Deutschland braucht mehr Vielfalt, auch in der Politik. Das ist ein Vorteil für die Christdemokraten, denn Vielfalt steckt in ihrer DNA: die Heilige Dreifaltigkeit.
Gott zum Gruße, liebe Christenunion! Lasst uns übers Große, Ganze und Grundsätzliche reden, namentlich den Allmächtigen, den Teufel und das Höllenfeuer. Außerdem sind ein paar Fragen der frommen Nutzanwendung zu klären, zum Beispiel bei Blaubeeren, Buntheit und Brandmauern.
Fangen wir am besten mit den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen an. Jetzt denkt ihr natürlich an die Auferstehung des Oberlippenbartes. Ja, ihr habt recht, er ist zurück, der Klassiker der gediegenen Gesichtsbehaarung. Aktuell ist der Pornobalken das bevorzugte Fashion-Statement des Berliner Hipsters, gerne kombiniert mit einem flotten Vokuhila-Schnitt.
The Return Of The Rotzbremse soll allerdings hier nicht Thema sein, sondern der andere Megatrend. Genau, die Vielfalt. Die ist derzeit noch angesagter als der Schnäuzer, was euch Christentümlern eigentlich entgegenkommen müsste. Vielfalt gehört schließlich zu euren Kernkompetenzen. Ihr habt sie bereits vor zweitausend Jahren etabliert, sogar in der Führungsetage. Die Heilige Dreifaltigkeit in Gestalt von Gott Vater, Gott Sohn und dem Heiligen Geist war eine Revolution im religiösen Topmanagement.
Politik ist wie Taxi
Vielfalt steckt also in eurer DNA. Im Grunde seid ihr die Erfinder von Vielfalt als Konzept. Die Hindus und andere mit ein paar tausend Göttern lassen wir mal außen vor, man kann ja alles übertreiben. Koalitionen mit drei Partnern sind kompliziert genug, wie wir derzeit erleben.
Tja, und was ist dann passiert? Andere haben euch die Idee geklaut. Zuerst kamen die Plagiateure mit „Diversity“ um die Ecke, dann hieß es „Diversität“, jetzt gilt „Vielfalt“. Die schnelle Einbürgerung ist nachvollziehbar. Auf Deutsch klingt der Begriff weniger nach Kulturimperialismus der Amis und ist leichter zu verstehen für „die Menschen da draußen“.
Das Volk kapiert bekanntlich nichts, wenn man’s ihm nicht haarklein erklärt. Es weiß ja nicht einmal, wie es zu wählen hat. Früher, als Wahlen noch nicht so in waren, hatte man es als Obrigkeit einfacher. Man sagte an, was Sache ist, und das war’s. Heute soll Politik auf die Menschen „zugehen“, sie „dort abholen, wo sie stehen“ und „mitnehmen“. Im Prinzip ist moderne Politik wie ein Taxi. Nur halt viel teurer. Und man kommt nicht unbedingt da an, wo man hinwill.
Die Mehrzahl von Einfalt ist Vielfalt
Aber wir wollen nicht jammern, es ist, wie es ist. Man muss mit der Zeit gehen, und die Zeit gehört nun mal der Vielfalt. „Viel“ ist ja auch nichts Schlechtes. Viel hilft viel, lautet einer der wichtigsten medizinisch-pharmazeutischen Grundsätze, wie jedermann weiß. Beziehungsweise jeder Mann. Viel ist mehr als wenig, das Vielfache ist das Gegenteil vom Einfachen, und die Mehrzahl von Einfalt ist Vielfalt. Kann man zum Beispiel sehr gut an der aktuellen Regierungsmannschaft sehen. Und noch besser an der Regierungsfrauschaft.
