Thilo Schneider / 18.11.2019 / 16:30 / Foto: Timo Raab / 31 / Seite ausdrucken

Hilfe, sie glauben mir!

Es ist manchmal wirklich erstaunlich, und ich stehe wie ein Kind mit offenem Mund vor meinen eigenen Beiträgen und den Reaktionen darauf. Da schreibe ich eine hübsche kleine sonntägliche Satire über die Ausfragerei der Versicherer, und die Hälfte der Leser fragt sich, ob das nun „erfunden oder echt“ sei. 

Ich will natürlich nicht relotieren und Fake-News produzieren, daher die ganz nüchterne Antwort: Die Frage nach einer Parteimitgliedschaft zur Berechnung einer KFZ-Versicherung war freier erfunden als die Behauptung, es kämen lediglich Facharbeiter und Familien mit Kindern nach Deutschland. Allerdings hat das mit dem Unfall, dem Kuli und der Zwischenablage – vulgo Mittelkonsole – gestimmt. Auch, wenn der Kuli in Wahrheit vom Sheraton in Frankfurt war. Ich habe extra nochmal nachgeschaut. Und der lag da, weil ich da auf einem Seminar war und bei Seminaren immer die Kulis mitnehme. Dafür sind sie ja da und wenn der Schatz mich rauswirft und ich nicht weiß, wo ich übernachten soll, dann bin ich froh, den Kuli quasi als Anregung im Renno zu haben.  

Das eigentliche Hauptproblem ist aber, wie tief das Misstrauen gegen den Staat und die anderen gesellschaftlichen Player wie Industrie, Handel, Banken und Versicherungen, ja sogar gegenüber dem eigenen Arbeitgeber mittlerweile sitzt. Und tatsächlich mache ich die Erfahrung ja selbst: Was ich vor zehn bis zwei Jahren noch als Satire schrieb, ist heute bereits schlimmerweise anerkannte und abgenickte Realität. Ich kann mir gar nicht so viel ausdenken wie das, was die Gehirnentkernten jeglicher Couleur jeden Tag fabrizieren und womit sie ihre Mitmenschen wenigstens nerven, wenn nicht gleich komplett terrorisieren.  

„Den Opfern von Krieg und Verschissmuss“

Nehmen wir Facebook: Wer die Begriffe „Neger“ oder „Zigeuner“ in ein Posting schreibt, ist schneller gesperrt, als er „Zigeunerbaron“ sagen kann. Egal, in welchem Zusammenhang er das tut und ob das nun ein Zitat ist oder nicht. Ein Palindrom wie „Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie“ ist heute vor den Wächtern der asozialen Plattform nicht mehr ein sprachliches Experiment, sondern eine „gefährdende Beleidigung“. Es muss korrekt „Bewohnender des schwarzafrikanischen Kontinents in Begleitung eines kontinenttypischen Huftiers, der selbst bei durch die Klimaveränderung verursachtem Niederschlag nicht seinen Optimismus und seine Hoffnung auf ein besseres Leben verliert“ heißen. Das ist kein Spaß, sondern im Jahr 2019 gelebte deutsche Realität, wie nicht nur ich erfahren durfte. „Eine Horde bedrohe nie“, kann ich da nur sagen. 

Nehmen wir die SPD Mülheim-Ruhr, die am Volkstrauertag einen Kranz mit der Aufschrift „Den Opfern von Krieg und Verschissmuss“ ablegte. Auf so eine Idee wäre ich gar nicht gekommen. Die SPD übrigens auch nicht. Entweder gab es da einen intelligenten Scherzkeks, der die Schlüsselworte  „Faschismus“ und „Ruhr“ nicht richtig verstand, aber in einen logischen Kontext bringen wollte, oder eben ein Opfer der Bildungspolitik in NRW, der im „Schreiben nach Gehör“ trainiert war und stumpf gesetzt hat, was er hörte. Das Gelächter war natürlich groß und die SPD hat den Teil mit dem „Verschissmuss“ von der Schleife geschnitten. Übrigens recht ordentlich. Was zeigt, dass die SPD durchaus auch in der Lage ist, gut abzuschneiden, wenn sie muss. 

