Gastautor / 14.08.2021 / 06:00 / Foto: 663highland / 111 / Seite ausdrucken

„Holt mich hier raus“: 50 Jahre Stanford-Prison-Experiment

Die Sündenböcke sind ausgemacht, und nur zu bereitwillig wird ihrer Bestrafung zugestimmt. Ein psychologisches Experiment von 1971 zeigte schon, wie es funktioniert.

Von Okko Tom Brok.

Seit Jahren werden wir medial darauf eingestimmt: Die Beleidung, Demütigung und Erniedrigung von Menschen ist, zunächst als Unterhaltungskonzept drittklassiger TV-Sender gestartet, neuerdings auch in der „großen Politik“ angekommen. Aber warum nur zuschauen, wenn im fernen australischen Busch Kandidaten und Kandidatinnen einer Reality Show auf jede nur denkbare Weise gequält werden, wenn man doch selbst aktiv mitwirken kann? Etwa über die Ausgrenzung sog. „Querdenker“ oder gleich der Gruppe aller Ungeimpften? Ein gruseliges Psychoexperiment der 1970er Jahre, das sich gerade zum fünfzigsten Male jährt, liefert den weltanschaulichen Deutungsrahmen: das Stanford Prison Experiment von Philip Zimbardo.

Wer sich vor Jahren vielleicht noch über die Obszönitäten mancher TV-Formate mit Ekelfaktor ärgerte, konnte sich immerhin damit trösten, dass seinerzeit niemand zur Teilnahme an öffentlichen Selbstentäußerungen, der Verspeisung von lebenden Spinnen oder Vollbädern in Jauche gezwungen war. Was viele Sendungen von Big Brother bis Dschungelcamp verband, war jedoch ein psychologisch höchst brisantes Phänomen: die Bereitschaft von ausgesprochen durchschnittlichen, ja selbst von hochstehenden, gebildeten Menschen, die Qualen anderer Menschen nicht nur erträglich, sondern gerechtfertigt oder gar amüsant zu finden.

Wir machen es uns vermutlich zu leicht, solchen Sadismus als Phänomen verwahrloster Unterschichten abzutun. Das Phänomen ist deutlich universaler. Es handelt sich um eine sogenannte anthropologische Konstante.

Jüngst wurde die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt, dass selbst Angehörige der einst ehrwürdigen deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina wie der Verhaltensforscher Armin Falk, deren Aufgabe u.a. darin besteht, die Politik und Gesellschaft zu beraten, offenbar den „Kitzel“ kennen, anderen Menschen schweres Leid zufügen zu wollen. Im Juli forderte Falk, seines Zeichens Ökonom an der Universität Bonn, man möge Menschen, die sich aus individuell sehr unterschiedlichen Gründen nicht gegen Covid-19 impfen lassen möchten oder können, im Falle einer Verknappung von Intensivbetten im Winter die lebensnotwendige Behandlung im Krankenhaus verweigern (sog. Triage). Was als ethischer Extremfall galt und gilt, wird urplötzlich zum Denkmodell für den Alltag. Vulgär-Utilitarismus als Blaupause für böses Tun?

Gefallen finden an der Züchtigung der Aufsässigen

„Es würde sehr wenig Böses auf Erden getan werden, wenn das Böse niemals im Namen des Guten getan werden könnte", wusste schon die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach. Das Böse maskiert sich zumeist als das Gute, während niemand außer einigen wenigen Hobby-Satanisten explizit „das Böse“ hofieren würde. Umso sprachloser beobachten wir, wie gesellschaftliche „Lockerungen“ neuerdings vor allem medizinische, ethische und juristische Standards betreffen. Und was noch vor kurzer Zeit als zutiefst verwerfliches, unethisches Denken und Handeln galt, scheint in einem atemberaubenden Tempo diskussionswürdig zu werden.

Ein Erklärungsmodell der explosionsartigen Entfaltung des Bösen unter Menschen entstand vor genau 50 Jahren im Rahmen eines der wohl bedeutendsten Psychologie-Experimente aller Zeiten: dem Stanford Prison Experiment, das vom 14. bis 20. August 1971 in den Räumlichkeiten der Stanford University im US-Bundesstaat Kalifornien stattfand.

