Thilo Schneider / 21.03.2018 / 06:08 / Foto: Timo Raab / 31 / Seite ausdrucken

Ich bin ein Arsch und das ist gut so

Ich fühle mich angesichts der #metoo-Debatte, dem Frauentag, der Gender-Diskussion, dem Integrationsdiskurs und den Inklusionsgesprächen, dem Bodyshaming-Streit, der Kapitalismuskritik und dem Tafel-Bashing etwas einsam. Ich bin anscheinend allen egal. Nur weil ich keine bisexuelle hermaphrodite arbeitslose belästigte Frau mit Migrationshintergrund, Behinderung, Übergewicht und leerem Bankkonto bin. Da interessiert sich kein Aas für mich.

Sicher, natürlich könnte ich mir Mühe geben, mich diskriminiert zu fühlen. Ich bin 51 Jahre alt, schwer heterosexuell, habe weiße Hautfarbe und außerdem auch Übergewicht. Ich bin selbstständig, Arbeitgeber, bewohne den klassischen Altbau und fahre einen Diesel. Ich bin demnach eigentlich die Personifizierung des Bösen für alle Diskriminierten und esse sogar Fleisch. Ich bin das Feindbild für alle, die sich eine „progressivere und gerechtere Gesellschaft“ wünschen, und das bekomme ich auch ziemlich oft gesagt. Eigentlich also müsste ich mich diskriminiert fühlen. Immerhin bin ich ein Arsch.

Aber vielleicht liegt es genau daran? Vielleicht, weil ich ein Arsch bin und das, was ich habe, mir gegen Spott, Widerstände, Fehlurteile, schwachsinnige Vorschriften und gelegentlich ungerechte und unrechte Behandlungen erarbeitet habe und stolz darauf bin? Immerhin haben keine Leichen meinen Weg gepflastert, aber ich gebe zu: Der ein oder andere Leichtverletzte war schon dabei. Dann aber auch zu recht.

Vielleicht fühle ich mich genau deswegen nicht diskriminiert? Weil es mir egal ist und ich weiß, wer ich bin und mich nicht diskriminiert fühle, wenn mein Einkommen für den Lions-Club immer noch zu niedrig ist und ich für MENSA zu dumm bin? Ich bin mir möglicherweise der Tatsache bewusst, dass die Welt ungerecht ist und immer ungerecht sein wird, weil es immer irgendjemanden geben wird, der irgendeine Sache besser als ich macht? Selbst, wenn es nur diese ist, jünger zu sein, schlanker zu sein, intelligenter zu sein, hübscher zu sein? Es ist eben so.

Es hätte mich andererseits auch schlimmer treffen können. Es ist okay, wie es ist, deswegen fühle ich mich von hübscheren, jüngeren und intelligenteren Männern auch weder beruflich noch privat bedroht. Weil ich mir selbst-bewusst bin und weiß, was ich will und was ich kann. Und auch, was ich nicht will und was ich nicht kann.

Ich könne der typische Sugardaddy sein

Es ist nicht schön, wenn ein Türkischstämmiger nicht in einen Club kommt, weil der Besitzer miese Erfahrungen mit anderen Nahostasiaten gemacht hat, aber ich heule ja auch nicht herum, dass mich die Rotarier nicht aufnehmen werden und ich auf dem Golfplatz maximal das Clubmaskottchen abgeben würde. Ich werde bei der Anmeldung zum Hürdenlauf ausgelacht, meine Bewerbung bei den „California Dream Boys“  verschwindet in der Rundablage und bei der Demo der Afro-Feministinnen darf ich auch nicht mitmachen. Dinge sind, wie sie sind. Und wenn jemand Witze über Dicke macht, dann lache ich mit, weil ich Dicke im Grunde ebenfalls komisch finde.

Ich entscheide doch, von wem ich mich beleidigen und diskriminieren lasse. Letzthin meinte ein Girl, ich könne der typische Sugardaddy sein. Verdammt ja, könnte ich! Wie cool ist das denn? Vielleicht meinte sie damit ja auch, ich sei alt und schmierig und ja, auch das kann sein. Aber es ist mir egal. Sie hat nämlich wie jemand ausgesehen und auch gerochen, der sehr dringend Sugardaddys braucht, um überhaupt über die Runden zu kommen, die hohle Nuss. Da drehe ich mich doch lächelnd weg und bestelle noch einen Primitivo. Wie passend!

