Hundert Jahre Pufti der Mufti

Es handelt sich um eine bemerkenswerte Persönlichkeit, der an dieser Stelle anlässlich seines einhundertsten Geburtstages, dem 23. August 1924, gedacht werden soll.

Der Jubilar durfte trotz eines sehr guten Schulabschlusses zunächst nicht studieren, schloss dann nach dem zweiten Weltkrieg zwei Studiengänge ab und verfügt über zwei Ehrendoktorwürden. Er war Goldschmied und Redakteur, reparierte zum Lebensunterhalt Verbrennungsmotoren und ging als Werkzeugmacher fast pleite (er schied rechtzeitig vor der Pleite als Mitgesellschafter aus).

Er schlug sich durch als stellvertretender Chefelektriker, Pferdewirt, Obstbauer und Kloputzer. Obwohl sein Vater Bankdirektor gewesen war, lebte er jahrzehntelang in bitterster Armut: er trug seine gesamte Habe am Körper und auch diese wurde ihm mehrfach gestohlen, starb aber als gemachter Mann in der Schweiz.

Er verbrachte Monate in Lagerhaft, lebte in verschiedenen Staaten unter verschiedenen Namen und sprach mehrere Sprachen. Er war Katholik und Jude. In jungen Jahren marschierte er unzählige Kilometer in Zwangsmärschen, später war die westliche Welt seine Bühne. Sein Leben stand mehrfach unter konkreter Todesgefahr, und außerhalb dieser wirklich existenzbedrohenden Momente lebte er sein Leben lang als Opfer von Nationalsozialismus, Kommunismus und Islam unter der immer noch stetigen Bedrohung seines Lebens. Bis zum Tod trug er, sofern es irgendwie möglich war, eine Pistole mit sich.

Können, Mut und Glück ließen ihn überleben

Es handelt sich um eine Biographie, die wir heutzutage eher einer Kunstfigur wie der des umtriebigen Allan Karlsson aus dem wundervollen Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster sprang“ des Jonas Jonasson zurechnen würden. Niemand von uns wird sich die unglaublichen Strapazen, den Hunger, die Todesangst, die Leichenberge seiner Mithäftlinge oder die immer wiederkehrende Hoffnungslosigkeit vorstellen können, die einen solchen Menschen prägt und eigentlich auch zerstören müsste.

Vor der Vorstellung des heutigen Helden dieser Geschichte möchte ich daher auf einen Gedanken hinweisen, der mir sehr wichtig erscheint:

Was wir hier so in dem einem oder anderen Halbsatz erfahren werden, mithin die Schilderung von Bombennächten, Arbeitslagern, willkürlichen Hinrichtungen und Kriegen, immer wieder Kriege, das dauert für uns Leser nur einen flüchtigen Moment. Tatsächlich handelt es sich aber um eine (man möchte sagen: dem jeweiligen HERRN sei Dank!) nur sehr oberflächliche Erinnerung an Nächte, Tage und Wochen, ja sogar Jahre der bittersten Not, die diese Person und seine Leidensgenossen zu erleiden hatte. Und dass der Autor uns diese Augenblicke in seinem Band „Nichts zu Lachen“ noch distanziert schildern kann, ist ja eine große Ausnahme, nämlich, dass Können und Mut sowie viel Glück diesen Tausendsassa überleben ließen.

Grundlage dieses Artikels ist seine Lebensbeschreibung aus dem Jahre 1992

Millionen seiner Gefährten; diejenigen mit dem gelben Stern am Hemd sowie die anderen Opfer von menschenfeindlichen Ideologien und Ideologen, haben ein vergleichbares, unvorstellbar grausames Leben erlitten, jedoch haben die meisten dieser Mitmenschen die lebensverachtende Raserei infolge des politischen oder religiösen Wahnsinns der Mächtigen eben nicht lebendig überstanden.

