Von Anabel Schunke.
Mögen Sie Festivals? Ich nicht. Allein die Vorstellung, mich ein ganzes Wochenende nicht richtig waschen zu können, im Zelt schlafen und ein Dixi-Klo benutzen zu müssen, ist mir Abschreckung genug. Ich war nie bei Rock am Ring, auf dem Hurricane oder auf einem der anderen großen einschlägigen Festivals in Deutschland, von denen Freunde immer Bilder bei Instagram posten, die den Anschein erwecken sollen, sie würden nicht gerade in einer großen Schlammpfütze liegen.
Aber ich liebe Musik und ich gehe gerne auf Konzerte. Mein erstes Konzert mit fünf Jahren war Joe Cocker. Es folgten die Rolling Stones, auch wenn meine Eltern sicherlich mehr damit anfangen konnten als ich damals. Meine ersten selbstgekauften Karten waren für Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims zu einer Zeit, als Naidoo zwar aus religiösen Gründen keine Preise anfassen wollte, aber zumindest noch nicht bei den Reichsbürgern auftrat und sowieso eher Songs über Liebe als über Marionetten schrieb. Dann kam – Sie werden lachen – Tokio Hotel. Da war ich gerade 17 und „Durch den Monsun“ ging durch die Decke.
12 Jahre später besuche ich immer noch Konzerte der einstigen Magdeburger Schülerband, deren Mitglieder inzwischen selbst 28, 29 und 30 Jahre alt sind und ganz andere Musik machen als damals. Das ist so ein Nostalgie-Ding, schätze ich und es ist über die Jahre hinweg die einzige Konstante in Bezug auf meine Konzertbesuche, die sich nicht geändert hat. Eine der Sachen, an der ich festmachen kann, wie sehr sich das Leben und die eigenen Gedanken in den letzten zwei Jahren verändert haben.
Am Heiligabend trage ich gerne etwas, das glitzert
Ganz ähnlich verhält es sich mit den Weihnachtsmarktbesuchen. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich liebe Weihnachten. Ich mag das Besinnliche genauso wie den Shoppingstress. Die Kälte draußen und den Glühwein in der Hand. Ich liebe es, weihnachtlich zu dekorieren, und wenn man mich lassen würde, würde ich das ganze Haus in Lichterketten hüllen und oben auf’s Dach noch einen kitschigen Weihnachtsmann mit Rentierschlitten setzen.
Am Heiligabend trage ich gerne etwas, das glitzert, und es ist der einzige Abend im Jahr, an dem ich Fleisch esse, weil ich einfach nicht um den hervorragenden Puter meiner Mutter herumkomme. Es ist die Zeit im Jahr, in der mir nichts und niemand je die gute Laune und die besinnliche Stimmung nehmen konnte. Nicht einmal Anis Amri. Aber vielleicht saß da auch nur der Schock noch zu tief und was passiert war, wurde erst in den Monaten danach in Gänze ersichtlich.
Denn wenn ich sehe, was ein knappes Jahr nach Berlin aus unseren Weihnachtsmärkten geworden ist, will die Weihnachtsstimmung zum ersten Mal nicht wirklich aufkommen. Erst jetzt, wo sich die Konsequenzen vollumfänglich zeigen, man jeden Tag über das liest, was nun aus dem Terror vom Breitscheidplatz folgt, realisiere ich wirklich, was wir verloren haben. "Spreng- oder Brandsatz in Potsdam: Innenstadt und Weihnachtsmarkt müssen evakuiert werden", hieß es erst gestern Abend in den Nachrichten. Egal, was da war, es zeigt die ganze Nervosität.
20 Prozent mehr Standmiete für die Budenbesitzer auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ist auch so eine Meldung. Grund seien die verschärften Sicherheitsmaßnahmen. (Inzwischen gibt es ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes, dass der Schutz eines Weihnachtsmarktes in Charlottenburg Aufgabe des Staates sei). Woanders wird es ähnlich aussehen. „IS-Anschlag auf Essener Weihnachtsmarkt geplant“, ist die Nächste.
Es ist eben nicht alles wie immer
Dass die jungen Männer inzwischen wieder auf freiem Fuß sein sollen, macht es nicht besser. Genauso wenig wie das Geschenkpapier in Bochum, mit dem man die hässlichen Betonpoller eingewickelt hat. Ein letzter verzweifelter Versuch, den Menschen vorzugaukeln, dass alles so ist wie immer.
