Thilo Schneider / 26.03.2021 / 06:05 / Foto: Pixabay / 122 / Seite ausdrucken

Ich bin nicht raus

Am 23. März 2007 brachte die iranische Marine in internationalen Gewässern ein britisches Kriegsschiff auf und nahm 15 Besatzungsmitglieder gefangen. Nach deren Freilassung wurde der kommandierende Offizier gefragt, warum er denn das Schiff nicht verteidigt habe. Er antwortete lapidar: „Fighting was no option“.

Ähnlich geht es mir mit dem Artikel der geschätzten Kollegin Lisa Marie Kaus: „Ich habe eine traurige Nachricht. Sie sind raus.“ Ich gebe offen zu, ich habe mich über den Artikel geärgert. Und zwar deswegen, weil Frau Kaus recht hat. Als würde der Zahnarzt „Das tut nicht weh“ sagen, um dann genau den Nerv des entzündeten Zahns zu treffen. Und tatsächlich fühle ich mir, der ich ja sogar Mitglied einer Partei bin, deren Name gleichzeitig Programm des Artikels ist (LKR Liberal-konservative Reformer), spöttisch und „nachsichtig den Kopf getätschelt“. Es ist nie schön, wenn man auf der Jagd die kapitale Wildsau verfehlt und der Jagdfreund einem einen ermunternden „Macht ja nix, das nächste Mal klappts auch nicht“-Klaps gibt. Da möchte man das Gewehr doch kurz einmal umdrehen…

Wobei auch mir diese Selbstzweifel ja nicht fremd sind: Wofür machen wir denn den ganzen Zinnober hier auf der Achgut.com und ich auch noch in einer Partei? Wenn sie doch unbedingt und sehr dringend Elektroautos und Windräder:Innen haben wollen? Wenn sie doch ganz unbedingt darauf bestehen, auch noch den/die letzte fanatische Bartträger:In aus Hindukuschistan im Land haben zu wollen? Ja gute Güte – dann sollen sie doch! Dann wandern wir geschlossen in das dann im Vergleich zu Deutschland sichere und um diese Jahreszeit besonders angenehme Tel Aviv aus.

Machen wir dicht und dann macht doch Euren Scheiß ohne uns. Dann rennt eben mit „Mund-Nasen-Schutz“ um die goldene Statue der Heiligen Angela von Uckermark herum und preist sie und huldigt ihr für ihre Weitsicht und verehrt sie als größte Kanzlerin seit Bismarck. Dann flechtet ihr eben Kränze und stellt jeden vor eine virtuelle oder sogar physische Wand, der den leisesten Einspruch gegen die Segnungen und Weisheiten des Söderschen Dreiklangs wagt? Who cares? Dann schaffen wir uns eben ab? Wahrscheinlich vermisst uns sowieso keiner – außer, in Resteuropa werden mal wieder die Finanzen knapp. Dann können sie ja die Woken in den Berliner Shisha-Bars nach Barem fragen.

Es gibt ein schönes Bild, zwar mit der falschen Flagge, aber der richtigen Intention, das meine Gefühlslage widergibt: Bei einem Seegefecht zwischen britischen Schiffen und der kaiserlichen Marine am 8. Dezember 1914 vor den Falklandinseln soll laut einem britischen Offizier die Mannschaft des Kreuzers SMS Nürnberg mit wehender Fahne untergegangen sein.

Wir alle hier müssen morgens in den Spiegel sehen können

Ja, das klingt jetzt pathetisch und ziemlich eklig klebrig. Niemand stirbt ja, weil er die Angelaner doof findet oder nicht gendert. Es sei denn, er läuft im Stadtpark oder der Fußgängerzone den falschen Hinzugekommenen in die Hände oder wird von einem schwachsinnigen Psychopathen mit selbst gebastelter Knarre verfolgt. Aber sonst… Er mag seinen Job verlieren oder als Schwachmat und „Covidiot" durch die lokale Presse geprügelt werden, da hat Lisa Marie Kaus vollkommen recht, aber getötet wird Gott sei Dank niemand. Kommt vielleicht noch, wenn er später mal den „antiökologischen Schutzwall“ aus Brombeerhecken, Rosenbüschen, Agaven und Akazien und anderen Dornengewächsen durchbrechen will, um ins gelobte katholische und dieselverseuchte Polen mit seiner intakten und stabilen Stromversorgung zu flüchten.