Wenn wir also heute dem Helden dieser Zeilen begegnen, so mag man sich auch diejenigen Opfer von damals bis heute vergegenwärtigen, von deren Blutstrom sich die Mächtigen so gerne nach oben spülen lassen.

Grundlage dieses Artikels ist seine Lebensbeschreibung aus dem Jahre 1992, welche das Geburtstagskind seinen drei Kindern widmete, damit diese die unglaubliche Vita ihres Vaters (und damit wohl auch seine vielleicht mitunter kurioseren Handlungen) verstehen konnten. Die folgenden Zeilen sind daher im Sinne von Zitaten zu verstehen; eine künstlerische Würdigung seines Schaffens wird am Jahrestag seiner Geburt hoffentlich ausreichend in anderen Medien erfolgen – wenn nicht, so wäre dies eine Schmach für die deutsche Kulturlandschaft.

Wir sprechen von Ephraim Kishon

Nach langen Jahren des Leidens sagte er über sich: „Ich schrieb Bücher, ich verfasste Theaterstücke und ich drehte Filme. Das ist mein Leben. Das bin ich.“ Er identifizierte sich damit gerade nicht mit den Leiden, die er insbesondere unter deutscher Herrschaft erduldetet hatte, sondern mit seiner Kreativität: Filme, Opern, Schauspiele und mehr als 40 Millionen verkaufter Bücher, drei Viertel davon in Deutschland.

Wir sprechen von Ephraim Kishon (אפרים קישון).

Zu den Büchern dieses Kunsthistorikers gehört ein Buch über die moderne Kunst, obwohl – oder gerade weil – er von moderner Kunst nichts hielt, was er im Stück „Zieh den Stecker raus“ parodierte. Er schrieb, diese „Kunst“ sei „…nach meiner bescheidenen Überzeugung eine der erfolgreichsten Augenwischereien aller Zeiten.“

Sein Geburtsname war Ferenc Hoffmann, „leidenschaftlicher“ Ungar. Auf der Flucht aus dem KZ wurde er später zum Slowaken Andreas Stanko. Den Ausweis hatte er im KZ geklaut, sein Foto mithilfe von Ösen für Schuhbänder eingenietet und die Stempel mittels eines Kugelschreibers imitiert; im Buch gibt es eine ausführlichere Beschreibung erfolgreicher Fälschungstechniken. In Friedenszeiten (sofern man die Nachkriegszeit unter sowjetischer Besatzung als „Frieden“ bezeichnen kann) wurde er Ferenc Kishont (gesprochen Kis-hont). Nach der endgültigen Flucht in seine endgültige Heimat Israel machte der Grenzbeamte daraus Ephraim Kishon, weil es undenkbar sei, dass irgendein Mensch den Namen „Ferenc“ tragen könnte.

„Ungläubige wie ich überlebten.“

Die Rolle der christlichen Kirchen während der Zeiten der Judenverfolgung schildert Kishon wenig höflich

Die Verwendung des Jiddisch, das von einigen Juden in seiner Heimatstadt Budapest verwendet wurde, lehnte er zunächst ab, denn gebildete Juden schämten sich dessen Gebrauchs. In seinen späteren Jahren in Israel schrieb Kishon dann jedoch erfolgreich Sketche in jiddischem Slang für bekannte Schauspieler.

Zweifel an Religionen hatte er zwar, aber er hielt genauso „Gottesleugner oder Ketzer für die größten Dummköpfe“. Über Gottes Hand im Holocaust sagte er: „Nein, der mischte sich nicht ein. Die Religiösen unter uns wurden als erste ermordet. Ungläubige wie ich überlebten.“ Auf den Einwand seines Gesprächspartners zu dieser kritischen Haltung: „Gott wird ihnen ihre Worte nicht verzeihen“, antwortete er: „Die Frage ist, ob wir ihm verzeihen können.“

