Wolfgang Röhl / 30.09.2016 / 06:25 / Foto: Infrogmation / 10 / Seite ausdrucken

Hotelzimmergate – zum Stand des investigativen Journalismus

Wow! Um mal den unvergessenen Wolfgang Neuss zu zitieren: „Ein Skandal ist anzuzeigen“. Aufgedeckt haben ihn Investigatoren vom „Recherchezentrum Correktiv“. Das sind Journos, die Tod und Teufel nicht fürchten, schonungslos Missstände anprangern, Verfehlungen der Mächtigen ans Licht zerren, geheime Seilschaften publik machen. Also all das an den Pranger stellen, was schief läuft in unserer Gesellschaft.

Nicht, was Sie jetzt meinen! Selbstredend geht es nicht um die gerissenen Profiteure der von Anbeginn versemmelten Energiewende, die sich mit Landschaftsverschandelung goldene Nasen verdienen. Auch nicht um die schleichende Enteignung der Sparer durch die Niedrigzinspolitik der EZB. Oder, kleineres Brötchen, um die Frage, wer nun eigentlich dafür verantwortlich zeichnet, dass das Verteidigungsministerium ein von Heckler & Koch gefertigtes, bei den Soldaten beliebtes Sturmgewehr wegen angeblicher Funktionsmängel ausmusterte, vor Gericht in dieser Causa voll einen auf den Deckel bekam und im Ergebnis eine halbe Milliarde Euro Steuergeld verschleudert hat - wenn diese Summe denn reicht.

Erst recht nicht geht es den Investigationsbolzen von Correctiv um Petitessen wie die Sache mit den 600.000 oder ein paar mehr Zugereisten, die sich teils schon seit Jahren ohne Berechtigung in Deutschland aufhalten, die Steuerzahler Unsummen aus Transferleistungen kosten, aber mysteriöserweise nicht abgeschoben werden. Wer mischt mit in diesem Spiel? Ein Undercover-Einsatz bei gewissen Ärzten, Nichtregierungsorganisationen und Behördenpartisanen wäre womöglich erkenntnisfördernd.

Nebbich. Peanuts. Den Leuten von Correctiv geht es um Wichtigeres

Nebbich. Peanuts. Den Leuten von Correctiv geht es um Wichtigeres, wie ein Blick auf ihre Website zeigt. Zum Beispiel um Tierversuche an der Ostsee, den Kampf gegen TTIP und CETA, die Flügelkämpfe in der AfD sowie um einen ominösen „Marsch für das Leben“, bei dem – hört, hört - Abtreibungsgegner „Seit’ an Seit’ mit Rechtspopulisten demonstrieren.“ Der Evergreen „Was in der Pflege falsch läuft“ ist ebenfalls ein beliebtes Steckenpferd der Correctivler.

Ihr jüngster Scoop betraf ein Hotelreservierungsportal. Correctiv wirft der Firma HRS vor, sie manipuliere die Ranking-Listen der aufgeführten Hotels, weil Herbergen, die mehr als die übliche Provision an den Vermittler HRS zahlen, auf der HRS-Website höher gelistet würden als solche, die sich der Zusatzlöhnung verweigerten.

Unerhört! Dass ein kommerzielles Unternehmen ein klein bisschen käuflich ist, hätte vor dieser Enthüllung wohl kein Mensch für möglich gehalten. Man müsste die Praktik nur irgendwie offenlegen, meinen Experten. Ihr Rat: Einfach in die kleingedruckte AGB einbauen, welche eh kein Schwein liest. Was denn auch die ganze Dimension der Chose verdeutlicht. Nicht mal bei der „Stiftung Warentest“ hätte sie mutmaßlich für mehr gereicht als für eine Ermahnung.

Noch ein Wermutstropfen für die wackeren Rechercheure: Das Gefälligkeits-Ranking, so es denn tatsächlich in relevantem Umfang stattfindet (HRS bestreitet das) betrifft allein die Rubrik „HRS empfiehlt“ auf der linken Seite des Portals. Wer die rechts daneben stehenden Filterfunktionen benutzt und damit die Hotelliste nach Zimmerpreisen, Kundenbewertungen und dergleichen durchforscht – was einigermaßen gewiefte Reisende dubiosen „Empfehlungen“ immer vorziehen -, wird neutral informiert.  

Ungeachtet seiner Nichtigkeit schaffte es das Hotelzimmergate in diverse Medien, unter anderen in den WDR, auf „Spiegel online“, den „Kölner Stadtanzeiger“, den „Tagesspiegel“ und die „Badische Zeitung“.

