Thilo Schneider / 04.05.2019 / 06:10 / Foto: Timo Raab / 60 / Seite ausdrucken

Im Bürger-Freiluftgehege von Bullerbü

Ich bin in Europa schon etwas herum und herunter gekommen und war ganz links in Spanien und ganz rechts in Russland und ganz unten. Auf Malta. Den Norden habe ich bisher vernachlässigt – und er mich auch. Was schade ist, denn seit ich über Ostern in Schweden war, verstehe ich zum einen Greta Thunberg besser, und zum anderen lässt sich am Beispiel Schweden sehr schön sehen, was Deutschland blüht, wenn die Öko-Populisten je den Kanzler stellen und Gesetze beschließen dürfen. Schweden ist so etwas wie der morgenthaufeuchte Traum frühzeitig gealterter Doppelnamenfrauen und Mit-dem-Fahrrad-in-die-Schule-fahrenden-Lehrer*InnenX.

Schweden ist ziemlich hübsch, wenn man farbige Holzhäuschen mit weißen Fensterrahmen mag und es nicht eilig hat, weil man reich ist und es im Grunde um nichts mehr geht. Und man gerne wandert. Wie in Kathullt.  

Sieht man von den Küstenregionen ab, ist Schweden ein einziger Wald, zwischen dessen Birken und Tannen sich Unmengen von Geröll und gelegentlich idyllische Seen befinden, und sollte es je möglich sein, aus Steinen Treibstoff zu gewinnen, wird Schweden die Nase vorn haben. Die Straßen in Schweden laufen fast ausnahmslos schnurgeradeaus. Durch den Wald. Und es gilt ein Tempolimit von 70 km/h. Wenn der Alte Schwede mal lustig ist, dann darf man auch schon mal mit 80 oder 90 km/h oder, auf den „Autobahnen“ (so nennt man dort eine Landstraße, bei der die Fahrspuren durch einen Maschendrahtzaun getrennt sind), mit atemberaubenden 110 km/h dahinbrettern.

In Praxi bedeutet dies, den Tempomat auf 70 km/h festzuhämmern, denn das Geld, das die schwedische Regierung nicht in Leitplanken gesteckt hat, hat sie sinnigerweise in Radarfallen investiert, von denen es in Schweden gefühlt mehr als überhaupt Fahrzeuge gibt. Mich würden hier wirklich Unfallstatistiken zum Thema „Tod durch vor-Langeweile-am-Steuer-eingeschlafen-sein“ interessieren. Sicher, die Geschwindigkeit minimiert den CO2-Ausstoß und der Renault kam prima mit 4,5 Litern auf 100 km durch – aber du brauchst eben für alles die doppelte Zeit. Die neue Entschleunigung ist die alte Langeweile. Zurück auf deutschen Autobahnen bekam ich bereits bei 140 km/h Angstzustände, dass mich die Fliehkraft erdrückt. 

Der schwedische Staat weiß alles über seine Bürger 

Auf Deutschland übertragen, würden derartige Tempolimits Unmengen von CO2 sparen, und Elektroautos fahren bei dieser Kriecherei wohl auch am rentabelsten. Es verdoppeln sich eben die Fahrzeiten. Was aber nur die Leute interessiert, die, siehe oben, ihren Lebensunterhalt nicht mit dem Fahrrad bestreiten können. Wir wären ein Volk von Schleichern. Aber wer keine Industrienation mehr ist, hat ja auch Zeit, sich die Natur anzusehen. Und dazu dann ja auch keine Alternativen.

Der schwedische Staat weiß alles über seine Bürger. Zumindest über die dort-schon-länger-Lebenden. Dadurch, dass das Bargeld nahezu abgeschafft und durch „bargeldlose Überweisungen“ ersetzt wurde, wedelt der Schwede einmal mit seiner EC- oder Kreditkarte vor einem Automaten herum und *schwupps* wechselt eine digitale Ziffer den Besitzer und das Finanzamt weiß es auch gleich, denn Bank- Einwohnermeldeamts- und Finanzamtsdaten sind in Schweden nicht getrennt. Sollte der Alte Schwede es also einmal nicht halten können und eine öffentliche Toilette benutzen wollen – ein kurzes Wedeln und schon öffnet sich wie von Zauberhand die Toilettentür. Schön für den Schweden, feucht für Touristen oder Senioren, die weder eine Kreditkarte noch ein Handy ihr eigen nennen – oder nicht in der Lage sind, diese zu bedienen.