Auch die Rolle der christlichen Kirchen während der Zeiten der Judenverfolgung schildert Kishon wenig höflich, und seine Antwort auf die Frage, ob allein die Deutschen all dieses Leid zu verantworten hätten, besteht in diesem Buch aus verschiedenen wenig schmeichelhaften Beispielen der Judenverfolgungen, wie sie auch in anderen (auch solcher von Deutschland besetzten) Länder während der Shoah erfolgte; seine Beispiele sollen hier ausdrücklich nicht aufgegriffen werden, um die unwürdige Rolle des Deutschen Reiches nicht zu relativieren Dennoch soll hier darauf hingewiesen werden, dass in seinem Heimatland die ersten judenfeindlichen Gesetzte bereits 1920, also schon vier Jahre vor seiner Geburt, galten!

„Ich entsprach dem Prototyp eines Ariers“

Die 10 Gebote waren für ihn „die vernünftige Basis unserer Moral, auch wenn die Einhaltung des Gebots ,Begehre nicht deines Nächsten Frau‘ nicht unbedingt als voller Erfolg verbucht werden kann.“ Fremdgehen sei nachvollziehbar, weil die Menschen heutzutage viel länger leben als zur Zeit Mose. Sein Tipp, falls man beim Seitensprung ertappt wird: „Lügen, lügen und lügen.“ Und weiter, an anderer Stelle: „Bei Rechtsanwälten oder Politikern gehört das Lügen zum Berufsethos, und in der Liebe ist das Lügen einfach ein Muss.“

„In meiner Ahnengalerie findet sich eine lange Reihe ehrwürdiger Rabbiner. Meine Großmutter väterlicherseits war die Nichte eines weltberühmten Rabbiners, dessen Stellung in der jüdischen Gemeinschaft der des katholischen Papstes gleichkam und der im Ruf stand, ein „Wunderrabbi“ zu sein. Sein Name war Jehosua Silberstein, …“

„Ich entsprach dem Prototyp eines Ariers“, beschreibt er sich als jugendlichen „Germanen“, und so wurde er – obwohl sich die Ungarn schon auf die Seite der Nationalen Sozialisten geschlagen hatten und die Juden bereits drangsaliert wurden – in einer paramilitärischen Einheit gedrillt, die das Gefolge des neuen Königshauses, das den Habsburgern folgen sollte, bilden sollte. Bei der Auswahl dieser arischen Jugend war sein Turnlehrer anwesend gewesen, der den jungen Hoffmann bislang mit Sprüchen wie: „Steh aufrecht, Jude! Du hältst dich wie ein Flamingo, den man in den Arsch gefickt hat.“ vor versammelter Klasse gedemütigt hatte: angesichts höherer Autoritäten kuschen Mitläufer eben regelmäßig bereitwillig und gern, und zu jenen gehörten nach Kishons Aussage auch regelmäßig die Hausmeister.

Zeitweilig trat Kishon dann auch zum Katholizismus über

Es darf andererseits nicht verschwiegen werden, dass Kishon bei mehreren Gelegenheiten lebensrettende Hilfe zuteil wurde; dies auch von Mitgliedern der SS (vergessen wir bei dieser Gelegenheit nicht die Schreibenden Günter Grass oder Henry Nannen). Nach mehreren Monaten des Exerzierens wurde Kishon dann demütigend aus der Garde entfernt: „Der Feldwebel am Tor fegte mir die Mütze vom Kopf, ich wurde wieder zur Judensau.“

Zeitweilig trat Kishon dann auch zum Katholizismus über, um seine Überlebenschancen zu erhöhen. Dieser Schritt half ihm nicht, der Verfolgung zu entgehen, aber die dort im Unterricht erworbenen Kenntnisse konnte er später verwenden, wenn er sich als Christ ausgab, um einer Verfolgung zu entgehen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass auch Christen unter Verfolgung litten, trat er aus der katholischen Kirche aus.

