Die guten Geister der Grünen sind gegangen, nun herrscht da ein übellauniger Ungeist. Ich sage das keineswegs mit Triumph im Unterton, sondern mit Bedauern und mit einem Tropfen Trauer.
Ich war dabei. Es war im Jahr 1983. Da war ein echter Aufbruch spürbar und mit bloßen Händen zu greifen. Die Grünen hatten sich als neue Kraft auf der politischen Bühne gemeldet und hatten die guten Geister aus Kultur, Kunst und Kompetenz auf ihrer Seite – Berühmtheiten wie Böll, Beuys und Biermann. Udo Lindenberg, Gianna Nannini und Rio Reiser traten für die „Grüne Raupe“ ins Rampenlicht, einem Musik-Festival auf Achse (siehe Poster), bei dem aktuelle Stimmen aus der grünen Politik und die neuen Töne aus der populären Kultur gemeinsam ein buntes Programm gestalteten.
Für die Tour in Baden-Württemberg hatte ich mir extra einen dunklen Anzug besorgt, damit man mich schon auf den ersten Blick von den Künstlern und den Rednern in selbstgestrickten Pullovern unterscheiden konnte. Ich sollte der Moderator sein. Die Künstler kannte ich schon, nun lernte ich auch die Politiker kennen und habe Joschka Fischer als charismatischen Redner erlebt und andere Stars aus der politischen Welt – wie etwa Otto Schily – anmoderiert.
Leider hatte Petra Kelly absagen müssen, weil ihr das im Moment alles „viel zu viel“ geworden war, die Belastungen konnte sie, wie sie schrieb, „seelisch und psychisch“ nicht länger verkraften. Zwar hatte ich mich gewundert, dass sie zwei Seelen hatte (besser gesagt: eine Seele und eine Psyche), doch so richtig gewundert habe ich mich auch nicht. Bei mir wohnen schließlich auch zwei Seelen in meiner flachen Brust und ich konnte gut verstehen, dass der Rummel, den der Aufruhr der Grünen mit sich brachte, wie eine Welle über einem zusammenschlagen konnte.
Es war eben schwer was los. Damals. Da tat sich was. Da rührte sich was. Die Grünen hatten den Zeitgeist auf ihrer Seite, den aktuellen Trend, die neueste Mode. Sie hatten Theoretiker wie Antonio Gramsci auf ihrer Seite mit seiner Vorstellung von einer „kulturellen Hegemonie“, bei der Kulturleistungen nicht etwa als bloße Überbau-Produkte zu sehen sind, die sich auf der allem zugrunde liegenden materiellen Basis und in den damit vorgegebenen Bahnen entwickeln, sondern vielmehr als selbstständige Kräfte zu verstehen sind, die der gesellschaftlichen Entwicklung vorausgehen und eine utopische Kraft entfalten können.
Kultur und Politik Hand in Hand
Vielleicht erinnern sich die Älteren unter uns noch: Im Wahlkampf des Jahres 1972 hatte man ein ähnliches Phänomen beobachten können: Damals hatte die SPD bedeutende Künstler und Intellektuelle auf ihrer Seite, Günter Grass war mit einer ihrer berühmtesten Wahlkämpfer. Wer nicht hören und nicht lesen wollte, konnte es mit eigenen Augen sehen: die neuartigen Staeck-Plakate machten auch für Kulturbanausen deutlich, dass es der berühmte „Genosse Trend“ besonders gut mit der SPD meinte. Damals. Das waren noch Zeiten.
Die CDU wiederum blamierte sich, als sie versuchte, die neuen Wahlkampfmethoden zu kopieren. Eine Tournee mit Dieter Thomas Heck und mit beliebten Schlagerstars, die sich für die CDU einspannen ließen, erwies sich als Blamage. Zum Schluss rief Drafi Deutscher, der sich offenbar in der Runde nicht wohl fühlte, ins Publikum: „Alle Willy wählen!“ Nein, das war nichts, die CDU hatte die Musen nicht auf ihrer Seite, die SPD schon. So auch die Grünen im Jahr 1983. So kam es mir jedenfalls vor.
