Wolfram Ackner / 06.02.2018 / 06:29 / Foto: movie studio / 40 / Seite ausdrucken

Ich Proletarier, Schreck der SPD

Es gibt Tage, da erschrecke ich vor mir selbst. Was um alles in der Welt ist nur passiert, dass ich – der in einem linkem Umfeld groß wurde, sich zur politischen Mitte zählte und früher selbst gegen Nazis auf die Straße ging – mich plötzlich am „rechtem Rand“ der Gesellschaft wiederfinde?

Dass ich, der sich früher immer leidenschaftlich für Marktwirtschaft und repräsentative Demokratie in die Bresche warf, mittlerweile vor Zorn bebe, wenn ich an die politischen Zustände in Deutschland denke? Dass ich, der früher immer darauf bestand, auf keinen Fall während der laufenden Tagesschau angerufen zu werden, heute die Frage nach dem passenden Moment für ein Telefonat mit „Punkt Zwanzig Uhr, da habe ich fünfzehn Minuten Zeit“ beantworte?

Dass ich, für den zwanzig Jahre lange die Lektüre meiner Tageszeitung, der Leipziger Volkszeitung, und des SPIEGEL zum Frühstück dazugehörte wie die Tasse schwarzen Kaffees, mir heute lieber die Hände abhacken würde, als auch nur einen Cent für dieses Fischeinwickelpapier auf den Kiosk-Tresen zu legen? (Bei der Leipziger Volkszeitung handelt es sich übrigens um ein ehemaliges SPD-Traditionsblatt). Dass ich, der früher Europa immer für das Beste hielt, was uns passieren konnte, diese EU nur noch als abstoßenden, undemokratischen, hochmanipulativen Riesenkraken betrachte?

Wie konnte ich dermaßen zu einem Wutbürger mutieren? Und dann komme ich darauf. Nicht ich habe diese Gemeinschaft verlassen, sondern diese mich. Keine der Parteien (bis auf die … na, Ihr wisst schon … blau, hat Hörner, riecht nach Schwefel) zeigt auch nur das allergeringste Interesse, sich für die Interessen derjenigen stark zu machen, die – in meinem Fall seit 30 Jahren – Tag für Tag früh aufstehen, um in den Fabrikhallen oder in der Landwirtschaft mit gewerblichen Jobs dieses Land am laufen zu halten.

Die Würgereflexe  der Genossen

Und am allerwenigsten scheint sich jene Partei für die Interessen der deutschen Arbeiter zu interessieren, welche aus dem hier in Leipzig gegründeten „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ hervorgegangen ist – die SPD. Allein die Redewendung "deutsche Arbeiter" löst ja schon zuverlässig Würgereflexe bei den Genossen aus. Aber so leid es mir tut und so fürchterlich peinlich es mir auch ist: wir sind nun einmal deutsche Arbeiter.

Ich glaube, dass ist es, was mich immer so wütend macht. Vielleicht schafft man es ja eines Tages, Stroh zu Gold zu spinnen und aus progressiven Politfloskeln Brot zu backen, aber bis dahin sollte man auch Arbeitern, Bauern, Angestellten, die mit ihrer Wertschöpfung erst die wirtschaftliche Grundlage für dieses neue deutsche Jobwunder im Politbetrieb, in der Sozialindustrie und im antifaschistisch-industriellen Komplex sorgen, das Recht auf eine politische Interessenvertretung zugestehen.

Selbst dann, wenn ihre Interessen nicht in den „Vereinigten Staaten von Europa“, einer uferlosen Transferunion, massenhafter illegaler Zuwanderung in die Sozialsysteme, gesellschaftlicher Transformation und mehr Islam liegen. Mir und vielen anderen kommt es nämlich so vor, als wären wir nur noch dazu gut, zu malochen und ansonsten die Schnauze zu halten.