Es folgte ein Häftlingsmarsch über das Gebiet der heutigen Slowakei nach Polen, „…darunter auch einige Nichtjuden, die irgendwie Pech gehabt hatten.“ Wegen des Regelverstoßes eines Mitgefangenen wurde entschieden, jeden Zehnten aus der Gruppe zu erschießen. Für die juristische Akkuratesse musste dafür eine Regel gefunden werden, und so wurden die Brillenträger ausgesondert und erschossen, weil der Feldwebel „… glaubte, dass Brillenträger jüdischer wären als die anderen Juden.“

Falsche Papiere

Über mehrere Stationen und immense Entfernungen im Fußmarsch erreichte Kishon dann ein KZ („Die Wirklichkeit war dann doch noch schlimmer als die Fantasie“). Kishon war ein guter Schachspieler (und auch Billardspieler; er hält beide Sportarten für eine gute Grundlage dafür, sich Satire auszumalen), der sogar gegen Karpov spielte und nach dem viel später ein Schachcomputer benannt wurde, der „Kishon-Chesster“.

Der Lagerkommandant sah ihn zufällig spielen und wählte ihn aufgrund dessen Spielbegabung als Schachpartner aus, so dass Kishon in die Lagerverwaltung versetzt wurde. Die gelbe Binde musste er abnehmen, denn dass ein Jude einen Arier herausfordern kann…

Auf diese Weise wurde Kishon der Zugang zu den Papieren des Slowaken Stanko möglich, die er – wie oben beschrieben – unterschlug, um für sich und einen Mitgefangenen falsche Papiere zu fertigen. Beide wurden übrigens während der Flucht im Zug von Personal aus der Verwaltung erkannt, aber nicht verraten – bestimmt ein gewaltiges Risiko für jene, wenn aufgeflogen wäre, dass Lagerpersonal die Flucht von Juden deckte.

Im Flackern von Kerzen schrieb er sein erstes Buch

Kleine Argumentationshilfe für Eltern: als Kishons Sohn diesen dafür rügte, einen besonders teuren Billardstock gekauft zu haben, antwortete der Satiriker: „Hör mal, mein Lieber, wenn das mein Geld wäre, hätte ich es mir vielleicht überlegt. Da es sich aber um dein Erbe handelt, habe ich es ohne weiteres ausgegeben.“

Nach der Flucht aus dem KZ in Polen marschierte Ferenc wieder zurück nach Budapest und fand sich mitten im Endkampf zwischen dem nationalen Sozialismus und dem internationalen Kommunismus wieder. Nachdem seine Unterkunft direkt vor der Zimmertür, hinter der er sich versteckt hielt, zusammengeschossen worden war, wechselte er in den Keller eines unbewohnten Hauses. Wochenlang habe er sich dort von Tomatensaft ernährt, drunten im dunklen kalten Keller, während es oben im hellen Schein von Flakscheinwerfern und Katjuschas heiß herging. Im Flackern von Kerzen schrieb er sein erstes Buch; es sollte später ein Bestseller werden. Er schreibt in seinen Erinnerungen: „Einmal, als ich den Tomatensaft nicht mehr sehen konnte, kostete ich eine Kerze. Ich blieb dann beim Tomatensaft.“

Die Erwartung, dass nach dem Sieg durch die Russen Ruhe und Gerechtigkeit einkehren würde, erfüllte sich nicht. Die Sieger stahlen, töteten, vergewaltigten. Die ehemaligen Opfer der Nazis wurden und blieben mithin die Opfer der aktuellen Herrschaft, und viele der ehemaligen Täter verstanden es, sich den neuen Herrschern als Büttel anzudienen und selber einer Verfolgung zu entgehen.

Emotionslos

Kishon lässt erahnen, dass er den einfachen Soldaten keinen Vorwurf machen möchte. Diese seien Leichenberge gewohnt gewesen, und dies bereits schon aus der Zeit vor dem Krieg, nämlich infolge der Verfolgung von Gegnern Lenins, Trotzkis und Stalins. Sie waren bereit, emotionslos zu töten und getötet zu werden.

