Die Corona-Hysterie spielt sich nicht nur in unseren Köpfen ab, sie pflügt auch ganz real die Gesellschaft kräftig um. Ein derartiges Umpflügen kann durchaus wohltätige Wirkungen entfalten; es bringt aber auch ansonsten gern übersehene Teile unseres Gesellschaftshumus ans Tageslicht. Wie zum Beispiel die von der Londoner Times einmal so benannte „typical German linguistic submissiveness“.
So arbeiten immer mehr Bundesbürger heute zu Hause statt an ihrem angestammten Arbeitsplatz. Für den Spanier ist das sein „oficina en casa“, für den Franzosen sein „bureau à domicile“. Und selbst der sprachlich etwas schlampigere Italiener hat dafür ein eigenes Wort gefunden: „telelavoro“ heißt die Arbeit zu Hause in unserem südlichen Urlaubsland.
Und wie nennt man hierzulande das, was wir gerade tun? Natürlich nicht „Heimbüro“, wie das mein Verein Deutsche Sprache und einige andere vorschlagen, Homeoffice ist heute republikweit angesagt. Jeder kennt das Wort, weiß, was es meint, die Chancen stehen gut, dass es eine schwachmatische Germanistenclique zum Anglizismus des Jahres küren wird.
Aber gibt es ein traurigeres Bekenntnis, dass die Sprecher des Deutschen ihre eigene Sprache nicht mehr zum Beschreiben der modernen Welt als ausreichend erachten? Natürlich ist auch Büro einstmals ein Fremdwort gewesen, wie überhaupt ein Großteil des deutschen Wortschatzes aus anderen Ländern eingewandert und hier, um mit Goethe zu sprechen, „verschlungen“ und eingemeindet worden ist. Das hat der Sprache durchaus gutgetan und war mangels eigener Ausdrucksmöglichkeiten oft auch dringend nötig.
Deutsch zu sprechen, ist peinlich
Etwas ganz anderes ist die Sucht vieler Deutscher, das Deutsche, wo immer möglich, zu vermeiden. Ich war lange Jahre Gast der Europäischen Jahreskonferenz der „Econometric Society“, des weltweiten Berufsverbandes meiner Fachkollegen aus der Wirtschaftsstatistik und der sogenannten Ökonometrie. Keine Frage, dass man auf diesen Konferenzen Englisch spricht. Selbst die Franzosen, die laut Statuten in ihrer Muttersprache referieren dürften (die Amtssprachen der Gesellschaft sind Englisch und Französisch) reden Englisch. Sonst stünden sie binnen Minuten am Rednerpult allein.
Aber im Teilnehmerverzeichnis dieser Konferenzen ist das anders, da legen die Kollegen großen Wert darauf, zumindest ihre Adresse in ihrer jeweiligen Landessprache abzugeben: Da gibt es (im Teilnehmerverzeichnis der Tagung in Santiago de Compostela 1997) einen Jan Kakes von der „Nederlandschen Bank“ in Amsterdam, einen Paolo Onofri von der Universitá de Bologna, oder einen Manuel Antelo von der Universidad de Santigao de Compostela, Departimento de Fundamentos del Análisis Económico“.
Wie aber stellen sich die deutschen Kollegen vor? „Björn X, University of Munich, Department of Economics.“ Und ich wette, der Kollege X hätte gerne, hätte man ihn nur gelassen, auch noch die Akademiestraße, wo sein Department residiert, in Academy Street umgetauft.
Diese und andere Beispiele zeigen, wie immer mehr Menschen hierzulande aus ihrer eigenen Sprache sozusagen zu fliehen scheinen. Der moderne Modell-Germane joggt, jumpt, trekkt, walkt, skatet oder biket, hat fun und feelings, moods und moments, sorrows und emotions, und scheint vor nichts auf Erden solche Angst zu haben, als seine eigene Sprache zu benutzen – Deutsch zu sprechen, ist vielen Deutschen heute ganz offensichtlich lästig oder peinlich.
Man könnte es auch „Arschkriecherei“ nennen
So ist denn derzeit „social distancing“ angesagt (für die Englisch-Schwänzer: Abstand halten), damit der „shutdown“ nicht zu lange währt, (also der Stillstand aufhört) und man die Gören nicht weiter mit home schooling bespaßen muss.
Aber unsere linguistic submissiveness allein wäre nicht ausreichend, diese peinlichen Sprachimporte republikweit durchzusetzen. Auch die Gene spielen mit. Unsere Vorfahren im Urwald konnten nur als Mitglied einer Herde überleben. Außenseiter waren sehr schnell tot. So breitete sich das „Anpassen-an-die-Mehrheit-Gen“ rapide aus. Es gibt zahlreiche Experimente der Art, dass man zehn Leute fragt, welcher von zwei Bleistiften der größere sei. Neun sind angewiesen, den mit Abstand kürzeren Bleistift als größer zu benennen. Und was macht Nummer zehn? Er benennt auch den kürzeren Bleistift als den größeren. Und er glaubt auch noch daran. Wenn also die Tageschau von Home Office spricht, dann nennt Max Mustermann seine umgebaute Küche ebenso. Und wird sich hüten, um bei der Herde nicht aufzufallen, von Heimbüro zu sprechen.
All denen, die diese weltweit einzigartige Illoyalität der eigenen Sprache gegenüber gerne als Weltoffenheit verkaufen, die meinen, damit im Ausland Pluspunkte zu sammeln, denen muss ich eine dicke Warnung ins Stammbuch schreiben: Diese Illoyalität kommt im Ausland genau als das an, was sie ist: als eine peinliche Missachtung der eigenen Heimat und Kultur. „Die Deutschen sind kriecherisch“, hatte seinerzeit auch der US-Präsidentschaftskandidat John McCain seine Erfahrungen mit unserem Land zusammengefasst. „Man hat sie entweder an der Kehle oder zu Füßen“, wusste auch Winston Churchill.
Im Moment hat man sie zu Füßen, zumindest sprachlich, siehe die von der Times beschriebene „typical German linguistic submissiveness“. Es sei den Lesern anheimgestellt, wie sie das übersetzen wollen. Wenn man bösartig wäre, könnte man auch „Arschkriecherei“ dazu sagen. So und nicht anderes kommt das im Ausland rüber, was wir im Inland mit unserer Sprache treiben. Anders, als die vielen weltoffenen Sprachdeserteure mit ihrem Verhalten zu erzeugen meinen, wirkt das keinesfalls als Willkommensgruß, es schreckt unsere Nachbarn eher ab. Denn wer ist schon gerne bei Arschkriechern zu Gast?