Hitler-Stalin-Pakt. Die Dämonen wecken?

René Zeyer schrieb gestern auf Achgut.com zum Hitler-Stalin Pakt

"Kaum ein Land wurde in der europäischen Geschichte der Neuzeit so geschunden wie Polen. Es wurde sogar von der Landkarte radiert und erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder als unabhängiger Staat wiedererweckt. Die Curzon-Linie diente dabei als Grenzziehung im Osten gegenüber der damaligen UdSSR. Die sich im Überlebenskampf befindliche Sowjetunion schlug Polen sogar 1920 eine noch weiter nach Osten verschobene Grenze vor. Im Frieden von Riga, der den polnisch-sowjetischen Krieg erst 1921 beendete, verleibte sich Polen ein großes Stück Russlands ein. Genau dieses eroberte Gebiet nahm sich Stalin in diesem Pakt zurück. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb es dabei, und Polen wurde sozusagen nach Westen verschoben, auf Kosten Deutschlands." 

Um der Legendenbildung vorzubeugen, sei hier eine kleine, aber bedeutsame Korrektur nebst atmosphärischer Nachbemerkung erlaubt, denn es handelt sich bei den Folgen des Interessenverlaufs des „Hitler-Stalin-Pakts“, wie man sich mit einem Blick überzeugen kann, eben nicht um „genau dieses eroberte Gebiet“ aus dem Friedensvertrag von Riga. Der „Hitler-Stalin-Pakt“ zeichnete sich vielmehr vor allem dadurch aus, dass auch er sich gerade nicht an der Curzon-Linie orientierte; Tatsachen, die man in Polen, den Baltischen Staaten, aber auch in Weißrussland und der Ukraine bis heute keineswegs vergessen hat. 

Erhellend ist in diesem Zusammenhang die oft übersehene „Erläuterung“ zum geheimen Zusatzprotokoll des Pakts, die fünf Tage danach ausgerechnet von dem später hingerichteten Widerstandskämpfer Friedrich-Werner von der Schulenburg und dem sowjetischen Außenminister Molotow als Präzisierung gesondert unterzeichnet wurde. Sie zeigt, wie sehr um den exakten Verlauf der Demarkation der „Interessensphären“ des Deutschen Reiches und der Sowjetunion auch noch Tage nach Unterzeichnung des schon beschlossenen Pakts gerungen wurde. Die „Erläuterung“ präzisiert, der Grenzverlauf orientiere sich an den Linien der Flüsse Pis(s)a, Narew, Weichsel und San. Diese Grenzziehung verläuft im Schnitt etwa 150 km weiter westlich als die Curzon-Linie und weicht, je weiter südlich, sogar gut 300 km von ihr nach Westen ab.

Noch ist Polen nicht verloren

Unter dieser Aufteilung der Interessensphären hätte Polen einmal mehr aufgehört zu existieren; und genau so geschah es: Nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 1. September 1939 dauerte es nur gut vierzehn Tage, bis auch die Sowjetunion polnisches Gebiet besetzte. Die von den beiden Mächten beschlossene Grenzziehung erklärt daher zwanglos, warum man bei politischen und wirtschaftlichen Annäherungen zwischen Deutschland und Russland bis heute mit geradezu reflexhafter Angst reagiert – jedenfalls auf allen Gebieten, die zwischen diesen Interessensphären liegen.

Solche Ängste kennt man tatsächlich bis ans Schwarze Meer, erwähnt der „Pakt“ doch auch sowjetische Interessen an „Bessarabien“ – weitgehend identisch mit der Republik Moldau. Die gedanklichen Gegenmaßnahmen Polens reichen noch heute hin bis zu polnischen Interessendefinitionen als Intermarium, eine „Macht zwischen den Meeren“, nämlich zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Noch ist Polen nicht verloren, so singt man bis heute in Erinnerung an polnische Teilungen in der Nationalhymne Polens.

