Gastautor / 23.09.2019 / 06:00 / Foto: Pixabay / 20 / Seite ausdrucken

Hongkong und die Gefahr ein Symbol zu sein

Von Benjamin Bugante.

Ich komme am Flughafen in Shenzhen an. Es ist die dritte Station auf unserem Post-Auslandssemester-Trip, auf dem wir uns nach den kühlen Wintermonaten im Norden Chinas nun gen Süden begeben. In Shanghai, unserer ersten Station, herrschte für uns erstmals wieder weitgehende Gleichberechtigung: Wir werden weder in Restaurants überschwänglich hofiert noch werden wir ständig fotografiert – noch werden uns in Clubs bis frühmorgens sämtliche Getränke und Obstteller spendiert.

Etwas beleidigt stürzen wir uns in diese 26-Millionen-Stadt, die zu meiner Überraschung kaum überlaufen wirkt. Nicht einmal für die Aussichtsplattform „Shanghai Tower“ von 561 Metern Höhe oder im Yu Yuan Garten stehen wir dicht gedrängt oder müssen lange schlange stehen. An der Uferpromenade „The Bund“, dort, wo sich die koloniale Vergangenheit und die dynamische Gegenwart Chinas treffen, blicken wir abends nach Pudong hinüber, und ich denke voller Ungläubigkeit daran, dass dort drüben noch Ende der 1980er Jahre nur ein Bauerndorf stand. So viel zu einer chinesischen Erfolgsgeschichte, die Erste.

Nach einer Zwischenstation in Xi’an kommen wir also in Hongkong an. Das erste, was bei der Einreise auffällt, sind die fehlenden Überwachungskameras, die in China gang und gäbe gewesen waren – manchmal zu unserer Sorge, manchmal zu unserem Wohlbefinden, vor allem für die Mädels unter uns, wenn sie sich einmal morgens früh auf den Heimweg machten. Während sich der westliche Einfluss in Shanghai vor allem in der Architektur, etwa der Gebäudefront des „Bund“ manifestiert, die Stadt aber nicht zuletzt aufgrund der Tempel als dezidiert chinesische Metropole erkennbar ist, dominieren in Hongkong die britische Kultur und die Atmosphäre eines internationalen Finanzzentrums. Der Einfluss englischer Wörter im Kantonesischen, der mit dem Chinesischen verwandten Sprache in Hongkong, hat bereits einen eigenen Namen: „Kongish“. Beim British Breakfast halten wir uns mit dem Bestellen zurück, das überlassen wir lieber dem Hongkonger Anthony, der uns die Stadt zeigt.

Es war mit Sicherheit der unmittelbare Kontrast zu China, der in uns einen größeren Kulturschock auslöste als bei der Einreise nach China. Die Straßenbeleuchtungen, die aus allen Nähten platzenden Straßen und Gassen, das individuelle Auftreten der Leute – das alles war, verglichen mit Mainland-China, freiheitlich, westlich, aber auch ein bisschen crazy. Natürlich ist Shanghai an sich nicht viel repräsentativer für China als New York für die USA oder Paris für Frankreich, aber in puncto westlichem Lebensstil machte Hongkong klar das Rennen. Zumal die Einheimischen, mit denen wir uns unterhielten, ähnlich freundlich zu uns waren, aber viel offener und natürlicherweise ungezwungen, was politische Themen angeht. Wie man sich vorstellen kann, mieden wir politische Themen in der Konversation mit Chinesen wie die Pest, auch wenn ein besonders spitzfindiger deutscher Kommilitone es manchmal drauf anlegte.

Autonomie ist in erster Linie die Flucht vor Peking

Sechster August. Ich schreibe Anthony auf Facebook an. Kurz darauf telefonieren wir. Zunächst berichtet er in etwa das, was auch im Brennpunkt gezeigt wird: Neben den Hunderttausenden, die schon bei den Kundgebungen im Juni auf die Straße gegangen waren, greifen wenige hundert Demonstranten zur Gewalt und geraten regelmäßig mit der Polizei aneinander. Die Menschenrechtsorganisation CHRF, welche die Proteste im Juni und Juli organisiert hat, hatte zwar zu Gewaltlosigkeit aufgerufen. Dennoch geben einige Demonstranten in den Beiträgen sehr deutlich zu verstehen, was Gewaltlosigkeit ihrer Ansicht nach gegenüber Peking überhaupt bewirken könne – nämlich gar nichts. Nur wenige Tage später rückt China in der Grenzstadt Shenzhen mit Panzern an.

