Georg Etscheit / 27.11.2021 / 06:15 / Foto: G.E / 198 / Seite ausdrucken

„Hier geht ois rein!“ – ein journalistischer Selbstversuch

Ein journalistischer Selbstversuch als Corona-Ausgestoßener respektive Nicht-Geimpfter ist einfach überfällig. Wie reagieren die Mitmenschen? Lauern unterm Pflasterstein die niedrigen Instinkte? Tatort: München. Ergebnis: überraschend.

„Puhhh“, schrieb mir der Kollege Maxeiner, als ich ihm per E-Mail den Vorschlag unterbreitete, einen journalistischen Selbstversuch als Corona-Ausgestoßener unternehmen zu wollen. „Wenn Sie wollen, aber warum nicht.“ Ein enger Freund zollte mir „großen Respekt vor meiner Courage“, ein anderer warnte mich vor möglichen Repressalien. „Pass auf Dich auf, das ist alles kein Spaß mehr“.  

Doch ich schlug die gut gemeinten Warnungen in den Wind: Hinaus ins feindliche Leben. Dazu musste erstmal ein passendes Stigma kreiert werden. Ich entschied mich für eine gelbe Warnweste ähnlich derer, mit denen die „gilets jaunes“ in Frankreich ihrem Präsidenten heimgeleuchtet hatten, versehen mit der Aufschrift: „Achtung: Ungeimpft!“. 

An der Münchner Uni gibt es einen Laden, der T-Shirts mit lustigen Sprüchen nach Wahl bedruckt. Dorthin wandte ich mich. Die Verkäuferin gestaltete in Windeseile und ohne weitere Fragen zu stellen auf ihrem Computer einen entsprechenden Schriftzug in signalrot, ganz groß auf dem Rücken, etwas kleiner auf der linken Brustseite. „Bitte so auffällig wie möglich“, bat ich und verabschiedete mich.

Nach drei Tagen konnte ich die Weste abholen. Sie war nach Wunsch ausgefallen. Die junge Frau überreichte sie mir mit einem maliziösen Lächeln. Ich zog das Ding gleich über meinen Parka und schloss die beiden Klettverschlüsse auf der Vorderseite. Mit leichtem Herzklopfen verließ ich den Laden. Mein Selbstversuch als freiwillig Stigmatisierter konnte beginnen. Würde man mich schon nach fünfzig Metern in aller Öffentlichkeit als „Volksschädling“ beschimpfen, ohrfeigen, zusammenschlagen? Würde mich die Polizei aufgreifen und als „Querdenker“ einkasteln? Würde man mir in einem x-beliebigen Geschäft die Bedienung verweigern? Zur Sicherheit hatte ich meine Gesundheitskarte eingesteckt, man kann ja nie wissen. 

Jogger, Hundegassigeher, Handyfuzzler

Auffälligkeitsgrad der ersten Expedition ins Reich der neuen deutschen Apartheid: „niedrig“. Es war schon dunkel, die Menschen eilten von der Arbeit nach Hause, viele mit Ohrstöpseln von der Außenwelt abgeschottet, im Gehen telefonierend, den Blick starr aufs Handydisplay gerichtet. Mir schwante, wie schwer es sein muss, beispielsweise für straßenwahlkämpfende Politiker, nur ein ganz kleines Fitzelchen der Aufmerksamkeit der „Wählerinnen und Wähler“ zu erheischen.

Im Englischen Garten Jogger, Hundegassigeher, Handyfuzzler. Ich meine zwar, den einen oder anderen erstaunten Blick zu verspüren, doch niemand zeigt eine wahrnehmbare Reaktion, weder freundlich, noch gereizt. Um mich herum: Teilnahmslosigkeit. An der Münchner Freiheit der übliche abendliche Einkaufsrummel. Abstecher in Käfers Feinkost-Discount an der Leopoldstraße. Auch in der Schlange an der Kasse mit deutlich unterschrittenem Corona-Sicherheitsabstand, also gewissermaßen auf Tuchfühlung mit meinen Mitkunden, null Reaktion, nur kurz bleibt der etwas verdutzte Blick des jungen Kassierers an meiner Brustaufschrift kleben. Dann endlich am Hohenzollernplatz mitten in Schwabing raunzt mir ein Mann mittleren Alters im Vorbeigehen „Schöne Weste“ zu, es klang zwar nicht besonders aggressiv, war aber wohl missbilligend gemeint. Das war, um es vorwegzunehmen, die einzige negative Reaktion während meines mehrtägigen Versuchs.