Diese hierzulande weitgehend unbekannten Gefühlslagen und Randbedingungen unterstreichen die Bedeutung der NATO, ohne die Europa in einen zerstrittenen Haufen partikulärer Interessen zu zerfallen droht, und diese Bedingungen gilt es daher zwingend mitzulesen, wann immer von Annäherungen zwischen Deutschland und Russland die Rede ist, auch dann, wenn es um US-Truppenverlegungen nach Polen geht oder Reparationsforderungen „auf Kosten Deutschlands“.

Genau dadurch gibt es einen brandaktuellen politischen Bezug. Aus polnischer Sicht führt dabei jede Verweigerung Deutschlands zur Erfüllung seiner Pflichten gegenüber der NATO, gerade gemeinsam mit jeder wirtschafts- und damit machtpolitischen Annäherung an Russland, zu Rück-Erinnerungen und Ressentiments, nur eben zu solchen, die Polen und seine baltischen und südöstlichen Nachbarn historisch begründen können und aus ihrer Sicht sogar müssen – denn auch der Kreml kennt sie. Nicht nur für Polen ist genau das die Geschichte, die man nicht umschreiben kann.

Wer das als Deutscher außer Acht lässt, der weckt jene Dämonen, die – nach einem Diktum Michael Stürmers – einen leichten Schlaf haben.

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Leserpost

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Wolfgang Pfeiffer / 10.09.2019

Sehr geehrter Herr Mattes - ich verstehe nicht, worauf Sie mit Ihrem Text rauswollen. Klar sind Ihre Erklärungen um die Curzon Linie. Der Rest allerdings liest sich, als wollten Sie auf Biegen und Brechen das alte Feindbild Putin gegen den Text von René Zeyer in Stellung bringen. Ich kann aber um alles in der Welt keine naive Putinsalbung bei Herrn Zeyer erkennen.  Zeyer dröselt einfach auf, was an der Kritik an Putin wahnhaft ist, und wie uns das in eine gefährliche Sackgasse treiben kann. Zeyer erklärt Putin also mitnichten zum Unschuldslamm.  //  Ihr Text, und die Geschwindigkeit, mit der er hier als Kontrapunkt zu Zeyers Text eingestellt eingestellt wurde, macht mich misstrauisch: Soll er leisten, was er nicht schaffen kann: nämlich die weiße Weste der NATO und der Pre-Trump Ära wiederherstellen? Ich erinnere an die fast 60 000 gefallenen US-Soldaten und Millionen gefallener Vietnamesen, die vollständig sinnlos von amerikanischen Politikern geopfert wurden, nur um der Welt zu zeigen, dass Amerika die Kontrolle hat. An den Wahnsinn, als USA/NATO ein ungeliebtes kommunistisches Regime in Afghanistan mit Hilfe durchgeknallter islamischer Terrortrupps dermaßen an die Wand gefahren haben, dass es noch Jahrzehnte dauern dürfte, bis der hinterlassene Schutthaufen dort, die Zerstörungen in so vieler Hinsicht in diesem Land, beseitigt sein werden.  //  Und es waren vor allem Obama und seine Freunde in der NATO, die Libyen vor wenigen Jahren in die Steinzeit bombardiert haben. Nicht Putin. Haben Sie, und andere Achse Autoren, Panik, dass die dunkle Geschichte Amerikas/des Westens die Untaten Putins in ein anderes Licht setzen würde, sobald man Putin als das versteht, was er ist: ein Politiker, der die Machtinteressen seines Landes vertritt?

Thomas Taterka / 10.09.2019

Sieht so aus, als hätte die Achse keine Leser aus dem Nachbarland Polen. Nur Deutsche diskutieren den Hitler - Stalin Pakt. Auch die Juden unter den Kommentatoren schweigen. Dann lese ich mal weiter die ” Wartime Lies”. Gestern ist heute und heute war gestern. Das ist wohl der Lauf der Welt.

