Beda M. Stadler, Gastautor / 26.10.2008 / 21:40 / 0 / Seite ausdrucken

Hexereien im Tram

Die Szene ist skurril. In einem YouTube Video sieht man den Bischof Thomas Muthee in der Kirche, in der die Gouverneurin Sarah Palin getauft wurde. Er spricht zu der Glaubensgemeinde und es wird für Sarah gebetet. Sie hat ihre Augen andächtig geschlossen und hält die Handflächen nach oben um die Fürbitte zu empfangen. Zwei Männer legen ihr die Hände auf die Schulter. Der Bischof tigert um die drei herum und fleht: „Im Namen Jesus, lass ihr finanzielle Mittel zukommen und wende jede Art der Hexerei von ihr ab.“ Die Fangemeinde der Vizepräsidentschaftskandidatin glaubt somit wortwörtlich an Gottes Lohn und an Hexen…

 

War das ein einmaliger Ausrutscher? Nein am 20. September 2008 kehrte der kenyanische Hexenjäger-Bischof nach Wasilla zurück und flehte noch inniger: “Oh-raba-saka-tala. Betet, betet! Raba-sandalala-bebebekalabebe. Shanda-la-bebebeka-lelebebe. …lasst uns diese Nation in das heilige Reich bringen.“ Was immer das bedeuten mag, es verletzt jegliche menschliche Vernunft, aber anscheinend keine religiösen Gefühle.

Bei uns werden nämlich bereits religiöse Gefühle verletzt, wenn ein Plakat mit der Aufschrift: „Der Mensch ist frei geboren!“ - Jean-Jacques Rousseau - http://www.konfessionsfrei.ch, in Bussen oder Trams aufgehängt werden soll. Diese drei Zeilen stehen auf einem mit Wölkchen versetzten blauen Himmel. Sonst nichts. Die BERNMOBIL, die Thuner und die St. Galler Verkehrsbetriebe haben das Plakat mit der Begründung abgelehnt, es könnte die Gefühle von religiösen Menschen verletzen. BERNMOBIL hat doch noch eingelenkt das Plakat aufzuhängen, mittlerweile war es aber zu spät. In St. Gallen argumentierte hingegen Stadtrat Fredy Brunner, man wolle in den städtischen-Bussen «nicht für Gottlosigkeit werben».

Es schliesst sich der Kreis, der religiöse Fundamentalismus rückt näher. Der gleiche Stadtrat zitiert nämlich einen Predigt-Beitrag (weiss Gott von wem) auf seiner Homepage: „…Dazu braucht es Wirtschaftsführer und Politiker, deren Worte wahr sind, die Dienen, statt sich zu bedienen, die Recht gewähren, statt sich Rechte herausnehmen…“ In einer Art Vorsehung beschreibt Stadtrat Brunner, wie er zu dienen gedenkt. Wie ein ebenda angeprangerter Politiker nimmt er sich das Recht heraus, eine Information zu unterbinden, die für etwa dreissig Prozent unserer Bevölkerung gedacht war. So viele Konfessionslose gibt es nämlich in der Schweiz. Diese Leute sind übrigens der Meinung, Religionsfreiheit bedeute ebenfalls die Freiheit, keine Religion zu haben. An Hexen und andere fliegende Frauen glauben Konfessionslose wohl auch nicht.

Wer sich ob solch skurriler Begebenheiten in Amerika und bei uns wieder im Mittelalter wähnt, der sei getröstet. Der Humanismus ist trotzdem auf dem Vormarsch. Man kann dies messen. Die Anzahl Hexenverbrennungen hat drastisch abgenommen. „Gott sei Dank“ führt Gottlosigkeit nicht mehr zum Scheiterhaufen, nur noch zum Plakatverbot.

Zuerst erschienen in der Berner Zeitung Kolumne am 25. Okt. 2008

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Beda M. Stadler, Gastautor / 05.09.2020 / 06:00 / 87

Masken der Angst

Zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 gab es in der Schweiz (und auch in Deutschland/ Anm. der Redaktion) anfangs eine Strategie. Sie hieß „Flatten the Curve“ und…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 12.06.2020 / 06:08 / 138

Corona-Aufarbeitung: Warum alle falsch lagen

Das Coronavirus verzieht sich allmählich. Was hat sich in den vergangenen Wochen eigentlich abgespielt? Die Experten haben grundlegende Zusammenhänge übersehen. Die Immunantwort gegen das Virus…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 09.10.2015 / 11:15 / 3

Schweine im Schlaraffenland

Wir essen nicht mehr, um zu geniessen, sondern um gesünder zu werden. Was Spass macht, wird verboten. Wenn es so weitergeht, sind die Beipackzettel der…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 09.08.2015 / 06:30 / 5

Wollen sie Ewig leben?

Möchten Sie ewig leben? Was fällt jemanden ein, wenn er sich vorstellt, dass es immer weiterginge? NZZ-Folio hat bei acht Prominenten nachgefragt. Bei mir auch.…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 27.10.2014 / 13:43 / 2

Afrikas unheimliche Krankheiten

Von Aids bis Ebola: Der Schwarze Kontinent bleibt ein riskantes Gelände. Seine Krankheiten haben allerdings mehr mit sozialen Umständen als mit tödlichen Mikroben zu tun.…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 05.04.2014 / 00:07 / 6

Haben die Veganer recht?

«Sentience», auf deutsch Empfindungsfähigkeit, ist die Bezeichnung für zwei Volksinitiativen in Bern und Basel damit Väterchen Staat uns vegane Menus in Kantinen von Schulen, Spitälern,…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 20.03.2014 / 20:22 / 2

Macht Politik krank?

Als Nationalrat und GLP-Chef Martin Bäumle kürzlich einen Herzinfarkt erlitt, haben die Medien gemeinsam die Diagnose gestellt: Politiker führen ein ungesundes Leben. Die Liste der…/ mehr

Beda M. Stadler, Gastautor / 27.02.2014 / 17:37 / 0

Glaube und Demokratie

Wir werden oft gezwungen ja oder nein zu sagen. Ein derartiger Zwang führt aber meist zu einem No-Go. Schreit der brünstige Liebhaber während dem Koitus:…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com