Heute war in Köln Marathon. Als Begleitmaterial für die Läufer gab es unter anderem ein Hochglanzheft mit vielen Informationen, das redaktionell offenbar von einer großen Runner-Zeitschrift zusammengestellt wurde. Beim Zusammenbasteln der Hefte ist etwas ziemlich schief gelaufen: Was als Titelseite geplant war, erschien auf der letzten Seite innen - Das Umschlagblatt war offensichtlich falsch herum an den Rest getackert worden. Noch erstaunlicher war aber, was man auf Seite 54 zu lesen bekam. Da wird der passionierte Läufer Gerd Papcke porträtiert, es geht um frühere Läufe, seine Glückzahl 33 ... und dann kommt wortwörtlich folgende Passage:
“Das Geburtsjahr ist seine Glückszahl. Gerd Papcke erblickte am 20.1.1933 in Berlin das Licht der Welt. Zehn Tage später wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt und im Mai brannten bereits Bücher für den Sieg.”
Ging ja ziemlich gut los, dieses Jahr 1933 für Herrn Papcke. Erst die eigene Geburt, kurz darauf Hitler und gleich noch die Bücherverbrennung. Der erstaunliche Zusammenhang “Glückszahl - Papcke - Hitler - bereits - Bücherverbrennung - Sieg” und, äh, Marathon, wird jedoch auch nach mehrmaligem Lesen nicht rerstlos deutlich. Vermutlich wurde der Text während eines anstrengenden Triathlons von einem Ohne-Gehirn-Jogger verfasst, der in der Schule jede einzelne Stunde Geschichtsunterricht geschwänzt hat. Und dann wurde der Text von niemandem mehr gelesen.
Aber wie ging es weiter mit Gerd Papcke, nachdem in seinem 5. Lebensmonat “Bücher für den Sieg” (beim Marathon?) verbrannt worden waren? Das Heft verrät es uns mit den direkt darauf folgenden Sätzen:
“Er erlebte den Krieg mitten in der Hauptstadt. Er wurde ausgebombt, verlor mit 12 Jahren Vater und Mutter, floh in die Nähe von Schwerin und später vor den Russen in den Westen. Der 74-Jährige hält fest an der Geschichte, dem Schicksal und dem Glück überlebt zu haben. Zu seinem 60. Geburtstag trug er 1993 beim Marathon mit Stolz die Startnummer 1933 durch die Straßen der einst zerstörten Hauptstadt.”
Und von da an geht es nur noch ums Laufen. Ein Meisterwerk. Da machen sich kluge und weniger kluge Menschen seit Jahrzehnten Gedanken, wann man wohl endlich einen “Schlusstrich” unter die deutsche Vergangenheit ziehen und das ganze Thema etwas lockerer, selbstverständlicher sehen kann - und dann kommt einfach so ein Marathonmagazin daher und beweist, dass die Wirklichkeit alle Debatten längst überholt hat. Hitler, Bücherverbrennung, Startnummer 1933 – Hey! Ein deutsches Leben! Und wenn er nicht gestorben ist, dann läuft Gerd Papcke immer noch und hält dabei an der Geschichte und dem Schicksal fest.
Ausgerechnet in Köln allerdings ist er offenbar nicht gelaufen. Oder nicht angekommen. In der Online-Datenbank des Marathons ist Gerd Papcke jedenfalls nicht zu finden. Vielleicht ist er ja vor Scham zu Hause geblieben, nachdem er das Heft mit dem falsch herum angetackerten Umschlagblatt und dem vollidiotischen Text über sich selbst im Briefkasten gefunden hat.