Nach einer Dreiviertelstunde gehen mir die Fragen aus, ich höre nur noch zu und schreibe hastig mit. Die Demonstranten stellen insgesamt fünf Forderungen: den vollständigen Rückzug des Auslieferungsgesetzes, freie Wahlen für den Regierungschef und das Parlament Hongkongs, das Ende der Bezeichnung der Demonstrationen als „Aufruhr“, da hierfür bis zu zehn Jahre Haft drohen, eine Kommission zur Untersuchung der vorgeblichen Polizeigewalt und die Rücknahme aller bestehenden Anklagen gegen die Demonstranten.

Anthony erzählt mit unerschütterlichem Ernst weiter, beklagt den kulturellen Konflikt zwischen einigen zuwandernden Mainland-Chinesen und Hongkongern, der die Machtposition der chinesischen Regierung festigt. Kein Hongkonger unter 30 bezeichne sich noch als Chinese. Eine Frage habe ich aber noch. Hat sich das alles Anfang des Jahres schon irgendwie abgezeichnet? Er überlegt kurz. Nein, die Millionen-Demonstration am 9. Juni sei der Startpunkt gewesen. In Hongkong brodele es aber schon länger: Die letzten Großdemonstrationen liegen erst fünf Jahre zurück, ausgelöst durch die chinesische Einmischung ins Hongkonger Wahlsystem.

Ob sich Hongkong genau dieser kulturellen Eigenständigkeit unter weitgehender politischer Autonomie gegenüber Peking bewahren kann, mag man sich fragen. Augenscheinlich ist es genau das, was unter wechselnden Vorwänden auf dem Spiel steht. Was nach dem Ende der „One Country, Two Systems”-Vereinbarung im Jahre 2047 mit Hongkong passieren wird, hat Peking bisher nie verlauten lassen. Die Angst vor einem noch abrupteren Ende der Freiheit auf Zeit hat sich nicht erst in den Protesten von 2014 wiederspiegelt; bereits nach der Ankündigung Großbritanniens 1984, Hongkong an China zu übergeben, hatte etwa Kanada viele Geschäftsleute und Akademiker aus Hongkong erfolgreich angeworben. Zu dieser Auswanderungswelle hatte auch das Tian’anmen-Massaker 1989 entscheidend beigetragen, bei dem eine studentische Demokratiebewegung in Peking blutig niedergeschlagen wurde. Die aktuellen Proteste gelten als die umfangreichsten seit den anschließenden Protesten gegen diese Niederschlagung.

Auch 1989 gab es Hitzköpfe unter den Idealisten, und 1989 schlug China zurück. Auch heute wollen sich die Demonstranten nicht wegducken, glauben fest an die Autonomie ihrer Heimatstadt. Aber was bedeutet die bis 2047 garantierte Autonomie gegenüber China für den Westen? Hatten die Hongkonger sich um 1900 noch der britischen Besatzungsmacht widersetzt, die schon seit 1841 geherrscht hatte, opponieren sie heute gegen die Rückgabe an China?

Viele Hongkonger wünschen sich den „Richtigen“ an ihrer Seite; Joshua Wong, einer der Gallionsfiguren der Proteste, appelliert an das Handeln des Westens. Dass China ihn einen CIA-Agenten nennt, zeigt, dass die Gefahr, dass Hongkong in Zeiten des amerikanisch-chinesischen Handelskrieges und der nachlassenden Wirtschaftsleistung in Europa zum Spielball zwischen zwei Machtblöcken wird, real ist. Hongkong hat seine Auffassung von Autonomie jedenfalls in den Protesten klar zum Ausdruck gebracht: Eine Zugehörigkeit zur westlichen freiheitlich-demokratischen Wertegemeinschaft. Ob der Westen dabei zuschaut oder eingreift, wird sich zeigen.

 

Benjamin Bugante ist 22 und studiert VWL in Mainz.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projekts  „Achgut U25: Heute schreibt hier die Jugend in Zusammenarbeit mit der Friedrich A. von Hayek Gesellschaft und dem Schülerblog „Apollo-News“ entstanden. 

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Foto: Pixabay

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David Sohn / 23.09.2019

Bei dem Vorgang 1989 thiananmen sehe ich noch Aufklärungsbedarf. Wer hat mit der Gewalt angefangen? Die msm Story steht auf tönernen Füßen

Martin Landner / 23.09.2019

Jetzt interessiert mich natürlich der erste Teil des Reiseberichts, der sich anscheinend um den Norden Chinas drehte? Gibt’s den irgendwo?

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