Aber neben dem Witz ist doch der eigentliche Skandal, dass der Kranz überhaupt so lieblos abgeworfen wurde. Angeblich hat die SPD Mülheim-Ruhr den Kranz per Telefax bestellt (he, SPD, wie haben 2019 – warum habt Ihr nicht so fortschrittliche Kommunikationsmittel wie Telegramme oder Brieftauben genutzt?) und liefern und aufhängen lassen. Offensichtlich war bei dem so würde- und ehrenvollen Gedenken an alle Opfer von Krieg und Faschismus kein einziges Mitglied der SPD Mülheim-Ruhr vor Ort und hat eingegriffen. Oder war des verstehenden Lesens unfähig. Oder hatte keine Ahnung, wie sich „Faschismus“ schreibt.

Das ist doch der eigentlich erschütternde Punkt. So geht Gedenken heute: „Lasst uns den blöden Kranz bestellen und von der Gärtnerei aufhängen. Beim dem Scheißwetter geht doch eh niemand raus.“ Und jetzt hat die Partei der Unterbemittelten und Minderprivilegierten (ja, das Wortspiel ist bewusst so gesetzt) einen Anwalt eingeschaltet, der den lustigen Saboteur finden und bestrafen soll. Weil es nicht sein kann, dass hier ein kompletter Kreisverband massenversagt hat. Wundere eigentlich nur ich mich, dass sich derartige Gedenkenträger noch weniger um die Lebenden als um die Toten kümmern? Und nein – so etwas Fieses kann ich mir nicht ausdenken. Ich warte jetzt nur noch darauf, dass Willy Brandt wiederaufersteht und sämtliche Mitglieder der SPD Mülheim-Ruhr abschellt. Und die Grinsegedenkkatze Eva Högl gleich mit. 

Stichwort ewige Nachtruhe: Laut der BZ-Berlin hat sich Elke Breitenbach (Linke) gegen den Berliner Innensenator Geisel (SPD) durchgesetzt. Abschiebungen sich illegal aufhaltender Ausländer kann die Polizei künftig nur noch zwischen 6 und 21 Uhr durchsetzen. Alles andere wären sozusagen unchristliche Zeiten. Die Elke hat sich zuvor schon durch andere lustige Einfälle einen Namen gemacht. So darf die Polizei zwecks Abschiebungen nicht mehr so einfach in ein Flüchtlingsheim „eindringen“, und wenn sie es doch tut, darf sie zwecks „Wahrung der Privatsphäre“ nur das Zimmer des Transpiranten durchsuchen, in dem er übernächtigt. Wenn der in-Zukunft-Reisende sich in einem anderen Zimmer oder auf der Toilette aufhält, dann hat die Polizei Pech gehabt.

In der gleichen Stadt, in der sich sicherheitsverwahrte Sexualverbrecher und Gewalttäter demnächst im „offenen Vollzug“ vor dem Kindergarten aufklappen dürfen und in der es Drogendealerzonen neben dem Drogendealerdenkmal gibt und in der ein nicht nutzbares „integriertes Gesundheits- und Sozialzentrum“ (auf Deutsch: Fixerstube) für rund 5.000 € monatlich angemietet wird, diskutieren sie übrigens darüber, ob bei „Verstoß gegen die Leinenpflicht“ „härter durchgegriffen“ werden soll… Nein, so einen Schwachsinn in einer Stadt voller offensichtlich Schwachsinnigen kann ich mir nicht ausdenken.

Wir schreiben das Jahr Dreißig nach Mauerfall. Und ich wünsche mir so sehr, dass Berlin endlich wieder eine Mauer bekommt. Drum herum. Als „geschlossene Anstalt“. Deswegen kann ich auch niemandem wirklich böse sein, der meine Satire für wahr gehalten hat. Ich liege zu dicht an der Realität. Und wir reden in zwei Jahren noch einmal darüber. 

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Foto: Timo Raab

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A. Ostrovsky / 18.11.2019

Das Beispiel mit dem Verschiss zeigt nur, dass die Komminikationsmittel an der Ruhr noch langsamer sind. Bis voriges Jahr gab es die Richtlinie, dass im Kreisvorstand mehrfach Behinderte bevorzugt werden, also z. B. blinde Legastheniker mit Schüttellähmung. Heute lautet aber die Richtlinie: Kandidaten des nicht-femalen Geschlechts dürfen nur kandidieren, wenn sie im Doppelgespann mit einer femalen Mitglieder*in vor den Karren gespannt werden. So hat ja Olaf endlich die Frau vom Sender Gleiwitz gefunden, weil die nicht schnell genug auf dem Baum war. Der blinde Legastheniker mit Schüttellähmung, der fernschriftlich, vermutlich über ein mündlich diktiertes Telegramm, den Kranz bestellt hat, beweist doch nur das Beharrungsvermögen der SPD. Mal angenommen, die hätten noch einen (m/w/d), der*in den Schuss nicht hört, wäre das doch das Erfolgsteam*innen.