Auf jeden Fall ist das Vielfalt-Origami schwer in Mode, und alle sind dabei, Politik, Kultur und Medien. Die Wirtschaft will nicht zurückstehen und sorgt für mehr Vielfalt auf dem Arbeitsmarkt. Miele, ZF, Deutsche Bank, Ford, Bosch, Henkel, Thyssenkrupp, Siemens Energy, Evonik, Mercedes-Benz, Continental – alles, was Rang und Namen hat, macht mit und entlässt zigtausende von Mitarbeitern. Stihl plant sogar, mit der gesamten Produktion in die Schweiz zu ziehen, um den Standort Deutschland zu entlasten
Als bislang letztes Unternehmen meldete Volkswagen seinen Beitrag zur Initiative mit dem inoffiziellen Motto „Dynamik entfesseln, Kräfte freisetzen“. Bald können VW-Arbeiter neue Freiheiten genießen und den krassen Fachkräftemangel in Boutiquen, Bäckereien und Bratbuden mildern. Toller Nebeneffekt: So erleben Menschen mehr berufliche Vielfalt.
Vielfalt gilt für alles außer rechts
Um ihr Engagement für das Gemeinwohl sichtbarer zu machen, riefen einige Mittelständler die Kampagne „Made in Germany – made by Vielfalt“ ins Leben. Die Handelsgenossenschaft Edeka schaltete sogar eine eigene Vielfalt-Reklame mit der Überschrift: „Warum bei Edeka blau nicht zur Wahl steht.“ Bemerkenswerteste Botschaft der Anzeige: Bei Blaubeeren handelt es sich um Fake News. Die sind nämlich gar nicht blau, sondern tun nur so.
Beide Aktionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegen die AfD gerichtet sind. Die Wahlbeeinflussung zeigte Wirkung – allerdings nicht im Sinne der Erfinder. Im ZDF zum Beispiel interviewte Moderatorin Dunja Hayali kurz vor den Wahlen einen Vielfalt-beseelten Manager von Jenoptik. Mehr AfD-Werbung zur besten Sendezeit ging nicht.
Auch die Edeka-Anzeige war ein Schuss ins Knie. Den Verantwortlichen war nicht aufgefallen, dass es eher mittelschlau ist, ein Drittel der eigenen Ost-Kundschaft vor den Kopf zu stoßen. Die AfD freute sich und dankte für die „fleißige Unterstützung im Endspurt des Wahlkampfes“. Der Erfolg konnte sich sehen lassen. Die Thüringen-Wahl gewann die AfD mit weitem Abstand, in Sachsen verpasste sie den obersten Platz auf dem Siegertreppchen nur knapp.
Wir halten fest: Vielfalt steht für Einbindung und Umarmung auch der seltensten und seltsamsten Blüten der Gesellschaft. Außer einer. Vielfalt gilt für alles außer rechts. Für alles mit rechts gilt: Wir müssen leider draußen bleiben. In Wahrheit steht Vielfalt nicht für Inklusion, sondern für Exklusion. Das zweite zentrale Merkmal der vielfältigen Vielfalt-Aktivitäten: Sie funktionieren nicht. Die Ausgeschlossenen werden nicht schwächer, sondern stärker.
Es gibt da eine Vorgeschichte
Nun seid ihr ja halbwegs vernünftig, also selbst irgendwie rechts, liebe CDU/CSU. Zumindest versucht ihr es wieder, seit eure Große Vorsitzende abdankte. Umso überraschender erscheint es, dass auch ihr auf Rechts-Ausgrenzung setzt. Viele denken wahrscheinlich, ist doch normal für Opportunisten wie euch. Ich meine allerdings, die Ursachen liegen tiefer.
Es gibt da eine Vorgeschichte, und die ist bekanntlich immer zu berücksichtigen. Seien wir ehrlich, ihr Christentümlichen habt vor zweitausend Jahren ein klitzekleines bisschen geschummelt. Ich will nicht von einer Lebenslüge sprechen, aber Fakt ist, ihr habt bei der Vorstellung eurer Führungsriege eine Fachkraft unterschlagen. In Wahrheit ist eure Dreifaltigkeit eine Vierfaltigkeit. Nein, ich rede nicht von Maria, die könnt ihr meinetwegen als Leihmutter wegdiskutieren. Ich rede vom Teufel.
Wer verteilt denn in Afrika Aids an Babys, überschwemmt Asien und erfindet Seuchen wie Ebola, Islam und Grüne? Gott kann es ja wohl nicht sein, denn der ist einer von den Guten. Immer wenn eine neue Plage um die Ecke kommt, lenkt ihr ab und schwurbelt euch was zurecht wie „Gottes Wege sind unergründlich“ oder „Der Herr will uns prüfen“. Übersetzt: Keine Ahnung, was da oben abgeht, ist wohl so eine Art Test.
