Markus Vahlefeld / 28.02.2017 / 06:28 / Foto: Ed Brambley / 12 / Seite ausdrucken

Hier baut die EU eine Mauer für Sie!

Als Frau Merkel während der Großen Öffnung 2015 ihre Regierungserklärung bei Anne Will abgab, war eines der Hauptanliegen der Kanzlerin, „die Fluchtursachen zu bekämpfen“. Das klang schon damals etwas verwegen, wenn nicht sogar vermessen, ganz so als könne und wolle die EU Frieden vom Nahen Osten bis tief nach Afrika bringen. Und natürlich bessere Lebensverhältnisse. Und Bildung. Und Arbeitsplätze. Und Demokratie. So stellt man sich unter den gutmeinenden Populisten eine Mission vor.

Und weil die EU zu faul und feige ist, ordentliche Konzepte und tragfähige Lösungen zu entwickeln und sich zu den Brutalitäten, die zur Verhinderung einer ungehinderten Migration notwendig sind, zu bekennen, sourcte man diese Brutalitäten an die Türkei aus. Das Sonnen in der eigenen moralischen Überlegenheit ist vor allem den Deutschen wichtiger, als harte Entscheidungen zu treffen. Das würde den Stolz auf die Wiedergutwerdung gefährden, was um jeden Preis zu verhindern ist.

Dann kam der Brexit und dann kam Trump. Mit Ersterem verabschiedeten sich die Briten aus dem Lummerland der vorgegaukelten Gutmütigkeiten und Letzterer hat ganz offen mit den Gemeinheiten, die der Schutz der eigenen Interessen mit sich bringt, Wahlkampf betrieben. Wäre Donald Trump nicht US-Präsident geworden, Victor Orban hätte weiter seine Rolle als Projektionsfläche allen Bösens für deutsche Medien und deutsche Politiker spielen müssen. So wurde Trump der neue Gottseibeiuns.

Wir lassen eine Mauer bauen – in der Türkei

Und das wohl Schrecklichste und Menschenverachtenste, was man Trump vorwerfen konnte, war der Plan, eine Mauer zu Mexiko bauen zu wollen. Mauern? Nein, das geht gar nicht. Damit stellt sich jeder, der das vorhat, außerhalb des westlichen Wertekonsens. Grenzen müssen offen sein. Oder zumindest so geschlossen, dass es niemand gleich merkt. Denn wozu trieb man die Türken mit den Verlockungen europäischen Geldes an: zum Bau einer Mauer.

„Fluchtursachen bekämpfen“ hätte Frau Merkel 2015 bereits „Mauern bauen“ nennen können, nur halt nicht hier auf heiligem europäischen Boden, sondern weit, weit weg, wo sie niemand sehen muss. So bleibt man in der komfortablen Lage, die Amerikaner vor dem Ausscheiden aus der westlichen Wertegemeinschaft warnen und selbst die Hände in Unschuld waschen zu können. Die Drecksarbeit sollen immer die anderen machen. Wäre man ehrlich, würde man diesen Umstand als Teil der „westlichen Wertegemeinschaft“ erkennen, denn auch sie baute nach dem Zweiten Weltkrieg darauf auf, dass die Amerikaner die Drecksarbeit verrichteten, während sich die Europäer der eigenen moralischen Höherentwicklung widmen konnten.

Inzwischen sind 290 Kilometer Grenzmauer auf türkischem Gebiet zu Syrien schon fertig. 511 Kilometer sollen es werden, wie die Tagesschau zu berichten weiß. Und weiter: „Druck kam vor allem von der EU.“

Wieviel Heuchelei will sich Deutschland noch leisten?

Wieviel Heuchelei will sich Deutschland und die EU noch leisten, bis das immer durchschaubarere Kartenhaus der „westlichen Werte“ zusammengefallen ist? Was genau ist den „westlichen Werten“ denn so abträglich, dass der Schutz der eigenen Grenzen wie ein Sakrileg behandelt werden muss? Das Problem der westlichen Werte ist inzwischen, dass sie sich aus Feigheit und Heuchelei speisen, statt die Dinge beim Namen zu nennen und zu den eigenen Interessen zu stehen. Die Diskrepanz zwischen dem moralischen Hochgefühl und der Realität war noch nie so eklatant wie heute.

Die Überlegenheit des Westens ist keine moralische, sondern liegt allein in der Freiheit des Individuums. Diese Freiheit in einem gesitteten Rechtsrahmen jedem zur Verfügung zu stellen, ist eine historische Neuigkeit, die dringend des Schutzes bedarf. Vor allem des Schutzes vor Menschen, die immer noch andere Autoritäten als sich selbst höher schätzen. Das gilt für den Innenbereich wie für Außen. Stamm, Clan, Sippe, selbst das Volk und die Nation zählen weniger als die freie Entfaltung des Individuums. Und der Preis, den die gesamte westliche Welt für diese individuellen Freiheiten zu zahlen hat, sind die flächendeckend niedrigen Geburtenraten. Sie stellen die westliche Welt vor ein Problem, das mit ungehinderter Migration ganz sicher nicht zu lösen sein wird.