Dr. Thomas Veigel / 10.09.2019

@Alexander Rostert: Ausgezeichnete und fundierte Darstellung, Danke! Polen bereicherte sich übrigens am Münchener Abkommen durch Besetzung des Teschener Industriegebietes.

Johannes Schuster / 10.09.2019

Preußen und Russland. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß Preußen maßgeblich polnisch ist, kommt man wieder zu dem Kunstgebilde Deutsches Reich. Preußen ist ein Teil Polen unter deutscher Sprache. Und dieser Übergang vom deutschen Kulturraum in den slawischen ist eben kein Grenzbegriff, sondern etwas vollkommen Unbestimmtes. Und am Ende steht die Erkenntnis: Deutschland gibt es eigentlich gar nicht.

Jürgen Schäfer / 10.09.2019

Ohne den Multi-Verbrecher Hitler zu rechtfertigen und das russisch-sowjetische Mittun unter Stalin-Molotow 1939 zu unterschlagen, war Polen an der Zuspitzung 1939 nicht unbeteiligt, hat sich einer eventuell möglichen einvernehmlichen Lösung widersetzt, weil man sich unter Englands Garantie zu sicher fühlte. Polen hat auch dunkle Seiten seiner Geschichte und der schädliche übersteigerte polnische Nationalismus blitzt heute wieder auf.  Und wenn schon Wiedergutmachung für Kriegsschäden, warum wird dann dasselbe auch nicht heute von Rußland gefordert? Ähnlich bei Griechenland, denn das müßte dann auch an Italien Forderungen stellen, wo ja Musolini einst den Krieg gegen Griechenland begann??! Abgesehen davon, daß es es überhaupt dreist ist angesichts dessen, was beide Länder in den letzten Jahrzehnten vielfach über deutsch finanzierte europäische und rein deutsche Gelder bekommen haben!! Und bei Polen müßte man dann auch die eroberten deutschen Ländereien 1919 und 1945 in die Rechnung aufnehmen!! Z.B. Stettin liegt ja westlich der Oder-Neiße-Linie, ist also reiner Raub!!

HaJo Wolf / 10.09.2019

OMG… warum können diese Deutschen nicht ENDLICH einmal die Geschichte sein lassen, was sie ist: Geschichte! Die stetige Nachkarterei geht der deutschen Mehrheit auf die Eier, und womit? Mit Recht! Putin ist nicht Stalin (der größte Massenmörder des 20. Jahrhunderts), Merkel ist nicht Hitler, auch wenn Sie sich diktatorisch aufführt und Deutschland ins erneute Unglück führt.

Sybille Schrey / 10.09.2019

Na sieh einer an, es geht um „Gefühlslagen“(!), welche „die Bedeutung der NATO“ unterstreichen. Tatsächlich? Und ich dachte immer, es geht um politische und wirtschaftliche Machtinteressen. Da bin ich aber froh, daß Sie mich aufklären. Aber wenn dem so ist, dann gilt es auch zwingend (!), die Gefühlslagen aus russischer Sicht zu beachten, und zwar „wann immer“ von der NATO-Osterweiterung und US-Truppenverlegungen nach Polen nicht nur die Rede ist. Denn: „Genau dadurch (Anmerkung: nur dadurch!) gibt es einen brandaktuellen politischen Bezug.“, wie von Herrn Zeyer bereits erläutert. Das halte ich übrigens für die Grundaussage in Herrn Zeyer´s gestrigem Beitrag, womit einige Leser wohl überfordert waren, aber Sie ja offensichtlich nicht… Was mich natürlich außerordentlich erstaunt, ist, daß der Beitrag von Herrn Zeyer überhaupt auf der Achse eingestellt wurde. Wunder über Wunder, seitdem Trump´s Haltung gegenüber Rußland als gemäßigter wahrgenommen wird.

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