Kürzlich schrieb Roger Letsch an dieser Stelle über den „GameStop-Aufstand“ – den an den Börsen tobenden Kampf zwischen einer Gruppe von Kleinanlegern und Hedgefonds. Durch massenhaftes Aufkaufen der marktengen Aktie des Videospielehändlers GameStop hatten amerikanische Hobby-Trader die Hedgefonds gezwungen, von diesen leer verkaufte GameStop-Aktien zu immer höheren Kursen zurückzukaufen und dadurch, wie von Letsch beschrieben, einen sogenannten Short Squeeze provoziert, der einige Hedgefonds Milliarden kostete und in den Ruin trieb.
Die GameStop-Trader, die sich über das Internetforum Wallstreetbets (WSB) der Website Reddit absprechen, sind nicht mehr nur ein Thema der Finanzmärkte, sondern ein kulturelles Phänomen. Manche der Beteiligten und einige Journalisten sprechen schon hochtrabend von der „WSB-Bewegung“, gar von „Revolution“. Ein WSB-Aktivist schreibt:
„Diese Bewegung für die Finanzdemokratie unterscheidet sich nicht von vielen anderen früheren Bewegungen. Von der Französischen Revolution bis zur Bewegung für Rassengerechtigkeit und Gleichheit haben sich immer große Gruppen von Menschen versammelt, um eine Sache zu unterstützen, die sie für wichtig genug halten. Dieses Mal richtet es sich einfach an die Finanzwelt.“
Es sind Menschen, die sich mit anderen zusammentun, um ein gemeinsames Ziel zu verwirklichen: schnell und ohne Mühe reich werden. Einige von ihnen aber legen einen religiösen Fanatismus an den Tag, der diesem Bestreben möglicherweise zuwiderläuft. So gibt es innerhalb der Bewegung bereits zwei Lager: die Orthodoxen, die nur den Kurs der Videospielkette GameStop in die Höhe treiben wollen, und die Häretiker, die auch andere Objekte ins Visier nehmen. Das waren bislang u.a. die marode amerikanische Kinokette AMC sowie die Telekommunikationstechnologiehersteller Nokia und Blackberry. Und neuerdings auch der Silbermarkt, obwohl das eigentlich ein zu großes Rad für die GameStop-Trader ist. Zur Erinnerung: Ihre Masche ist es ja nicht, bloß von einem möglichen Kursanstieg zu profitieren, sondern diesen durch massenhafte Käufe selbst auszulösen. Geht das bei einem Rohstoff, der an Terminbörsen weltweit gehandelt wird? Wohl kaum.
WBC-Trader steigen in den Silbermarkt ein
Anfangs hatten sie durchaus Erfolg, der in den Finanzmedien große Beachtung fand. Der Einstieg der WBC-Trader in den Silbermarkt wurde am Donnerstag, den 28. Januar, bekannt, doch schon in den Tagen zuvor hatte sich der Silberpreis auffällig benommen. Während er für gewöhnlich Abwärtsbewegungen des Goldpreises mitmacht und dabei stets noch stärker fällt als Gold, zeigt er seit Ende Januar relative Stärke und weigerte sich, dem fallenden Goldpreis nach unten zu folgen. Letzte Woche Mittwoch dann war der Verfallstag an der New Yorker Rohstoffbörse COMEX. Weil Privatanleger und Fonds meist eher auf steigende als auf fallende Kurse wetten, ist der Verfallstag sonst stets der Tag, an dem die Banken den Gold- und den Silberpreis nach unten manipulieren, damit möglichst viele Kaufoptionen wertlos verfallen.
Beim Silberpreis gab es an diesem Tag, dem Verfallstag für den Januarkontrakt, etliche Versuche, den Preis unter 25 Dollar zu drücken, doch stets gab es an dieser Schwelle Käufe, die ihn wieder über diese Marke hievten. Da war etwas ungewöhnlich, und am folgenden Tag erfuhr die Welt, was das war: WSB-Trader hatten Silber entdeckt. Am Nachmittag (Vormittag amerikanischer Zeit) des 28. Januar stieg der Silberpreis innerhalb von einer Stunde um über sechs Prozent.
