Am 01. Oktober 1949 verkündete Mao Tse-tung, Vorsitzender der Kommunistischen Partei China(KPCh) in Peking auf dem Tian'anmen-Platz die Gründung der Volksrepublik China. Das ist heute 70 Jahre her und Millionen von Toten säumen den Weg der Diktatur von der Zwangekollektivierung und den anschließenden Hungersnöten (1953-1961) bis zur Kulturrevolution (1966-1976). Der "große Sprung" kostete 20 Millionen Menschen das Leben, die Kulturrevolution hat 400.000 Tote auf dem Gewissen. Später gelang ein beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung eines kommunistischen und bis heute totalitären Regimes. Viele glauben, dass die Chinesen den Beweis erbracht haben, dass eine Wohlstandsgesellschaft auch ohne Demokratie zu haben sei. Ob das tatsächlich dauerhaft funktioniert, wird aber erst die Zukunft erweisen. Kann es eine freie Marktwirtschaft ohne Freiheit geben? Und kann eine freie Marktwirtschaft auf Dauer ohne Rechtsstaat funktionieren?
Das sind genau die Fragen, die den Konflikt mit der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong befeuern. Dieser Konflikt ist für die Europäer auch deshalb aufschlussreich, weil sich hierzulande mittlerweile Stimmen melden, die meinen, die Demokratie sei zu mühsam und unbeweglich, ein bisschen mehr chinesisches Modell könne Europa also nicht schaden. Das Thema Diktatur wird im Umgang mit China – wenn überhaupt – nur in homöopathischen Dosen angesprochen.
Hongkong ist der ständige Beweis dafür, dass es auch anders geht und ist der chinesischen Führung und wohl auch einem großen Teil der chinesischen Bevölkerung ein Dorn im Auge. Die Freiheitsliebe und Aufmüpfigkeit der Einwohner von Hongkong sind eine offene Provokation für den in China durchgesetzten Kollektivismus. Auch der erfolgreiche Kampf gegen die Korruption in Hongkong mit der "independent comission against corruption" (1974), erinnert die Festland-Chinesen an ein großes Problem, das sie bis heute nicht bewältigt haben.
Ein großer Protestmarsch in Honkong zum Jahrestag der chinesischen Revolution wurde verboten und ein Feuerwerk im Hafen abgesagt. Es werden schwere Ausschreitungen befürchtet.
Der Lebensstandard entsprach in etwa dem von Ghana
So ähnlich wie zwischen den beiden deutschen Staaten DDR und Bundesrepublik lässt sich zwischen Festland-China und Hongkong ein Systemvergleich ziehen, der nicht Ruhm und Ehre für das große China bereithält. Aus gegebenem Anlass beschreibt Achgut.com deshalb hier den beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg der Demokratie Hongkong, der ebenfalls vor rund 70 Jahren begann.
Der junge britische Kolonialoffizier John Cowperthwaite machte sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1945 auf den Weg nach Südostasien. Er war vom britischen Empire abgeordnet worden, die Beamten in Hongkong beim Aufbau einer Verwaltung zu beraten und tat dies unter anderem als "Financial Secretary of Hongkong" von 1961 bis 1971.
Die Stadt empfing ihn mit schwüler, stinkender Hitze; auch was er sah, dämpfte seine Euphorie: Infrastruktur und Wirtschaftsleben waren von der japanischen Besatzungsmacht gründlich ruiniert worden. Zu allem Überfluss wurde die Stadt vom kommunistischen Festland her durch Flüchtlingswellen überrannt. Der Lebensstandard entsprach in etwa dem von Ghana. Doch Hoffnungen auf Entwicklungshilfe und Kredite brauchte sich niemand zu machen: England hatte mit sich selbst genug zu tun. Alle Weichen für Armut, Elend und Ausbeutungen waren somit gestellt. An den Aufbau eines Sozialsystems dachten die Engländer noch nicht einmal im Traum. Motto: Was geht uns die Armut von Chinesen an? Cowperthwaite unternahm in seinem neuen Amt, was ihm am einfachsten schien: nichts.
Doch alsbald machte er eine überraschende Feststellung: Die chinesische Bevölkerung wusste sich ganz gut ohne Ratschläge oder Vorschriften der Engländer zu helfen. Es ging wirtschaftlich deutlich bergauf. Cowperthwaite wurde dafür mit dem Aufstieg zum leitenden Sekretär für die Finanzen der Stadt belohnt. Er fasste den klugen Entschluss, sein Erfolgsrezept beizubehalten: Er tat auch weiterhin nichts. Nur die absolut nötigsten Rahmenbedingungen wurden geschaffen: ordentliche Gerichte, Vertragsrecht, ein paar einfache Gesetze, eine strenge, nicht allzu korrupte Polizei. Cowperthwaite vermied strikt bürokratische Einmischungen in das Wirtschaftsgeschehen. Er untersagte seinen Beamten sogar, das Bruttosozialprodukt zu ermitteln, weil er befürchtete, die Zahlen könnten Neid erwecken oder sonstwie Arbeit machen. Er verzichtete auf Zölle und interessierte sich nicht dafür, wieviel Geld ins Land kam oder hinausging.