Ein anderer rief mir mal ein empörtes „Scheiß-Kapitalist“ zu, weil ich den Breiten im Halteverbot geparkt hatte. Ja, stimmt! Ich bin ein Scheiß-Kapitalist und verdiene im Monat möglicherweise so viel, wie der gepiercte und tätowierte Vollhonk in einem Jahr! Die öffentliche Stütze seines grobgeschmückten Faulkörpers entspricht einem halben Satz meiner Autoreifen. Deswegen ist es mir völlig egal, was er zu sagen hat. Soll er mich doch „diskriminieren“, ich fahre einfach die Fensterscheibe des Boliden nach oben und die Delle von seinem Tritt zahlt die Vollkasko. Komm wieder, wenn Du in Steuerklasse Drei wenigstens 6.000 fröhliche Euronen jährlich an den Staat abdrückst, dann reden wir noch einmal über den Kapitalismus. Mach Dir vorher das Hals-Tattoo und den Nasenring weg, Du Lauch. Sonst wird’s schlecht was mit dem Kapital und dem „ergebnisgeschlossenen Diskurs“. Tschö mit Ö und Prost mit Dosenbier.

Die Welt ist ungerecht und wird es immer bleiben, so lange sie sich dreht. Und irgendeiner fühlt sich immer ungerecht behandelt und bekommt Depressionen, statt Benachteiligungen als Chance zu begreifen, es anders zu machen, besser zu machen, schöner zu machen. Und wenn ich mich selbst zu fett finde, dann bin ich doch nicht traurig, wenn jemand mich auslacht, sondern schwinge mich aufs Fahrrad und stelle die Ernährung um. Oder suche mir bei der nächsten Verabredung meine eigene Spielwiese aus, die dann garantiert nicht „Sportplatz“ und „Marathon-Lauf“ heißt, sondern „Lesung“ und „Vernissage“.

Verdammt – ich glaube, ich bin zu arrogant, um diskriminiert zu werden. Das macht mich jetzt schon auch traurig und betroffen. Aber eigentlich ist das gelogen. Es ist mir egal.

Ich definiere mich über mein Denken, nicht über Dinge, die ich unter der Rubrik „Sonstiges“ abheften würde. Ich bin frei. 

Foto: Timo Raab

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Lena Mayer / 21.03.2018

Lieber Herr Schneider, Bis auf, dass wir beide weiß, konservativ und heterosexuell sind haben wir wohl wenig gemein. Trotzdem fühle ich mich angesprochen. Ich bin 29, im sozialen Bereich tätig und optisch wohl kaum vom linken Millieu in deutschen Großstädten zu unterscheiden. Eine Ausnahme stelle ich aber dar. Ich seh mich nicht als Opfer des Kapitalismus oder der bösen alten weißen Männer. Nein wenn überhaupt bin ich Opfer der Politik. In meinem Job bin ich mehr und mehr isoliert, im privaten fällt mir ein unbedarftes Lächeln im Zug nicht mehr leicht, ich vermeide es Nachts allein unterwegs zu sein, mit gewissen Menschen allein zu sein. Vermeide zu “attraktiv” zu wirken. Werde gefühlt in Menschenmengen unruhig und mitunter ängstlich. Trinke in der Öffentlichkeit keinen Alkohol. Was krieg ich zu hören? Ich sei paranoid, habe Vorurteile und ebenfalls Hetze und Rassismus wird mir vorgeworfen und mitunter auch, dass ich reaktionär sei. Ich bin froh, dass es von uns “Unmenschen” so einige gibt. Ps: wenn sie der typische Sugardaddy sind dann wünsch ich mir mehr Sugardaddies für dieses Land und meinen Bekanntenkreis.

Fridolin Kiesewetter / 21.03.2018

“Sag mir doch: Von deinen Gegnern, warum willst du gar nichts wissen?” / Sag mir doch, ob du dahin trittst, wo man in den Weg ...? so dachte Goethe über seine zahlreichen Gegner.

Ulrich Berger / 21.03.2018

“Ich bin ... alt, schwer heterosexuell, habe weiße Hautfarbe und außerdem auch Übergewicht. Ich bin selbstständig, Arbeitgeber, bewohne den klassischen Altbau und fahre einen Diesel. Ich bin demnach eigentlich die Personifizierung des Bösen für alle Diskriminierten und esse sogar Fleisch. Ich bin das Feindbild für alle, die sich eine „progressivere und gerechtere Gesellschaft“ wünschen, und das bekomme ich auch ziemlich oft gesagt. Eigentlich also müsste ich mich diskriminiert fühlen. Immerhin bin ich ein Arsch.” #metoo ;-)