Lisa Marie Kaus liegt richtig: Wir „alten weißen CIS-Männer“ sind mehr raus als die Nieten des Rumpfs der Titanic, um im Bild zu bleiben. Ich packe aber trotzdem nicht zusammen und gehe einfach. Schlicht, weil ich es nicht kann. Weil ich so erzogen bin. Weil ich alter Bundesrepublikaner bin. Weil ich die Freiheit, die ich erleben durfte und mit der ich glücklich war, auch meinen Kindern und Enkeln gönnen will. Es ist das liberal-konservative Erbe, das ich ihnen hinterlassen möchte. Frau Kaus erklärt, dass meine Kinder und Enkel dieses Erbe kaltlächelnd ausschlagen werden. Das kann sein, das mag sein. Aber sie sollen es wenigstens einmal gesehen haben.

Es stimmt, wir Liberal-Konservativen werden von den „Wehret den Anfängen“-Plärrern, die selbst Teil dieses „Anfangs“ sind, regelmäßig niedergebrüllt und zur Unordnung gerufen. Und es mag auch sein oder ist so, dass wir politische Parias und Exoten sind. Vielleicht bekommt meine Lieblingspartei nicht einmal die 2.000 Unterstützerstimmen für die Zulassung zur Bundestagswahl zusammen. Weil sie Angst haben, „unsere Wähler“, schlicht ihren Namen in ein amtliches Formular einzutragen, denn „man weiß ja nicht, was noch kommt und da habe ich dann dafür unterschrieben…“ Weswegen wir ja genau das Theater veranstalten, damit da „nichts kommt“. Und ja – mit den Feiglingen ist dann auch buchstäblich kein Staat zu machen, denen muss man eben den Diesel, das Steak, das Einfamilienhaus und die Familie wegnehmen, damit sie sich committen. Was ja dann auch passieren wird, weil die Woken schneller und aggressiver agieren, als sich Karl-Heinz und Gerda im Reiheneckhaus das eralbträumen lassen. Die haben ja auch nix zu verlieren, Karl-Heinz und Gerda schon...  

Und genau deswegen bin ich „Team Karl-Heinz und Gerda“. Genau daher halte ich sie hoch, die Flagge der alten, aber gut funktionierenden Bundesrepublik. Mag unser Schiff auch sinken, mag die ganze Schreiberei, mögen die ganzen klugen Analysen und Betrachtungen, Satiren und Glossen und Dystopien hier, mögen mein Wahlkampf und meine Zeit und meine Kosten und die meiner Mitstreiter auch umsonst und für die Katz gewesen sein – Je lay emprins, wie der Wahlspruch Karls des Kühnen lautete, der letztlich ebenfalls scheiterte.

Dann sind wir eben „das gallische Dorf“ und die Kreuzfahrer bei Hattin und die Leichte Brigade bei Balaklawa. Dann liegen die Beiträge wie dieser eben irgendwann bei „verbotener Literatur Ewiggestriger, Narren und Unbelehrbarer“. Dann sind wir eben „die schlechtesten Literaten, von denen man je gehört hat“ – aber, um Jack Sparrow zu zitieren: „Man hat von uns gehört!“ Und irgendwann schlägt das Pendel zurück. Ob wir hier das noch erleben – keine Ahnung. Aber es spielt letztlich auch keine Rolle. Wir alle hier, ob alter weißer Mann oder alte weise Frau oder das letzte Fähnlein furchtloser junger Schreiber und Streiter, müssen uns morgens im Spiegel betrachten. Und mindestens bleibt uns dann die Gewissheit, es wenigstens versucht zu haben. Doch, liebe Lisa Marie Kaus: „Fighting is an option!“

(Weitere Rückzugsgefechte des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist soeben in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Paul Greenwood / 26.03.2021

Wenn CDU durch die angeblich evangelische Tochter eines angeblichen evangelischen Pfarrers und CSU durch den evangelischen Markus Soder, der in die Baumallee-Gruppe eingeheiratet ist, hat man den Eindruck die alten Parteien sind nicht was die feuert waren und irgendwo den Inhalt verloren haben

