Manfred Haferburg / 30.07.2018 / 17:30 / 15 / Seite ausdrucken

Im Kittchen ist kein Zimmer frei

Um rechtsstaatliche Gesetzlichkeit durchzusetzen, bräuchte Deutschland viermal so viel Haftplätze wie vorhanden. Eine einfache Rechnung zeigt einen dysfunktionalen Rechtsstaat, den unsere Politiker gerne dann vehement verteidigen, wenn es um das Zurückholen schon Abgeschobener geht. Was nützen Gesetze, Polizei und Justiz, wenn man am Ende sogar kriminelle Gauner laufen lassen muss, weil im Kittchen keine Zellen frei sind? Schon 2016 schlug die Süddeutsche Alarm: „In 202 Fällen von Mord und Totschlag sind die Täter allein in Bayern auf freiem Fuß“. Und nicht nur die Knäste sind überlastet, auch die Justiz kriecht wegen permanenter Überlastung auf dem Zahnfleisch

Die Medien berichten, dass es derzeit in Deutschland ca. 300.000 offene Haftbefehle gibt. 126.000 davon sind abgetauchte „Ausreisepflichtige“ – mich würde interessieren: Tauchen die beim Taschengeldabholen nicht wieder auf? Die übrigen Fahndungen zur Festnahme betreffen laut BKA vor allem Straftäter und entwichene Strafgefangene. Da kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Sind unter den entwichenen Strafgefangenen etwa auch geflüchtete Geflüchtete? Schließlich sind in einigen Bundesländern fast 50 Prozent der Einsitzenden Ausländer.

Ende 2017 saßen bundesweit 64.351 Menschen in Haft, zehn Prozent mehr als 2012 (58.073). Die Kriminalstatistik sinkt immer weiter, und die Knäste werden immer voller – ein interessantes Paradox. Wenn das stimmt, wer sitzt denn da eigentlich ein – lauter Unschuldslämmer und zusätzlich ein paar GEZ-Verweigerer?

Schon bei einer Auslastung zwischen 85 und 90 Prozent sprechen Fachleute von der Vollbelegung einer Strafvollzugsanstalt. Es kann immer ja immer mal vorkommen, dass Teile einer Anstalt gesperrt werden müssen. Die realen Belegungen der Haftanstalten sind so um 100 Prozent, das heißt, es gibt praktisch keine freien Betten im Kaschott. Und die Politiker überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach Verbesserung, so als wären sie als Regierende nicht dafür verantwortlich. 

In den neuen Bundesländern ist noch ein bisschen Platz

Nur in den neuen Bundesländern ist noch ein bisschen Platz in den Gefängnissen. Zieht da jetzt womöglich das Argument, dass da ja auch gar nicht so viele Ausländer sind? Die Vorsitzende der staatlich geförderten Internet-Zensuragentur, Anetta Kahane, alias IM „Victoria“, hielt schon 2015 die geringe Präsenz von Flüchtlingen in den Ostländern für ein großes Problem: „Im Osten gibt es gemessen an der Bevölkerung noch immer zu wenig Menschen, die sichtbar Minderheiten angehören, die zum Beispiel schwarz sind.

Und nein, sie meinte nicht Schornsteinfeger und Leichenbestatter. Drei Jahre später, als ihr Wunsch höheren Ortes erhört wurde, warte ich auf den Streit im Bundesrat, wenn die rot-grün-getönten Bundesländer die Einstufung Sachsens als sicheres Herkunftsland ablehnen und dann Straftäter nicht dorthin verbracht werden dürfen. Auf jeden Fall wäre die Rückholung eines Delinquenten aus Dresden mit dem Zug möglich.

Sollte irgendein Gott Erbarmen mit der deutschen Polizei haben und ihnen alle per Haftbefehl Gesuchten ins Netz gehen lassen, dann müsste Vater Staat ein Gefängnis von der Größe Mannheims aus dem Boden stampfen. Schaffen wir das? Oder muss der Rechtsstaat die verhafteten Kriminellen wieder laufen und damit auf die Gesellschaft loslassen?

Überlässt es der Rechtsstaat dem Zufall, wer einsitzen muss, weil gerade mal in irgendeinem Knast ein Bett frei geworden ist, und gibt es schon Knast-Wartelisten? Wenn ja, wie lange ist denn die durchschnittliche Wartezeit auf den Haftantritt? Von rekordverdächtigen 2.228 Tagen wird berichtet, das sind sechs Jahre. Da ist noch Luft nach oben, die Wartezeit auf einen Trabbi betrug 18 Jahre und die Anmeldung war vererbbar. Wird die gerichtliche Haftantrittsaufforderung eines Tages auch mal vom kriminellen Opa auf den Enkel übergehen? Da soll noch einer sagen, es war alles schlecht in der DDR – in Hohenschönhausen war immer was frei.