„Recherchierjournalismus“ ein Pleonasmus, der berühmten Weißen Schimmel abgelöst hat

Ja, „Recherchierjournalismus“ – ein Begriff, der als Paradebeispiel für Pleonasmen den berühmten Weißen Schimmel abgelöst hat – ist schwer en vogue. Schon lange vor der hitzigen Debatte über die „Lügenpresse“ hatte eine Reihe von Druckerzeugnissen – zum Beispiel der „Stern“ - so genannte Investigativ-Ressorts gegründet. Reaktion auf anhaltenden Auflageschwund, den man mit hintergründig recherchierten Storys auszubremsen hoffte.

Der Job als knallharter Investigativ-Journalist ist seither begehrt. Machte man sich früher einen Namen, indem man die „Gruppe 47“ beschimpfte, sich beim Vorlesen in Klagenfurt die Stirn blutig ritzte oder Zeitgeist-Magazinen getürkte Promi-Interviews unterjubelte, so genügt es heute, in Szenekneipen beiläufig zu erwähnen, man sei Investigativschurnalist. Das gibt aber Punkte bei den Mädels! „Mädels“ deshalb, weil es andersrum nicht läuft. Unter den publizierenden Rächern der Enterbten sind Frauen ungefähr so zahlreich vertreten wie bei der Müllabfuhr. Ob das für oder gegen die Frau als Journalistin spricht, sei dahingestellt.

Bald formierten sich regelrechte Recherchier-Pools - so das nach Ansicht von Steuerbehörden gemeinnützige „Correctiv“. Finanziert werden sie durch sozialdemokratisch grundierte Stiftungen, politisch links gepolte Hochschulfakultäten und Spenden. Noch etwas später spannen deutsche und internationale Medien wie „Spiegel“ oder „Guardian“ Recherchenetze wie die „European Investigative Collaboration“ (EIC). Die bringen schon mal gemeinsam Erzählungen zustanden, etwa über den Handel mit Schusswaffen. In puncto Brisanz ist da aber noch Luft nach oben.

Das bekannteste – und in der futterneidischen Recherchierzunft hoch umstrittene – Netzwerk ist der „Rechercheverbund WDR, NDR und ‚Süddeutsche Zeitung’“. Seinem Tröten zu entgehen, ist ziemlich schwer, klappern doch die ARD-Sender unablässig Siegesmeldungen des Trios. Die Truppe unter Koordination des Ex-„Spiegel“-Chefredakteurs Georg Mascolo führt sich (spätestens seit sie eine ihr aus unbekannten Quellen und zweifelhaften Motiven überlassene Datensammlung teilpublizierte – die „Panama Papers“) – auf wie die legitime Erbengemeinschaft von Bob Woodward und Carl Bernstein.

„Pompöse Selbstinszenierung des investigativen Journalismus“

Über Hintergründe der, Zitat, „pompösen Selbstinszenierung des investigativen Journalismus“ hat der Journalist Wolfgang Michal eine hübsche Analyse geliefert. Was Michal - ein moderater Linker, beileibe kein grundsätzlicher Gegner des florierenden Investigationszirkus - leider ausblendet: Das Auffälligste an unseren Recherchiercracks ist die Tatsache, dass sie so gut wie nie Themen anfassen, welche eine breite Öffentlichkeit weitaus mehr interessieren könnte als schwer nachvollziehbare Konvolute über wirkliche oder vermeintliche Steuerhinterzieher.

Offshore-Plätze, wo reiche Säcke Geld vor dem Fiskus verbuddeln können? Schön und gut. Viele Menschen würden aber gern auch mal was Aufdeckendes über ihre Lebenswirklichkeit lesen. Über die Epidemie bei Wohnungseinbrüchen vielleicht, über deren Drahtzieher. Sowie über die Gründe, warum ein Gewaltmonopolist namens Staat vor einer Bedrohung der wehrlosen, weil vom von ihm fast komplett entwaffneten Bürger weitgehend kapituliert hat. Wie viele Leute wurden im letzten Jahr von Einbrechern bestohlen? Wie viele zusammengeschlagen, gefoltert, umgebracht? Spannende Recherche, oder?

Investigatives über die Gewalt von Rechtsextremisten und deren Vernetzungen? Prima, aber wo bleibt der Enthüller über „Indymedia“, das anonyme, linksextreme Schläger- und Brandstifterportal? Wo bleibt die Recherche über die allzeit krawallbereite „Antifa“? Über ihre Verbindungen zu Teilen der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften, der Grünen, der Linkspartei?