Wie erklärt ihr Nancy Faeser?
Ähnliches könnte man über den Messermigranten oder Gruppenvergewaltiger von nebenan sagen: „Im Prinzip ist er voll okay, er will nur ab und zu was ausprobieren.“ Merkt ihr selbst, oder? Ich für meinen Teil finde jedenfalls einen Gott mit dem Persönlichkeitsprofil eines Serienkillers nicht übermäßig attraktiv. Lieber akzeptiere ich Satan als Vierte Gewalt. Da weiß man, was man hat.
Klar, ihr wolltet auf Teufel komm raus nicht zugeben, dass der Allmächtige keiner ist, deswegen habt ihr den Schwefeligen ausgegrenzt. Und was hat’s gebracht? Die Plagen werden schlimmer, gefühlt täglich erscheint ein neues Ding aus dem Sumpf. Beelzebub wird offensichtlich immer mächtiger. Oder wie erklärt ihr Nancy Faeser? Eben.
Ähnlich ist es mit der AfD, liebe Christsozialdemokraten. Alles Isolieren, Ignorieren und Diffamieren hat nicht geholfen. Im Gegenteil. Im August 2015, zweieinhalb Jahre nach ihrer Geburt, war die AfD klinisch tot. Sie hatte sich selbst zerlegt. Innerhalb von rund vier Monaten stiegen ihre Umfragewerte dann von drei auf bis zu zwölf Prozent. Der Fun Fact: Die Blauen mussten gar nichts machen. Für die Auferstehung habt freundlicherweise ihr gesorgt. Eure Politik der offenen Tür holte die AfD schlagartig aus dem Koma und hält sie bis heute gesund und munter.
Und jetzt Achtung: Die AfD ist ein Segen
Sagen wir, wie es ist: Die AfD ist nicht Krankheit, sondern Symptom. Klar, ihr habt gehofft, das Problem erledigt sich auf bewährte Art, also nicht durch Lösung, sondern durch Vergessen. Der Wähler hat ein Gedächtnis von hier bis zur Tür, lautet die passende Polit-Weisheit. Dummerweise habt ihr das Kleingedruckte überlesen: Die Alzheimer-Regel gilt nur für unsichtbare Probleme, zum Beispiel die verdeckte Staatsfinanzierung durch Anleihekäufe der EZB.
Die sieht und spürt der Wähler nicht, ganz im Gegensatz zum Massenimport teilalphabetisierter „Fachkräfte“ aus wenig kompatiblen Kulturkreisen. Ob Bahnhof oder Fußgängerzone, Park oder Schwimmbad, Bus oder Schule – überall werden die Schonlängerhierlebenden daran erinnert, wie sich das Land seit Merkels Ursünde veränderte. Die Verschärfung bei Wohnungsknappheit, Infrastrukturüberlastung, Bildungsmisere, Gewaltkriminalität, Antisemitismus, Schwulenfeindlichkeit und Frauenverachtung lässt sich auch mit größter Anstrengung nicht mehr schönreden.
Und jetzt Achtung, bitte festhalten: Die AfD ist nicht nur Folge eures Versagens, sie ist ein Segen. Für diese Erkenntnis muss man kein Fanboy der Blauen sein, es ist die nüchterne Wahrheit. Erst als die AfD im Mai 2023 die Grünen und einen Monat später die SPD in Umfragen überholte, änderte sich der Ton auf breiter Front. Grünen-Chef Nouripour sprach im ZDF plötzlich von „Begrenzung“ der Zuwanderung – allein der Gedanke war für seine Amtsvorgängerin „schäbig und skrupellos“.
Ihr sagt das Richtige
Drei Wochen nach Nouripour wachte auch das Murmeltier im Kanzleramt auf. Olaf Scholz erklärte auf einem Spiegel-Titel, man müsse „endlich im großen Stil abschieben“. Erneut bestätigte sich die zartbittere Erkenntnis: Politik reagiert nicht auf Probleme, sondern auf Demoskopie.