Starke soziale Bewegungen bringen starke Lieder hervor. Denken wir an den jüngst verstorbenen Mikis Theodorakis, an Sergio Ortega und seine Hits Venceremos und El Pueblo Unido, oder an die Nelkenrevolution in Portugal mit der Begleitmusik Grâdula Vila Morena von José (auch Zeca genannt) Afonso oder Cecilia Krull. Nicht immer sind es die Sieger, die die guten Lieder auf ihrer Seite haben. Das meint zumindest Tom Lehrer im Rückblick auf den spanischen Bürgerkrieg:
Remember the war against Franco?
That’s the kind where each of us belongs.
Though he may have won all the battles,
We had all the good songs.
Aber manchmal passt es zusammen: das gute Lied und die gute Sache.
Die alten Musen sind in die Jahre gekommen
Ja, ich weiß: Das sind große Töne. Bei der Grünen Raupe war das ein paar Nummern kleiner, aber immerhin: da war was. Wenigstens etwas. Vor dem Hintergrund wird auch meine Enttäuschung deutlich. Was ist da heute? Nichts.
Die Grünen mögen ein gutes Ergebnis im Wahlkampf einfahren und es erneut zu einer Regierungsbeteiligung bringen, doch sie haben keine guten Lieder mehr auf ihrer Seite, keine guten Geister. Da ist überhaupt kein Geist mehr. Keine Kunst. Keine Kultur. Die Kultur, bei der sie inzwischen angekommen sind, nennt sich Cancel Culture – und das ist keine Kultur, sondern das Gegenteil davon.
Sie haben keine Sprache mehr. Schon deshalb würde heute kein Grass, kein Handtke und auch keine Hertha Müller für sie das Wort ergreifen. Kein Nobelpreisträger und kein Literat mit Niveau würde sich soweit herablassen. Ihnen wäre die Sprachzerstörung, die das Gendern zwangsläufig mit sich bringt, zuwider. Für die Grünen ist es allerdings unverzichtbar. Wie auch ihr Frauenstatut.
Sie haben nichts. Sie können nichts. Sie haben keinen Liedermacher in ihren Reihen, der ihnen ein Lied schreiben könnte, das etwas taugt. Ein Lied, das klingt. Eins, das musikalisch ist. Sie haben niemanden in ihren Reihen, der ihnen einen Songtext schreiben könnte. Deshalb müssen sie sich ersatzweise an der Vergiftung eines beliebten Volksliedes versuchen, bei der als Beurteilung die 3-P-Regelung gilt. Was soll das sein? Parodie? Persiflage? Plagiat?
„Was zu dumm ist, um es auszusprechen, das singt man“
Der Text ist so schlecht, dass mir die Worte fehlen. Es ist das schlechteste Lied, das ich jemals gehört habe, es ist in jeder Hinsicht ungenügend – und ich habe viele Lieder gehört; ich habe unzählige Veranstaltungen besucht und organisiert, habe selbst an ihnen mitgewirkt, habe Kritiken geschrieben, Workshops zum Schreiben von Songtexten geleitet – ich wiederhole: Es ist das schlechteste Lied aller Zeiten. Es ist nicht nur schlecht. Es ist schlimm.
Hier reicht auch die spöttische Bemerkung von Voltaire nicht mehr aus, der gesagt hat: Was zu dumm ist, um es auszusprechen, das singt man. Der Text ist selbst zum Singen zu dumm.
Es fehlt alles: Musikalität, Sprachgefühl, glaubwürdige Aussage und glaubwürdiger Vortrag. Man merkt die Falschheit, die aus allen Ritzen herausquillt. Alle, die daran mitgewirkt haben, sollten sich schämen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen mit dem Ergebnis zufrieden ist, vielleicht sogar stolz darauf ist oder es auch nur ein wenig leiden mag. Da ist nichts, was man mögen kann. Man spürt auch, dass da noch mehr dahinter liegt als Stümperhaftigkeit, Lieblosigkeit und Desinteresse. Da schimmert Verächtlichkeit hindurch, Herablassung und Zerstörungslust.