Ralf Leistner / 26.03.2021

Ich gestatte mir, einen witeren Wahlspruch, passend zur situation anzufücgen: “Die Erkenntnis, daß das, was ich tue, sinnlos ist, hindert mich nicht, es zu tun, weil ich viel fester als früher davon überzeugt bin, daß nur das, was man in Erkenntnis der Sinnlosigkeit alles Handelns tut, überhaupt einen Sinn hat.” Helmuth James von Moltke: Briefe an Freya 1939 -1945, München 1988, S.300

Bernd Ackermann / 26.03.2021

Eben habe ich gelesen, dass die Schaft gestern vor ihrem Spiel gegen Island für “Human Rights” demonstriert hat. Fein, dachte ich, endlich zeigt es jemand der Merkel und ihrer Entourage. Grundrechte, Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Freizügigkeit und Reisefreiheit und nicht zuletzt die Würde des Menschen, all das was im Grundgesetz und der Charta von EU und UN steht, wird jetzt eingefordert. Dann las ich, dass es dabei um Katar ging. Wo doch schon Kaiser Franz festgestellt hat, dass es dort keine Sklaven gibt. Den Menschen in diesem Land ist es wichtiger, dass irgendein Typ in der Äußeren Mongolei die Möglichkeit hat sich ein WC in seine Jurte einzubauen, als dass sie sich um ihre eigenen und elementarsten Probleme kümmern. Mögen die Amis mit Bomben und Raketen Weltpolizist spielen, wir sind der moralische Weltpolizist, bis zu Selbstaufgabe. So traurig es ist, aber es wird kein Pendel geben, welches in die andere Richtung schwingt. Nicht in diesem Land, nicht mit diesem Volk. Notfalls werden Pendel per Infektionsschutzgesetz verboten.

Karsten Mahncke / 26.03.2021

So ist es. Aufhören, zu kämpfen wäre immer noch die größte Niederlage. Und den Vertretern des s.g. Zeitgeists den Spiegel vorzuhalten , besser noch die teilweise Ahnungslosigkeit und Dummheit vor zu führen ist doch was. Mir retten viele Beiträge hier auf der ACHSE sehr oft den Tag , wenn nicht die Woche.

Steffen Schwarz / 26.03.2021

Ich bin leider auch pessimistisch,  lieber Thilo Schneider. Die—sicher nicht perfekte—alte BR der 80 —ich kannte sie nicht—-ist mit dem Jahr 2000 ff endgültig und dauerhaft zu Grabe getragen worden. Was war hier im Osten in den 90gern für ein “Freier Wind”,  auch wenn wirtschaftlich viele über die Klinge gesprungen sind, aber es gab Licht der bürgerlichen Freiheit ..Heute geht es nur noch bergab, und das Licht ist auch aus.

lutzgerke / 26.03.2021

Nicht nur wir sind völlig entfremdet worden von der Kultur, dem Humanismus, von allem, was eine Gesellschaft zusammen hält. Der Kit ist raus, rausgebrochen vom permanenten bürokratischen und psychologischen Terror. Die Parteioligarchen haben wahrscheinlich niemals echten Zusammenhalt erlebt, ihr Leben war akulturell, fremdbestimmt und ist nur von Interessen und irren Vorstellungen gelenkt worden. Die Versäumnisse der letzten 30 Jahre können natürlich nicht über Nacht aufgeholt werden, dafür ist die Gesellschaft zu träge, der Parteioligarch zu doof und das Kapital zu mächtig. Man kann auch nicht jeden einzeln therapieren, obwohl eigentlich das nötig wäre. Nagut, ein Aufruf: schmeißt die scheiß Smartphones in den Mülleimer und gebt keiner Bürokratie eure E-Mailadressen. Ohne das Gerät ist man weder zu orten, noch kann einem eine Verfolgungsapp draufgespielt werden. Ein 2G-Handy erfüllt auch seinen Zweck, es kann nicht gekapert werden, und 2G wird nicht abgestellt. Das hat das dichteste Netz.    