Und ihr so? Das Wiesel Söder versuchte umgehend, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen – wie immer, wenn er wittert, dass sich der Wind dreht. Auf einmal sind die vielgescholtenen „einfachen Antworten“ der bösen „Populisten“ auch eure Antworten. Friedrich Merz forderte umfassende Zurückweisungen, einen Aufnahmestopp, ein Kanzler-Machtwort und überhaupt alles, wofür jahrelang jeder dem „braunen Sumpf“ zugeordnet wurde, der euch von Anfang an erklärte, was ihr anrichtet. Wir von Achgut zum Beispiel.
Egal, Schwamm drüber. Ich dachte nicht, dass ich das jemals schreiben würde, liebe Christenunionisten: Im Moment macht ihr das Richtige. Oder besser: Ihr sagt das Richtige. Hilft leider nichts, wenn es nicht zur Umsetzung kommt. Nur wenn ihr das Problem Migration endlich nachhaltig löst, könnt ihr euren Dämon Merkel besiegen, Glaubwürdigkeit wiedergewinnen und die blaue Konkurrenz vielleicht etwas zurechtstutzen.
Was ist die Strategie hinter der Taktik?
Überraschenderweise seid ihr taktisch gar nicht mal dämlich vorgegangen, indem ihr der Regierung die Zusammenarbeit angeboten habt. Jens Spahn dachte sich dazu einen schönen Satz aus, den er bei Markus Lanz rausließ: „Die demokratische Mitte beendet irreguläre Migration, oder irreguläre Migration beendet die demokratische Mitte.“ Klingt toll, aber was liegt zwischen diesen beiden Polen? Wenn die „demokratische Mitte“ unfähig ist, sich zu einigen, seht ihr dann einfach zu, wie es weiter südwärts geht?
Mit der cleveren Taktik war es schnell wieder vorbei. Die schlechteste Innenministerin seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat euch wie Anfänger vorgeführt. Erst am Verhandlungstisch habt ihr gemerkt, dass die vom Quotenunfall Faeser versprochenen „Zurückweisungen“ im Prinzip nichts anderes sind als die bereits geübte Praxis.
Die Ampel spielt Aktionismus vor, aber eine echte Lösung ist mit Sozis und vor allem Grünen offenbar nicht zu erwarten. Und jetzt? Was ist euer nächster Schritt? Was ist die Strategie hinter der Taktik? Wie verkauft ihr im Bundestagswahlkampf den Wählern, dass ihr Problemo numero uno – und einige andere – tatsächlich löst, wenn euch als Helfer am Kabinettstisch nur die bleiben, die nachweislich nicht mitmachen wollen?
Die Brandmauer muss fallen
Die Wahrheit ist, ihr braucht Alternativen. Euer Unvereinbarkeitsbeschluss von 2018 war eine politische Dummheit erster Klasse. Seitdem freut sich eure Konkurrenz von der politischen Backbordseite ein Loch in den Bauch. Die AfD war schließlich auch ein Segen für SPD und Grüne. Die erinnern euch nur deswegen ständig an eure Brandmauer, weil sie garantiert, dass ihr beim Regieren auf ewig und drei Tage irgendwas mit links ins Boot holen müsst.
Eigentlich ist es doch ganz einfach. Die Brandmauer muss fallen und wird fallen, so oder so. Erstens existiert sie auf kommunaler Ebene ohnehin nicht mehr. Auf Landesebene ebenfalls nicht, wenn ihr ehrlich seid. Da könnt ihr noch so oft versuchen, eure jahrelange Unterstützung von Ramelows Linksregierung herunterzureden. Außerdem habt ihr in Thüringen mit FDP und AfD sogar schon gemeinsam ein Gesetz verabschiedet.
Zweitens, mit dem Auftauchen von Wagenknechts politischer Ich-AG werden eure Optionen noch kleiner. Über kurz oder lang müsst ihr einen Pakt mit dem Teufel schließen, egal ob er AfD, BSW oder Linke heißt. Deshalb solltet ihr endlich ernsthaft darüber nachdenken, wer die schlimmere Ausgeburt der Hölle ist: Blau oder Grün? Die Antwort des Wahlvolkes ist da ziemlich unmissverständlich.
