Die Forderung für den Überfall Russlands auf die Ukraine die Unschuldsvermutung anzuwenden ist vergleichbar der Forderung zum Nachweis der Wirkung von Fallschirmen einen Doppelblindversuch durchzuführen.
“Solchen Leuten ist alles zuzutrauen”. Wer das sagt, hat das Prinzip der Unschuldsvermutung nicht verstanden. Sein Grundsatz ist eben, dass es nicht nur für die gilt, “denen man es nicht zutraut”, sondern eben für alle, also genau für jene, denen es “zuzutrauen” ist. Es ist auch keine Parteinahme für den mutmasslichen Täter. Das Prinzip erfordert schlichtweg den klaren Beweis der Schuld - nicht mehr aber auch nicht weniger. Das ist insbesondere in einer Situation wichtig, in der es mehr als naiv ist zu glauben, dass nicht für beide Seiten gilt: “Das erste, was im Krieg verloren geht, ist die Wahrheit”. Im Trommelfeuer der Propaganda und der Gefühle ist diese umso schwieriger auszumachen.
Es bedarf der Differenzierung! Erinnert sei an Kempowski - sowas kommt von sowas. Weder Herrn Koeppel noch Herrn Broder wird die Technik des Schwarzweißmalens bei der Betrachtung der Realität gerecht.
Als Schweizer kann man sich allerdings durchaus fragen, ob es im Interesse des Landes ist, sich explizit auf eine Seite zu stellen. Das ist keine Frage der Justiz, mithin geht es nicht um Schuld. Es geht um Interessen.
Die Definition dessen, was man Völkermord nennen darf, war einem steten Wandel unterzogen, Klarheit besteht offenbar unter Völkerrechtlern nicht. Vielleicht weiß Frau Baerbock, die ja mehr vom Völkerrecht herkommt, ja mehr. Klarheit besteht hingegen hinsichtlich des Bruchs des Ius ad Bellum; Rußland ist der Agressor, gleich was dem ersten Schuß vorausgegangen sein mag. Die Vorkommnisse in Butscha tragen den Charakter eines Massakers, also vielfacher Mord an unbewaffnetem, wehrlosem Zivil. Eine schwere Verletzung des Ius in Bello. Tatort, Tatzeit und sonstige Umstände ergeben eine hohe Wahrscheinlichkeit für russische Täterschaft. Fraglich bleibt: War die vorsätzliche massenhafte Tötung ukrainischen Zivils in Butscha eine geplante, gar angeordnete Tat, oder geschah sie affektiv, also ist sie Ausdruck individueller Abartigkeit einzelner russischer Soldaten? Weshalb versagte die Disziplinar- und Kommandogewalt, weshalb hört man nichts von russischer Militärjustiz hinsichtlich der Untersuchung jener Vorgänge? Man darf bedauerlicherweise annehmen, daß die Täter straffrei bleiben. Waren sich diese ihrer Straffreiheit von vorn herein bewußt? Existiert gar ein präventiver Gerichtserlaß, der in solchen Fällen grundsätzlich Amnestie garatiert? Andere Meinungen zur Täterschaft, leider auch hier unter der Leserschaft der Achse nicht so selten, bleiben unqualifiziert.
Lieber Herr Broder, es stimmt schon, dass Herr Koeppel sich vergaloppiert hat. Ihn zu widerlegen reicht indes nicht, auch die Argumente gegen Waffenlieferungen (die Frau Wagenknecht sehr deutlich vorbringt) zu entkräften. Israel z.B. macht da nicht mit (nicht nur, weil in Syrien die Russen einen Puffer gegen den Iran abgeben!).
Sehr geehrter Herr Broders, ein wunderbarer Artikel! Bitte unbedingt an die Weltwoche senden in der Hoffnung, dass Herr Koeppel Stellung nimmt. Ich habe die Weltwoche immer geschätzt aber seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine hat der Herausgeber sich zum Verteidiger der Aggressoren entwickelt. Merkt er nicht, das er immer mehr Unsinn schreibt?
Nach Herrn Broders Meinung begeht also automatisch jeder, der einen Krieg beginnt, Kriegsverbrechen und Völkermord und jeder der angegriffen wird, kann defacto Aufgrund der Tatsache, das er der Angegriffene ist, keine Kriegsverbrechen und keinen Völkermord begehen ? Ich glaube der russische Bevölkerungsanteil der Ukraine würde Ihnen hier nicht unbedingt zustimmen. Keiner hat abgestritten, das Russland den Krieg begonnen hat und das Russland frei von Kriegsverbrechen ist. Nur muss letzteres nach heutiger Rechtslage, trotzdem nachgewiesen und ein Urteil gesprochen werden. Und zwar von einem ordentlichen Gericht und nicht von Medien oder sonstigen Schreiberlingen. Und da hilft es auch nicht, zu behaupten Massaker im Vietnamkrieg, im römischen Reich, oder in der Steinzeit kamen ohne Gericht aus. Wir leben im Heute, die Nationalstaaten haben sich auf diese Rechtsprinzipen geeinigt, und wer nicht dem Diktator in Tun und Handeln folgen will, muss sich nun mal daran halten. Und soweit ich weis, werden Stalin und Mao nur vom Westen als Massenmörder bezeichnet. Proklamieren Sie doch mal in Peking auf einem öffentlichen Platz, das Mao ein Massenmörder ist. Allerdings würde ich empfehlen, vorher ihren Nachlass zu regeln. All zu schnell, verwechselt man die eigene Sicht, die westliche, mit der Sicht der ganzen Welt. Dem ist nicht so Herr Broder. Die Warheit liegt im Auge des Betrachters, und deshalb brauchen wir, hoffentlich, faire und neutrale Gericht und Strafverfahren um den Blick auf die Realität, vor lauter Moral, und vermeintlich eindeutiger Beweise, nicht zu verlieren.
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