In den Tagen darauf erschienen zahlreiche Podcasts und YouTube-Videos, in denen die Idee beworben wurde, massenhaft am Terminmarkt in Silber einzusteigen oder anderweitig in Silber zu investieren.
Rudelkäufe am Silbermarkt?
Silber und Gold sind ebenso wie Platinmetalle langfristig solide Investments, solange man sich darüber im Klaren ist, dass ihre Kurse während eines Börseneinbruchs, bei dem die Anleger alles liquidieren, noch schneller fallen als die großen Aktienindizes. Das haben die Crashs im Spätsommer 2008 und im März 2020 gezeigt (der allerbeste Kaufzeitpunkt für Edelmetalle ist darum nach einem Börsencrash).
Die GameStop-Trader aber haben nicht Jahre Zeit; sie glauben, durch Rudelkäufe bei Silber einen Shortsqueeze erzeugen zu können, der wie bei Gamestop und AMC innerhalb kurzer Zeit zu einer Vervielfachung des Kurses führt. Auf Twitter trendete der Hashtag #silversqueeze.
Was ist nochmal ein Short Squeeze? Viele Leser wissen es; für die anderen wollen wir es noch einmal kurz erklären, am Beispiel der Aktie des strauchelnden Einzelhändlers GameStop, die von 40 Dollar Anfang Januar auf in der Spitze 480 Dollar stieg – und das, obwohl das Unternehmen vier Dollar Verlust pro Aktie macht und Besserung nicht in Sicht ist.
GameStop und andere Unternehmen, die tief im Schlamassel stecken – wie etwa die amerikanische Kinokette AMC – waren bis vor kurzem das Ziel von sogenannten Leerverkäufern. Hedgefonds, die mit offensiven Strategien für ihre Kunden überdurchschnittlich hohe Renditen erwirtschaften wollen, hatten darauf gewettet, dass die Aktien weiter fallen. Das taten diese Fonds, indem sie sich die betreffenden Aktien gegen eine Gebühr bei anderen Marktteilnehmern liehen, dann verkauften und darauf hofften, dass die Aktie weiter fällt, um sie dann zu einem niedrigeren Kurs zurückkaufen zu können. Der normale Akt des Kaufens und Verkaufens wird also umgedreht: Es wird zuerst verkauft, später gekauft. Wenn alles so läuft, wie sie sich das erhoffen, streichen sie die Differenz zwischen Verkaufskurs und Kaufkurs, abzüglich der Gebühren, als Gewinn ein. Wenn sie dann noch mit geliehenem Geld agieren, können sie große Hebelwirkungen erzielen. Solche Hebel funktionieren allerdings in beide Richtungen: Nicht nur die Gewinne werden gehebelt, sondern auch die Verluste.
Das erfuhren einige Hedgefonds, die darauf gewettet hatten, dass die Aktien von GameStop und AMC weiter fallen würden. Die Reddit-Trader hatten erkannt, dass die Hedgefonds sehr stark short gegangen waren, also sehr viele Leerverkäufe getätigt hatten, womöglich mehr, als es überhaupt Aktien gab.
Jede Position muss irgendwann geschlossen werden, entweder durch Lieferung des zugrunde liegenden Basisinstruments – in dem Fall der Aktien von GameStop und AMC – oder durch Rückkauf des Kontrakts. Indem sie die Aktien von GameStop und AMC aufkauften, machten die Reddit-Trader das für die Hedgefonds sehr teuer. Sie zwangen sie, die Aktien weit über ihrem Verkaufspreis zurückzukaufen, statt darunter. Weil nun die Hedgefonds mit dem Reddit-Rudel um die relativ wenigen auf dem Markt gehandelten Aktien konkurrierten, stiegen die Kurse dieser Aktien – und damit die Verluste der Hedgefonds und die Gewinne der Reddit-Trader – ins Astronomische.