Bei „Überzeugung“ müsst ihr selbst lachen
Drittens, wenn ihr schon mit einem Teufel ins Bett steigt, dann doch vorzugsweise mit dem, der euch inhaltlich am nächsten steht. Das ist nun mal die AfD, da beißt die Maus keinen Faden ab. Deren Programm ist in weiten Teilen das, was vor ein paar Jahren noch CDU/CSU-Überzeugung war. Okay, bei „Überzeugung“ im Zusammenhang mit der Union müsst ihr selbst lachen. Sagen wir „Positionen“ oder „Ziele“, ihr wisst, was ich meine. Auch aktuell seid ihr näher an der AfD als an jeder anderen Partei. Glaubt ihr nicht? Dann klickt einfach einen Wahl-O-Mat durch, gerne für ein Wessi-Bundesland.
Sogar beim Thema EU seid ihr enger bei den Blauen, als ihr zugeben wollt. Auch die AfD fordert nicht einfach Austritt, wie ihr gerne behauptet, sondern Reform – aus guten Gründen: Laut Bundesregierung verdanken wir mittlerweile 57 Prozent unseres Bürokratie-Dschungels der Umsetzung von EU-Richtlinien. Das lässt einen doch sehr ins Grübeln kommen, in welchem Umfang Deutschland noch souveräner Staat ist, der über das eigene Schicksal entscheiden kann.
Euer Jens Spahn will sogar EU-Vorschriften ignorieren. Bei seinem Lanz-Auftritt erklärte er locker aus der Lende: „Wenn ein System nicht mehr funktioniert [...], dann können wir uns in Deutschland auch nicht so sklavisch daran binden, bis wir am Ende vollends die Sicherheit und die Kontrolle im Land verloren haben. [...] Wir sollten EU-Recht an dieser Stelle dann auch mal aussetzen und sagen, an unserer Grenze geht es nicht mehr weiter.“
Bahamas-Koalition bei Welt-TV
Wo Spahn recht hat, hat er recht. Was nicht passt, muss eben passend gemacht werden. Zur Not muss sich Deutschland über EU-Recht hinwegsetzen, wie es die anderen EU-Staaten längst tun. Die gute Nachricht: Nach Ansicht von Spitzenjuristen ist das nicht einmal nötig. Mittlerweile melden sich immer mehr, die umfassende Zurückweisungen an unseren Grenzen auch nach EU-Recht nicht nur für zulässig, sondern sogar für geboten halten.
Bei Welt-TV waren sich am Wahlsonntag jedenfalls Jens Spahn, Alice Weidel und Bijan Djir-Sarai erstaunlich einig. Da konnte man fast auf die Idee kommen, eine künftige Bahamas-Koalition aus Schwarz, Blau und Gelb vor sich zu sehen. Sicher, Politik wird nicht von Programmen gemacht, sondern von Personen, und das Personal der AfD ist teilweise unterirdisch. Aber es gibt auch vernünftige Leute bei den Blauen. Außerdem muss man nicht unbedingt gleich koalieren, sondern kann fallweise kooperieren. Dann stellt sich schnell heraus, ob die AfD regieren will und es dazu auch noch kann.
Falls es klappt, ist es eine Win-win-Situation, für euch und für das Land. Denn, Überraschung: Wenn ihr das Richtige mit den Falschen macht, wird es deshalb nicht weniger richtig. Eure Wähler werden das honorieren, das lehren die Erfahrungen aus Schweden und Dänemark. Was die Menschen umtreibt, zeigen immer wieder die einschlägigen Umfragen: Fast 90 Prozent fordern konsequente Abschiebungen, über 70 Prozent wollen eine Obergrenze bei der Migration. Tendenz steigend.
Migration und Klima entscheiden alles
Falls es mit den blauen Teufeln nicht funktionieren sollte, wird euch das nicht mehr schaden als ein erneutes Rumgemurkse mit der „demokratischen Mitte“. Wer bitte soll das überhaupt in einem Jahr sein? Wenn es ganz dumm läuft, müsstet ihr mit Sozis und Grünen eine Dreierkoalition basteln. Herzlichen Glückwunsch, kann ich dazu nur sagen. Diese Konstellation wird euch genauso in den Orkus ziehen, wie es derzeit der FDP widerfährt.
