Anhaltende Panikmache wird zum politischen Ersatz für Besonnenheit, weil nämlich nicht die Kompetenz Zuständigkeit im Politischen erzeugt, sondern ihre vollendete Abwesenheit.
Ein ganz normaler Sommer in Deutschland. Wirklich? Keine übermäßige Hitze, hin und wieder ein kurzer stürmischer Regenguss, ein paar vollgelaufene Keller, wie früher. Und doch: Auch das ist nicht mehr normal. Denn wenn es ums „Klima“ geht, wird jeder Zustand zum Umstand einer Pathologisierung von Wetterereignissen, die einfach nicht normal sein dürfen. Wenn die politisch korrekte Dauerabweichung von der Norm gerade in Deutschland nicht anzufinden ist, dann wenigstens auf Rhodos, Sizilien oder einer anderen „Todeszone“ des Planeten – also alles CO2-mäßig einen Atemzug nebenan.
Auch wenn es weltklimatisch wärmer wird – was nicht zu bezweifeln ist –, müsste nicht gleich jedes Wetter zur Heimsuchung erklärt werden. Wir müssen uns ohnehin daran gewöhnen. Anhaltende Panikmache wird zum politischen Ersatz für Besonnenheit, weil nämlich nicht die Kompetenz Zuständigkeit im Politischen erzeugt, sondern ihre vollendete Abwesenheit. Made in Germany: Da ist wortwörtlich gerade der Wurm drin. Im morschen Gebälk kracht es auch bei den Kirchen, die klimapolitisch so „kompetent“ sein wollen wie eine Chimäre aus Luisa Neubauer, Harald Lesch und einer rot-weiß gestreiften Windhose.
Das Sommerloch ist keine Erklärung mehr für die wunderliche Republik, in der wir leben. Es sollen hierzulande also Hitzetote verhindert werden, wenn es nach dem Gesundheitsminister geht, der für „ausgefallene“ Lösungen durchaus bekannt ist. Vielleicht kommt er demnächst auf die Idee, gänzlich alle Krankenhäuser zu schließen, um das zukünftige Horrorthema „Multiresistente Keime“ präventiv auf dem Verordnungsweg im Keim zu ersticken. Solange keine vergleichende Statistik geführt wird, rettet er damit auf dem Blatt sicher Millionen Menschenleben. Der Bundespräsident poliert schon mal die Orden in der Asservatenkammer. Er hat spontan schon so manchem das Verdienstblech für weit weniger angehängt.
Gehörig viel Abfall
Wem es also zu heiß ist, empfiehlt der windige Gesundheitsminister, kann in die Kirchen oder Kathedralen gehen – sie stehen als Kälteraum postcoronam endlich wieder jedem offen. Wer der gnadenlosen Sonne nicht zum Opfer fallen will – wie der vom Sonnenstrahl getroffene, dehydrierte Vlad Dracula –, tritt vors Kreuz ohne jede Gebetsabsicht und behält trotzig den Hut auf, denn man sucht dort keine Erlösung von dem Bösen, sondern profane Air-Condition. Vielleicht gibts hinterm Altar noch eine Langnese-Kühltruhe mit der Spezial-Eis-Edition „Schoko Kross“.
In der Apsis hinter den dicken Kirchenmauern kühlt man schnell ab, doch besser sollte man gleich in die Krypta gehen, da ist es richtig unterirdisch. Und wenn man schön leise ist, kann man hören, wie die Gebeine der Bischöfe unter den Grabplatten vor Schaudern rotieren ob des großen Abfalls vom Glauben, der heute von den Gemäuern ausgeht. Gehörig viel Abfall, „Häresie“ hört man sie murmeln. Bald taugen die Gotteshäuser allein als Kältekammern, wo ein paar wenige der Kühlung wegen hingehen, aber die Allermeisten fernbleiben – für immer. Wer weg ist, bleibt weg, auch betriebswirtschaftlich. Aber das stört die Amtskirchen wenig: Glaube, Aberglaube, Gartenlaube. Grün ist die Hoffnung. Glaube, Liebe sind schon lange weg.
Es mutet seltsam an: Vor lauter politischem Eifer haben sie den lieben Gott bedarfsweise infantilisiert, nachhaltig ideologisiert, gender-sensibilisiert und schließlich säkularisiert. Der alte weiße Mann hat seinen Heiligen mit dem Zeitgeist vertauscht und den langen Bart grün eingefärbt. Früher war er richtig konservativ, manchmal bieder, uncool. Jetzt ist er woke.