Und wo sind die Recherchen über ein ewiges Skandalon der Republik, den milliardenschweren öffentlich-rechtlichen Staatsfunkbetrieb? Kunststück: Viele Rechtsstaatsgardisten (eigens für sie werden „Wächterpreise“ ausgelobt) sitzen entweder Arsch an Arsch im Boot mit den Staatsfunkern (siehe SZ). Oder sie nutzen die Öffis als Abnehmer und Multiplikatoren für ihre Stücke (Correctiv).

Von ihrem rotgrünen Sendungsbewusstsein getriebene Rechercheure & Demokratieaufpasser

Freischwebende, zumeist nicht üppig alimentierte, mehr von ihrem rotgrünen Sendungsbewusstsein getriebene Rechercheure & Demokratieaufpasser hoffen natürlich insgeheim auf Festanstellung bei einer der Rentenanstalten mit angeschlossenem Sendebetrieb (offizielle Bezeichnung: ARD und ZDF). Diese Chance möchte sich keiner durch Frechheiten vermasseln - sehr verständlich.

Das Elend der Recherchenkollektive: Sie schmeißen sich fast immer auf die üblichen Verdächtigen, arbeiten die Agenden des Juste Milieu eins ums andere Mal ab. Gegen Banken, Industrien, Geheimdienste, Nazis, die katholische Kirche oder Rechtspopulisten geht immer was. Über die Linkspopulisten (in der SPD, der Linken, den Grünen und Teilen der CDU), über die Sozialindustrie (parlamentarisch einflussreicher als die Top Ten der deutschen Wirtschaft) oder über den ökologisch-industriellen Komplex (mittlerweile erfolgreichster Subventionsabgreifer nach der Agrarwirtschaft) herrscht dagegen meist Schweigen im Recherchenwald.

Die selbstverschuldete Unmündigkeit des investigativen Menschen kennt keinen Ausgang. Um es mal mit den ollen Kant zu sagen. Denn, die erstgenannten Themenfelder werden von den Öffis und großen Teilen der privaten Medien sowieso - und zwar seit Dezennien - mit Verve beackert. Wozu braucht’s noch mehr vom Gleichen? Ja, warum leckt sich der Rüde die Eier? Weil er es kann. Solange ein flaues Nümmerchen über das Ranking eines Hotelportals Schlagzeilen gebiert, als sei ein kleines Dingsbumsgate aufgeflogen, wird das wohl auch so weitergehen.

PS: Früher war nicht alles besser, aber manches lustiger. Ich erinnere mich wehmütig an eine Ausgabe der legendären Sendereihe „Akte X – Reporter decken auf.“ Ihr Moderator Ulrich Meyer, der bestgefönte Wichtigmann des Privatfernsehens, ließ es da so richtig jucken. Die brandheiße Recherche seines Investigations-Teams lief unter dem Teaser „Was wirklich gegen Mückenstiche hilft.“ DAS waren noch Enthüllungen!

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Reiner Engler / 30.09.2016

Vielleicht könnten die Rechercheure von ARD und ZDF einmal nachrecherchieren inwiefern das neue, hippe und saucoole “Jugendangebot” FUNK, welches ausschließlich im Internet verbreitet wird, überhaupt den öffentlich-rechtlichen Statuten entspricht Das wäre doch mal eine Recherche wert.

Bernhard Freiling / 30.09.2016

Warum ist der von Ihnen angesprochene Investigativ-Journalismus so gut wie tot? Weil dessen Ergebnisse so gut wie Keinen mehr interessieren. Wir sind zum Volk der Gamer- und Smartphonezombies degeneriert. Da bleibt kaum noch Zeit, sich auf ernsthafte Themen zu konzentrieren. Viele der Ungeheuerlichkeiten die sich in unserem Land abspielen, lassen sich mit überschaubarem Aufwand selbst recherchieren. Aber damit haben wir’s nicht mehr. Daten, Zahlen und Fakten verunsichern große Teile der Bevölkerung nur. Warum auch die Leser oder Wähler mit Fakten langweilen? Emotionsgeladene Bildchen, z.B. Selfies mit Kulleraugenflüchtlingen, sind erheblich wirkungsvoller! Die Frage: “Was glauben Sie, was in unserem Land los wäre, wenn Sie wüssten was hier los ist?” interessiert Keinen mehr.

Julian S. Bielicki / 30.09.2016

Es ist kein “investigativer”, sonder ein denunziativer Journalismus

Heinz Thomas / 30.09.2016

Unnachahmlich, Herr Röhl - Danke!

Karl Baumgart / 30.09.2016

Danke für diesen Artikel. Ich frage mich auch, wieso ich beispielsweise noch nie etwas über die Gewalttaten der ‘Antifa’ gelesen habe. Eine kleine Bemerkung am Rande: Der Plural von ‘story’ lautet ‘stories’, zumindest in der englischen Sprache.

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