Mal angenommen, es reicht mit der SPD allein zu einer Mehrheit. Nehmen wir weiter an, die Sozis wären nächstes Jahr so weit zur Besinnung gekommen, dass sie einer echten Migrationsbeschränkung zustimmen. Was dann? Nach dem Problem ist vor dem Problem. Es gibt ein weiteres Megathema, das aktuell überlagert ist, aber mit Wucht wiederkommen wird: die Klima- und damit Energiepolitik. Migration und Klima – das sind die Politikfelder, die mittel- und langfristig alles entscheiden. Unsere Migrationspolitik zerstört die Gesellschaft, unsere Klimapolitik zerstört die Wirtschaft. Beides zusammen zerstört Deutschland.
In beiden Bereichen ist eine grundlegende Neuausrichtung überfällig. Die Aufhebung von Habecks Heizgesetz genügt bei weitem nicht. Ihr müsst euch von der bizarren Illusion verabschieden, „Vorbild“ zu sein und mit deutschen Maßnahmen den Planeten retten zu können. Keiner folgt uns bei der „dümmsten Energiepolitik der Welt“, so wie uns niemand bei der dümmsten Migrationspolitik der Welt folgt.
Nur, glaubt ihr ernsthaft, dass die SPD neben einer Asylwende auch noch eine Klimawende mitmachen wird? Und mit wem wollt ihr eigentlich die anderen Änderungen vollziehen, die ihr bereits fest versprochen habt, zum Beispiel die Rücknahme von Bürgergeld, Lieferketten-Bürokratie und Kiffergesetz?
Raum für luftige Interpretationen
Wenn ihr also nicht mit der „demokratischen Mitte“ untergehen wollt, müsst ihr euch auf Alternativen vorbereiten. Was aus Wagenknechts Wundertüte mit den umgetransten Linken wird, ist derzeit kaum kalkulierbar. Nach aktuellem Stand bleibt daher praktisch nur die AfD. Das weiß sogar Deutschlands Humor-Honoratior Harald Schmidt. Nach den Ostwahlen kommentierte er: „Die Menschen haben Sehnsucht nach einer Großen Koalition – nach einer Koalition zwischen AfD und CDU.“ Für viele war da erkennbar nicht nur Spaß im Spiel.
Am besten macht ihr es wie bei den Grünen. Auch mit denen habt ihr schließlich eine Koalition nach der Bundestagswahl ausgeschlossen, stimmt’s? Stimmt natürlich nicht, denn ihr haltet euch ein kleines, feines Hintertürchen offen. Statt mit den Grünen, erklärt ihr ständig, mit diesen Grünen könntet ihr nicht koalieren. Das lässt Raum für luftige Interpretationen aller Art. Nach der Wahl könnten es auf wundersame Weise plötzlich nicht mehr „diese“, sondern irgendwie andere, gewandelte Grüne sein, mit denen ihr euch doch ins Bett legt.
Denselben Trick wendet ihr bei der AfD an. Statt „Mit der AfD können wir nicht zusammenarbeiten“, nuschelt ihr ab sofort öfter mal in die Kameras: „Mit dieser AfD können wir nicht zusammenarbeiten.“ Es ist nur ein klitzekleines Wörtchen, das ihr ändern müsst. Aber es würde für echte Vielfalt im Land sorgen – eine Vielfalt an Möglichkeiten.
Euer eigentlicher politischer Endgegner, die vollvergrünte Medienlandschaft in Gestalt von Hayali und Co., wird natürlich auf euch eindreschen wie nie zuvor. Aber da müsst ihr halt durch. Und wenn euch gar nichts mehr einfällt, bleibt immer noch die Ausrede, mit der ihr Christen zweitausend Jahre durchgekommen seid: „Gottes Wege sind unergründlich.“
Robert von Loewenstern ist Jurist und Unternehmer. Von 1991 bis 1993 war er TV-Korrespondent in Washington, zunächst für ProSieben, später für n-tv. Er lebt in Bonn und Berlin.