Mir persönlich kam Schweden dadurch wie ein riesiges Freiluftgehege für seine Bürger vor. Die persönliche und individuelle Freiheit wird nicht direkt beschnitten – sie wird nur überwacht und gehegt und sozusagen staatlicherseits betreut. Und ich habe mich erwischt, wie ich das Bedürfnis hatte, schwedischen Bürgern kleine Münzen zuzuwerfen, um zu gucken, ob sie dann zutraulich werden oder die Münzen wenigstens aufheben. Jetzt könnte der Schwede theoretisch aus dem Gehege entwischen – aber er braucht halt ewig dazu, und Finnland und Norwegen sind jetzt auch nicht viel besser.

Furzgemütlich, naturverbunden, entschleunigt

Deswegen sind Grün-Wähler wohl so begeistert. Sie möchten das genau so. Furzgemütlich, naturverbunden, entschleunigt und von einem wohlmeinenden Staat überwacht. Mittlerweile gibt es dafür sogar einen Fachausdruck, der sich „Bullerbü-Syndrom“ nennt. Und deswegen ist Greta Thunberg hierzulande so irre beliebt. Sie passt mit ihrer besorgten Fräulein-Rottenmeyer-Attitüde und den Zöpfen so verdammt exakt in dieses Pippi-Langstrumpf-Klischee von Schweden (allerdings ohne deren individuellen und anarchischen Ansatz), dass die am obigen Syndrom Erkrankten gar nicht anders können, als sie toll zu finden.

Greta steht für Natur, Umwelt, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Bargeldabschaffung, Wälder, Wiesen und Seen und Totalüberwachung. Wenn alles gut läuft, dann sitzt der Mitteleuropäer endlich auch im Holzhaus aus natürlich-ökologischen Baustoffen und guckt raus auf seinen eigenen Baggersee mit dem niedlichen Bootsanlegesteg, und das einzige Militär, das er kennt, sind als Wikinger verkleidete Ureinwohner, die Tofu in Schweineform beim Mittelaltermarkt grillen. 

Dann ist der einzige Unterschied zwischen Schweden und Deutschland nur noch der, dass dort 10 Millionen Menschen im Notfall auch Elche jagen, Lachse angeln oder Haselnüsse sammeln können. Das dürfte für die 80 Millionen Einwohner des Landes, in dem wir dann halbgut und ungerne leben, doch etwas schwieriger werden. Aber wir sind auf dem Weg und probieren das demnächst in diesem Theater aus. Wir müssen schließlich sparen – koste es, was es wolle. Und zum Auswandern bleibt dann immer noch Österreich.

Foto: Timo Raab

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Dieter Sadroschinski / 04.05.2019

Schweden bekommt genau das, was es verdient: Zu und Wanderung, Ver und Gewaltigung, BNo und Go - Aereas, und jetzt einen Öko-Stalinismus der unglaublich ist.

Jochen Brühl / 04.05.2019

Schweden ist für mich und meine Kinder eine Tabuzone. So lange ich das bestimmen kann, besteht ein absolutes Reiseverbot dorthin. 2015 war ich in Villach in Kärnten und hatte damals nicht unbedingt den Eindruck, dass es da besser ist. Das sieht aber wahrscheinlich inzwischen dort besser aus als hier. Wie immer in der Geschichte, machen die Deutschen alles bis zum bitteren Ende zu 100 %, auch die Willkommenkultbur und den Kulturmarxismus für alle, die schon länger hier leben. Die Immobilienpreise werden in Österreich sehr stark steigen, wenn all diejenigen, die mir bereits eine Auswanderung dorthin angedeutet haben, ernst machen.