Zitat: „Bevor die ungarischen Stalinisten mit der systematischen Beseitigung ihrer politischen Gegner beginnen konnten, wurden sie selbst von den sowjetischen Besatzern beseitigt. Das geschah ganz planlos, nur der Zufall waltete. Einige Tage nach der Einnahme der Stadt rief man alle Männer aus den Häusern auf der Straße zusammen. … Ein Lastwagen brachte uns zum Hauptquartier des KGB, und dort erwartet uns ein Szenario wie in einem aus den Tagen des kalten Krieges. Ein blonder Inspektor saß hinter einem Schreibtisch, die Schirmmütze lässig in den Nacken geschoben…. ,Name?‘, fragte er. Ich nannte meinen Namen und fügte hinzu, ,ich sei Jude‘. ,Macht nichts. Nächster!‘ Zusammen mit Gefangenen der deutschen und ungarischen Armee kam ich in ein Lager. … Dann verfrachteten sie uns, ja, kaum zu glauben, auch uns, die Naziopfer, nach Weißrussland, um uns als Kriegsgefangene das sozialistische Vaterland aufbauen zu lassen. … Nachdem wir einige Tage lang von einem zerstörten Dorf zum nächsten marschiert waren, brachte man uns in ein verfallenes Haus zum Ausruhen.

Wir sanken auf den Boden und streckten unsere schmerzenden Beine aus. Was aber machte (ich), als der Wächter dann wieder zum Aufbruch blies? (Ich) tat so, als halte (ich), mit dem Kinn auf der Brust, ein Nickerchen. Alle standen auf und gingen hinaus, nur (ich) blieb schlafend sitzen. Falls man mich entdecken sollte, sagte ich mir, dann werde ich völlig überrascht aus dem Schlaf hochschrecken. Meine Abwesenheit wurde aber nicht bemerkt. Der Gefangenenmarsch setzte sich in Bewegung, und ich schlich mich in die entgegengesetzte Richtung davon, nach Hause. … An meiner Stelle musste ein anderer sterben, ein unglücklicher polnischer Bauer, den man an der Grenze aufs Geratewohl geschnappt und in den Trupp gesteckt hatte, damit die Zahl der Häftlinge wieder komplett war. Es ist wahr, aus rassistischen Gründen starb man bei den Kommunisten nicht. Es war ihnen ziemlich gleichgültig, wen sie erledigten. Hauptsache, die Rechnung stimmte.“

Überraschender Staatsbesuch des jugoslawischen Kommunisten Tito

Wieder, erneut, zurück in Ungarn, wurde Kishon Journalist, diesmal im Kommunismus. „Das Prinzip, das Denken abzuschaffen, war Voraussetzung für das Funktionieren des Kommunismus“, schreibt er, und dies sei eine der Parallelen von Politik und Religion. Und weiter: „Wer meint, Intellektuelle in einer Diktatur erhalten ständig genaue Anweisungen von oben, hat keine Ahnung, was wahre Unterdrückung ist. Jeder Schriftsteller weiß ganz genau, was von ihm erwartet wird.“

Als Journalist sah er sich dann erneut auf dem Weg ins KZ, besser gesagt: in den Gulag, und so kommen wir der rätselhaften Überschrift dieses Berichts:

In der Saure-Gurken-Zeit hatte Redakteur Kishon unter eine Zeichnung, die an eine Geschichte aus Tausendundeine Nacht erinnerte, den Spruch „Pufti, hier kommt der Mufti“ gesetzt; „Pufti“ ist gleichzusetzen mit „Hallo“. Danach jedoch musste die Titelseite wegen des überraschenden Staatsbesuchs des jugoslawischen Kommunisten Tito blitzschnell ausgewechselt werden, und über das besonders sorgsam ausgesuchte und schmeichelnde Foto des Helden der kommunistischen Republik titelte Kishon: „Herzlich willkommen, geliebter Marschall Tito. Allerdings war dann vergessen worden, die ehemalige Unterschrift zum alten Bild zu löschen…

