Claudia Roth fördert so allerhand, was mit Kultur nichts, aber mit "Green Culture" viel zu tun hat. Ideologie paart sich mit Ahnungslosigkeit, nun soll die wichtigste Quelle für die historische Musikwissenschaft entsorgt werden.
Claudia Roths kulturelle Ahnungslosigkeit ist nicht nur peinlich, sondern treibt gefährliche Blüten. Nun geht die Kulturstaatsministerin sogar dem Musikerbe der Menschheit an den Kragen. Roths eigene musikalische Sozialisation erfolgte nicht zuletzt durch die Rockband „Ton Steine Scherben“, deren Managerin sie von 1982 bis 1985 war und in deren Berliner WG auch RAF-Mitglieder ein- und ausgingen. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht schlichtweg zu viel verlangt, von Roth zu erwarten, dass sie die Bedeutung des Internationalen Quellenlexikons der Musik erfasst. Dem will sie nämlich aktuell den Garaus machen.
Das Internationale Quellenlexikon der Musik ist unter der Abkürzung RISM bekannt, die für Répertoire International des Sources Musicales steht. RISM wurde 1952 als gemeinnützige Organisation in Paris mit dem Ziel gegründet, weltweit musikalische Quellen zu dokumentieren. Dazu gehören handschriftliche und gedruckte Noten sowie musiktheoretische Schriften, Lehrwerke oder auch Operntexte, die sich in Bibliotheken, Archiven, Kirchen, Klöstern, Schulen und privaten Sammlungen befinden. Sie sollen vor Verlust bewahrt werden – etwa in Kriegszeiten – sowie als Primärquellen für Forschungs- und Aufführungszwecke zur Verfügung stehen. RISM führt also das gesamte Musikerbe der Menschheit in einer einzigen Datenbank zusammen, deren über 1,5 Millionen Datensätze kostenlos durchsucht werden können. RISM weist nach, was vorhanden ist und wo es aufbewahrt wird und ist die größte und einzige internationale Organisation, die schriftliche musikalische Quellen dokumentiert.
Bislang sind Werke von mehr als 37.000 Komponisten aus über 900 Bibliotheken in der Datenbank erfasst, die ständig erweitert wird. Die Katalogeinträge enthalten Informationen zu den Komponisten, Schreibern, Textdichtern, Vorbesitzern und Widmungsträgern, den Werktiteln, der Entstehungszeit sowie Besetzungsangaben und Hinweise auf Fachliteratur. Außerdem ist zur eindeutigen Identifizierung von Werken der Beginn der wichtigsten Stimmen in Notenschrift abgebildet und nach Möglichkeit auch eine gemeinfreie digitale Ausgabe verlinkt – mitunter sogar die originale Handschrift des Komponisten. Über verschiedene Filter lassen sich mit wenigen Mausklicks zum Beispiel gezielt Kompositionen für eine bestimmte Besetzung aus einer bestimmten Epoche entdecken.
Bei RISM handelt es sich also nicht um Peanuts, sondern um das zentrale Instrument, mit dem jede seriöse Quellenforschung von Musikwissenschaftlern, Musikstudenten, Musikern, Bibliothekaren und Antiquaren beginnt. Und das weltweit. Man könnte auch sagen: Ohne RISM gäbe es keine fundierte historische Musikwissenschaft mehr. Bereits 1960 zog die RISM-Zentralredaktion übrigens nach Kassel, seit 1987 befindet sie sich in Frankfurt am Main. Gefördert wird sie u.a. von Bund und Ländern. Außerdem steht RISM unter dem Patronat der Internationalen Vereinigung der Musikbibliotheken, Musikarchive und Dokumentationszentren (IAML) sowie der Internationalen Gesellschaft für Musikwissenschaft (IMS).
Das Projekt droht zusammenzubrechen
Das alles ficht die Kulturstaatsministerin jedoch nicht an: In einer E-Mail informierte ihr Ministerium jetzt RISM darüber, dass der angespannte Bundeshaushalt die Förderung von RISM ab 2026 nicht mehr leisten könne. Wenn allerdings die Zentralredaktion von RISM nicht mehr finanziert wird, droht das Projekt global zusammenzubrechen. Dabei stehen allein im Haushalt 2025 insgesamt gut 2,2 Milliarden Euro für Kultur und Medien zur Verfügung. So soll etwa die Deutsche Welle durch einen „Mittelaufwuchs“ abgesichert werden, damit Deutschland bei seinem „Kampf gegen Desinformation“ auch im Ausland mit „journalistischer Qualität vertreten“ sei. Für die „ökologische Transformation“ des Kulturbetriebs fließen ebenfalls üppig Gelder. Denn ganz oben auf Roths kulturpolitischer Agenda steht nach ihrer eigenen Aussage der Entschluss, die „Green Culture in Deutschland voranzubringen“ (achgut berichtete).
