Michael Miersch / 12.03.2007 / 17:12 / 0 / Seite ausdrucken

Hurra, wir retten die Welt

Fahrradfahren, kalt Duschen, auf Bananen verzichten? Seit dem letzten UN-Klimabericht prasseln gute Ratschläge auf das verschreckte Publikum ein. Doch selbst wenn alle sie befolgen würden, hätte das kaum Einfluss aufs Klima.

Erschienen in Welt am Sonntag am 11.03.2007

Der Wettlauf um die Weltrettung ist eröffnet. Wer wird gewinnen? Der Bayer Werner Schnappauf (Radeln am Main), der Niedersachse Sigmar Gabriel (Klimaschutz in die EU-Verfassung) oder doch wieder Al Gore, der Öko-Oscar aus Tennessee? Al Gores Chancen sind gesunken, seit bekannt wurde, dass er in seinem Haus über zwanzigmal mehr Strom verbraucht als ein Durchschnittsamerikaner. Um das auszugleichen kauft Al sogenannte Emissionszertifikate, Anteile an Projekten, die den Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren sollen. Praktischerweise gehört ihm die Firma, die diese Ablassbriefe verkauft. So schön kann Recycling sein.

Hieß es vor einem Jahr noch „Du bis Deutschland“ erreichen wir jetzt höhere Sphären: Du bis das Klima. Tu was, sonst schwappt die Nordsee demnächst an die Alpen. Schließlich kann man als Normalkonsument auf vieles verzichten: Warmes Wasser, wohlige Raumtemperatur, Autofahren, Flugreisen, Obst und Gemüse aus Übersee. Aber gern! Wir würden es allerdings mit mehr Begeisterung tun, wenn die, die sich solche Vorschläge ausdenken, auch selbst daran hielten. Doch zwischen tadellosen Presserklärungen und persönlichem Verhalten klafft eine peinliche Lücke, die die Psychologen kognitive Dissonanz nennen. Auch Werner Schnappauf fliegt gern in den Süden und wenn Sigmar Gabriel in der Bahn sitzt, fährt der Chauffeur mit dem Dienstwagen hinterher. Andere Klimaretter pendeln seit Jahren munter zwischen Bonn und Berlin. Und die S-Klasse-Karossen der Kabinettsmitglieder schlucken so ordinär wie Al Gores Heizung. Die 500 Meter vom Bundestag zur Sondervorführung von Gores Katastrophenfilm legten viele Abgeordnete im Dienstwagen zurück. Soweit, so menschlich.

Nicht nur die da oben, wir alle sind Sünder. Vor allem jene Kreise, in denen es zum guten Ton gehört beim Öko-Bauern zu kaufen, für Greenpeace zu spenden und grün zu wählen. Während die Normalverdiener schon aus Kostengründen bei Sprit und Heizung sparen müssen, verbraucht der moralisch gerüstete Mittelstand reichlich Ressourcen, um die Welt zu retten. Allen voran die Zehntausenden von Delegierten und Aktivisten die in immer schnellerem Rhythmus für diverse Klima- und Umweltkonferenzen um den Globus jetten. Diese Schicht hat schon als Schülersprecher gelernt, ihre Interessen durchzusetzen. Während die proletarische Bierdose verteufelt wird, steht die Einwegflasche für Wein unter Naturschutz - Zufall? Auch das schicke Energiesparhaus im Grünen hat eine schlechtere Ökobilanz als die städtische Mietwohnung, besonders wenn die Akademikerfamilie mit zwei bis vier Autos täglich zu ihren Arbeitsplätzen pendelt. Als schlimmste Feinstaubschleuder haben sich inzwischen die Kaminfeuer herausgestellt, an denen Bildungsbürger gern die ökosensible Seele wärmen.

Die Vorsilben „öko“ und „bio“ werden an alles Mögliche geklebt, ohne dass jemand nachfragt, ob die so geadelten Produkte oder Verfahren tatsächlich einen Umweltvorteil bieten. Nicht überall wo „grün“ draufsteht ist auch „grün“ drin. Was in der Bevölkerung als ökologisch gilt, hat meist mehr mit geschickter Imagepolitik von Interessengruppen zu tun als mit Fakten. „Bio ist prima fürs Klima!“ werben die Öko-Agrarverbände und fordern einen „Klimabonus“ für ihre Betriebe. Ihr Argument: Wir sparen Mineraldünger, zu dessen Herstellung fossile Brennstoffe verbraucht werden. Die konventionellen Bauern kontern: „Mehr Milch pro Kuh ist aktiver Klimaschutz!“ Ihr Argument: Konventionelle Höfe erzeugen mehr Milch, Fleisch und Eier pro Tier. Auch erreichen die Tiere ihr Schlachtgewicht viel früher, leben also kürzer und brauchen weniger Futter. Ergo: Sie stoßen weniger klimaschädliches Methan aus.

