Eigentlich wollte der Senat der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim noch ein für Mitte November angekündigtes externes Gutachten abwarten, das endgültig Aufschluss darüber geben sollte, inwieweit das jahrelang an der HAWK angebotene und zuletzt heftig in die öffentliche Kritik gerateneSeminar zur „Sozialen Lage der Jugendlichen in Palästina“ durch antisemitische Inhalte geprägt war. Dann aber zog er doch vorzeitig die Reißleine: Weil bereits jetzt davon auszugehen sei, „dass in dieser Veranstaltung wissenschaftliche Standards nicht eingehalten wurden“, und er überdies den Eindruck gewonnen habe, dass das diesbezügliche Krisenmanagement der Hochschulpräsidentin Christiane Dienel der HAWK schade und „die dadurch entstandenen Verwerfungen nicht mehr von der amtierenden Präsidentin behoben werden können“, beschloss der Senat, seine im Mai dieses Jahres ausgesprochene Empfehlung zur Wiederernennung von Dienel zu widerrufen. Damit zog er die personelle Konsequenz aus einer Angelegenheit, die monatelang überregionale, ja, internationale Schlagzeilen hervorgerufen und eine noch viel längere Vorgeschichte hatte.
Die Überschreitung der Grenze zum Antisemitismus muss kein Antisemitismus sein
Christiane Dienel selbst hatte einen Rücktritt stets ausgeschlossen und konnte noch in ihrer Presseerklärung zum Beschluss des Senats nicht verstehen, warum sie nun zur Rechenschaft gezogen wird. „Mit der Autorität meines Amtes und meiner Person habe ich die Hochschule und die Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit gegen Vorwürfe in Schutz genommen, deren wesentlicher Kern nach wie vor ungeklärt ist – nämlich die Frage, inwieweit die Verwendung von israelkritischen, in Einzelfällen auch die Grenze zum Antisemitismus überschreitenden Materialien im Rahmen des Moduls den Vorwurf des Antisemitismus gegen das gesamte Seminar rechtfertigt“, schrieb sie. Zudem habe sie sich bemüht, „Versachlichung in eine zunehmend emotional entglittene und von schlimmsten Formen der Diffamierung begleitete Auseinandersetzung zu bringen“. Sie habe jedoch „eine von Furcht und Verantwortungslosigkeit geprägte Reaktion fast aller Beteiligten“ erleben müssen und eine „Fokussierung des Konflikts auf meinen Kopf“ wahrgenommen, wodurch die Verantwortung anderer aus dem Blick geraten sei.
Obskure Quellen und krude Verchwörungstheorien
Wollte man es zurückhaltend formulieren, dann könnte man konstatieren, dass es offenkundig einen nicht unerheblichen Unterschied zwischen der Selbstwahrnehmung der Hochschulpräsidentin und ihrer Fremdwahrnehmung gibt. Weniger freundlich ausgedrückt ließe sich feststellen, dass Christiane Dienel noch im Moment ihres Abgangs so uneinsichtig und bockbeinig aufgetreten ist wie in der gesamten Zeit, seitdem öffentlich wurde, dass an der HAWK eine Dozentin in ihrem Seminar über Jahre hinweg uneingeschränkt Antisemitismus verbreiten durfte. Der „wesentliche Kern“ der „Vorwürfe“ gegenüber der Hochschule ist nämlich keineswegs „nach wie vor ungeklärt“, wie Dienel es in ihrem nicht nur sprachlich bisweilen eigentümlich anmutenden Statement behauptet: Die Seminarmaterialien der Lehrerin Ibtissam Köhler – die MENA-Watchvorliegen – überschritten nachweislich nicht nur in Einzelfällen die Grenze zum Antisemitismus, sondern durchweg. Israel wurde darin als Terror-, Folter- und Apartheidstaat sowie als „entmenschlichte Gesellschaft“ bezeichnet, des „Organraubs“ bezichtigt und „ethnischer Säuberungen“ angeklagt, der Terror der Palästinenser dagegen in ein äußerst mildes Licht getaucht. Hinzu kamen allerlei obskure Quellen und krude Verschwörungstheorien. Hier geht es weiter.