Hannes Stein / 13.12.2006 / 11:40 / 0 / Seite ausdrucken

Ick lenin ab

Nachdem ich neulich mitgeteilt habe, dass mich die Linke—vor allem die deutsche Sektion—kalt lässt, möchte ich hier einen Gedanken aufschreiben, den ich schon seit einigen Wochen mit mir herumtrage und in dem es wirklich nur um die Linke geht. Mich interessiert folgende Frage: Wie kommt es, dass Leute, die sich für links halten—wie in London—hinter einem Schild marschieren, auf dem steht “We are all Hisbollah now”? Warum solidarisieren die sich mit einer klerikalfaschistischen, antisemitischen, nach Strich und Faden reaktionären Organisation? Wer ist schuld an diesem tiefen intellektuellen und moralischen Fall? Die kurze Antwort lautet: Lenin.

Für Marx war die Sache noch klar: Wenn eine fortschrittliche Macht eine rückständige besiegt, dann ist man ohne Wenn und Aber auf Seiten der fortschrittlichen Macht. So verfassten Marx und Engels eine Grußadresse an Abraham Lincoln und wünschten ihm viel Glück im amerikanischen Bürgerkrieg; so feierte Marx den britischen Imperialismus in Indien, der dort als revolutionäre Kraft wirkte, weil er Kastensystem und Witwenverbrennung bekämpfte. Hat er je über Napoleons Krieg gegen Spanien und Andreas Hofer geschrieben, an die uns in einem glänzenden Essay Claus Christian Malzahn erinnert?
(Nota bene, es geht mir nicht darum, Marx zu verklären: Seine Fortschrittsgläubigkeit trägt deutlich totalitäre Züge. Roman Rosdolski etwa zeigt in “Marx, Engels und das Problem der ‘geschichtslosen Völker’”, dass die Gründervater des Marxismus allen Ernstes dachten, es gebe ganze Völker, die von der Geschichte dazu verurteilt seien, reaktionär zu sein und deshalb gefälligst in einem künftigen großen europäischen Krieg zu verschwinden hätten, z.B. die Ukrainer. Wenn man die Zitate liest, wird einem kalt.)
Für Lenin stellt sich das alles grundlegend anders dar. Er war der Meinung, dass der Imperialismus das “höchste Stadium des Kapitalismus” sei, also Kapitalismus in seiner Fäulnisphase, in der die Konzerne, süchtig nach Extraprofiten, den Erdball ausplündern. Um diesen Gegner zu besiegen, muss einem jeder Bündnispartner willkommen sein. Wenn also ein reaktionärer Maharadscha gegen das British Empire aufsteht, dann hat man sich als revolutionärer Sozialist auf die Seite des Maharadscha zu schlagen.
Die Sowjetunion, so könnte man sagen, war wirklich ein marxistisch-leninistischer Staat: Einerseits wurden—gut marxistisch—die “reaktionären Völker” deportiert und/oder ausgehungert: die Ukrainer, die Tschetschenen, Inguschen usw. Andererseits fängt schon unter Stalin—sehr leninistisch—die Unterstützung nationalistischer Bewegungen an, etwa des Großmufti von Jerusalem, der den Genossen von der Kommunistischen Partei Palästinas als “fortschrittlich” zu gelten hatte. In den siebziger Jahren dann konsequent die Unterstützung der verschiedenen nationalistischen “Befreiungsbewegungen” in der Dritten Welt, um die Amerikaner zu ärgern.
Trotzki war, nebenbei bemerkt, ein eher orthodoxer Marxist. Es hat seine Logik, dass—wie mir Chuck Lane erzählte—seine trotzkistische Studentenzeitung den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan mit folgender Schlagzeile bedachte: “Long live the Red Army!” Die alte Logik: Rote Armee=Kräfte des Fortschritss=gut, Afghanistan=reaktionär, feudal und islamisch=muss dringend erobert und zivilisiert werden. (Den Nachweis, warum auch das Unsinn war, spare ich hier.)
Die heutige Linke, oder was von ihr übrig ist, gibt sich vorwiegend leninistisch. Also: Jeder Schweinehund ist unser Schweinehund, wenn er gegen den “US-Imperialismus” kämpft. Von dort ist es kein sehr langer Weg mehr zur “Volkstumsideologie” der politischen Romantik, derzufolge das Autochthone, Gewachsene gegen die liberale westliche Überfremdung verteidigt werden muss. Und so kommt es, dass Linke hinter einem Plakat mit der Aufschrift “We are all Hisbollah now” herlaufen.
Antisemiten sind sie natürlich außerdem.

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