Nächster Tag eine neue Expedition: Auffälligkeitsgrad „mittel“. Diesmal am helllichten Nachmittag mit Hund als Aufmerksamkeitsbooster. Mit dem unentwegt schnuffelnden und sein Revier markierenden Tier ist man nämlich gezwungen, langsam zu gehen und häufig stehen zu bleiben. Außerdem ergeben sich immer wieder enge Kontakte zu anderen Hundebesitzern. Und wenn Poldi, so heißt mein Vierbeiner, mal wieder laut einen konkurrierenden Rüden anbellt, sind einem die Blicke aller Passanten im Umkreis von hundert Metern sicher.

Wieder versuche ich, mich so normal und unauffällig wie möglich zu geben, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, sich als Stigmatisierter zu präsentieren. Ich möchte die klassischen Tugenden meiner Profession aus der Zeit vor dem „Haltungsjournalismus“ beherzigen: Kein provokantes Verhalten oder Fragen mit dem Ziel, die gewünschten Antworten zu erhalten, sondern: hinschauen, zuhören, aufschreiben.

Für Pogromstimmung braucht es wohl doch mehr

Erst zum Elisabethmarkt, dem Schwabinger Pendant zum Viktualienmarkt in der Altstadt. Ein bisschen Käse gekauft, dann Ochsenfiesel am Vierbeinerbedarfsstand einer mir gut bekannten Dame, stark übergewichtig, gehbehindert, Raucherin, also Hochrisikogruppe, bestimmt geimpft. Reaktion? Keine. Auch in der nahen Apotheke, wo ich mich in seligen 3G-Zeiten kostenlosen Antigen-Schnelltests unterzog und mir nun eine neue Maske kaufen will, allenfalls ein etwas überrascht wirkender Blick der jungen Apothekerin, während sich ihre Kollegin mit einer Kundin über die neuesten „Maßnahmen“ der Söder-Kamarilla unterhält. Ich dachte, Apotheken seien für einen „wie mich“ ein heißes Pflaster, weil die Weißkittel schließlich ganz gut an der „Pandemie“ und der Impferei verdienen. 

Am Hohenzollernplatz schließlich vernehme ich von hinten eine Stimme: „Entschuldigen Sie bitte!“ Ich wende mich um, vor mir ein jüngerer Mann mit Migrationshintergrund, der sichtlich begeistert sein Handy zückt. Ob er mich fotografieren könne. „Klar“, sage ich, „aber bitte nur von hinten“. Als er mir das Foto zeigt, frage ich ihn, was ihn an meiner Weste so interessiere. „Ich bin auch nicht geimpft und finde toll, was Sie machen.“ Dann verabschiedet er sich, blickt aber noch einmal zurück, Daumen hoch: „Klasse!“  

Weiter zum Luitpoldpark in Nordschwabing, diverse Hundestopps, kurze Gespräche mit anderen Hundebesitzern, die sich um alles drehen, nur nicht um mein nicht ganz unauffälliges Äußeres. Letzte Station ein Biosupermarkt an der Schleißheimer Straße. Unter Biokäufern dürften einerseits viele Wähler der Grünen sein, die bekanntermaßen eine besonders ungnädige Coronapolitik verfolgen, andererseits gibt es unter den Ökos traditionell auch viele Impfskeptiker. Fehlanzeige.

Um Pogromstimmung zu erzeugen, geht mir durch den Kopf, braucht es wohl doch mehr als geschlossene Weihnachtsmärkte und die dummdreisten Einlassungen eines Frank Ulrich Montgomery, der gegen Ungeimpfte Stimmung machte und das „Freiheitsgesäusel der FDP“. Wolfgang Kubicki nannte ihn daraufhin „Saddam Hussein der Ärzteschaft“, wobei zumindest die äußere Ähnlichkeit der beiden Schnauzbartträger wirklich marginal ist. Ich frage mich, ob das unsägliche Geplänkel überhaupt von irgendjemand wahrgenommen wurde, außer von Journalisten.

Dann drückt sie mir die Süßigkeit in die Hand  

Dritter Tag meines Feldversuchs an einem Samstagvormittag. Auffälligkeitsstufe: „hoch“. Zuerst mit der U-Bahn zum Sendlinger Tor, dann durch die mäßig belebte Fußgängerzone zum Marienplatz, wo gerade die Buden des abgesagten Weihnachtsmarktes abgeschlagen werden. Eine Apotheke im Neuen Rathaus bietet PCR-Tests für Selbstzahler innerhalb von drei Stunden zum schlappen Preis von 170 Euro. Damit könnte man – seit 24. November gilt in allen öffentlichen Verkehrsmitteln der Landeshauptstadt 3G – ganz legal mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof fahren. Zuzüglich der Preis für eine Kurzstrecke in Höhe von 1,70 Euro. Ausgenommen sind Kinder unter sechs Jahren und Hunde.