Andreas Rühl / 21.03.2018

Tja, da vieles an Ihren Selbstbeschreibungen mir durchaus sehr bekannt vorkommt, kann ich hier gut mitreden. Ja, auch ich fühle mich frei. Und ich frage mich schon immer, was die Menschen dazu bewegt, sich irgendwelche Fesseln selbst anzulegen. Was hat man davon, nur Ärger und Gallensteine. Die Unverschämtheiten meiner Mitmenschen nehme ich schon lange nur noch mit Achselzucken zur Kenntnis, selbst der Rüpel auf der Autobahn geht mir am A… vorbei.  Ungleichheiten regen mich nicht auf, Ungerechtigkeiten, auch wenn ich der Betroffene bin, noch weniger. Es ist vieles “nun einmal so” und das Maß der Empörung scheint in dem Ausmaß zu steigen, in dem ein Mißstand offenkundig nicht zu beseitigen ist. Ich bewundere diejenigen, die sich zur Aufgabe gesetzt haben, Missstände zu beseitigen. Aber ich würde es gut finden, wenn diejenigen nicht im Gegenzug von mir verlangen, dass ich dasselbe tue wie sie. Oder auch nur unterstütze. Oder in jedem Fall gutheiße. Und ist es nicht Aufgabe des Staates, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen? Erst wenn die staatliche Gewalt versagt, korrupt ist und so weiter, wäre es an der Zeit, tätig zu werden, um selbst das Recht zu verteidigen. Von diesem Zustand sind wir weit entfernt. Im Gegenteil: Wir erleben einen Ausbau staatlicher Befugnisse, in die Freiheit seiner Bürger einzugreifen, erleben einen Staat, der sich als Gewissenspapst aufspielt, der Meinungen manipuliert, der “gute und schlechte Noten” für “private und öffentliche” Meinungen verteilt und so weiter. Das Wesen der Handlungsfreiheit ist es, auch nicht zu handeln. Das der Glaubensfreiheit, nicht zu glauben. Das der Meinungsfreiheit, keine zu haben und keine zu äußern oder beides. Das der Gewissensfreiheit, keins zu haben. In dem Sinne, lieber Herr Schneider, sind wir offenbar die freiesten Menschen der Welt.

Werner Arning / 21.03.2018

Es lebe der Unterschied, es lebe das Individuum. Wir sind nicht alle gleich und das ist gut so. Jeder sollte seines persönlichen Glückes Schmied sein dürfen. Einige werden sagen, das ist leicht gesagt, da doch die Grundvoraussetzungen so unterschiedlich verteilt sind. Der Sozialist möchte sie aus diesem Grund möglichst angleichen. So habe dann jeder die gleiche Chance, meint er. Doch geht das nur auf Kosten der Individualität und nur mit Hilfe von Zwang. Denn er verkennt ja, dass die Natur uns unterschiedlich „gemacht“ hat. Er versucht dieses Naturgesetz zu brechen. Und er gleicht ein vorhandenes Niveau nach unten an. Da eine Industriegesellschaft jedoch von ständigem Wachstum und Fortschritt abhängt, wirkt sich die Absenkung des „Niveaus“ in allen gesellschaftlichen Bereichen fatal aus. Fast jeder hat Abitur, kann damit aber nichts anfangen. Auf den ersten Blick herrscht Gleichheit und Gerechtigkeit, auf den zweiten herrscht Niedergang. Es lebe der Unterschied.

Stefan Lanz / 21.03.2018

Ich liebe politisch Unkorrektes! Mehr davon! Mehr von uns politisch Unkorrekten und die Welt könnte wieder einen Realismusdrall erfahren und die Welt besser machen. Diese Aussage war natürlich politisch völlig unkorrekt - ich entschuldige mich dafür… ...natürlich nicht :-)

Fritz Kolb / 21.03.2018

Sehr schöner Text, mit Ihrer Denke gehe ich in den Meisten Punkten d´ accord. Eigentlich mit allen außer dem Gewicht, das passt bei mir wegen einem gottgegeben guten Stoffwechsel. „Es ist mir egal“ und „ich bin frei“, das gefällt mir besonders. Es gibt eine schöne Szene in dem amerikanischen Film „Network“ von 1976. Der Protagonist fordert darin die Zuseher auf, das Fenster zu Öffnen und herauszuschreien: „Ihr könnt mich alle am A…. lecken“. Das hilft „nachhaltig“ über die von deformierten, selbsternannten oder auch hauptamtlichen Volkserziehern inszenierten Gesellschaftsdebatten hinweg, ziemlich easy sogar. Und man bleibt sich dabei auch selber treu.

Dietmar Schmidt / 21.03.2018

Lieber Herr Schneider, ja erst mal danke, Ihr Artikel ist prima geschrieben. Ich will mit Ihnen nicht in Konkurrenz treten oder Sie gar übertrumpfen. Aber, alt (Jahrgang 1949), männlich (heterosexuell) und weiß bin ich auch. Und wahrscheinlich auch ein Arsch, weil es mir und meiner spießigen Familie gut geht und weil mir von #metoo bis Klimawandel alles eigentlich nur noch nervt. Meine Hoffnung ist, dass unsere industrielle Basis durch politischen Harakiri wie z.B. die Energiewende und dem Dieselgedöns nicht zu sehr geschwächt wird. Nicht für mich sondern für meine Kinder. Gruß D. Schmidt

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