Thilo Schneider / 09.02.2018 / 06:25 / Foto: Ralf Roletschek / 40 / Seite ausdrucken

Hinterm Horizont gehts weiter

Seit dieser Woche ist die Berliner Mauer genauso lange verschwunden, wie sie bestanden hat. Das war den Medien eine kurze, augenzwinkernde Bemerkung wert, verbunden mit melancholischen Rückblenden, wie schön das doch war. Auf der Mauer. Mit Mauer- und Sektschluckspechten. Mit der Euphorie, mit der sich Ost- und Westdeutsche in die Arme gefallen sind. Hier die kapitalistische Bundesrepublik, dort die sozialistische DDR, endlich vereint in einem Land, in Deutschland. Das den Namen „demokratisch“ nicht im Namen führen musste, weil es demokratisch war.

Ich habe mich damals, mit 23 Lenzen, unheimlich gefreut, dass der Sozialismus verloren hat, dass Menschen friedlich ihre Freiheit erkämpft haben, dass sich der real existierende Konsumismus gegen den Kommunismus durchgesetzt hat. Pustekuchen.

Heute, im Deutschland einig Vater- und Mutter- und Drittes Geschlecht-Land, „kämpfen“ wir gegeneinander mit verkehrten Fronten. Die alte BRD, die Westseite Deutschlands, hat sich zu einer linken breiigen Masse verwandelt, in der die meisten Bürger sich halb-links, links, ganz links und sehr ganz links verortet haben, und so wählen sie dann auch.

Buntland gegen Dunkeldeutschland

Der „Wessi“ erklärt heute dem „Ossi“ die Welt und erzählt ihm, was er darf und nicht darf. Vegan ist gut, Rauchen ist böse. Geschwindigkeits-Begrenzungen sind ökologisch sinnvoll, SUV Ausdruck von Protz und mangelndem Umweltbewusstsein. Einwanderer sind lieb, Nicht-Einwanderer Nazis. Habenichtse aus Barbaristan sind eine Bereicherung, wem’s nicht gefällt, ist deutschtümelnd und dumpf. Heute ist Buntland gegen Dunkeldeutschland.

Das Buntland hat das moralische Heft in der Hand und das Gute auf seiner Seite. Demokratie bedeutet heute in den gebrauchten Bundesländern, mit kleineren Nuancen einer mehr oder weniger linken Meinung zu sein. Es sind die „Dunkeldeutschen“, die den hellrotdeutschen Brei versauen und in den Malventee spucken. Und das seit 1990.

Warum ist das so? Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Sieht man sich eine Karte mit den jeweils höchsten Wahlergebnissen der Parteien an („Hochburgkarte“), so zeichnen die Ergebnisse von Linke, AfD und NPD ziemlich exakt den Grenzverlauf von BRD und DDR nach. Wählt der Osten extremer?

Ich glaube eher, dass man jenseits der Elbe Demokratie und Freiheit viel stärker begriffen hat als in München, Hamburg, Wanne-Eickel oder West-Berlin. Der Wähler im Osten wird von den Politikern mehr gefürchtet als der Wähler im Westen, wo bräsig und stur 30 Jahre lang die gleiche Partei gewählt wird, sofern der Bundeskanzler sein Mandat nicht als „Amt auf Lebenszeit“ interpretiert. Da können dann auch ein Versager oder Hosenanzug ganz vorne stehen, wie SPD und Union bei den letzten beiden Wahlen eindrucksvoll bewiesen haben.

Politik hat dem Volk zu dienen – und nicht umgekehrt

Der hundsgemeine Ossi hat begriffen, dass Wahlen und aktives Bürgerengagement, sei es in Vereinen oder auf der Straße, sehr wohl so viel verändern können, dass sie bestenfalls sogar ein komplettes System umstürzen. Ohne, dass die ehemalige Nomenklatura „Unter den Linden“ an Laternenpfählen baumelt.

Für Wessis und ihre Politiker ist das eine grauenhafte Vorstellung. Weil es vielleicht in 40 Jahren DDR anders war, interpretieren die Ostdeutschen Politik so, dass diese dem Volk zu dienen hat und nicht umgekehrt. Und sie strafen gnadenlos jede Partei ab, von der sie sich verlassen oder enttäuscht fühlen. So, wie das übrigens in einer Demokratie tatsächlich sein sollte.

Das mag auch damit einhergehen, dass sich die Bewohner zwischen Rostock und Zittau trotz aller Widrigkeiten des alten DDR-Regimes eigene Existenzen aufgebaut haben („’s gab ja nüscht“), während im Westen heute hauptsächlich Leute zur Urne gehen, die die Annehmlichkeiten ihres Lebens nicht selbst erkämpft, sondern von Eltern und Großeltern vererbt bekamen.