Wer sich eingehender mit diesem Experiment beschäftigt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hier verdichtet sich ein Gesamtbild der „Banalität“ des im Menschen schlummernden Bösen, wie es Hannah Arendt einst bezeichnete. Irritiert hatte sie bereits diagnostiziert, dass auch hochkultivierte Familienväter während des NS-Regimes zu kaltblütigen KZ-Aufsehern und Mördern mutieren konnten. Sie waren sich der Tragweite ihrer Handlungen offenbar durchaus bewusst und galten in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen von 1945 bis 1949 als voll schuldfähig. (Allerdings stellte Arendt später einschränkend fest, die Mörder-Familienväter des Dritten Reiches hätten kein „einziges Gedicht geschrieben, das es wert wäre, dass man sich daran erinnerte, oder ein anhörenswertes Musikstück komponiert oder ein Bild gemalt, bei dem irgend jemand daran gelegen wäre, es an seine Wand zu hängen.“ (H. Arendt, Über das Böse, S. 80))

Dass Bosheit keinen Mangel an Intellekt darstellt, wurde durch das Stanford Prison Experiment in den frühen 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit der schlichten Einladung zu einem kleinen psychologischen Experiment bei 15 Dollar Tagesverdienst lud der Psychologie-Professor Philip Zimbardo vor genau 50 Jahren zahlreiche studentische Teilnehmer (Frauen wurden nicht beteiligt) in einen Keller der Universität Stanford ein, um dort eine makabre Gefängnissituation zu simulieren. Im Versuchsaufbau sollten die „Wärter“ die viel zu strengen Regeln des fiktiven Gefängnisses gegenüber den „Insassen“ um jeden Preis durchsetzen. Die Insassen erhielten nach ihrer Einlieferung Gefangenenkleidung und eine Fußkette, wurden von den Wärtern gefilmt und rund um die Uhr ihrer Privatsphäre beraubt. Als bereits nach einem Tag eine Gefangenenrevolte ausbrach, wurde ein System aus Strafen und Belohnungen implementiert, um die Insassen ruhigzustellen. Bereits nach wenigen Tagen waren mehrere Teilnehmer schwer traumatisiert. Das Verblüffende war: Die Wärter und sogar Zimbardo selbst leisteten den Anweisungen nicht nur Folge, sondern gewannen schließlich Gefallen an der grausamen Züchtigung ihrer Gefangenen. Der „Erfolg“ des Experiments war so durchschlagend, dass Zimbardo auf Druck seiner Getreuen den Versuch vorzeitig nach wenigen Tagen abbrach.

Ein Land, zerfurcht von Angst, Hass und Feindschaft

Das Experiment ist oft zitiert und als Vergleich bei echten Gefängnisskandalen herangezogen worden, wie etwa in Abu Ghraib (Irak), wo US-Militärangehörige und selbst Ärzte irakische Kriegsgefangene grausam misshandelten. Zimbardo selbst hat sein Experiment immer wieder gegen vorrangig methodische Kritik verteidigt, weil es wichtige Grundeinsichten über die Natur des Bösen geliefert habe.

Kann man also Umstände ausmachen, unter denen grausame Gewaltexzesse wahrscheinlicher werden und das Zusammenleben menschlicher Gesellschaften bedrohen? Der Psychologe aus Stanford sieht gewisse gesellschaftliche oder kollektive „Rahmenbedingungen“, die böse Handlungen und Gewalt förderten. Und diese Liste hat es in sich: Am Anfang stehe eine akute oder als akut empfundene Bedrohungslage, die es um jeden Preis zu bekämpfen gelte. Wer hier schon an die Gegenwart denken muss, liegt nicht falsch, und auch die folgenden Beobachtungen lassen Rückschlüsse auf die Gegenwart zu: Jeder Mensch könne ein sadistisches Monster werden, sobald neben der als akut empfundenen Notlage besonders scharfe Anweisungen einer vertrauenswürdigen Autorität, ein ausreichender Gruppendruck und zur endgültigen Überwindung aller Skrupel Anonymität und ein subjektives Gefühl des Rechthabens hinzuträten.

Bedrohungslage? Scharfe Anweisungen? Gruppendruck? Anonymität? Recht haben wollen? Wer Zimbardos Experiment mit der immer maßloseren Corona-Politik der Bundesregierung vergleicht, muss befürchten, dass sich nach 16 Jahren der viel zu langen Kanzlerschaft Angela Merkels in Deutschland etwas zutiefst Besorgniserregendes ereignet. Sollte sich der politische Umgangston in unserem Land nicht mäßigen, könnten – das lehrt nicht nur das Experiment Zimbardos – schwerste Gewaltexzesse gegenüber Andersdenkenden deutlich wahrscheinlicher werden. Wer so unverhohlen wie heutige Regierungspolitiker, Verbandsfunktionäre und sonstige Funktionsträger Menschen ärztliche Behandlungen vorenthalten, sie vom öffentlichen Leben ausschließen und ihnen sogar kollektiv die Schuld für bestehende Gesundheitskrisen zuweisen möchte, handelt m.E. nicht nur sitten- und grundgesetzwidrig, er legt vor allem eine hochgefährliche Saat des Bösen und der Gewalt.