Short Squeezes 1907, 2008, heute
So etwas gab es auch schon einmal in Deutschland, im Oktober 2008, als Porsche Volkswagen übernehmen wollte. Porsche gab damals bekannt, seinen Anteil auf 42,6 Prozent aufgestockt und sich weitere 31,5 Prozent über Optionen gesichert zu haben. Da das Land Niedersachsen 20 Prozent an Volkswagen hält, blieben somit nur noch rund fünf Prozent der Aktien, die überhaupt zu haben waren – und auch nur, wenn die Besitzer sie verkaufen wollten. Das Volumen der leerverkauften Aktien (Shortpositionen) lag aber bei 15 Prozent. Und so gab es ein Hauen und Stechen, der Kurs der VW-Aktie verdoppelte sich an einem einzigen Vormittag.
Einen versuchten Short Squeeze, der zu einer Weltwirtschaftskrise führte, gab es 1907. Zwei Brüder namens Otto und F. Augustus Heinze, die in den USA ein Vermögen im Bergbau gemacht hatten, hatten Aktien ihres Unternehmens United Copper als Sicherheit für allerlei Bankgeschäfte verwendet. Als der Kurs im Spätsommer 1907 nach unten ging, versuchten sie ihn durch Käufe zu stützen. Weil das nicht den erhofften Erfolg brachte, glaubte Otto Heinze, dass Leerverkäufer daran schuld seien. Durch einen Short Squeeze – er kaufte noch aggressiver Aktien, nun auch mit geliehenen Millionen – wollte er die vermeintlichen Leerverkäufer dazu zwingen, die Aktien zu hohen Kursen zurückzukaufen.
Doch der Einzige, der fanatisch kaufte, war Heinze selbst. Er hatte die Zahl der leerverkauften Aktien völlig überschätzt; in Wirklichkeit waren die Aktien von United Copper alles andere als knapp. Zwar hatte Heinze durch seine wilden Käufe tatsächlich den Kurs in die Höhe getrieben, aber dadurch nur sich selbst ruiniert. Der Short Squeeze blieb aus, der Kurs begann zu fallen, fiel immer schneller, und Heinze war bankrott, weil er das geliehene Geld nicht zurückzahlen konnte. Nicht nur er: Die Bank, bei der er einen riesigen Kredit aufgenommen hatte, der Knickerbocker Trust, sah sich einem Ansturm von Kunden ausgesetzt: Besorgte Sparer hoben ihr Geld ab. Weil eine Bank nie genug Kapital hat, um auch nur annähernd alle Sparer gleichzeitig auszuzahlen (sie hat das Geld ja verliehen, das ist ihr Geschäft), war der Knickerbocker Trust pleite. Ähnlich wie der Lehman-Bankrott 101 Jahre später führte das zu einer Kettenreaktion. Eine weltweite Banken- und Wirtschaftskrise war die Folge.
1999: Short Squeeze trifft Goldminen
Der Preis von Gold, dem Schwestermetall von Silber, wurde mindestens ein Jahrzehnt lang manipuliert. Schätzungsweise 5.000 Tonnen Gold, zwei Jahresproduktionen, waren zeitweise leerverkauft. Kreditbanken wie J.P. Morgan, Citigroup oder die Deutsche Bank liehen sich bei den Zentralbanken Gold zu niedrigen Zinssätzen zwischen 0,5 und zwei Prozent. Dann verkauften sie das Gold und legten den Erlös in Anleihen an, die damals noch mit vier bis sieben Prozent rentierten. War der Goldpreis an dem Tag, an dem die Kreditbank das Gold zurückgeben musste, gefallen, dann hatte die Bank einen Extra-Profit erzielt, da sie das Gold billiger zurückkaufte als sie es vorher verkauft hatte. Das schien lange ein Spiel ohne Risiko zu sein, da sich der Goldpreis zwischen 1980 und 2000 in einer anhaltenden Abwärtsbewegung befand; er fiel von 850 US-Dollar auf einen Tiefstand von 250 Dollar.