Die übrigens wiederum ebenfalls aus einer Diktatur und Trümmerfeldern kamen und auch gerade deshalb demokratischer waren, als es ihre Enkel und Urenkel heute sind. Die Wahlbeteiligungen von hart an die 90 Prozent oder darüber bis in die 80er Jahre hinein sprechen da eine klare Sprache. Die Demonstrationen der damaligen Zeit gegen Startbahn West, Atomkraft und Aufrüstung übrigens auch.

Anders formuliert: Dem Westen wurde die Demokratie geschenkt, der Osten musste sie sich gegen harte Widerstände erkämpfen. Und was man aus eigener Leistung erhalten hat, behandelt man achtsamer, als wenn es einem in den Schoß gelegt wird (deswegen sind selbst ausgehandelte Gehaltserhöhungen auch motivierender als jeder Tarifabschluss).

Daher lässt sich rückblickend sagen, dass uns der Mauerfall im Osten ein Mehr und im Westen ein Weniger an Demokratie beschert hat. Und wer wirklich etwas in der Politik verändern will – der sollte von den Dresdnern, Leipzigern und Rostockern lernen. Und von Willy Brandt, der „mehr Demokratie wagen“ wollte. Geht auf die Straße und macht den Mund auf. Keine Sorge – es wird nicht geschossen. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Dirk Jungnickel / 09.02.2018

Selbstverständlich sind ehemalige “DDR” - Insassen sensibler in Sachen Demokratieabbau, als der “Wessi” im Allgemeinen. Wer im sozialistischen Mief lebte und sich nach frischer Luft sehnte, hat nun mal ein besseres Gespür für Luftverschmutzung. Trotzdem empfinde ich den Beitrag als arg schwarz - weiß gefärbt, und ich befürchte, dass Derartige eher die noch zu überwindenen Gräben vertieft.

Rüdiger Hoffmann / 09.02.2018

Da ich selbst 1985 dem real existierenden Sozialismus entronnen war, mithin also beide Seiten gut kenne, kann ich dieser Analyse zu 100% zustimmen. Herr Schneider, vielen Dank dafür. Ich hätte das früher nie für möglich gehalten, was mittlerweile im “hellen Deutschland” abgeht. Ich bin im Herzen ein Dunkeldeutscher geblieben und gebe die Hoffnung nicht auf, dass diese sich vermehren mögen.

M. Panhans / 09.02.2018

Schöner Beitrag, sehe ich ähnlich bzw. genauso. Eine Anmerkung sei dennoch gestattet: Hoffentlich behalten Sie mit Ihrem letzten Satz ( zumindest recht lange ) Recht.

Martin Landvoigt / 09.02.2018

Ich fand Joachim Gauck richtig gut. Sein Thema von Freiheit und Verantwortung halte ich immer noch für wichtig. Gerade, wenn der Wert der Freiheit zu verblassen erscheint. Als er dann mit Begriffen wie Dunkeldeutschland um sich warf, war ich bodenlos enttäuscht. Die markiert den Riss der Gesellschaft und den Beginn, seit man das Bekämpfen der Opposition zum Staatsziel erklärte, auf dem ständig und in allen Medienkanälen geschossen wird.

Belo Zibé / 09.02.2018

»Daher lässt sich rückblickend sagen, dass uns der Mauerfall im Osten ein Mehr und im Westen ein Weniger an Demokratie beschert hat. »  Das mag aber auch daran liegen, dass bekannte und unbekannte Teile des alten DDR Regimes die ersten waren,die sich im Westen niederliessen.Einige um ihren sozialistischen Lebensabend unangetastet u.a am Tegernsee oder Baden-Baden zu verbringen.Andere suchten sich schnell politische Betätigungsfelder,die die Möglichkeit boten hinübergerettetes sozialistisches Gedankengut einzupflanzen. Anscheinend werden mit den nun reifen Früchten auch die Gärtner sichtbar.

Detlef Dechant / 09.02.2018

Es ist in unserer Demokratie genauso, wie in der Wirtschaft: Eine Generation baut auf, die zweite bewahrt und verwaltet und die dritte bringt das Vermögen durch. So wie alte Familiendynastien verschwanden, so verschwinden in der Bundesrepublik Freiheit, Verantwortlichkeit und Volksvermögen aufgrund der Mehrheit der westlichen dritten demokratischen Generation. Traurug dabei ist für die “Ossis” nur, dass eine ehemalige aus ihren Reihen, DDR-sozialistisch-sozialisiert, dabei auch noch die “Führer”-Schaft übernimmt.