Das Prinzip, bei der Nachkommenschaft nicht auf Quantität, sondern auf Qualität zu setzen und viel Geld und Zeit in den Nachwuchs zu investieren, führt unweigerlich zu einer Lobpreisung des Lebens und zur Ächtung des Opfers. Das ist die Crux der westlichen Welt, dass Wehrhaftigkeit und Verteidigungswille immer auch die Möglichkeit des Opfers einschließen. Diese Crux kann der Westen momentan nur mit seiner technischen Überlegenheit, deren Ziel die Verhinderung von Opfern ist, kompensieren. Nicht mit der besseren Moral. Denn sie baut auf Heuchelei und Verlogenheit auf und führt automatisch in den Niedergang. Der türkische Mauerbau mit europäischem Geld ist das beredte Symbol dieses Niedergangs.

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Franck Royale / 28.02.2017

Sehr gut zusammen gefasst, Herr Vahlefeld. Bleibt die alles entscheidende Frage: wie durchbrechen wir diesen Teufelskreis aus Heuchelei und Niedergang? Muss die Generation “Schneeflöckchen”, müssen die “Progressiven”, müssen die Grünsozialisten tatsächlich erst wieder am eigenen Leibe erfahren, was Krieg, was der Verlust von Heimat und Freiheit bedeutet, um zur Vernunft zu kommen? Müssen die und ihre Kinder wirklich erst alles verlieren, um zu realisieren, daß man Freiheit und Wohlstand nicht einfach durch das Öffnen von Grenzen teilen kann? Wie sehr muss man Europa eigentlich verachten, um innerhalb einer Generation alles, was unsere Vorfahren in Jahrhunderten erreicht haben, auf dem Altar einer verlogenen Moral zu opfern? Reicht nicht der historische Blick nach Syrien, Persien und Ägypten, um zu lernen, was in einem kurzen Moment der Schwäche mit einer Hochkultur passieren kann?

Martin Landvoigt / 28.02.2017

Was mich schockierte ist die Diskrepanz zwischen der Diskussion um die Grenzverteidigung zur Not mit der Waffe - als ULTIMA RATIO / Last Ressort !!!  Selbst das wurde und wird in Deutschland als niederträchtig bezeichnet. Zugleich baut die Türkei Selbstschussanlagen mit deutschem Geld. Das ist keine ultima ratio, sondern menschenverachtend wie an der Zonengrenze. Hier schaut man in D weg. Derartige Heuchelei der widerlichsten Art.

Uta-Marie Assmann / 28.02.2017

Ihr Beitrag, Herr Vahlefeld, ist ein hervorragend formuliertes highlight und zeigt die ganze Verlogenheit und Feigheit ‘unserer’ Regierungen. Allen voran Frau Merkel mit ihrem mittlerweile unerträglichen Geschwurbel.

Kay-Uwe Klepzig / 28.02.2017

“Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten!” Wer schimpfte zuletzt gleich, wie unschicklich es wäre, die EUBRD mit der DDR zu vergleichen? Danke für dieses interessante Stück Information. Die Bigotterie des westlichen Handelns bzw. Nichthandels zeigte sich doch bereits 2015, als es nicht möglich war, dem UNHCR 500 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um Syrienflüchtlinge in der Türkei, im Libanon etc. vernünftig zu versorgen - aber Abermilliarden in die Hand genommen wurden, sobald die Menschen den mehr oder weniger beschwerlichen Weg an die europäischen Grenzen gefunden hatten. Oder auf dem Weg umkamen, was bei 1-2% der Fälle der Fall war. Es gibt so viele Beispiele der Verlogenheit allein in den letzten 3 Jahren, daß es mir schon fast nicht mehr speiübel wird, weil ich mich dran gewöhnt habe, wie an den islamistischen Terror.

Thomas Wieland / 28.02.2017

Die 3 Mrd. Euro für Flüchtlingshilfe, welche die EU an die Türkei überwiesen hat, werden also zum Großteil (?) in Grenzanlagen investiert. Interessante Art von “Hilfe”.

Jürgen Althoff / 28.02.2017

Gibt es nicht bereits seit 1992 ein US-Gesetz zur Verhinderung illegaler Einwanderung aus Mexiko durch Bau einer Grenzbarriere? Und gibt es nicht bereits ca. 1.000 km Grenzzaun/mauer? Will Trump möglicherweise nur etwas konsequent vollenden, was seine Vorgänger versäumt haben?

Peter Groepper / 28.02.2017

Ganz ausgezeichnet! Vielen Dank für diese Darstellung der Wirklichkeit, wie sie eben aussieht, wenn sie nicht von “des Kaisers neuen Kleidern” verhüllt wird. Fatalerweise kann man garnicht so schnell die vielen Kleider herunterreissen, wie neue geschneidert und hastig angelegt werden.

Jochen Röschmann / 28.02.2017

‘Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen…’ ( J. W. Goethe, 1808)

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