Werner Geiselhart / 04.05.2019

@Rene Poschmann. Zitat: “Wissen sie Herr Schneider, was die Leute, und darunter auch viele deutsche Landsleute so an Skandinavien mögen? Es ist das Prinzip “leben und leben lassen”.  Denken Sie mal darüber nach…  “ Herr Poschmann, Sie haben nach dem Satz “leben und leben lassen” den Zusatz “unter wohlwollender Überwachung durch den Staat” vergessen. Auch Tiere in einem Freigehege fühlen sich meist wohl unter wohlwollender Überwachung durch den Tierpfleger. Aber frei sind sie deswegen nicht, merken es aber im Normalfall nicht. Das sollte eigentlich der Unterschied zum Menschen sein. Doch leider merken immer weniger, wie sie klammheimlich manipuliert werden, nennt sich Nudging. Das Zaun um das Gehege wird immer dichter.

Andreas Günther / 04.05.2019

Schweden – das ist meiner Meinung nach die Hölle. Totale Überwachung. Nichts mit „leben und leben lassen“. Aber schon seit den 70er Jahren das Traumland vieler Linker. Eine Art Sozialismus – aber durch demokratische Wahlen legitimiert, was will man mehr? Man muss in einer ganz speziellen Weise ticken, um das zu mögen. Meines Wissens missgönnt der schwedische Staat seinen Bürgern so ziemlich alles, was vielen Menschen Freude macht: schnelles Autofahren, Alkohol trinken, rauchen. Nur eine Sexualmoral, zumindest im traditionellen Sinne, scheint es dort nicht zu geben; zumindest ging es dort schon recht freizügig zu, als hier noch strenge Sitten herrschten. Möglicherweise müssen aber heutzutage beide Partner vorher schriftlich bestätigen, dass es einvernehmlich geschieht, denn Schweden hat eine feministische Regierung. Aber ich will ehrlich sein: ich habe das alles nur vom Hörensagen und bin selbst nie dort gewesen.

peter luetgendorf / 04.05.2019

Sehr geehrter Herr Dr. Giesemann, auch ich bezweifle inzwischen alle Zahlen, die regierungsamtlich vermeldet werden. Schön war ja auch die Rangliste der Namen der Neugeborenen. Ich glaube da haben Namen gefehlt? Gruß peter luetgendorf

Dirk von Riegen / 04.05.2019

@Günther Herrmann Nun, als ob “Deutschland ist das einzige Land, in dem es keins gibt” in Bezug auf einen Tempolimit ein sehr “schlagkraeftiges” Argument waere. Wenn alle Anderen “von der Brücke springen”, dann springen sie wahrscheinlich dann auch… Genauso das andere “Aargument” eines Kommentatoren, das “1.5t große Elche” oder andere Tiere ein Tempolimit in Schweden nötig mache. Das alles sind nur fadenscheinige Argumente, die nur darauf hinauszielen, den Bürger noch weiter “an die Kandare” zu nehmen, wie es Schweden ja so “vorbildlich” vormacht. Anscheinend gibt es manche “Zeitgenossen”, die ihre persönlichen Freiheiten noch zu gerne wie einen Mantel an der Garderobe abgeben, incl. der Demokratie hierzulande und gerne wieder zu einen der beiden deutschen Diktaturen zurückkehren wollen, nur diesmal eben “rotgrün” angestrichen. Das “Ergebnis” ist aber wieder das gleiche, auch wenn man den neuen “Sozialismus” einen anderen Anstrich gibt….

Gerhard Hotz / 04.05.2019

Bin vor Jahrzehnten mal in Mittelschweden per Interrail abends in einer kleineren Stadt gestrandet. Es war Hochsommer und schönes Wetter und ich wollte zu abend essen. Es war aber nix los: keine Kneipen, keine Restaurants, keine Strassencafés und keine Menschen auf der Strasse. Absolut tote Hose. Die gespenstische Ruhe wurde nur ab und zu unterbrochen durch das Quietschen von ein paar wenigen Ami-Schlitten, die langsam um die Ecke kurvten. Echt science fiction! Und das alles im Stadtzentrum mit vielen (geschlossenen) Geschäften und hell erleuchteten Schaufenstern. Nach verzweifeltem Suchen fand ich dann doch noch eine von einem Ausländer geführte Pizzeria. Bin danach gleich mit dem nächsten Zug wieder abgehauen. Die Einheimischen waren wohl alle irgendwo in ihren Sommerhäuschen an einem See.

Dirk Kern / 04.05.2019

Also, 80 Millionen von uns oder wenigstens die vernünftige Hälfte unserer Mitbürger, haben leider in Österreich keinen Platz.

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