Bei näherer Betrachtung erweisen sich viele angeblich grüne Lösungen als Mogelpackungen die manchmal sogar mehr schaden als nützen. Beispiel: Flugreisen. Der erste Umwelteffekt den ein Verzicht auf Fernreisen hätte, wäre der Ruin vieler Nationalparks in armen Ländern. Ohne Touristen ist Naturschutz dort nicht finanzierbar. Beispiel Windkraft: Die Netzbetreiber Reservekapazitäten für windstille Tage aufbauen, um die reibungslose Stromversorgung zu gewährleisten. Windkraftanlagen ersetzen also keine Kohlekraftwerke sondern brauchen sie.
Sobald ein Vorschlag in der Öffentlichkeit als „öko“ etabliert ist, bricht jede Diskussion ab. Während in bei anderen politischen Themen die Parteien mit Vorschlägen konkurrieren, findet in Sachen Klimawandel und Umweltschutz kein Ideenwettbewerb statt. Meistens geben Öko-Aktivisten die Richtung vor und der Rest der Gesellschaft darf dann noch über die Dosis der Maßnahmen diskutieren. Man stelle sich vor bei der Gesundheits- oder Rentenreform läge nur ein einziger Lösungsvorschlag auf dem Tisch und es würde lediglich darüber diskutiert, ob man ihn schneller oder langsamer, radikaler oder gemäßigter durchsetzt. Grünen Themen sind meist moralisch so stark aufgeladen, dass jeder Zweifel als Frevel gilt. Wer die Windkraft kritisch betrachtet oder darauf aufmerksam macht, dass Recyceln von Plastikverpackungen mehr Energie verbraucht als spart, gilt sogleich als zynischer Umweltschänder. Diese geistige Monokultur liegt auch daran, dass es nur wenige kritischen Umweltpolitiker in den Parlamenten gibt. Die, die sich das Thema zu Eigen gemacht haben, lassen sich die Vorgaben von den Verbänden geben. Und die anderen haben ein schlechtes Gewissen weil sie desinteressiert sind und nicken alles ab, was ihnen die Öko-Experten ihrer Parteien einflüstern. 

Auch der parteiübergreifend gepriesene Biodiesel aus Raps hat eine klägliche Ökobilanz vorzuweisen: Im günstigen Fall werden auf einem Hektar 1200 Liter Biodiesel geerntet. Doch dafür verbraucht der Landwirt 150 Liter Kraftstoff für die Maschinen und nochmals die gleiche Energiemenge für Düngung. Völlig aberwitzig wird es, wenn im Dienste der Klimarettung die Tropenwälder abgeholzt werden. Das ist jedoch schon heute der Fall. In Brasilien wird für Zuckerrohr-Plantagen zur Herstellung von Bio-Ethanol gerodet.  In Malaysia und Indonesien brennen Plantagenfirmen den Dschungel ab, um Ölpalmen anzupflanzen. Palmöl wird neuerdings nicht nur in Margarine, Kosmetik und Waschmitteln eingesetzt sondern auch als Kraftstoff. Ein ökologischer Ball Paradox. Auch die als sauber geltende Wasserkraft ist nicht so umweltfreundlich, wie uns die Lobbyisten der Alternativenergien glauben machen wollen. Stauwerke greifen weitaus stärker in die Natur ein als jedes Atomkraftwerk. Die rundum saubere, klimaneutrale, gänzlich risikolose und naturfreundliche Energiegewinnung gibt es leider noch nicht.

Allein durch die Brände in den Tropen und Subtropen wird alljährlich mehr Energie völlig ungenutzt verschleudert als Deutschland insgesamt pro Jahr umsetzt. Von den Emissionen der aufstrebenden Giganten China und Indien ganz zu schweigen. Heißt das, wir können gar nichts tun? Sind wir so unbedeutend, dass alles egal ist? Fatalismus wäre mindestens genauso unsinnig wie effekthascherische Symbolpolitik á la Gabriel. Zunächst mal kann es nicht falsch sein, sich auf mögliche Folgen des Klimawandels vorzubereiten. Wie man beispielsweise ein Land trocken hält, obwohl es unter dem Meersspiegel liegt, demonstrieren die Holländer schon seit ein paar hundert Jahren. Auch die Abkehr vom Öl ist auf jeden Fall richtig, selbst wenn sich die heutige Klimapanik später einmal als unbegründet herausstellen sollte. Ein Blick auf die Regimes der meisten Öl-Länder ist mindestens so gruselig wie ein Film von Al Gore. Energiesparen ist also grundsätzlich richtig – zumindest in den reichen Industrieländern. Von Entwicklungsländern kann niemand verlangen, dass sie heute auf Wirtschaftswachstum verzichten, damit dadurch eventuell in ferner Zukunft die globale Durchschnittstemperatur sinkt.

Statt nun mit zusammengekniffenen Lippen kalt zu duschen, sollten wir in die Hände spucken und die technische Herausforderung sportlich nehmen. Die Effizienzrevolution (die Abkopplung des Wirtschaftwachstums vom Ressourcen- und Energieverbrauch) ist im Gange und hat in den westlichen Ländern bereits viel bewirkt. Sie muss noch längst nicht zuende sein. Ein permanenter Wettbewerb um effizientere Technik wäre die beste Antwort auf Ressourcenabhängigkeit und Klimawandel. Die Chancen dafür stünden am besten, wenn nicht nach deutscher Art von vornherein einige Technologien ideologisch ausgeschlossen würden. Atomtechnologie und Gentechnik könnten wichtige Komponenten für eine grüne Zukunft sein. Der neue FAO-Bericht zu den immensen Umweltkosten der Viehzucht legt nahe, die Landwirtschaft stärker ins zu Auge fassen. Die globale Nutztierherde hat mehr Einfluss auf die Atmosphäre als alle Autos zusammen. Viele Milliarden Rinder, Schafe, Schweine und Hühner stoßen nicht nur gewaltige Mengen Methan und andere klimarelevanten Gase aus, der Futteranbau für sie verbraucht auch riesige Naturflächen. Womöglich wird ein Ausweg in den Labors gefunden, in denen Wissenschaftler derzeit Fleisch aus Zellkulturen entwickeln. Oder sollten wir dem Aufruf des britischen Parlamentariers Boris Johnson folgen?  Der empfahl: „Wenn Sie grün sein wollen – killen Sie eine Kuh!“

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