Habeck und Baerbock – die beiden Stars des Liedes – haben keinerlei Niveau; sie haben keinen Stil, keinen Geschmack, keine Kitschbremse, kein Gespür für Verlogenheit. Wenn sie auch nur geringe Restbestände davon hätten, hätten sie leicht sagen können: Sorry, aber das ist mir zu blöd, da mache ich nicht mit. Sie haben aber mitgemacht.
Das Lied offenbart die Wahrheit
Das Lied sollte nicht in der Versenkung verschwinden. Es ist ein wichtiges Zeitdokument. Es zeigt, dass die Grünen nichts können. Die guten Geister haben sie verlassen. Der alten Helden, ob es Wolfgang Niedecken ist, oder ob es Die Ärzte sind … sie sind in die Jahre gekommen, der Glanz ist ab, und der Nordpol, der nach Vorhersagen von Al Gore bis zum Jahre 2014 abgeschmolzen sein würde, hat wieder Eis zugelegt.
Es gibt noch etwas: ein Bild. Dazu gibt es eine Bildinterpretation auf der Achse und einen Gegenentwurf, auf den Hadmut Danisch hingewiesen hat. Das Bild und das Lied sagen die Wahrheit. Ein gutes Lied lügt nicht. Ein schlechtes Lied offenbart die Lüge. Ein Bild ist anschaulich. Hier müssen die Künstler Beispiele nennen, konkret werden. Deshalb sollte man das Lied Zeile für Zeile durchgehen und bei dem Bild jede Figur betrachten. Hier zeigen die Grünen, wie ihr utopischer Entwurf in Wirklichkeit aussieht. Hier zeigen sie, was sie imstande sind zu leisten (und was nicht) und wie sehr sie kulturelle Werte – und das Volk mit seinen Liedern – verachten.
Szenenwechsel: Hier spielt die Musik
Die Musen sind weitergezogen, sie küssen jetzt andere und küssen sie an anderen Orten. Über den Erfolg von Danser Encore hatte ich bereits berichtet. Das war noch im April. Inzwischen wurde weitergetanzt. Das Lied hat Italien heimgesucht (wie in diesem Schnelldurchlauf zusammengefasst wird). Nicht nur Italien. Die Tänzer schwärmten noch weiter aus, bis nach Mexiko, Kanada, Argentinien, Israel, Martinique und Kenia (eine Version, die mich allerdings seltsam berührt).
Das Hauptverbreitungsgebiet ist nach wie vor der Süden Europas, Portugal – und der Osten, Polen, Russland. Es gibt dermaßen viele Versionen, dass ich nur ein paar wenige Tipps geben möchte, die den Ideenreichtum und die Spiel- und Lebensfreude zeigen sowie die Sehnsucht nach einer unbeschwerten Gemeinsamkeit, die sich unabhängig von Quotenvorgaben freiwillig bildet.
Es gibt besonders originelle Instrumentalversionen: mit Hang, mit Orchester (mit Zugabe), mit Glocken. Es ist eine sehr, sehr imposante Woge, die da in Schwung gebracht wurde, die sich als Flashmob zeigt, als Protestsong, Chanson, Clownerie, als Zelebrieren des Tanzes (Steppen, traditionell, Tango), als Video für Cineasten (Achtung, Trigger-Warnung: Hitler!) und als Straßenkunst.
Zum Schluss noch meine Lieblinge: die sächsische Mutation, die polnische Variante, die den kommenden Super-Gitarristen präsentiert und die kleinen Kunststückchen mit Pferden und mit weiteren Tieren und Akrobaten.
Hier ist die echte Vielfalt
Hier spielt die Musik. Nicht bei den Grünen. Hier ist das pralle Menschenleben. Hier sind echte Menschen. Alte und junge. Geschminkte und ungeschminkte. Glückliche Dilettanten und Könner. Hier gibt es echte Freude. Hier gibt es Humor. Alles das, was den Grünen fehlt.
Kreativität, Spielfreude, Improvisation, Ideenreichtum, gute Laune, Lust an Musik und Tanz, Offenheit, vorurteilslose Begegnung, Handreichungen, Eleganz, Stil, Geschmack, Freude am Detail, Freude am eigenen Körper, Freude an der Bewegung – würde das jemand bei den Grünen erwarten?