Gabriele Kremmel / 26.03.2021

Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Ihre Beiträge auf Achgut sind alleine schon deswegen nicht umsonst, lieber Herr Schneider, weil sie Ihren Lesern mit Ihrem humorigen Schreibstil die seltenen Gelegenheiten bieten, über den ganzen Scheiß einmal wenigstens ein bisschen zu lachen. Wir brauchen Sie und Achgut, um das alles aushalten zu können. In letzter Zeit werde ich immer öfter mit Kommentaren zur Coronapolitik konfrontiert, die ungefähr so lauten: “Was soll man sich aufzuregen, bringt ja nichts” oder “ist halt jetzt so”. Das sagen Leute, die ihre Läden nicht öffnen dürfen oder das soundsovielte Mal in Quarantäne müssen weil Kontaktpersonen positiv getestet wurden, sie selbst aber negativ. Ich antworte den Leuten dann, dass Stillschweigen Zustimmung ist und die Politiker, wenn man sie nicht bremst -und sei es nur dadurch, dass man sich beklagt- sie eben immer toller und dreister werden. Wer sich nicht wehrt - und sei es mit Beschwerdeanrufen beim Gesundheitsamt oder durch Kundtun seines Unmuts gegenüber den Bekannten- lebt verkehrt. Auch die lieben Schlafmichel-Mitmenschen werden nicht aufwachen, wenn alle anderen so tun als wäre alles bestens. Es ist dieses klaglose Hinnehmen der Masse, das die Situation erst möglich macht. Das gilt für alle Themen. Also schon deswegen: Bitte weiter so, Herr Schneider - und außerdem muss man sich selbst treu bleiben.

Markus Kranz / 26.03.2021

Och, das tolle daran ist, dass die übergrosse Mehrheit, inklusive CDU, FDP und sogar einer Reihe Linker ‘raus’ ist. Wer Diktator spielen will, macht sich viele Feinde & hat seinen Untergang schon vorprogrammiert.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 30.01.2024 / 16:00 / 20

Jahrestag: Die Schlacht von Stalingrad geht zu Ende

Heute vor 81 Jahren ernannte Hitler General Paulus, der mit seiner 6. Armee in Stalingrad dem Ende entgegensah, zum Generalfeldmarschall. Denn deutsche Generalfeldmarschälle ergaben sich…/ mehr

Thilo Schneider / 26.01.2024 / 16:00 / 20

Anleitung zum Systemwechsel

Ein echter demokratischer Systemwechsel müsste her. Aber wie könnte der aussehen? Bei den Ampel-Parteien herrscht mittlerweile echte Panik angesichts der Umfragewerte der AfD. Sollte diese…/ mehr

Thilo Schneider / 18.01.2024 / 16:00 / 25

Neuer Pass für einen schon länger hier Lebenden

Ich will einen neuen Reisepass beantragen. Doch um ihn zu bekommen, soll ich den abgelaufenen mitbringen, ebenso meine Heiratsurkunde und Geburtsurkunde. Warum muss ich mich…/ mehr

Thilo Schneider / 16.01.2024 / 15:00 / 73

Zastrow-FDP-Austritt: „Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können“

Holger Zastrow, Ex-Bundesvize der FDP, kündigt. In seiner Austrittserklärung schreibt er: „Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht und durch seinen Beruf mit sehr vielen…/ mehr

Thilo Schneider / 11.01.2024 / 14:00 / 64

Was würden Neuwahlen bringen?

Kein Zweifel, die Ampel hat fertig. „Neuwahlen!“ schallt es durchs Land, aber was würden die angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse bringen, so lange die „Brandmauer“ steht…/ mehr

Thilo Schneider / 10.01.2024 / 14:00 / 35

Das rot-grüne Herz ist verletzt

Die Leute begehren auf, vorneweg die Bauern. Es wird viel geweint. In Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. Aus Angst. Aus Angst, von den Futtertrögen des…/ mehr

Thilo Schneider / 24.12.2023 / 12:00 / 25

Meine Agnostiker-Weihnacht

Herrgottnochmal, ich feiere tatsächlich Weihnachten. Wenn es doch aber für mich als Agnostiker eigentlich „nichts zu feiern gibt“ – warum feiere ich dann? Die Geschichte…/ mehr

Thilo Schneider / 02.12.2023 / 12:00 / 15

Jahrestag: High Noon bei Austerlitz

In der auch „Drei-Kaiser-Schlacht“ genannten Schlacht in Mähren besiegt Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1805, genau ein Jahr nach seiner Kaiserkrönung, eine Allianz aus österreichischen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com