R. Lichti / 18.11.2019

Der neu kreierte Begriff des “Verschissmus” (an die aktuelle Rechtschreibung angepasst) kann doch als Sammelbegriff für die ganzen -ismen herhalten, mit denen die SPD es sich bei ihrer ursprünglichen Wählerschaft verschissen hat: Sozialismus, Kommunismus, Antifaschismus, Antipopulismus, Klimatismus, Aktivismus, .....  .  //  Ganz sicher sind dem Werktätigen, der sich bemüht hat das unleserliche Fax zu entziffern, in dieser Situation solche Gedanken durch den Kopf gegangen und er auch noch den Absender gesehen hat. Bestimmt kam es dadurch zu dieser letztendlich treffenden Übersprungsshandlung!  //  Die SPD sollte das Beste daraus machen und sich den Begriff schützen lassen.

Sepp Kneip / 18.11.2019

“Und ich wünsche mir so sehr, dass Berlin endlich wieder eine Mauer bekommt. Drum herum. Als „geschlossene Anstalt“. Es würde schon reichen, wenn je eine Mauer ums Bundeskanzleramt und dem roten Rahaus gezogen würde. Wenn alle drinnen sind. Ein- und ausbruchsicher. Für die Insassen nur Wasser und Brot.

Jörg Themlitz / 18.11.2019

Na ja, ich hab Höllenhausen in mein Navi eingegeben und stand eine Stunde später vor der SPD Parteizentrale. Da war ich mir dann wegen dem Wahrheitsgehalt der Geschichte etwas unsicher. Übrigens ist nicht Neger (vor ca. 20 Jahren als das DDR Fernsehen 2.0 noch ZDF hieß, hat das “Unser Lehrer Dr. Specht” ausführlich erklärt) sondern Schwarzafrika der Rassismusbegriff. Wieso wird ein Kontinent der von unten und oben (Satellit) grün und gelb aussieht, als schwarz bezeichnet? Weil dort Schwarze leben? Oder sind die in der Mehrheit braun? Dann müsste es ja Braunafrika heißen. Oder wie jetzt? Und hat Frau AKK die Bundeswehr in Alarmbereitschaft versetzt, weil wir in Thailand Weissnasen genannt werden?

Alex Micham / 18.11.2019

Warum hätte das jemand nicht für bare Münze nehmen sollen? Die Realität satirisch noch zu toppen ist ein hartes Brot.

Frank Stricker / 18.11.2019

Gut in Form unser Herr Schneider ! Maximal pigmentierte Drogendealer aus dem südlichsten deutschen Bundesland , Zentralafrika, müssen bis jetzt jedenfalls keine Leinenpflicht oder sonstige Einschränkungen befürchten. Im Gegenteil , ihnen wurde sogar im “Görli” ein Denkmal gesetzt , der “unbekannte (Soldat) Drogendealer ! Bei soviel (schwarzem) Humor freut sich sogar die grüne Bürgermeisterin Monika Herrmann aus Kreuzberg , “Dealen und Dealen lassen”...…….

Thorsten Schmidt / 18.11.2019

Um Mißverständnissen vorzubeugen, sollte Satire auch als Satire gekennzeichnet werden. Oder sind Ihre Beiträge immer Satire? Ich frage, denn ich lese sie in den seltensten Fällen, weil der Erfahrung nach meist mit wenig Erkenntnisgewinn.

Ernst Dinkel / 18.11.2019

Gestern kloppte Baerbock bei “Anne Will” ihr Geheimrezept für erfolgreiche Politik dem geneigten TV-Zuschauer vor die Füße: “Das ist die Stärke von Politik, zu sagen, haben wir nicht so gemeint!” Früher nannte man das: “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern!” Spätestens da begann in der Sendung der grüne Comedy-Teil. Die durchsetzungsfähige Dame mit der schneidenden Stimme hat doch tatsächlich noch den Kobold getoppt.

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