Georg Etscheit / 15.11.2022 / 14:00 / Foto: Unbekannt/Commons / 11 / Seite ausdrucken

„Ideologischer Relaunch“ einer Heldenorgel

Die berühmt-berüchtigte „Heldenorgel“ in der österreichischen Grenzstadt Kufstein ist ein tönendes Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Jetzt gibt es Bestrebungen, sie umzubenennen und zu „kontextualisieren". Das wiederum sorgt für einen Sturm der Entrüstung.

Die österreichische Grenzstadt Kufstein ist den meisten Menschen vor allem bekannt als Ausgangspunkt einer oft von nervigen Staus geprägten Alpenüberquerung. Alle paar Wochen veranstalten die Tiroler Behörden ein Schauspiel namens „Blockabfertigung“, dann werden die Lastwagen auf der zum Brenner führenden Inntalautobahn nur schubweise über die Grenze gelassen, was auf deutscher Seite regelmäßig ein Verkehrschaos verursacht. Grund für die Maßnahme ist angeblich, die Bevölkerung des Tals zu entlasten, indem man den Ansturm der LKWs dosiert, idealerweise auf die Schiene zwingt oder gleich auf die Transitrouten der benachbarten Schweiz. Bayern sieht darin eine Schikane, die gegen EU-Regeln verstoße.

Hoch über der Stadt hockt die Festung düster und wuchtig über einer Schleife des Inns. Dort oben, im sogenannten Bürgerturm, kann man die größte Attraktion Kufsteins bewundern, wobei bewundern nicht das treffende Wort ist. Man kann ihr nämlich zuhören, der berühmt-berüchtigten „Heldenorgel“. Eingeweiht wurde sie 1931 als tönendes Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges, wobei zunächst nur die auf dem Feld der Ehre verblichenen „Helden“ deutscher Zunge gemeint waren. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde hier der Gefallenen beider Kriege gedacht und 1981, zum 50-jährigen Jubiläum des Instruments, wurde der Heldenbegriff auf sämtliche Opfer von Kriegen und Gewalt erweitert. 

Jeden Tag um Schlag zwölf, im Sommer auch abends, gibt es hier Freiluft-Orgelkonzerte, die in der ganzen Stadt und bis ins nahe Kaisergebirge zu hören sind. Am Ende erklingt bislang immer das alte Soldatenlied vom „Guten Kameraden“. Es gibt auch einen offiziellen Organisten der Heldenorgel. Seit 2009 versieht dieses Amt der junge, arrivierte Konzertorganist Johannes Berger. Unter seiner künstlerischen Ägide hat sich das Programm der Konzerte gewandelt. Berger hat sich vom spätromantischen, zuweilen etwas martialischen Stil einstiger Heldenorgel-Darbietungen emanzipiert – bis hin zu Transkriptionen populärer Hits aus Filmmusik, Pop und Rock. Jetzt interessierten sich vermehrt auch wieder junge Leute für das Instrument, sagt er. 

Der Zeitgeist ist hier weniger woke als in Ampeldeutschland

Würde Kufstein nur ein paar Kilometer weiter nördlich, nämlich in Deutschland liegen, gäbe es die „Heldenorgel“ längst nicht mehr. Man hätte sie gewiss umbenannt, in „Friedensorgel“ vielleicht, „Freiheitsorgel“, „Europaorgel“, „Opferorgel“ oder gleich „Regenbogenorgel“. Helden gibt es ja nicht mehr, zumindest nicht auf dem Schlachtfeld, wobei man ganz aktuell eine gewisse Renaissance kriegsbedingter Heldenverehrung konstatieren muss, zumindest dann, wenn die Helden auf der richtigen Seite stehen. Aber das war schon immer so. 

Zum Glück ticken die Uhren in Österreich doch etwas anders als in Ampeldeutschland. Das gilt im Besonderen für Tirol, wo bei den letzten Wahlen die Grünen aus der Regierung geflogen sind und jetzt eine schwarz-rote Koalition das Sagen hat. Wo es Berge gibt, tut man sich mit dem woken Zeitgeist immer etwas schwerer, umso schwerer, je höher die Berge sind. In Kufstein sind sie noch nicht so hoch, weswegen doch immer mal wieder ein grünes Lüftchen weht, selbst durch die Mauern der Festung Kufstein. Ganz aktuell in Gestalt des grün angehauchten Kulturreferenten der Stadt Kufstein, Klaus Reitberger, der vor ein paar Monaten beantragt hatte, die Heldenorgel umzubenennen, das tägliche Lied vom Kameraden zu streichen und auf Infotafeln die Vereinnahmung der Orgel durch die Nationalsozialisten ausführlich zu thematisieren. Seither herrscht Aufruhr rund um die Festung.

Reitberger ist gebürtiger Kufsteiner, hat Physik und Philosophie studiert und am Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck gearbeitet. Außerdem interessiert er sich für Weitwanderungen (Französischer Jura, Pyrenäen, Katalonien, Ungarn) und fürs Theater. Seine Homepage, die von markantem Mitteilungsbedürfnis zeugt, listet zahllose Inszenierungen von seiner Hand auf, darunter Hofmannsthals „Jedermann“ und Shakespeares „Richard III.“ – allesamt realisiert in seiner Heimatstadt. 2016 wurde er als Mitglied der Wählergruppierung der „Parteifreien“ erstmals zum Kulturverantwortlichen im Kufsteiner Rathaus gewählt und dieses Jahr in seinem Amt bestätigt.

Als Ausgleich ein paar Orgelpfeifen mehr?