Zwar liegt Roth auch die Ukraine am Herzen, doch das RISM-Projekt zur Bewahrung der musikalischen Bestände der Ukraine hat für sie offenbar weniger Priorität als etwa die Rückgabe der Benin-Bronzen an Nigeria, über die sich besonders das dortige Oberhaupt der Königsfamilie freute, der auf diese Weise seinen privaten Reichtum vergrößern konnte. Dabei sollten die Statuen eigentlich in einem von Deutschland mit Millionenbeträgen geförderten Museum in Benin City ausgestellt werden, was nach der Vorstellung Roths Vorbildcharakter für alle Museen in Deutschland haben sollte, die „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ besitzen. Die Realität sah dann anders aus. Womöglich ist das Ukraine-Projekt von RISM der Kulturstaatsministerin aber auch einfach nur kein Begriff? So wie sie offenbar insgesamt mit RISM nicht viel anzufangen weiß.
Immerhin ließ der Leiter der RISM-Zentralredaktion in Frankfurt, Dr. Balázs Mikusi, in einem Interview nun durchblicken, dass es mittlerweile zu einem Gesprächsangebot gekommen sei und die Entscheidung hoffentlich noch nicht endgültig getroffen wurde. Vielleicht dämmert es Roth ja doch, dass das Musikerbe der Menschheit mehr umfasst als ein paar Schallplatten von „Ton Steine Scherben“?
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.
Nachtrag:
der Vollständigkeu halber möchten wir hier noch eine Stellungnahme zur aktuellen Berichterstattung über die finanziellen Perspektiven des RISM (Répertoire International des Sources Musicales) nach 2025 veröffentlichen, die heute, Mittwoch, den 14 August , 2024 herausgegeben wurde:
In den letzten Tagen zirkulieren in unterschiedlichen Medien Berichte und Meinungsäußerungen zur aktuellen und zukünftigen Situation des Répertoire International des Sources Musicales (RISM). Den Auslöser bildete ein Artikel von Christiane Wiesenfeldt im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3. August (online am 4. August), in dem die Ende 2025 endende Finanzierung im Akademienprogramm der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften und laufende Bemühungen um die Neuauflage einer Bund-Länder-Finanzierung zur Fortführung der globalen Aufgaben des RISM angesprochen wurden. Hingewiesen wurde dabei auch auf eine in Aussicht gestellte anteilige Finanzierung durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), die nun unter Verweis auf die Haushaltslage als nicht mehr umsetzbar bezeichnet worden sei.
Diese Darstellung ist in der Sache zwar zutreffend, hat aber dennoch zu verschiedenen Missverständnissen und fehlerhaften Schlussfolgerungen geführt. Insbesondere wurde Frau Claudia Roth persönlich für die Beendigung der Finanzierung verantwortlich gemacht, was in doppelter Hinsicht unrichtig ist: Weder ist BKM derzeit in die Finanzierung des RISM involviert, sondern sie erfolgt vielmehr im Rahmen einer Ende 2025 regulär auslaufenden Projektfinanzierung innerhalb des Akademienprogramms u.a. aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung; noch hat Frau Roth die Relevanz und Förderungswürdigkeit des RISM jemals explizit verneint.
Richtig ist, dass vor längerer Zeit die Möglichkeit einer Kofinanzierung des RISM nach 2025 durch BKM im Rahmen einer neuerlichen Bund-Länder-Finanzierung ins Gespräch gebracht wurde. Dies haben die im F.A.Z.-Artikel genannten Akteure (ein Konsortium bestehend u.a. aus der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Berliner Staatsbibliothek und dem Verein Internationales Quellenlexikon der Musik e.V.) zum Anlass genommen, Gespräche zu einem solchen Finanzierungsmodell zu führen. Aus diesen gingen die im Artikel erwähnten Zusagen einer anteiligen Finanzierung der Länder Sachsen, Bayern und Rheinland-Pfalz - unter dem Vorbehalt der Beteiligung des Bundes - hervor. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse trat das Konsortium neuerlich mit BKM in einen Dialog ein, der sich ungeachtet der angespannten Haushaltslage des Bundes als sehr konstruktiv erweist. Die im F.A.Z.-Artikel angesprochene E-Mail markiert dabei eine Momentaufnahme, die Anlass zu den sehr bedauerlichen Missverständnissen bot.
Seitens der RISM-Zentralredaktion und des Trägervereins möchten wir allen Institutionen und Personen, die sich für die Arbeit des RISM in der Vergangenheit eingesetzt haben und sich um Finanzierungsmöglichkeiten für die Zukunft bemühen, sehr herzlich für ihren Einsatz bedanken. Es wäre uns ein Anliegen, dass dieser wichtige und konstruktive Prozess nicht durch unzutreffende oder missverständliche Darstellungen in der öffentlichen Diskussion tangiert wird. Unser Dank gilt auch Kolleg:innen aus der Musikwissenschaft wie Christiane Wiesenfeldt oder Arnold Jacobshagen. Mit ihnen und vielen anderen sind wir über unsere Bemühungen im steten Austausch und sind froh, dass sie das große Interesse des Fachs am Erhalt des RISM engagiert öffentlich artikulieren.
Mit dieser Mitteilung hoffen wir, zur Klärung der Situation beigetragen zu haben, und stehen für Rückfragen selbstverständlich zur Verfügung (contact@rism.info).
Univ.-Prof. Dr. Klaus Pietschmann, Vorstandspräsident des Vereins
Dr. Balázs Mikusi, Leiter der RISM-Zentralredaktion
https://rism.info/de/new_at_rism/2024/08/14/statement-on-current-media-reports.html