Präsident Macron nutzt das gleißende Licht der „Spiele von Paris“, um in der Dunkelkammer der Macht eine Regierung seiner Wahl zu bilden.
Seitdem Adolf Hitler die „Spiele von Berlin“ nicht nur für eröffnet erklärte, sondern auch zur Selbstdarstellung seines Regimes medial instrumentalisierte, ist jedes Gastgeberland der Versuchung ausgesetzt, Olympische Spiele – Wettkampf der Nationen – zu einer großen Werbeshow für das eigene Land zu machen.
Regime, die wackelig sind – dazu gehört das Präsidialregime von Emanuel Macron, dessen Unbeliebtheit anhält – sehen sportliche Großereignisse als schlechthin die Möglichkeit an, um von den Problemen ihres Landes abzulenken. Also Brot und Spiele nicht nur für die eigene Bevölkerung, sondern für die internationale Öffentlichkeit, die medial zugeschaltet ist und dem Megaevent gefällig Beifall klatscht.
Im Übrigen ist es keine Überraschung, wie sich Frankreich in Szene zu setzen weiß. Wer die Illumination von Paris zu Normalzeiten miterlebt, weiß um die Kunst der Pariser Eventstylisten. Groß, größer, französisch: ein ästhetisch chauvinistisches Delirium vor den Augen der Welt, präsidiert von einem jungen, strahlenden Präsidenten, der seine, nur noch eine geschäftsführend im Amt befindliche, Regierung nahezu versteckt und hofft, unbeobachtet eine Regierung seines Gustos zusammenzustellen.
Die Zeit arbeitet für Macron
Dieses Kalkül verbindet sich nicht nur mit dem Marketing-Genie von Macron, sondern auch mit der berechtigten Hoffnung, dass nach vielen Medaillen für die französische Mannschaft ein Durchatmen die Grande Nation erfasst und von Macron zur Akklamation für sein Regime genutzt werden kann. Die Zeit arbeitet im Übrigen für ihn.
Kaum war die sogenannte neue Volksfront trotz ihrer Heterogenität als numerische Siegerin aus der Wahl hervorgegangen, zeigte sie ihre Zwietracht. Es bedurfte nicht mal der Sticheleien des Präsidenten, um der französischen Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass sich diese Formation nicht auf einen Kandidaten für das Amt des Premierministers einigen kann. Der Vorschlag einer 37-jährigen links-affinen Beamtin war nicht nur der geringste gemeinsame Nenner, sondern auch ein Armutszeugnis. Soll allen Ernstes eine junge Beamtin – völliger Neuling in der Politik – die Regierungsgeschäfte in Frankreich übernehmen?
Spätestens in der zweiten Hälfte August, nach Ende der Spiele, muss Macron seine Konsultation abschließen und mit einem Kandidaten aufkreuzen, der sich von der Le Pen-Bewegung genauso wie von der neuen Volksfront hinreichend abgrenzt und dennoch eine Mehrheit im Parlament findet.
Der alt gediente Zentrist Francois Bayrou scharrt schon mit den Hufen und hofft auf eine letzte bedeutende Verwendung. An anderen Kandidaten wird es nicht fehlen, dazu ist der Ehrgeiz französischer Politiker zu ausgeprägt. Ob und wie lange eine solche Regierung halten wird, bleibt jedoch die große Frage. Verfassungsrechtlich steht Frankreich vor einem Experiment.
Vielleicht hat Macron das Chaos schon einkalkuliert, denn nach Art. 16 der französischen Verfassung bleibt er bei inneren und äußeren Bedrohungen befugt, den Ausnahmezustand* auszurufen. Dann wäre er – noch dazu legal – ein kommissarischer Diktator.
*Vergleiche hierzu Kerber, Der allgegenwärtige Ausnahmezustand, Der Staat, 1996
Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gründer von http://www.europolis-online.org. Buchpublikation: Markus C. Kerber, Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage, Edition Europolis 2. Auflage