Reitberger weiß, wie man Wirbel macht, auch im Rahmen seiner jüngsten Inszenierung mit dem Titel „Ideologischer Relaunch der Heldenorgel“. In seinem Antrag auf Umbenennung berief er sich auf angeblich neue Erkenntnisse über den Initiator der Heldenorgel, einen gewissen Max Depolo, der Adolf Hitler verehrt habe, was damals so ungewöhnlich nicht war. Außerdem führt Reitberger zu Lasten der Heldenorgel an, dass der (männliche) Begriff des Helden große Bevölkerungsteile ausschließe und, last but not least, das Lied vom „Guten Kameraden“ von vielen Menschen mittlerweile mit der TV-Serie „Babylon Berlin“ in Verbindung gebracht werde, in welcher es als „Lieblingslied von Terroristen“ fungiere. 

Als Ausgleich zum drohenden Verlust des Heldenstatus regte Reitberger an, sich um eine bauliche Erweiterung des Instruments zu bemühen. Im Jahre 2015 hatte die Heldenorgel das Prädikat der „größten Freiluftorgel der Welt“ an „Spreckels Organ Pavillon“ im kalifornischen San Diego verloren, wo man nun auf 5.017 Pfeifen kommt, gegenüber 4.948 in Kufstein. Eine Schmach.    

Nachdem Reitberger seine Vorschläge öffentlich gemacht hatte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. Er habe persönliche Drohungen erhalten, sagte der Kulturpolitiker im Tiroler Fernsehen. Zum Schutz einer Mitte Oktober im Kufsteiner Kultur Quartier anberaumten Podiumsdiskussion mit je zwei Befürwortern und zwei Gegnern der Umbenennung wurde sogar ein Sicherheitsdienst angeheuert, der glücklicherweise nicht zum Einsatz gekommen sei, wie die Lokalpresse erleichtert notierte. In einer (nicht repräsentativen) Online-Umfrage des Nachrichtenportals „meinbezirk.at“ sprachen sich mehr als achtzig Prozent der Teilnehmer mehr oder weniger strikt gegen Reitbergers Vorschläge aus.

Fällt der „Gute Kamerad“ als Bauernopfer?

Manches von dem, was Reitberger zu bedenken gibt, mag durchaus bedenkenswert sein. Doch die Kufsteiner wären mit dem Klammerbeutel gepudert, würden sie die Marke „Heldenorgel“ freiwillig preisgeben. Tönende oder stumme Mahnmale für Freiheit, Frieden und sonstiges Gedöns gibt es zuhauf, doch die Heldenorgel ist einmalig, vor allem in ihrer historischen Ambivalenz. Sie umzubenennen wäre so, wie wenn man auf die Idee käme, die ja auch historisch „kontaminierte“ Marke Volkswagen abzuschaffen, wobei man sich der Weisheit der Politiker und Automanager nicht ganz sicher sein kann, nachdem sich Audi-Chef Markus Duesmann in selbstmörderischer Absicht für autofreie Tage und ein Tempolimit auf Autobahnen ausgesprochen hat.

Aus Kufstein ist mittlerweile zu hören, dass die Umbenennung infolge mangelnder Unterstützung aus der Bevölkerung vom Tisch sei. Reitberger arbeite nun, so heißt es, an einer neuen „Widmung“ der Orgel, in der die geschichtlichen Zusammenhänge ausführlicher herausgestellt werden sollen und nun auch „Helden des Alltags“ – als da wären Menschen, die den Waffendienst für ein „diktatorisches Regime“ verweigern, Rettungsdienstangehörige oder Whistleblower – mit einbezogen werden sollen. Als Bauernopfer könnte zudem das Lied vom „Guten Kameraden“ gecancelt werden, zumindest als obligatorischer Abschluss eines jeden Heldenorgel-Konzerts.

Im Jargon von Theaterregisseuren und grün angehauchten Kulturreferenten würde man von verschärfter „Kontextualisierung“ sprechen, eine Behandlung, die heute mehr oder weniger jedem Denkmal widerfährt, dessen ursprüngliche Bedeutung nicht dem herrschenden Zeitgeist entspricht. Wobei die jeweils ursprüngliche Bedeutung in den allermeisten Fällen nur noch den allerwenigsten bekannt sein dürfte und man fragen könnte, worin denn eigentlich das Problem bestehe. Was Kufstein anbelangt, sollte die Sache damit für die nächsten zehn, zwanzig Jahre erledigt sein, bis sich ein neuer Kulturreferent eine Bühne zur Profilierung sucht. 

Wenn doch nur endlich die Blockabfertigung abgeschafft würde!

Foto: Unbekannt/Commons

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U. Hering / 15.11.2022

Das gab´s doch schon immer. Als Gaius Marius zum Konsul gewählt wurde, hat er seine Legionäre Standbilder von Optimaten und Patriziern stürzen und einige Lebende derselben hinrichten lassen. Als Lucius Sulla dann nach Rom zurückkehrte, vom Senat zum Diktator gewählt woirden war, hat er seine Legionäre die verwüsteten Standbilder wieder aufrichten, aber die von Plebeiern und Popularen stürzen und einen Gutteil derselben mittels Proskriptionen hinrichten lassen. Als sich Sulla ins Privatleben zurückzog, wurden - zaghaft zunächst - die Standbilder des siebenfachen Konsuls Marius, dann allmählich die anderen wieder aufgerichtet. Heute sind sie alle kaputt. “Kontextualisierung” des Gedenkens hat´s wohl schon immer gegeben.

jan blank / 15.11.2022

Immer das Gleiche! Weil die Woken im “Jetzt” nix Tragfähiges gebacken kriegen, vergreifen sie sich an der Vergangenheit. Sie kritteln, popeln, mäkeln und auch aufgesetzte Intellektualismen wie “Kontextualisierung” können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nix Anderes am Werk ist als: Beavis und Butthead,........... grm, harr harr grm seen that Butthead? check it out hrmm ,harr….......

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