Mittelmaß in seiner Absolutheit
Glaubt man den „Facharbeiterinnen“ auf der Kanzel, hat er eine krasse Kehrtwende hingelegt und scheucht die Herde von der grünen Aue der Wohlstandsverwahrlosung nun durchs finstere Tal, um sie auf der Magerwiese einer ernüchterten Republik einzupferchen, wo Vernunftversagen zum Akt der Schöpfungsbewahrung verklärt wird. Das im Inneren zynische Motto lautet: Weniger ist mehr (von Armut, Bedürfnis, Verlust, Verzicht und Ungerechtigkeit). Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir unseren Mitmenschen wünschen sollten, aber zu was uns jene Hofprediger täglich anhalten. „Die Einschränkungen sind nur der Anfang“, so Katrin Göring-Eckardt auf T-Online. Hosianna, Grünes Kalb.
Die Kirchen sind bald zweckentfremdet und verwaist wie Industriedenkmäler. Davon bekommen wir in Zukunft jede Menge. Die deutsche Großindustrie verabschiedet sich, investiert im Ausland und schafft dort Arbeitsplätze. Deutschland ist als Wirtschaftsnation im Niedergang, nicht fähig, sich industriell zu reformieren, bläht sich lieber mit lähmender Bürokratie auf, fördert Regulierungswut statt Innovationsdrang. Die grünen Wunderwaffen (alle mit der Endung „-wende“) haben Ladehemmung und verbrauchen deutsche Zukunftsfähigkeit. Innovativ ist das nicht, aber ideologisch hochgradig aufgeladen – keine Einladung für Kreative, Kluge, Wagemutige.
Deutschland verliert sich im romantischen Traum seiner klimaneutralen und migrationspolitischen Selbstaufgabe. Diese Romantik ist aber keine Mehrheitsangelegenheit. Das undemokratisch-unsoziale Moment daran fällt den Regierenden schon jetzt auf die Füße. Nun fremdelt „die Republik“ mit dem Gedanken, dass eine Partei, deren Existenz man sich politisch selbst zuzuschreiben hat, „Regierungsaufträge“ bekommen könnte. Die Brandmauern, die nun hektisch und ungeschickt errichtet werden, gelten am Ende den Wählern, die brav demokratisch ihren Ausweis vorzeigen, um ihr Wahlrecht auszuüben. Man sollte die Metapher ernst nehmen: Das Haus der CDU soll nicht in Brand geraten, wenn der rechte Nachbar zündelt. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern / Sing nicht ihre Lieder / Geh doch in die Oberstadt / Mach‘s wie deine Brüder“, sang einmal der linke Barde Franz Josef Degenhardt.
Was waren wir blöd
Das Land und seine hochmütige Regierung sind irritiert, dass aus der grünen Selbstaufgabe keine Wertschöpfung, keine Initiative, keine Konkurrenzfähigkeit entstehen. Man will lieber das politische Versagen exportieren – und all die waghalsigen Ideen vervielfältigen, die nur einhändig gefahren werden können, weil man die andere Hand für den stolz erhobenen Zeigefinger benötigt. Und da wären wir wieder bei der Religion – sie liebt den erhobenen Zeigefinger, wie die Politik, die sie nachäfft und vergötzt. Das kopierte Mittelmaß ist in seiner deutschen Absolutheit erschütternd. Ist das nicht schon göttliche Strafe genug?
Einen Sommer wie diesen werde ich wohl nicht vergessen. Wir müssen uns darauf einstellen, zukünftig in einem Land zu leben, das schwach und irre geworden ist. Es kommt mir immer mehr vor, als nähme ich von einer soliden Vorstellung Abschied, die ich von Deutschland hatte. Nun hat man uns diese Vorstellung einfach weggenommen, durch politische Fehlentscheidungen, ideologische Verbohrtheit und einen wirtschaftspolitischen Fatalismus, als gäbe es kein Morgen, um den sich paradoxerweise doch alles heute dreht. Die Propagandabehauptung lautet: „Es gibt nur eine Zukunft unter schlechteren Bedingungen. Die Alternative ist: keine Zukunft“. Diese schlechteren Bedingungen werden uns gerade breitbandig aufgezwungen. Aber auch unsere eigene, bequeme Sicht auf den gesetzten Wohlstand hat uns den objektiven Blick versperrt, uns sediert, weil wir annahmen, er könne mit allen Zufällen und Herausforderungen in positive Wechselwirkung treten. Konnte er jedoch nicht.
Unser Wohlstand ist weder dem deutschen Beamtenstaat, seiner Innovationsfeindlichkeit, der Hybris der politischen Klasse und ihrer Kompetenzferne, den 30 Prozent Verlust an deutschen Spezialisten, Ingenieuren und Wissenschaftlern, die in den nächsten 15 Jahren in Rente gehen, noch der enormen Flexibilität anderer Wirtschaftsnationen gewachsen, die sich nicht so viel Wachs in die Ohren haben schmieren lassen wie wir. „Was waren wir blöd“, werden wir und die Anderen, die es noch gutgeheißen hatten, irgendwann sagen. Wir sollten lernen, es auf Mandarin und Hindi auszusprechen.
Dieser Text erschien zuerst im wöchentlichen Newsletter von Achgut.com (jeweils am Freitag), den Sie hier kostenlos bestellen können.
Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.