Aber es ist nicht alles wie immer und das hier ist weder „das beste Deutschland aller Zeiten“, noch ein Land, „in dem wir gut gerne leben.“ Es ist ein wahr gewordener Alptraum, bei dem man sich plötzlich wünscht, man könne nur noch einmal unbeschwert und ohne Terrorangst auf einem Dixi-Klo im Schlamm auf einem Festival sitzen.
Nur noch einmal ein Konzert wie in 2005 besuchen, als man Plätze noch nach der Sicht auf die Bühne auswählte und nicht nach Nähe zum Notausgang. Eine Zeit ohne Betonpoller. Ob mit Geschenkpapier oder ohne. Nur noch einmal auf einem Weihnachtsmarkt seinen Glühwein ohne Sperren und schwerbewaffnete Polizisten trinken. Ohne Angst vor sich in die Luft sprengenden oder LKW-fahrenden islamischen Terroristen.
Die Wahrheit ist: Wir können uns noch so oft einreden, dass wir uns unsere Art zu leben nicht nehmen lassen. Uns damit beruhigen, dass es statistisch gesehen wahrscheinlicher ist, an einer Grippe zu sterben als bei einem Terroranschlag und es uns selbst sowieso nicht treffen wird. Es ändert nichts daran, dass die Angst Einzug in unsere Gedanken gehalten hat, und dass wir schon längst dabei sind, unsere Freiheit, unsere Art zu leben, aufzugeben. Dass die inneren die äußeren Grenzen längst ersetzt haben.
Man merkt das an Gedanken wie jenen, dass ich mich plötzlich auf einem Konzert, an einem Ort, an dem ich früher nichts außer Spaß hatte, frage, was ich tun würde, wenn nun ein paar Männer mit Maschinenpistolen in den Raum stürmen würden. Was ist an einem Weihnachtsmarktbesuch schön und besinnlich, wenn man sich ständig umguckt, als würde man unter Verfolgungswahn leiden?
Und was ist mein verbrieftes Recht auf Freiheit und Gleichberechtigung als Frau noch wert, wenn ich jeden Abend einen männlichen Begleiter fragen muss, ob er mich zum Auto bringt, um mich sicher zu fühlen? Wenn ich mich nicht mehr frage, wo mein Lippenstift in der Handasche ist, sondern mein Pfefferspray, und ob ich es schnell genug bedient bekomme, wenn mich jemand angreift? "Seid achtsam, aber nicht furchtsam", empfiehlt Innenminister Thomas de Maizière. Das klingt wie aus einer Sonntagspredigt. Und hilft mir leider gar nichts.
Bis irgendwann niemand mehr vor die Haustür geht.
Ja, vielleicht habe ich, anders als andere, noch nicht damit begonnen, Veranstaltungen gänzlich zu meiden. Manch ein Freund oder eine Freundin will schon nicht mehr mitkommen. Leute, die nicht einmal annähernd so kritisch sind wie ich. Es ist die Verlogenheit, die sich durch die gesamte Einwanderungs- und Islamdebatte zieht, die dafür sorgt, dass die meisten von uns äußerlich immer noch so tun, als wäre alles wie immer, während sie innerlich schon den Rückzug angetreten haben.
Ein gesellschaftliches Klima, in dem der gratismutige Politiker uns Leuten auf der Straße sagt, dass niemandem etwas weggenommen wird und keiner einen Nachteil aus der Politik der offenen Grenzen und jahrzehntelangen willkürlichen Einbürgerung von Muslimen zieht, während er selbst in seiner gepanzerten Limousine, von Personenschützern begleitet, durch die Gegend fährt.
Eine unerträgliche Bigotterie, die dem Bessermenschen nicht einmal auffällt. Die es ihm ermöglicht, dich für die beschriebenen Ängste und Gedanken zu belächeln, als irrationalen Wutbürger zu diffamieren, während er am Ende des Tages genauso wie du, wie die Menschen bei der Massenpanik in Turin nach dem Champions-League-Finale () oder in London am Oxford Circus um sein Leben rennen würde, wenn es irgendwo knallt oder jemand „Allahu Akbar“ ruft.
Diese Leute sind genauso Teil des Problems wie wir, die wir uns Stück für Stück nehmen lassen, was Deutschland einmal ausgemacht hat. Die den Verlust der eigenen Freiheit einfach so über sich ergehen lassen, weil es anscheinend für viele immer noch erträglicher ist, vom LKW auf dem Weihnachtsmarkt überfahren zu werden, als einen Zusammenhang zwischen offenen Grenzen und Betonpollern in Geschenkpapier zu ziehen. Bis zum nächsten Anschlag. Bis irgendwann niemand mehr vor die Haustür geht.