Selbst wenn ein Impfzwang und weitere Zwangsmaßnahmen nicht durchgesetzt würden, sind die öffentlichen Verwünschungen und Anathemas gegenüber Andersdenkenden, Regierungskritikern und jetzt sogar einfach nur Ungeimpften bereits viel zu lautstark erklungen, um keinerlei negative Wirkungen zu entfalten. Bereits heute leben wir in einem von Angst, Hass und Feindschaft zerfurchten Land.

Die bösartige Dynamik in ihren Anfängen stoppen

Gibt es Hoffnung? Was empfiehlt Prof. Zimbardo, um die bösartige Gewaltspirale zu unterbinden? Unter dem im Deutschen etwas sperrigen Titel „Zehn-Stufen-Programm zur Abwehr unerwünschter Einflüsse“ entwickelt Zimbardo zehn Regeln, schließlich ist die Zehnzahl seit dem Dekalog Moses im ethischen Diskurs geläufig. Der englischsprachige Wortlaut kommt der Sache schon näher, wenn es heißt: A Ten-Step Program to Build Resistance and Resilience.

Es geht also bei Zimbardo um die Ausbildung innerer Widerstandsfähigkeit (resilience), aus der Widerstand (resistance) im Sinne eines „zivilen Ungehorsams“ erwachsen kann. Wir sollen der Versuchung in uns selbst widerstehen, in Gefahrensituationen vorschnell Schuldige zu identifizieren, eigene Erkenntnisse absolut zu setzen und unkritisch sittenwidrige Befehle und Anordnungen auszuführen.

In Zimbardos Zehn-Punkte-Plan lautet demzufolge der erste und oberste Grundsatz, Fehler einzugestehen und die Möglichkeit eigenen Irrtums stets einzukalkulieren. Wer fortwährend „alternativlose Wahrheiten“ postuliert, droht den bösen Einflüsterungen bereits auf den ersten Metern zu erliegen. Ferner gilt es, die eigene Verantwortung in einer gegebenen Situation wahrzunehmen und sich nicht auf „Befehlsnotstände“ oder Anweisungen noch so ranghoher und vertrauenswürdiger Dritter zu verlassen. Ein weiterer wichtiger Grundsatz lautet, man werde gerechte Ordnungen stets respektieren, gegen ungerechte Ordnungen jedoch rebellieren. Gegen einen kollektivistischen Sog der Gewalt gerichtet, fordert Zimbardo außerdem, man dürfe sich zwar nach Gruppenzugehörigkeit sehnen, solle aber seine geistige Unabhängigkeit gegenüber Gruppen, denen man angehöre, nie ganz aufgeben. Der vielleicht zentrale Satz des „Zimbardo’schen Dekalogs“ ist jedoch dieser: Ich werde weder persönliche noch bürgerliche Freiheitsrechte zugunsten der Illusion von Sicherheit aufgeben (“I will not sacrifice personal or civic freedoms for the illusion of security”). Konnte Philip Zimbardo in die Zukunft sehen, als er diese Sätze formulierte?

Prof. Zimbardo hat die immer gleiche Signatur autoritärer Gewaltbereitschaft für uns entschlüsselt. Und er hat Empfehlungen gegeben, wie diese bösartige Dynamik bereits in den Anfängen zu stoppen wäre. Haben wir nach 50 Jahren noch den Willen, aus Zimbardos Erfahrungen zu lernen?

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Dr. Joachim Lucas / 14.08.2021

Ich kenne noch eine andere Versuchsanordnung, die genau den gleichen Wahnsinn zeigt. Der Proband verabreicht mittels eines Drehreglers einem auf einem Stuhl sitzenden Menschen im Nachbarraum (sichtbar durch Glascheibe) Stromstöße. Die sind zwar nicht echt, das weiß der Proband aber nicht. Er sieht nur wie der Mann auf dem Stuhl sichtbar auf seine Stromstöße reagiert. Die Stromstärke wird auf Anordnung eines Professors (Autorität) schrittweise erhöht, weil der Stuhlmann falsche Antworten gibt/Überzeugungen hat. Die Quälerei wird also, sichtbar für den Reglerbediener, durch ihn selbst ständig erhöht. Das Interessante ist, dass man in diesem Fall auf “höhere” Anordnung bereit ist Menschen zu quälen. Das Gewissen ist quasi abgeschaltet. Das gleiche spielt sich in (noch)  milderer Form hier in diesem Land ab. Hier werden vorerst noch nur Apartheid betrieben und Existenzen vernichtet. Die Mechanismen funktionieren eben immer. Selbst bei Banalitäten wie Covid.

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