Im September 1999 aber gab es einen Short Squeeze: Nachdem Notenbanken der EU und der USA sich im Washington Agreement darauf geeinigt hatten, den Verkauf und Verleih von Gold zu beschränken, kam es zu Panikkäufen, die den Goldpreis innerhalb weniger Tage von 270 auf über 330 Dollar pro Unze trieben. Das brachte ausgerechnet einige Goldproduzenten in Schwierigkeiten. Die kanadische Cambior und Ashanti Goldfields aus Ghana wurden durch den steigenden Goldpreis beinahe in den Bankrott getrieben. Per Option, d.h. der Verpflichtung, Gold zu einem bestimmten Preis zu verkaufen, hatten sie viel mehr Gold verkauft, als sie produzierten, und waren nun unfähig zu liefern.
Australiens drittgrößter Goldminenbetreiber Sons of Gwalia, der 100 Prozent seiner Produktion im Voraus verkauft hatte, machte später bankrott. „Die außerordentliche Erholung der Goldpreise in den letzten Tagen fordert einige unwahrscheinliche Opfer“, schrieb die Washington Post im Oktober 1999. „Es ist ziemlich ironisch“, zitierte das Blatt einen Analysten von der Edelmetallberatung Gold Fields Mineral Services Ltd: „Es ist keine ungetrübte Freude, dass der Preis gestiegen ist."
2021: Silberhausse – schon vorbei oder nicht?
Warum sollte es heute am Silbermarkt einen Short Squeeze geben? Die These ist, dass der Silberpreis seit Jahrzehnten durch Manipulation an den Terminmärkten – Leerverkäufe in großem Stil – künstlich niedrig gehalten werde. Es soll mehr Silber leer verkauft worden sein, als in Form von Barren auf der Welt existiert.
Würden die Leerverkäufer zur Lieferung gezwungen, wäre – dieser Meinung nach – ein gigantischer Short Squeeze die Folge. Der bekannteste Vertreter dieser Theorie ist der ehemalige Investmentbanker Ted Butler, der seit 25 Jahren in meist wöchentlichen Kolumnen darüber schreibt. Butler glaubt, dass der Silberpreis von einigen wenigen Akteuren manipuliert wird, vor allem von Banken. Eine seiner Thesen besagt, dass die amerikanische Investmentbank Bear Sterns, die im März 2008 bankrott machte (ein halbes Jahr vor Lehman Brothers), ihren großen Silber-Shortpositionen zum Opfer gefallen sei. Ihr Bankrott ereignete sich nämlich zu einer Zeit, als der Silberpreis in kurzer Zeit von vier auf 21 Dollar gestiegen war. Wenn der von Butler vorhergesagte große Silber-Short-Squeeze komme, dann werde es unter denen, die er die „Big Shorts“ nennt, „fast sicher Bankrotte geben“, glaubt er und prognostiziert, dass der Anstieg des Silberpreises im Fall eines Short Squeeze dem Verlauf der Tesla-Aktie ähneln werde.
Das große Geld wurde bislang aber vor allem mit den Aktien von Silberproduzenten (von denen es nur wenige gibt, weil das meiste Silber als Nebenprodukt des Abbaus anderer Metalle, wie etwa Kupfer, gefördert wird) verdient – wenn man denn am Montag verkaufte. Am Dienstag nämlich brach der Silberpreis um fast zehn Prozent ein. Der Auslöser war neben dem stärkeren Dollar (der schlecht ist für Edelmetallpreise) die Anhebung der Marginanforderungen an der Rohstoffbörse COMEX. Händler, die dort Terminkontrakte handeln, müssen Sicherheitsleistungen hinterlegen, um sicherzustellen, dass sie liquide genug sind, um ihren Forderungen nachkommen zu können. Oft, wenn der Silberpreis steigt, hebt die COMEX die margin requirements an, was stets zu einem Einbruch des Silberpreises führt, weil viele Anleger eher verkaufen, anstatt Kapital nachzuschießen. Wenn sie keines nachschießen – etwa, weil sie es nicht wollen, das Geld nicht haben oder weil der Broker sie telefonisch nicht erreicht –, verkauft der Broker ihre Kontrakte, was den Silberpreis unter Druck setzt.
