Es gibt eine Partei in Deutschland, der zurzeit einfach alles gelingt: die Grünen. Sie konnten vor ein paar Jahren so genannte Biokraftstoffe fördern und wie der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin Zukunftsvorstellungen im Stil chinesischer Propagandaposter entwerfen: „Der Acker wird zum Bohrloch des 21. Jahrhundert.“ Der Grüne mit dem sympathischen Dauerlächeln lobte damals namentlich Brasilien, „wo sich Ethanol auf dem Siegenszug befindet.“
Dann sprach sich allmählich herum, dass für Agrosprit-Plantagen in Brasilien Urwald abgeholzt wurde und die fördermittelgetriebene Ethanolschwemme weltweit Lebensmittelpreise nach oben jagt, dass die Düngung so genannter Energy Crops Lachgas freisetzt, ein wesentlich stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxyd, und dass Maismonokulturen ganze Landstriche in Norddeutschland veröden. Worauf die Partei, dank der politischen Sozialisation ihrer Führungsleute in Dialektik nicht ungeübt, einfach einen eleganten Schwenk vornahm. „Wir waren schon immer gegen E 10“, verkündete Renate Künast 2012.
Nach diesem bewährten orwellesken Rezept führen die Grünen gerade ihre nächste kleine Korrektur durch. Mediennutzer mit gutem Gedächtnis erinnern sich noch, wie die Milieupartei und ihre Unterstützer ihrem Wahlvolk ein Energieparadies mit grenzenlos billigem Wind- und Solarstrom entwarfen.
„Und dabei werden die Strompreise immer günstiger. Auch wegen der regenerativen Energiequellen. Es gibt Tage, da gibt es den Strom wegen der reichhaltigen Windenergie praktisch kostenlos“, freute sich Jakob Augstein 2012 auf Spiegel Online.
Nicht nur kostenlos, muss man ergänzen: An manchen Tagen zahlen die Netzbetreiber in Deutschland Kunden im Ausland sogar bis zu 100 Euro, wenn sie ihnen eine Megawattstunde Sonnen- oder Windstrom abnehmen, für den sie in Deutschland wegen der Angebotsmenge um die Mittagszeit keine Kunden mehr finden.
Selbstverständlich stellen sie diesen Negativpreis dann den Stromkunden in Rechnung. Und in der Tat, der Wind- und Solarstrom drückt den Börsenpreis für Strom inzwischen auch für längere Zeit auf Null oder nahe Null. Dummerweise bemisst sich die EEG-Umlage, die alle normalen Stromkunden in Deutschland zwangsweise abführen, eben nach dieser Differenz zwischen Börsenpreis und der festen Vergütung für die Wind- und Solaranlagenbetreiber. Im Jahr 2012 betrug der Unterschied zwischen den mageren Börsenerlösen für die erneuerbaren Energien und den tatsächlichen Einnahmen ihrer Erzeuger rund 17 Milliarden Euro – mehr als jemals zuvor. Gerade die Stromschwemme treibt den Strompreis für die Bürger also nach oben, statt ihn zu senken. Möglicherweise dringt diese Erkenntnis nicht zu dem Weltökonom Jakob Augstein vor, aber sie sickert immerhin peu a peu in grüne Führungsgremien. Die sächsischen Grünen fanden jetzt gerade ein unschlagbares Mittel, um Energiearmut und Stromabschaltungen zu bekämpfen: Vorkasse. Bürger, die nicht im Stadthaus leben und ihre Montessori-Sprösslinge mit Manufactumspielzeug beschenken, können einfach eine ihren Lebensumständen angemessene Summe auf einen Chip laden, für den sie Strom beziehen. Dann kommt es nicht mehr zur vermaledeiten Abschaltung wegen unbezahlter Rechnungen, sondern der Strombezug endet einfach ganz regulär am, sagen wir, Sechsundzwanzigsten des Monats, und gegen eine neue Vorkasse geht’s in ein paar Tagen weiter.
Das Vorkasse-Modell hilft Einkommensschwächeren beim Rechnen; sie können sich nun überlegen, ob sie den Chip eventuell gleich nachladen, und dafür eine Weile auf Cafébesuche oder den Friseur verzichten. Lautete der Beiname der frühen Grünen denn nicht: die Alternativen?
Ihre Vorreiterrolle im Kampf gegen Stromarmut trägt den Grünen mit Sicherheit noch ein paar zusätzliche Prozentpunkte bei den nächsten Wahlen ein. Denn bei keiner Partei fragen die öffentlichen Meinungsbildner von Kleber bis Slomka und von der Süddeutschen bis zur Taz weniger nach dem Unterschied zwischen Programm und Realität - beziehungsweise nach Ursache und Wirkung.
Die Pressemitteilung der sächsischen Grünen im Original:
GRÜNE wollen Energiearmut verhindern - Landtagsantrag: Stromsperren verbieten,
Versorger zu Vorkassezählern verpflichten
Stadtwerke Riesa bieten bereits Vorkassezähler an
Dresden. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag will Energiearmut wirksam verhindern. Dazu hat sie heute in Dresden einen Landtagsantrag vorgestellt, der Stromsperren gesetzlich verbieten soll. Stattdessen sollen die Versorger verpflichtet werden, Vorkassezähler (Prepaymentzähler) anzubringen.
“Stromsperren für Haushalte in Sachsen nehmen zu. Im Jahr 2011 waren 21.600 Haushalte in Sachsen davon betroffen. 2012 stieg die Zahl zumindest in den Großstädten weiter an. Dem Problem der Energiearmut muss sich die Politik stellen”, so Johannes Lichdi, energiepolitischer Sprecher der Fraktion.
“Kunden können mit diesem System auch mit wenig Geld Strom beziehen, sogar wenn sie Schulden haben. Die Versorger vermeiden neue Zahlungsausfälle und sparen teure Mahnverfahren”, so Lichdi. “Die Stadtwerke Riesa sind ein gutes Beispiel dafür, dass es funktioniert.”
Neben den Stadtwerken Riesa bieten in Sachsen auch die Stadtwerke in Glauchau und Freital Vorkassezähler an.
In Riesa können Verbraucher, die das wünschen, einen Stromzähler erhalten. Mit Hilfe eines Chipschlüssels kann ein Guthaben aufgeladen werden. Der Schlüssel überträgt das Guthaben auf den Zähler. Die Kosten für den verbrauchten Strom werden direkt beim Zähler abgebucht.