Sandra Maischberger: Kann man sich auf unseren Außenminister verlassen? Was seine Führungskraft angeht im europäischen Konzert?
Helmut Schmidt (zögert): Ich glaube nicht, dass Sie im Ernst eine Antwort von mir erwarten.
Sandra Maischberger: So schlimm?
Helmut Schmidt: Hab nichts hinzuzufügen.
Unser Altkanzler Helmut Schmidt muss seine Meinung mit keinem Wort begründen. Weitere Nachfragen der Moderatorin erübrigen sich. Er hat zweifellos recht, schließlich ist er ja Helmut Schmidt. Argumentum ad verecundiam (http://bit.ly/frGZa5), wie der Lateiner sagt, ein Argument also, das seine Berechtigung allein aus der Berufung auf eine Autorität bezieht. Wobei Helmut Schmidt den unschätzbaren Vorteil auf seiner Seite hat, dass er sich nicht einmal auf jemanden berufen muss, um sich die Argumente sparen zu können. Die größte Autorität ist er selbst. Neben Peter Scholl-Latour ist er der Deutschen liebster Welterklärer; seine Bücher füllen halbe Buchhandlungen und bei Phoenix-Thementagen kann man ihm stundenlang lauschen, so man denn möchte. Nicht mehr lange, und man wird ihm offiziell Unfehlbarkeit zubilligen. Er ist der deutsche Papst, nicht Ratzinger.
Kein Zweifel, seine Nachfolger auf der Weltbühne sind allesamt politische Pygmäen. Wie der Nahost-Konflikt gelöst werden könnte, er weiß es. Zusammen mit 26 anderen ehemaligen Staatsmännern hat der frühere Oberleutnant eine härtere Gangart gegenüber Israel angemahnt. Wäre er israelischer Premier, er wüsste, was zu tun wäre: mit einem Fingerschnippen würde er die Siedler im Westjordanland zum Rückzug bewegen. Innenpolitisch wäre das gar kein Problem, denn wie man fragile Regierungskoalitionen zusammenhält, weiß bekanntlich niemand besser als Helmut Schmidt. Ach, hätte Israel doch einen Schmidt statt eines Netanjahu, der Weltfrieden würde schon morgen ausbrechen. Spätestens aber nächste Woche.
Den Euro hätten Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing im Handumdrehn gerettet. Doch eigentlich ist Europa, diese Halbinsel im Westen Asiens, für einen Helmut Schmidt zu klein. Am liebsten erklärt er uns China. China und Indien erleben seit einigen Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung, der auch die weltpolitischen Gewichte verändern wird. Fundamentale Veränderungen, die wir Kleingeister beinahe übersehen hätten. Gut, dass uns der Altkanzler darauf hinweist! Gut auch, dass China seine KP hat, die auf dem unüberschaubaren Ameisenhaufen für Ordnung sorgt. Demokratie und Menschenrechte sind schließlich nichts für Asiaten. Wer anderer Meinung ist, der ist entweder naiv - oder er hat dem Altkanzler einfach nicht gut genug zugehört.
Dass seine Freunde - darunter Deng Xiaoping und Anwar as-Sadat - tagtäglich über Leichen gingen, nun ja, um derartige Petitessen kann sich der Weltenlenker aus Hamburg-Langenhorn nicht auch noch kümmern. Dass vieles von dem, was er sagt, schlichtweg banal ist, scheint auch niemand zu bemerken. Der Kaiser ist nackt, doch keiner getraut sich, etwas zu sagen.
Heute ist Helmut Schmidt der einzige, den die Deutschen als elder statesman bezeichnen. Das hat zweifellos seine Berechtigung, nimmt er doch eine Sonderstellung im öffentlichen Leben ein: würde Helmut Kohl so daherschwadronieren wie sein Amtsvorgänger, die Medien würden dem Pfälzer seine Zitate um die Ohren hauen. Doch Helmut Schmidt darf das. Sein Erfolgsgeheimnis: möglichst harsche Urteile mit der größtmöglichen Arroganz vortragen. Offensichtlich genügt das, um in Deutschland für einen Weisen gehalten zu werden.
Hansjörg Müller schreibt auch für die kolumbianische Online-Zeitschrift „El Certamen“ (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/