Am Mittwoch dieser Woche ging es dann wieder nach oben, diesmal aber langsamer. Am Donnerstag sorgte ein erstarkender Dollar für weitere Kursverluste bei Gold und Silber. Das ist einer der Gründe, warum die WallStreetBets-Händler den Silberpreis gar nicht nachhaltig in die Höhe treiben können. Er wird von Faktoren wie dem Dollarkurs und den Anleiherenditen beeinflusst, die sich jeglicher Kontrolle durch einzelne Anleger entziehen, hätten diese auch noch so viel Kapital. Zweitens haben sie, wie gesehen, die COMEX gegen sich. Drittens ist der Silberterminmarkt wesentlich größer als die Marktkapitalisierung von GameStop oder AMC. An den Terminmärkten können ohnehin nur Anleger spekulieren, die das Geld für die nötigen Sicherheitsleistungen haben, das Gros der Kleinanleger kann das nicht. Damit ist die mächtigste Waffe der WallStreetBets-Trader – ihre schiere Zahl – entschärft. Und anders als bei GameStop-Aktien gibt es am Terminmarkt auch keine Knappheit: Es lassen sich beliebig viele Kontrakte eröffnen. Für jede Wette auf einen steigenden Silberpreis, die jemand aufgibt, können die Banken eine Wette dagegen platzieren. Die einzige Möglichkeit, überhaupt einen Short Squeeze am Silbermarkt zu provozieren, wäre, massenhaft Terminkontrakte zu kaufen und dann physische Lieferung zu verlangen, sodass die Verkäufer die Barren beschaffen müssten.
Wenn dann nicht genug Silber auf der Welt vorhanden wäre, wäre das das, was man einen Corner nennt. Das haben die Brüder Nelson und Herbert Hunt 1980 versucht: Sie hatten mit der Hilfe einiger reicher Ölscheichs alles Silber gekauft, das zu finden war (etwa 5.000 Tonnen) und dann am Terminmarkt physische Lieferung des Silbers verlangt. So trieben sie den Silberpreis von acht Dollar Anfang 1979 auf über 40 Dollar ein Jahr später. Am 27. März 1980 aber änderte die COMEX die Regeln: Es durfte nur noch Silber verkauft werden. Der Preis fiel dadurch allein in den folgenden vier Tagen um über die Hälfte, und danach noch weiter (bis auf unter vier Dollar pro Unze im Jahr 2000). Die Hunt-Brüder verloren über eine Milliarde Dollar. Erst 31 Jahre später sollte der Silberpreis im Zuge der Silberhausse 2011 noch einmal die 50-Dollar-Marke berühren, um dann wieder zu fallen, bis auf 11 Dollar im März 2020. Seit Sommer 2020 steigt er wieder und steht derzeit bei 27 Dollar.
Eine Reminiszenz an die manipulative Regeländerung der COMEX gab es letzten Monat, als der populäre amerikanische Broker Robin Hood – wo viele WSB-Trader ihren Account haben, weil er keine Gebühren erhebt – seinen Kunden verbot, GameStop-Aktien zu kaufen. Auch diese durften nur noch verkauft werden, angeblich zum Schutz der Kunden. In Wahrheit zum Schutz der Hedgefonds, sagen andere. Am 18. Februar muss Vlad Tenev, der CEO von Robin Hood, vor dem Ausschuss für Finanzdienstleistungen des Repräsentantenhauses aussagen.
Die Finanzmarktblase
Wenn nun aber der Staat Marktmanipulation verhindern soll, wird der Bock zum Gärtner gemacht. Niemand manipuliert so sehr wie die Notenbanken, die die Zinsen künstlich niedrig halten und so die Hyperspekulation überhaupt erst möglich machen.
