie schon lange Zeit von Paris fern sind, kennen Sie vielleicht die neuen Hallen nicht? Sie stehen höchstens erst fünf Jahre ... Dieser Pavillon da neben uns ist für die Früchte und Blumen, weiterhin Seefische und geschlachtetes Geflügel, dahinter schwerere Gemüse, Butter, Käse ... Es gibt sechs Pavillons auf dieser Seite; auf der anderen Seite gegenüber sind noch vier für Fleisch, Kaldaunen und lebendes Geflügel. Die Hallen sind sehr groß; aber im Winter ist's verteufelt kalt da drinnen. Man spricht davon, dass noch zwei Pavillons erbaut werden sollen; zu diesem Behufe sollen die Häuser, die die Getreidehalle umgeben, niedergerissen werden. Haben Sie all dies gekannt?“ So beschrieb Zola die 1873 errichteten Markthallen mit ihrer Glas-Stahl-Konstruktion als Meilensteine des Fortschritts.
So ging das bis 1969. Paris erstickte fast unter dem allmorgendlichen Transport all des Gemüses, Fisch, Fleisch, Käse und was die gute französische Küche sonst noch so verarbeitet. Dann ging der neue Großmarkt von Rungis in Betrieb und die verlassenen Hallen fingen an zu verkommen. Das änderte sich auch nicht nach dem Bau des Einzelhandelszentrums „Forum Les Halles“ 1979, es wurde trotz 160 Geschäften und 40 Millionen Kunden pro Jahr eher schlimmer. Die Stadtverwaltung versuchte viel, sie errichteten weitere unterirdische Einrichtungen (1985), darunter ein Schwimmbad mit 50 Meterbahn, ein Kino mit 26 Sälen, und schließlich oben drauf den Stadtpark Jardin des Halles (1986). Ach hätte man die historischen Hallen doch erhalten! Wenn die Sitten erst mal verlottert sind ist es auch im liberalen Frankreich schwierig, einen sozialen Brennpunkt zu entschärfen. Das lag wohl auch daran, dass hier ein großer Bahnhof mit mehreren Metro- und RER-Linien untergebracht ist. Drogenhandel und Taschendiebstahl wurden florierende Geschäfte im fehlgeplanten Fuchsbau des Forums. Also wurde nochmal geklotzt und französischen Architekten Patrick Berger und Jacques Anziutti realisierten ihren Entwurf La Canopée. Und der ist jetzt in Betrieb gegangen.
Man pilgert von einer Bausünde zur nächsten
Wer die Hallen besucht, geht meist von dem 200 m entfernten Centre Pompidou in Richtung Westen. Ich bin altmodisch und stehe ein bisschen auf Kriegsfuß mit modernen Architekten. Das Kulturzentrum Centre Pompidou sieht für mich stockhässlich aus, wie eine stillgelegte Chemiefabrik – die Pariser nennen es La Raffinerie - völlig deplatziert in seiner klassizistischen Umgebung. Und so pilgert man nunmehr von einer Bausünde zur nächsten, dem neuen La Canopée. Von weitem sehen die Hallen jetzt aus, wie der Rückenpanzer eines gigantischen verreckten Sauriers, nur viel viel schöner. Und drunter befindet sich, wie der Leser schon dunkel ahnt, eine gigantische Einkaufs-Mall. Offen „7 Jours sur 7“.
Mit Rolltreppen fährt man nach der Sicherheitskontrolle – Taschen aufmachen, Metalldetektor übers Wams – auf einen gigantischen Lichthof. Man könnte einen Weihnachtsmarkt hier abhalten. Gemütlich ist anders. Von hier geht es mit Rolltreppen weiter ins Labyrinth des Einkaufstempels. Ich persönlich bin nun nicht gerade der Einkaufstyp. In einer Mall bekomme ich nach 10 Minuten Hitzewallungen, nach 15 Minuten wachsen mir Pickel und nach 20 Minuten stellen sich schwere Depressionsschübe ein, die sich in heftigen Fluchtreflexen äußern. Fragen Sie meine leidgeprüfte Frau, im KDW halte ich es nur an der Bar der Gourmetetage länger als eine Viertelstunde aus. Aber was tut man sich nicht alles an, für die Achse.
Luxus-Einkaufstempel haben für mich etwas Stereotypes. Das liegt wohl daran, dass sich überall auf der Welt nur dieselben Firmen die gigantischen Mieten leisten können. Um die zu bezahlen, müssen sie natürlich für eine Damen-Handtasche 1000 Euro nehmen. Ich werde es nie verstehen, aber für so etwas gibt es Kundinnen. Für die etwas gehobenen 3500 Euro-Taschen ist es aber im Canopée immer noch nicht fein genug, da muss man schon zur George V pilgern.
Die Uniformen erinnern an die Cops von NYPD
In den Pariser Hallen kommt man sich jetzt vor, wie in New York. Zumal auch die allgegenwärtigen Sicherheitsleute, die mit ihren Metalldetektoren rumfuchteln, eine Uniform tragen, die den Cops von NYPD abgeguckt scheint. Jede Menge Geschäfte, Pariser Chic, edles Design und Interieur, kein Laden dabei für Männer. Ach doch, da ist ein FNAC – ein großer Elektronikmarkt. Aber meine 20 Minuten sind schon um und ich flüchte, weg hier, weg ans Tageslicht. Als ich die Rolltreppe hochfahre, nutzt gerade die Pariser Jugend das freitragende gigantische Dach, um es sich mit einer Protestdemonstration gegen irgendeine Reform der Regierung gemütlich zu machen.
Ein Mann, der wie ein Hippie aussieht, schreit Unverständliches in einen Handlautsprecher, unleserliche Transparente werden aufgestellt. Die Demonstranten lassen sich von Straßenakrobaten unterhalten, die tolle Saltos vorführen. Gruppen völlig verunsicherter Chinesen rennen aufgeregt gackernd dem fähnchenschwenkenden Reiseführer hinterher und die Flics in ihren schwarzen Ritterrüstungen stehen dabei und grinsen amüsiert. Jetzt fällt noch die neue Rolltreppe aus und alle müssen etwas für ihre Gesundheit tun. Endlich habe ich es geschafft, ich bin draußen – uff. Wie gut, das in meinem Cartier noch alle Tante-Emma-Läden überlebt haben.
Und jetzt kommt die gute Nachricht für alle einkaufsgestressten Ehemänner. Rund um das Forum erstreckt sich das alte Quartier Les Halles mit seinen hunderten hundegemütlichen Brasserien und Cafés, wo man auf der Terrasse einen Ballon Rotwein oder einen Ricard Tomate (für Leute, die sich als Paris-Insider outen wollen: das ist ein Pastis mit ein bisschen rotem Fruchtsirup und selbst dosiertem Wasser) genießen kann, währen die ganze Welt vorbeispaziert. Da macht das Shoppen der Ehefrau doch gleich noch mal so viel Spaß, auch wenn die mit rauchender Kreditkarte durch das Forum zieht. Na dann „à votre santé“