Also frisch ans Werk, liebe Kriminelle, es gibt kein nennenswertes Risiko mehr, denn all die gemütlichen Hotels mit den schwedischen Gardinen sind komplett ausgebucht, trotz großzügiger Aufbettungen in allen Zimmern. Selbst wenn sie wollten, könnten die Richter gar nicht anders, als bei der Verhängung von Haftstrafen alle Augen einschließlich der Hühneraugen zuzudrücken. Auf den Gefängnisaufenthalt heißt es nämlich im Rechtsstaat warten lernen. 

Manfred Haferburg ist Autor des RomansWohn-Haft“, der in den Gefängnissen des sozialistischen Lagers spielt und auf wahren Begebenheiten beruht. Das Vorwort schrieb Wolf Biermann.

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Leserpost

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Andreas Rochow / 30.07.2018

Die “offene Gesellschaft” verträgt den Knast nicht, sie sieht ihn als antiquiert an und ersetzt ihn erfolgreich und kostenneutral peu à peu durch (Wieder-)Eingliederung bzw. Integration. Linksgrüne Irrealisten halten die Strafe selbst für desintegrierend und diskriminierend; sie sei nicht mit der Würde des Menschen vereinbar. Der letzte Justizminister hat sich entsprechend am Strafgesetzbuch zu schaffen gemacht und sich daran gestört, dass die Paragrafen zum Straftatbestand Mord und Totschlag aus der Nazizeit stammten. Wenn die Grenzen sperrangelweit offen gehalten werden, ist es nur eine Frage der Zeit, wann die große “Amnestie für alle” verkündet wird. Wir schaffen das.

Frank Pressler / 30.07.2018

“300.000 offene Haftbefehle” stimmen wohl nicht, weil Haftbefehle und Fahndungen zur Festnahme nicht identisch sind. Letztes Jahr soll es ca. 150.000 nicht vollstreckte Haftbefehle gegeben haben. Wie oder ob überhaupt die nicht vollstreckten Haftbefehle und die im verlinkten Artikel angegebene Zahl der Fahndungen zur Festnahme verrechnet werden, ist unklar. Aber schon die Zahl von 150.000 zeigt, dass wir mindestens einen Gefängnisneubau von der halben Größe Mannheims bräuchten. Von den nicht mehr verfolgten Strafdelikten, die sich z.B. bis zu einem bestimmten Vermögensschaden erstrecken, reden wir jetzt aber lieber nicht.

Thomas Weidner / 30.07.2018

Ah - jetzt wissen wir, warum die “Hetzerin” (ist die Wahrheit ohne genaue Quellenangabe und präzise Zahlen auszusprechen schon “Volksverhetzung”? Und ich dachte immer, das macht den Unterschied zwischen “Meinungsäußerung” und “Tatsachenbehauptung”) vom Dachauer Amtsgericht statt Kittchen, welches das Strafgesetzbuch für solche Fälle vorsieht, “nur” zu Geldstrafe verdonnert wurde…

Thomas Weidner / 30.07.2018

Shithole-state. Ich bin überzeugt, Trump war sich gar nicht bewusst, welche Staaten schon alle defacto darunter fallen…

Robert Jankowski / 30.07.2018

Die 600 Reichsbürger sind sicherlich ein nicht zu unterschätzendes, weil bewaffnetes Problem, aber 300.000 Kriminelle auf freiem Fuß. Das ist, wie eine Schattenarmee, die ihr Unwesen in Deutschland treibt und die zuständigen Justizbehörden sind weiterhin mit der migrationsbedingten Antragsflut so eingedeckt, dass sie kaum noch aus den Augen sehen können. Vielen Dank liebe Mutti, für diese tolle Situation. Zahle ich mein Parkknöllchen nicht, dann ist weiterhin Schluß mit lustig, aber wiederholte Straftaten durch Migranten werden nicht geahndet, weil man nicht weiß, wo die sich aufhalten. Spannend wäre es zu wissen, mit wie vielen Identitäten diese Leute auch weiterhin Sozialgelder vom Staat kassieren. Wir sinnieren über den Überwachungsstaat und die Realität zeigt uns, dass dieser offensichtlich nur gegenüber “Einheimischen” funktioniert. Irgendwie ist das der komplette Wahnsinn.

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