Herbert Müller / 09.02.2018

Die Wessis sind satt und deshalb träge geworden. Sie wollen sich keine Gedanken darüber machen, wohin die Reise mit der GroKo geht. Unangenehme Entwicklungen, die eigentlich für jeden ersichtlich sind, werden nicht zur Kenntnis genommen oder weg gelogen. Man will sein Ruhe haben und hofft, dass alles doch irgendwie gut ausgeht, und sich in der neuen wunderbaren bunten, vielfältigen Multi-Kultiwelt ein neues Reich der Friedens und der absoluten Toleranz einstellen wird. Es wird es aber nicht. Das Erwachen wird grausam sein.

Jürgen Schnerr / 09.02.2018

Hallo Herr Schneider, eines muss man Ihnen lassen, die Schwankungsbreite Ihrer Artikel ist unheimlich groß! Sie merken es ja sicher selbst an der Zahl der Zuschriften, dass Artikel wie “Im AfD-Bunker…” nicht jedermans Geschmack waren. Aber so ist Meinungsvielfalt, man muss und kann sie aushalten. Dieser Artikel hier über die Unterschiede zwischen Ost und West hat mir als Ossi wieder besser gefallen. Viele von hier haben, nicht nur aber speziell in ihrem politischen Leben schon was geleistet, wo bei den Westlern in ihrer Biografie ein weißer Fleck ist. Nämlich einen Obrigkeitsstaat zu Fall gebracht. Da wir aber damit die schöne sozialistische Illusion für viele Grün-Linke im Westen zerstört haben, fremdeln diese seit 1990 mit uns. Sie haben lieber Mao, Ho, Che u.a. hochleben lassen und jetzt eine Ex-FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Für uns haben sie nur, sich immer weiter verstärkende Begriffe wie Jammer-Ossis, Ewig Gestrige, Dunkeldeutsche und Nazis übrig. Ich verhehle nicht, dass ich am politischen Sachverstand vieler im Westen schon länger stark zweifle, auch wenn im Osten eine kleine Schar, meist Ex-SED/-Stasi-Leute, dabei fleißig mittrommelt. Zur Vertiefung dieses Themas empfehle ich allen den kürzlich in der NZZ erschienen Artikel “Der Tag, an dem ich Ostdeutscher wurde”.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thilo Schneider / 30.01.2024 / 16:00 / 20

Jahrestag: Die Schlacht von Stalingrad geht zu Ende

Heute vor 81 Jahren ernannte Hitler General Paulus, der mit seiner 6. Armee in Stalingrad dem Ende entgegensah, zum Generalfeldmarschall. Denn deutsche Generalfeldmarschälle ergaben sich…/ mehr

Thilo Schneider / 26.01.2024 / 16:00 / 20

Anleitung zum Systemwechsel

Ein echter demokratischer Systemwechsel müsste her. Aber wie könnte der aussehen? Bei den Ampel-Parteien herrscht mittlerweile echte Panik angesichts der Umfragewerte der AfD. Sollte diese…/ mehr

Thilo Schneider / 18.01.2024 / 16:00 / 25

Neuer Pass für einen schon länger hier Lebenden

Ich will einen neuen Reisepass beantragen. Doch um ihn zu bekommen, soll ich den abgelaufenen mitbringen, ebenso meine Heiratsurkunde und Geburtsurkunde. Warum muss ich mich…/ mehr

Thilo Schneider / 16.01.2024 / 15:00 / 73

Zastrow-FDP-Austritt: „Ich will den Leuten noch in die Augen schauen können“

Holger Zastrow, Ex-Bundesvize der FDP, kündigt. In seiner Austrittserklärung schreibt er: „Als jemand, der in der Öffentlichkeit steht und durch seinen Beruf mit sehr vielen…/ mehr

Thilo Schneider / 11.01.2024 / 14:00 / 64

Was würden Neuwahlen bringen?

Kein Zweifel, die Ampel hat fertig. „Neuwahlen!“ schallt es durchs Land, aber was würden die angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse bringen, so lange die „Brandmauer“ steht…/ mehr

Thilo Schneider / 10.01.2024 / 14:00 / 35

Das rot-grüne Herz ist verletzt

Die Leute begehren auf, vorneweg die Bauern. Es wird viel geweint. In Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. Aus Angst. Aus Angst, von den Futtertrögen des…/ mehr

Thilo Schneider / 24.12.2023 / 12:00 / 25

Meine Agnostiker-Weihnacht

Herrgottnochmal, ich feiere tatsächlich Weihnachten. Wenn es doch aber für mich als Agnostiker eigentlich „nichts zu feiern gibt“ – warum feiere ich dann? Die Geschichte…/ mehr

Thilo Schneider / 02.12.2023 / 12:00 / 15

Jahrestag: High Noon bei Austerlitz

In der auch „Drei-Kaiser-Schlacht“ genannten Schlacht in Mähren besiegt Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1805, genau ein Jahr nach seiner Kaiserkrönung, eine Allianz aus österreichischen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com