Direkt vor dem Kaufhof am Marienplatz, vor Corona eines der umsatzstärksten Kaufhäuser der Republik, gibt es einen Stand, der das ganze Jahr über gebrannte Nüsse, Zuckerwatte und Popcorn verkauft und jetzt als eine der wenigen Anlaufstellen für entgangene Weihnachtsmarkt-Genüsse fungiert, einschließlich „Glühwein to go“. Ich erstehe ein Tütchen Mandeln und komme mit der Verkäuferin ins Gespräch, vermutlich osteuropäischer Abstammung. Sie blickt auf meine Weste und sagt: „Ist ein bisschen wie früher mit dem gelben Stern, nicht wahr?“ Ich erwidere, dass mir solche Assoziationen fern lägen. Dann drückt sie mir die Süßigkeit in die Hand und wünscht mir einen schönen Tag.

Weiter zum belebten Viktualienmarkt, wo das Personal von „Fluss- und Seefisch Maier“ etwas unbeholfen das Gedränge am Tresen zu entzerren versucht, um den Corona-Auflagen gerecht zu werden. Die Schlagzeilen an den stummen Zeitungsverkäufer verkünden die neusten Volten der bayerischen Staatsregierung in Sachen „vierte Welle“. „Söder fordert allgemeine Impflicht“, krakeelt der „Merkur“. Und die wieder zahm gewordene Bild-Zeitung lässt den österreichischen Kabarettisten Josef Hader zu Wort kommen, der unkomisch prophezeit: „Ohne Lockdown sterben ganz viele Menschen.“ Außerdem ist „Quarantäne-Kimmich“ schuld daran, dass der FC Bayern ein Spiel versemmelt hat. 

Am Stand mit Adventskränzen frage ich den Händler, ob er wisse, ob die Gebinde zur „Daseinsvorsorge“ zählten und ich als Ungeimpfter auch weiterhin das Recht habe, einen solchen zu erstehen. „Weiß ich nicht, aber bei mir bekommen Sie immer einen“, sagt der Mann. Gleiche Frage an eine vorübergehende, gendermäßig vorbildlich ausgewogene Polizeistreife. Die junge Beamtin bemüht sich um eine sachgerechte Antwort, stottert etwas vom „Hausrecht“ der einzelnen Anbieter. Nichts Genaues weiß man nicht. Aber warum soll die Polizei besser informiert sein als jene, die die Regeln machen und genauso wenig wissen? 

„Warum muss man das so zeigen?“

Schließlich noch einen frisch gepressten Orangensaft getrunken zwecks Stärkung der Abwehrkräfte. Der junge Mann, der mir einschenkt, wundert sich über die Weste. „Warum muss man das so zeigen?“ Ich erzähle diesmal meine zuvor zurechtgelegte „Legende“, wonach ich die Menschen davor warnen wolle, sich mit mir einzulassen. Den Nichtgeimpften werde immer mangelnde Solidarität vorgeworfen. Dem wolle ich entgegentreten. Ich weiß nicht, ob er die Ironie verstanden hat.

Das Söder-Regime hat gerade den „Lockdown für Ungeimpfte“ verkündet. Auf zur vorläufig letzten Expedition: Mit dem Rad zum Odeonsplatz, vor Dallmayr das Rad abgestellt, dann über den Marienplatz mit seinem einsam vor sich hin leuchtenden Weihnachtsbaum. Die Stadt München hat ihn dieses Jahr früher als gewöhnlich angeknipst, als Entschädigung für den nicht stattfindenden Weihnachtsmarkt. Mein Ziel ist ein alteingesessenes Wachsgeschäft am Alten Peter, das merkwürdigerweise noch nicht vom Internet dahingerafft wurde. 

Ich frage nach echten Bienenwachskerzen für den Weihnachtsbaum und füge hinzu, dass ich rasch noch alles fürs Fest einkaufen wolle, weil man ja als Impfverweigerer vielleicht bald nirgendwo mehr Zutritt habe. Die Frau bemerkt meine Weste und lacht. Sie selbst habe sich ja auch nicht impfen lassen wollen, aber es dann doch gemacht, „aus Bequemlichkeit und weil mich meine Mutter gedrängt hat“. Ich meine, dass sie sich für diese Entscheidung vor niemand zu rechtfertigen habe. „Besonders gut scheinen die Impfstoffe ja nicht zu wirken“, sagt sie beim Kassieren. Aha, so unwissend scheint es nicht zu sein, das „Volk“. „Stark bleiben, durchhalten“, ruft sie mir beim Hinausgehen zu.