Denn sobald es die sogenannten Kleinbürger wagen, die einzige Sache zur Sprache zu bringen, die den meisten von ihnen wirklich unter den Nägeln brennt – die ungebremste, illegale Zuwanderung, ihre Bedeutung für die Sicherheit unseres Staates und seine soziale Leistungsfähigkeit und die daraus resultierende Angst vor einer Islamisierung, fängt der sozialdemokratische Berufspolitiker an, Fragen zu beantworten, die (außer in Uni-Hörsälen) niemand gestellt hat, und über „Alltagssexismus“, die vermeintliche 22 Prozent-Minderbezahlung von Frauen oder „den sterbenden ländlichen Raum“ zu referieren, während der Juso mit vor Entrüstung bebenden Wangen „Nazis raus!“ schreit.

Eine riesengroße Enttäuschung für euch

Aus dem Hamburger Programm der SPD von 2007:

„Die Sozialdemokratie (…) hat aus verachteten Proletarierinnen und Proletariern gleichberechtigte und selbstbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gemacht.“

Das stimmt. Die alte SPD hat sich um die Arbeiterklasse historisch verdient gemacht. Während die neue SPD daran zu arbeiten scheint, aus gleichberechtigten und selbstbewussten Staatsbürgern mit unerwünschten Meinungen wieder öffentlich verachtete Proletarier zu machen. So sehr es mir leid tut, liebe Genossen – der alte Spruch hieß: „So, wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ und nicht: „So, wie ihr heute arbeitet, werden wir morgen leben“!

Tut mir echt wahnsinnig leid, dass wir Arbeiter in unserer gesellschaftlichen Fortschrittsverstockheit einfach nur eine riesengroße Enttäuschung für euch sind. Aber wenn ihr als Bundespartei nicht in Kürze dieselben kläglichen Resultate einfahren wollt wie hier bei uns in eurer einstigen Herzkammer Sachsen, solltet ihr vielleicht aufhören, bei eurer einstigen Stammklientel den Eindruck zu erwecken, dass ihr euch nur noch für die Belange von Migranten und absurd überprivilegierten Wohlstandskids aus gutem Haus stark macht, die sich medial als Opfer gesellschaftlicher Missstände inszenieren (und dabei eher wie eine neue, parasitäre Feudalkaste wirken), oder Pseudodebatten über Erste-Welt-Luxusprobleme zu führen.

Ich weiß, es ist nichts Glamouröses an kreischenden Winkelschleifern, Schmutz und Schweiß. Wir sind – trotz Energiewende – noch viele, und wenn ihr nicht wollt, dass die … na ihr wisst-schon … blau, hat Hörner, stinkt nach Schwefel … sich als neue Arbeiterpartei etabliert, dann erinnert euch daran, dass ihr einst stolz wart auf das Etikett: „Partei der kleinen Leute“ und macht euren ehemaligen Stammwählern ein faires Angebot, statt sie mit katastrophalen Forderungen, Soziologen-Geschwätz, offensichtlichem Bullshit und Beleidigungen auf die Palme und zur verhassten Konkurrenz zu treiben.

Dieser Beitrag erschien auch auf Publico.

Foto: ModernTimes Press Foto via Wikimedia

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Wilhelm Sacker / 06.02.2018

Bravo! Das sollte sich Schulz mal durchlesen! Mich freut es, dass die SPD abstürzt, diese Partei ist für mich völlig unwählbar geworden. Können nur Neiddebatten schüren und anderer Leute sauer verdientes Geld verteilen.