Flucht aus der zweiten Despotie

Kishon schreibt in seinen Erinnerungen: „Die Frage war nur, ob ich allein in den Folterkellern landen würde oder die gesamte Redaktion.“ Der Gang in den sibirischen Gulag wurde dem Autor lediglich dadurch erspart, dass sein Chef Kommunist der ersten Stunde gewesen war und seine Kontakte hatte spielen lassen; zudem habe Team Tito an diesem Tag glücklicherweise gute Laune gehabt.

Eine Geschichte am Rande, die zeigt, wie man durch Chuzpe sein Leben retten kann, macht Kishon am Überleben dieses Chefs fest. Dieser war in einem Zug ins KZ während eines unvermuteten Stopps von einem Aufseher losgeschickt worden, um mit einem Eimer Wasser zu holen. Der Zug fuhr dann jedoch unvermittelt ab, und Mann plus Eimer blieben ratlos in der russischen Eiseskälte zurück. Der Entkommene lief dann mit dem Eimer in der Hand bis in die Heimat zurück, und er wurde nicht aufgegriffen, weil er diesen Eimer hatte: ein Jude, der Wasser holt, der hat einen offiziellen Auftrag, den braucht man nicht zu kontrollieren. Die Moral der Geschichte wäre aus mehreren Gründen amüsant, wenn ihr Hintergrund nicht aus ebenfalls mehreren Gründen so abstoßend wäre. Dem Flüchtling fror übrigens ein Fuß ab.

Kishon entschloss sich zur Flucht aus der zweiten Despotie, begleitet von seiner ersten Frau. Zur Reise bis nach Italien dürfen wir nicht vergessen, dass Österreich Besatzungszone war und überall Kontrollen stattfanden.

Es begann ein neues Leben

Es folgten Grenzübergänge, bei denen sich die Flüchtigen unter Stroh in einem Viehwagon (wieder einmal ein Viehwagon!) versteckten. Die Furcht einer jungen Angestellten, eine verschlossene Schreibtischschublade zu öffnen, weil dies nur dem Vorgesetzten erlaubt war, führte dazu, dass das Ehepaar noch den letzten Transport erreichte, der nach Israel abfuhr. Wieder einmal ermöglichten Zufälle das Überleben, während sich die sorgsam staatlich geplante Vernichtung als obsolet erwiesen hatte.

Neben dem Zug war auch eine tagelange Reise mit dem LKW erforderlich. Statt der erforderlichen Papiere hatte der Fahrer jedoch eine Kiste Wodka an Bord, und an jedem Kontrollpunkt warf er eine dieser Flaschen aus dem Fenster. Die Soldaten fingen dann lieber die Flaschen auf als Staatsfeinde ein.

Und so gelangte die Familie Kishont nach Israel. Aus Kishont wurde Kishon, aus Ferenc wurde Ephraim. Es begann ein neues Leben, aber auch dieses begann mit bitterer Armut und Krieg.

Es folgt: „Wie Israel sich die Sympathien der Welt verscherzte“.

 

Rainer Mohr, Diplom-Verwaltungswirt, arbeitete 30 Jahre lang in der niedersächsischen Kommunalverwaltung, unter anderem als stellvertretender Behördenleiter. Aktuell ist er als selbstständige Aushilfskraft im Öffentlichen Dienst tätig.

Foto: Boris Carmi/ Meitar Collection/Israelische Nationalbibliothek CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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P. Wedder / 23.08.2024

Danke. Der Artikel war nicht nur sehr interessant, er hat auch schöne Erinnerungen geweckt und mich wieder meine Kishon-Bücher hervorholen lassen. Freue mich u.a. meine Bekanntschaft mit der „besten Ehefrau von allen“ wieder aufzufrischen.

