Von Peter Schmidt.
Nachdem die Flüchtlingswelle ins Land geschwappt war, dauerte es nicht lange, bis die ersten Unternehmen ihre Mitarbeiter aus Afghanistan oder Nordafrika im Fernsehen zeigten. Die standen in Werkshallen und auf Baustellen, sprachen kaum ein Wort Deutsch und sollten so tun, als ob sie plötzlich Kabel verlegen, mauern, tischlern oder Dächer decken könnten.
Natürlich konnten sie es nicht, denn sie hatten nie zuvor mit Schraubenziehern, Maurerkellen oder Kreissägen hantiert. So entging auch dem gutwilligsten Zuschauer nicht, auf welch populistische Art und Weise er hinters Licht geführt werden sollte. Was er zu sehen bekam, war eine Inszenierung für eine aus-dem-Bauch-heraus-entschiedene Flüchtlingspolitik. Zugleich auch eine Karikatur auf die wirklichen Bedürfnisse des deutschen Mittelstandes und der deutschen Wirtschaft. Technologische Weltspitze benötigt exzellent ausgebildete Fachkräfte, um die Spitzenposition zu halten.
Gleichwohl flankierte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) diese Inszenierung mit einem Positionspapier "Integration von Flüchtlingen in Ausbildung und Beschäftigung: Leitfaden für Unternehmen". Und der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit rief gar dazu auf, die "Möglichkeiten zur Fachkräftesicherung" unter den Flüchtlinge "auszuschöpfen".
Das Spiel der drei Affen
Wörtlich schrieb er im "Schwerpunktheft Fachkräfte für Deutschland": "Eine besondere Chance stellt hierbei die große Zahl der Menschen dar, die derzeit als Flüchtlinge in unser Land kommen." Schließlich seien die meisten "jung und hochmotiviert". Und auch wenn sie nicht über eine "formale berufsfachliche Qualifikation verfügen", könne die Integration in den Arbeitsmarkt gelingen.
Jahrelang lamentierten die Unternehmen und Verbände, es fehle ihnen an besonders qualifizierten Arbeitskräften, und auf einen Schlag scheint es, als käme man sogar mit funktionalen Analphabeten zurecht. Es ist zum Fremdschämen.
Wider besseres Wissen, den Augenschein und gegen alle vorliegenden und jedem bekannten Fakten spielen leider auch viele Unternehmer das Spiel der drei Affen. Und das nicht nur in politisch heiklen Themen. So verbiegen sich die Konzerne zum Beispiel der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, der Energiebranche und Automobilindustrie auch bis zur Unkenntlichkeit beim devoten Kotau vor einem Zeitgeist, der glaubt, die Gesetze von Chemie, Physik und Biologie moralischen Imperativen unterwerfen zu können.
Eher witzig kommt das Beispiel von Lidl daher, die brav gegendert unsere kulturellen Wurzeln abschaffen – aus dem Weihnachtsmann wird eine Weihnachtsfrau. Wer keine anderen Sorgen hat, möchte man hier einwerfen. Wesentlich schlimmer, weil mit mehr gesellschaftlichem "Impact" ist es hingegen, wenn Unternehmen gegen besseres Wissen dazu beitragen, in der Bevölkerung die krudeste esoterische Weltsicht zu verankern. Ein Bildungsniveau zu fördern, auf dessen Nährboden die benötigten Fachleute der Zukunft ganz sicher nicht mehr wachsen werden.
Die Bayer AG, in deren Laboren einst das Aspirin erfunden wurde – und die noch heute viele Menschen beschäftigt, die es besser wissen - betreibt heute, wie auch Merck und andere Branchengrößen, die Dämonisierung der Chemie.
"Laut einer Befragung des Instituts für Demoskopie (IfD) Allensbach legt rund ein Viertel der Deutschen (22,2 Millionen Menschen) ganz allgemein großen Wert darauf, dass Medikamente Naturheilmittel sind oder auf pflanzlicher Basis hergestellt wurden", schreibt der Konzern in einem Werbetext zum Hustenmittel Phytohusti und fährt fort: "Auch gegen Reizhusten gibt es eine pflanzliche Lösung: die Eibischwurzel."