Jetzt auf dem Viktualienmarkt noch ein paar Weißwürste kaufen. Der junge Metzger fragt mich, warum ich diese Weste trage. Ich entgegen diesmal wahrheitsgemäß, dass es sich um einen journalistischen Feldversuch handele. Er schüttelt den Kopf, völlig irre sei das alles, sagt er, keineswegs unfreundlich. Auch er ein heimlicher Bundesgenosse?

Mit einem Anflug von Galgenhumor 

Vor dem Impfzentrum im Rathaus hat sich in der Theatinerstraße eine lange Schlange gebildet. Ich gehe diesmal provokativ langsam an den auf ihren „kleinen Piks“ wartenden Menschen vorbei und frage eine ältere Dame mit gespielter Unwissenheit, wofür hier angestanden werde, ob es vielleicht etwas umsonst gebe? Hier könne man sich seinen Schuss holen, antwortet sie mir. Wie viele Spritzen sie schon bekommen habe? „Das ist meine dritte.“ Und bald vielleicht die vierte, fünfte, sechste? „Hier geht ois rein“, sagt sie, wie mir scheint mit einem Anflug von Galgenhumor. 

Auf Baustellenwänden am Odeonsplatz lese ich: „Keine Nazis, kein Impfzwang“, darunter in kleiner Krakelschrift „Scheiß Impfverweigerer“. Dabei sind es doch die „Nazis“, die jetzt gegen den Impfzwang sind. Verwirrung allerorten. In diesen Minuten lässt Söder im Landtag die Katze aus dem Sack: „Vollständige, unbeschwerte Freiheit gibt es nur mit Impfen. Ohne Impfen keine Freiheit – jedenfalls nicht so in der Form, wie wir es uns vorstellen." Er sagt nicht Normalität, er sagt Freiheit!

Foto: G.E

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Peter Müller / 27.11.2021

Respekt für diesen Selbstversuch! Bezeichnend, dass der Erste, der positiv reagiert hat, jemand mit Migrationshintergrund war. In dieser Pandemie ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Hier und da mag es bei Schönwetter mit unseren Mitbürgern aus dem Ausland knirschen, aber wenn es hart auf hart kommt, sind das “meine Leute”. Nicht die irren Deutschen! Umvolkung jetzt!

Andreas Mertens / 27.11.2021

Glück gehabt. Das kann in Merkel-Land (bald Ampel-Schland) leicht ins Auge gehen. Alles was es braucht ist die richtige “reaktive Menge”.  Der Einzelne (Restdenker) mag ihnen (noch) heimlich zulächeln, den Daumen nach Oben recken, aber wehe sie treffen auf eine Horde. Oder vielleicht sollten ich sagen ... auf “die Horde”. Zusammensetzung: Verpamperte Millenials, Helikopter-Kinder, Wettbewerbs-Looser, Neugläubige (Globuli, Klima, Vegan) und woke Neo-Blockwarte. Allesamt armseligste Kreaturen (die sich nach Anbruch der Dämmerung nicht getrauen den Müll raus zu stellen), denen aber in “der Horde” das Messer in der Hose aufgeht. Da hätten leicht ihre Zähne auf dem Bordstein enden können.

Th. Stoppel / 27.11.2021

Laut gelacht am Samstagmorgen. Guter Einstand zum Corona-Südafrika Gipfel der EU, oder ist doch nicht alles so schlimm? Wenn man das Lied von Jürgen von der Lippe “Guten Morgen liebe Sorgen” mit den Meldungen der aktuellen Nachrichtenkultur umtextet, gibt es einen schönen Weltuntergangssong a´la Deutschland. Und so ängstlich, wie man es den Deutschen gern unterstellt, scheint es dann doch nicht zu sein. Zumindest der Selbstversuch vermittelt das Bild eines rücksichtsvollen und toleranten Mitbürger.

Nico Schmidt / 27.11.2021

Köstliche Geschichte! Warten Sie nur, bis Sie an einen militanten Impfer kommen, der wird Ihnen schon auf die Sprünge helfen. Dann kommen die Vorwerfer, die einen ganz lieben Menschen durch Sie verloren haben und schwingen die moralische Keule. Mit Pech fallen Sie dann noch Söders USK in die Hände. Ich drücke Ihnen aber auch weiterhin die Daumen. Schneid haben Sie. LG Nico Schmidt

Lothar Hannappel / 27.11.2021

Mein Selbstversuch: Hilfe um Rechtssicherheit für ungeimpft mit 3g am Arbeitsplatz. Erster Anruf der Kanzlei, jetzt junger RA am Telefon: Eins vorneweg: Ihr Verhalten missbillige ich.