E Ekat / 23.08.2024

Ich kenne Kishons Bücher, seine Lebensgeschichte kannte ich jedoch nicht. Ein toller Bericht. Vielen Dank.

H.G. Friedrich / 23.08.2024

Ich bin nun ein alter Mann. Mein Interesse, meine Aufmerksamkeit (ohne den Anspruch auf ein Verstehen der jüdischen Welt) und meine dauerhafte innere Zuwendung zu Israel beruhen auf Dingen, die in den 60ern vorgefallen sind, ich war noch sehr jung. Dies waren z.B. eine Ausstellung zu den unfassbaren Vorgängen in den deutschen Mordlagern, eine erste Ahnung von der Situation des israelischen Staates und letztendlich der Junikrieg 1967. Zu letzterem ist zu bemerken, dass damals ALLE in meinem weiten Umfeld Israel die Daumen gedrückt haben. Wirkt das heute seltsam? Welch eine erbärmliche Verschiebung der geistigen Situation. Aktuelle Beiträge wie dieser zu einem bemerkenswerten Menschen sind für mich, nachdem einige weitere Jahrzehnte der Geschichte verstrichen sind, ein zusätzlicher Mosaikstein in der Wahrnehmung der Unbegrenztheit menschlicher Brutalitäten. Israel ist bei weitem nicht fehlerlos, aber die einzige logische Antwort. Meine einzelne Stimme bewirkt hier natürlich nichts, aber sie existiert. Was bleibt? Ich empfehle jedem bornierten Betonkopf einen Besuch in Yad Vashem im „Denkmal für die Kinder“. Mehr Berührung an die Seele ist schlechterdings nicht möglich.

Dietmar Herrmann / 23.08.2024

Die Mühsal und die lebensbedrohlichen Situationen, die dieser Mann in jungen Jahren erlebt hat, hätten für dutzende Menschenleben gereicht, Andererseits waren die Biographien der meisten Israelis nach der Staatsgründung wohl ähnlich. Trotzdem mußte der junge Staat noch ein Vierteljahrhundert um die blanke Existenz kämpfen, bis nach dem hart errungenen Sieg 1973 die unmittelbar drohende Vernichtung abgewendet war. Danach begann aber kein Frieden , sondern der asymmetrische Krieg des Terrors, was Kishon ja alles noch miterlebt hat. Trotz all dieser niemals innehaltenden Grausamkeiten ist die unvergleichliche Brutalität des 7. Oktober für mich immer noch unfaßbar, die läppische Reaktion der sonst so “Achtsamen” (ein Brechreiz auslösender Terminus) widerlich.

Rudi Knoth / 23.08.2024

Meine Eltern und ich waren begeisterte Leser seiner Bücher.

Christoph Ernst / 23.08.2024

Grossartige Geschichte. Wunderbare Würdigung. Danke!

Harald Hotz / 23.08.2024

Das wirklich beeindruckende und großartige an diesem Menschen ist doch, daß er sich bei allem, was er erlebt hat, weder von Haß noch Pessimismus hat auffressen lassen. Wo ein Schopenhauer im Wohlstand lebend grießgrämig verkündete: “Ein glückliches Leben ist unmöglich: Das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf.” -Da sieht Kishon zumindest noch die Möglichkeiten von Spott, Ironie, Satire, Humor. Man sollte das Lachen nicht den Göttern überlassen!

Rolf Mainz / 23.08.2024

Seine Literatur war zu meinen Jugendzeiten äusserst beliebt bei uns Schülern. Allerdings weniger bei unseren Lehrern/innen. Nein, ich beziehe mich nicht etwa auf “Ewig Gestrige”, es handelte sich vielmehr um die ersten Früchte der 1968er Irrungen, vorrangig unsere vergleichsweise junge, ideologisch rosarote Deutschlehrerin mit Doppelnamen. Offensichtlich bereits damals die ersten Vorboten des Antijudaismus, der inzwischen in Westeuropa und Nordamerika unter linken Ideologen so beliebt ist.

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