Die „WSB-Bewegung“ ist ein unverkennbares Anzeichen einer Finanzmarktblase. Auch bei der Internet- bzw. Dotcom-Blase 1999/2000 gab es Leute, die Gurus folgten, als Rudel handelten und sich freuten, wenn es ihnen gelang, eine Aktie in kurzer Zeit in die Höhe zu treiben. Der Unterschied zum WSB-Phänomen war, dass zumindest die Fiktion bestand, die hinter den Aktien stehenden Unternehmen würden irgendwann einmal Gewinne machen. Zu jeder damaligen Blase gab es eine Investmentstory, mochte diese zutreffend sein oder frei erfunden (wie bei dem Schwindelunternehmen Enron und einigen anderen). In allen Fällen wurde an eine herrlich profitable Zukunft des Unternehmens zumindest geglaubt, ob zu recht oder unrecht. Bei GameStop oder AMC hingegen glaubt das niemand, nicht einmal die Käufer dieser Aktien (Silber ist freilich eine ganz andere Story – es wird auch niemals Bankrott machen). Selbst wenn die Zeit der Lockdowns irgendwann vorbei sein sollte, werden der Videospielehändler und die Kinokette, die derzeit gigantische Verluste machen, keine Profitmaschinen werden. Ihre Zeit ist vorbei. Man könnte sagen: Sie sterben mit Corona, nicht an Corona.
Das wissen auch die WSB-Trader. Aber es ist ihnen egal. Die Kurse von GameStop und AMC in die Höhe zu treiben, ist ein Kettenbriefschema: Die Ersten, die gekauft haben, bevor die Masse davon Wind bekam, machen enorme Gewinne, aber nur, weil sie rechtzeitig verkaufen, an diejenigen, die am Ende mit den dann wieder fast wertlosen Anteilen dastehen. Am Dienstag ist der Kurs von GameStop um 60 Prozent gefallen. Erstaunlicherweise gibt es sogar jetzt aber noch WSB-Trader, die einsteigen. Als ich am Dienstagabend Twitter nach $GME, dem Symbol von GameStop, durchsuchte, fand ich jemanden, der sich rühmte, den „Rückschlag“ zum Kauf genutzt zu haben. Erwartet er, dass sich der Kurs in den nächsten Tagen wieder verdoppeln wird? Es ist unwahrscheinlich, dass das passieren wird, wenn auch nicht völlig ausgeschlossen. Tatsächlich stieg der Kurs von GameStop am Mittwoch zeitweilig um 20 Prozent, ehe er mit einem Plus von zwei Prozent schloss; AMC stiegen ebenfalls bis zum Mittag um 20 Prozent, schlossen mit einem Plus von 15 Prozent. Wer am Dienstag gekauft hat, kann sich bestätigt fühlen. Im Casino auf Rot oder Schwarz zu setzen, wäre aber wohl die seriösere Anlagestrategie.
Von einem anderen Twitter-Account verkündete jemand stolz, er und sein „Team“ hätten den Kurs irgendeiner Kryptowährung innerhalb von „fünf Minuten“ um „200 Prozent“ in die Höhe getrieben. Das ist der extreme irrationale Überschwang, wie er in der Vergangenheit Crashs wie das Platzen der Japan-Blase 1989, der Dotcom-Blase 2000 und der Immobilienblase 2007/2008 angekündigt hat. Laut der US-Finanzaufsicht FINRA hat das Volumen der Kredite, mit denen Privatinvestoren und Institutionen in den USA Aktien auf Pump gekauft haben, im Dezember 2020 mit fast 800 Milliarden US-Dollar einen neuen Rekord erreicht. Gegenüber März 2020 ist es um rund 60 Prozent oder 300 Milliarden gestiegen. Das ist die Musik, zu der getanzt wird. Wie bei dem Spiel „Reise nach Jerusalem“ wird es ein Gedrängel um die Stühle geben, wenn sie aufhört zu spielen.
Stefan Frank ist Autor der Bücher „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009) und „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos" (2012).