Glücksfall Desinteresse
Weil er die Menschen einfach machen ließ, stieg Hongkong auf. Selbst die sich überlegen dünkende Kolonialmacht Großbritannien wurde von Hongkong abgehängt und folgt abgeschlagen. Die Leistung Hongkongs kann gar nicht hoch genug bewertet werden. Von seinen Bewohnern abgesehen, besitzt die Stadt keine Rohstoffe, selbst Wasser muss importiert werden. Es herrscht außerdem große Enge, in Hongkong leben auf einem Quadratkilometer rund 6.500 Menschen. Das „Laissez-faire“ („Machenlassen“) der Engländer, ursprünglich aus schnödem Desinteresse geboren, erwies sich für die Hongkong-Chinesen somit als historischer Glücksfall. Für historisches Pech sorgten die Engländer bei sich selbst: Sie gingen nach dem Krieg mit großem Einsatz daran, ihre heimatliche Wirtschaft und Industrie durch staatliche und gewerkschaftliche Fürsorge zu vernichten, was weitgehend von Erfolg gekrönt war.
Ganz anders in Hongkong: Hier gab es nur zwei bescheidene und einfach zu erhebende Steuern: 15 Prozent auf das Bruttoeinkommen des Einzelnen und 16,5 Prozent auf Unternehmensgewinne. In Hongkong gingen nicht einmal 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes durch staatliche Hände. Die Einnahmen genügten für den Bau von Straßen, eine bescheidene Infrastruktur und Schulen. Die Bildungseinrichtungen erfreuten sich größten Zuspruches, weil die Jugend wusste: Ohne Abschluss landest du auf der Straße. Hongkong gab nicht einmal 1,2 Prozent seines Staatshaushaltes für Sozialhilfe oder Subventionen nichtprofitabler Betriebe aus.
Die Stadt ist kein Hort der Gleichheit, die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind sogar riesig. Die sozialen Verhältnisse in Hongkong erscheinen aus europäischer Sicht nicht unbedingt erstrebenswert. Ganz anders liegt der Fall aus der Sicht armer Länder, die 1950 in einer vergleichbaren Position starteten. Auch die untersten Schichten Hongkongs genießen, verglichen mit anderen Entwicklungs- und Schwellenländern, mehr Wohlstand und Freiheitsrechte. Die meisten mit hohem moralischem Anspruch gestarteten Favoriten der Dritte-Welt-Bewegung in Asien, Afrika und Lateinamerika hinterließen bestenfalls Armut, schlimmstenfalls sogar Hunger, Krieg und Völkermord – und dies trotz gigantischer Summen westlicher und östlicher Entwicklungshilfe.
Lehrbuchbeispiel für „Laissez-faire“
Fürsorge, die sich darin erschöpft, nichts zu tun, mag einen schlechten Ruf besitzen, aber sie funktioniert. Dies beweist der Vergleich der Hongkong-Chinesen mit ihren ebenso intelligenten, geschäftstüchtigen und fleißigen Brüdern und Schwestern auf dem chinesischen Festland. Getreu dem Motto „Liebe deinen Nächsten“ wurde diesen jegliche Eigeninitiative von einer bürokratischen Planwirtschaftsmaschinerie ausgetrieben. Allein die Kollektivierung der Landwirtschaft Ende der fünfziger Jahre, der so genannte „Große Sprung nach vorn“, endete mit über zwanzig Millionen Hungertoten.
Die Erfolgsgeschichte von Hongkong gilt heute als Lehrbuchbeispiel für die segensreiche Wirkung eines staatlichen „Laissez-faire“ und die Eigendynamik nur wenig regulierter Gesellschaften. Doch die Tugend des Machenlassens ist unter den Bürokraten und Politikern erstaunlich unterentwickelt. Auch in Deutschland müssen kluges Nichtstun und Nichteinmischung erst gelernt werden. „Den Abgeordneten gilt der Gesetzausstoß als Leistungsbeweis“, sagte der emeritierte Juraprofessor Ulrich Karpen schon vort vielen Jahren über den Deutschen Bundestag. Und weil niemand als faul gelten will, sind die Ergebnisse verheerend: „In der Zeit von 1948 bis 1998 sind 5.500 deutsche Gesetze sowie 18.000 Verordnungen entstanden, alles in allem etwa 85.000 Paragraphen.“ Seitdem wurde der Ausstoß an Unfug noch drastisch erhöht. Alle Versuche, dieser Hydra die Köpfe abzuschlagen, waren bislang vergebens.