Ein Chemiekonzern, angewiesen auf Menschen mit erstklassiger Schulbildung, gibt sein eigenes Tätigkeitsfeld den Alchemisten zur Plünderung preis. Nein, die Medikamente sind Chemie, so wie alles Leben eben Chemie ist. Der Patient lutscht keine gerade gepflückte Eibischwurzel, das würde ihm auch kaum bekommen. Er genießt die Fortschritte unserer Zivilisation, nimmt Sirup oder Lutschpastillen. Die, im Interesse seiner Gesundheit, wo erforscht und umgesetzt wurden? Richtig: im Labor.
Ganze Industriezweige sägen munter den eigenen Ast
Ohne Chemie kein Leben. Diese Botschaft den Menschen näherzubringen wäre gelebte Unternehmensverantwortung. Sinnvoller als viele Worthülsen, die sich in den "Credos" aller großen Konzerne wiederfinden. Als Chemiekonzern die Chemie als Gegensatz zur Natur darzustellen, das ist "großes Kino", wie die Zielgruppe sagen würde.
Schon vor fünf Jahren warnten übrigens die Mediziner Prof. Klaus-Dietrich Bock und Prof. Manfred Anlauf vor den Irrungen und Wirrungen der Homöopathie. "Wenn tausende von approbierten Ärzten alternativmedizinische Verfahren anbieten, so hat das teilweise materielle Gründe, mag bei einigen aber auch darauf beruhen, dass ihnen in ihrer Ausbildung die theoretischen wissenschaftlichen Grundlagen ihrer Arbeit nicht ausreichend vermittelt worden sind (...) Diese Entwissenschaftlichung der Medizin greift um sich", schrieben sie in unmissverständlicher Deutlichkeit.
Aber auch andere Industriezweige sägen munter den eigenen Ast, der am Ende viele hunderttausend Menschen, die sicher gerne gearbeitet hätten, der Wohlfahrt zuführt. VW entlässt 30.000 Mitarbeiter, allein 23.000 in Deutschland, weil es jetzt unter dem Eindruck des Abgas-Skandals radikal auf Elektroautos umstellen will. Das geschieht, ohne sich auch nur ein einziges Mal offensiv mit der industriefeindlichen CO2-Agitation auseinanderzusetzen. Aber was ist denn dieses CO2? Es ist ein unerlässlicher Baustein für die Photosynthese und damit für das Leben aller Pflanzen auf diesem Planeten. Die Energiekonzerne haben mit offenem Mund zugesehen, wie die eigen Existenzgrundlage zerschlagen wurde – und damit auch eine preiswerte und sichere Energieversorgung als Grundlage unserer Industriegesellschaft. Hat man jemals versucht, der Strahlenangst in der Bevölkerung mit sachlichen Argumenten Orientierung zu geben?
Greenpeace-Gründer Patrick Moore sagte jüngst in Berlin: "Ohne den ausgleichenden Eingriff des Menschen in den Kohlenstoffhaushalt der Erde würde der CO2-Gehalt immer weiter sinken. In zwei Millionen Jahren wäre ein Wert erreicht, in dem das Pflanzenwachstum unmöglich ist, und mit weiter sinkendem CO2-Gehalt würde alles Leben auf der Erde aussterben." Ob er Recht hat? Auf jeden Fall sind es Argumente, die der Auseinandersetzung wert wären.
Gelebte Unternehmensverantwortung zeigt sich, wenn alles getan wird, den Bildungsstand der Bevölkerung voran zu treiben. Unternehmerische Verantwortung übernimmt, wer das Rückgrat hat, sich gegen den religiösesten, esoterischsten und zukunftsfeindlichsten Zeitgeist zu stellen und die naturwissenschaftlichen Wahrheiten auszusprechen.
Schlimm genug, dass man heute Zivilcourage benötigt und echten Mut, all das auszusprechen, wofür große Denker vergangener Jahrhunderte ihr Leben eingesetzt haben. Damit es uns heute so gut geht, wie keiner Generation vorher.
Und wenn wir so weitermachen, wird es auch keiner Generation danach mehr so gut gehen.
Peter Schmidt ist Präsident des Deutschen Arbeitgeberverbandes. Dieser Beitrag erschien zuerst auf der Webseite des Verbandes hier.