Gabriele Kremmel / 27.11.2021

Bravo, da haben Sie sich aber was getraut. Im gmiatlichen Minga kann man das machen, jetzt fehlen noch die Tests in anderen Regionen. Den Artikel mit Söder zu beschließen, der sich im Freiheiten nehmen und zuteilen gefallen zu scheint und dessen Wortwahl düstere Aussichten bzgl. Willkür und Freiheitsrechte verrät, hat mir jetzt allerdings ein wenig die gute Laune verdorben.

Albert Pflüger / 27.11.2021

Ich gehe seit langem bei meinem “Stammaldi” maskenlos einkaufen. Ein einziges Mal wurde ich deswegen an der Kasse angesprochen. Man gewöhnt sich daran, und inzwischen fühle ich mich dabei auch wohl. Auf unbekanntem Terrain entscheide ich spontan, ob ich es wagen soll (ich reagiere auf Belehrungen emotional recht heftig, glücklicherweise nur innerlich, das verletzt meinen Stolz), ich kenne also das Gefühl, ein Wagnis hinsichtlich der Reaktionen meiner Mitmenschen einzugehen. Nicht immer habe ich die nötige Konfrontationsbereitschaft, dann ziehe ich den Lappen über. Es ist ein großes Übel, daß man gezwungen werden kann, Dinge zu tun, die man für falsch hält. Was unterscheidet die Lage eigentlich vom aufkommenden Faschismus? Man darf ja nicht glauben, daß der urplötzlich da war, das war er nicht, es ging Schritt für Schritt, den Ausgestoßenen wurde erst der eine Beruf verboten, dann der nächste, dann durften sie dies nicht, dann jenes nicht mehr, es traf Ärzte, Juristen, Wissenschaftler, erst ganz am Ende standen die Konzentrationslager. Ein solches System, ein solches Denken entwickelt sich schrittweise, auch im Dritten Reich war es nicht so, daß alle damit einverstanden waren, was passierte, sondern eher eine Minderheit sich hervortat, der die Mehrheit nichts entgegenzusetzen hatte, weil sie sich hilflos und machtlos fühlte und versuchte, die eigenen Maßstäbe wenigstens ins Private zu retten. So ist es auch heute. Man trifft ungeimpfte Freunde, man sucht Ausweichmöglichkeiten für gemeinsame Treffen, oder man hat Angst vor der “Pandemie”, sagt Geburtstagsfeiern ab und verläßt kaum noch das Haus, weil man sich an Leib und Leben von den Ungeimpften, ja mittlerweile von allen, auch von Geimpften, bedroht fühlt. Richtig wäre es, den Panikmodus abzuschalten, das Infektionsgeschehen normal zu finden und alle Maßnahmen sofort aufzuheben. Daß es dann mehr Tote geben würde, als in einer x-beliebigen Wintersaison mit den üblichen Grippewellen, glaube ich nicht.

Heiko Stadler / 27.11.2021

Einen ähnlichen Selbstversuch habe ich im vorigen Jahr zu Beginn der Maskenparade gemacht. Meine Alltagsmaske war eine Mickymausmaske, die ich bei einem Faschingsartikel-Versand bestellt hatte. Die trag ich dann wochenlang bei jedem Einkauf und in jeder Fußgängerzohne. Bei 99% der Menschen war keine Reaktion zu sehen, mehrmals fuhren Polizeistreifen ganz nah an mir vorbei ohne irgend eine Reaktion. Gelegentlich war ein unterdrücktes Kichern zu hören. Eine Frau zeigte mir mal aus der Ferne den erhobenen Daumen und ein freundlicher junger Mann machte ein Foto von mir. Die heftigste Reaktion erlebte ich in einem kleinen Geschäft. Die erschrockene Verkäuferin rief: “Nehmen Sie sofort die Maske ab!” Sie glaubte, ich wäre ein Räuber mit Maske, der ihren Laden überfallen wollte. Als ich die Maske abgenommen hatte und ihr ohne(!) Maske gegenüber stand, war sie sehr freundlich. Meine Lehre aus diesem Selbsversuch ist: Die Gesellschaft ist viel weniger gespalten als die meisten von uns glauben. Die Spaltung geht nur von der Politik, den Haltungsmedien und den Profiteuren dieser Politik aus. Das “einfache” Volk mit oder ohne Migrationshintergrund will keine Spaltung.

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