Karl Eduard / 06.02.2018

Sehr geehrter Herr Ackner, die SPD war von Beginn an nur auf die Versorgung ihrer Funktionsträger ausgerichtet. Damit diese Versorgung funktionierte, mußte die Gesellschaft in die gespalten werden, die etwas besitzen und in die, die für die Versorgung der Funktionsträger der SPD sorgen sollten. Inzwischen hat es die SPD nicht mehr nötig, Klassengegensätze zu beschwören, weil ihre Funktionsträger durch SPD-eigene, kapitalistische Unternehmen versorgt werden können. Sie kann also völlig auf die Arbeiterklasse verzichten. Was DIE LINKE übrigens auch bereits getan hat. Stattdessen widmet sich die SPD der Zerstörung dessen , was einst fleißige Arbeiterhände schufen. Mit freundlichen Grüßen

Robert Korn / 06.02.2018

Sehr richtig! Aber das werden die Genossen den Arbeitern nie verzeihen. Seid drum…

Karsten Berg / 06.02.2018

Hallo Herr Ackner, ich lese auch diesmal ihren Beitrag mit Interesse und freue mich über die klare Sprache. Auch ich, als in der DDR aufgewachsener Mensch, habe seit der Wende bis vor einiger Zeit immer SPD gewählt, da sie mir als natürlicher Vertreter meiner Interessen erschien. Die CDU Helmut Kohls war mir zu altbackend und rückständig, die FDP stand für nichts außer sich selbst, die Grünen waren für mich spinnerte westliche Großstadt-Möchtegerneintellektuelle und die Linke war auf Grund meiner Herkunft unwählbar. Ich war mit Leuten wie Schmidt, Wehner, Brandt und Engholm aufgewachsen und musste erleben, wie die von mir ehemals geschätzte SPD ,von Leuten wie Gabriel, Steinmeier, Nahles, Maas und Schulz gekapert wurden. Allesamt Leute die nichts mehr mit den, von Ihnen angeblich vertretenen “kleinen Leuten”, gemein haben. Politfunktionäre ohne jeden Kompass, die nur der kurzfristigen Parteitaktik folgen. Wenn ich mir die nachrückende Generation der Jusos anschaue wird es noch düsterer. Da tummeln sich völlig weltfremde Wohlstandskids rum, die nie in ihrem Leben einer sinnvollen Tätigkeit nachgegangen sind und quasi direkt aus dem Hörsaal in Parteifunktionen bzw. diverse Stiftungen gewechselt sind. Man schaue sich nur die Vita von Frau Uekermann oder Herrn Kühnert an, nix mehr mit Werktätiger dafür Weltbürger, Kosmopolit und Besserwisser. Hinzu kommt, dass in der SPD ein völlig unkritischer Umgang mit dem Islam gepflegt wird und sogar Personen wie Frau Özuguz und Frau Chebli gehypt werden, die ganz offensichtlich ein Problem mit unserer Kultur und Lebensweise hier in Deutschland haben. Für mich hat die SPD fertig!

Rüdiger Kuth / 06.02.2018

Es ist wirklich erschreckend, dass man sich in so einer düsteren Beschreibung genau wiederfindet! Hätte ich vor fünf oder zehn Jahren nie gedacht.

Carsten Zittrig / 06.02.2018

Chapeau, Herr Ackner! Eine klare Sprache und Haltung. Ich komme zwar nicht aus der Arbeiterklasse, habe aber die selbe Transformation erlebt und teile Ihre Gedanken.

Michael Schmitz / 06.02.2018

Wo darf ich unterschreiben?

Gabriele Kremmel / 06.02.2018

Lieber Herr Ackner, es sind die sogenannten kleinen Leute, die die Wertschöpfung erbringen und den Konstrukteuren der “Neuen Zeit” die Materialien und die Infrastruktur, ja sogar die Lebensgrundlagen für ihre gesamte Existenz herstellen, bauen und liefern. “Neue Zeit”, das ist die alberne Bezeichnung für brachiale Umwälzungen, die auf dem Reißbrett der Eurokraten geplant und auf geradezu grotesk dilettantische Weise gegen den Willen der Bevölkerung durchgepeitscht werden. Die Richtung, in die sich Parteien und Politiker von ihren Wählern entfernen, ist die nach oben. Sie erheben sich über uns und beherrschen uns, anstatt uns zu vertreten.

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