Plumper Hass erniedrigt nur den, von dem er kommt. Stattdessen sollten man Beleidigungen lieber niveauvoll und gewitzter vortragen – und sich entspannen, wenn man auch mal selbst an der Reihe ist.
Es geschehen derzeit merkwürdige Dinge in unserem nördlichen Nachbarland. Da verbreitet in den sozialen Medien ein älterer Herr, Vater einer behinderten Tochter, über den Wirtschaftsminister Habeck, er sei ein „Schwachkopf“. Das brachte ihm eine Hausdurchsuchung um 6 Uhr morgens ein, inklusive der Beschlagnahmung von Laptop und Handy. Auf sein Bitten hin, dass er das Handy auch für die Betreuung seiner Tochter brauche, gaben ihm die drei Polizisten das Smartphone wieder zurück. Der grüne Wirtschaftsminister soll inzwischen sage und schreibe 900 Anzeigen wegen Beleidigung in Auftrag gegeben haben. Solche verbalen Kraftmeiereien können offensichtlich Ordnungsbußen von bis zu 3.000 Euro nach sich ziehen, kein Pappenstiel für den betroffenen Vater.
Wäre ich in Deutschland und nicht im behaglichen Biel beheimatet, täte sich für mich ein interessantes Geschäftsfeld auf, da ich ja auch ab und zu mit solchen Nettigkeiten eingedeckt werde. So bezeichnete mich beispielsweise ein Bieler Schriftsteller und Berner Literatur-Preisträger in einem Buch durchaus kenntlich als „Ratte“. Was mir das wohl in Deutschland einbrächte? Allerdings weiß ich als Biologielehrer, dass Ratten durchaus soziale und intelligente Tiere sind, und spätestens nach dem formidablen Film „Ratatouille“ habe ich eine gewisse Zuneigung zu diesem Nagetier entwickelt. Ein weiterer Begriff, den er verwendete, war „Abschaum“.
Ich denke, das brächte mit Sicherheit einen hübschen Geldbetrag auf mein Konto, die Titulierung als „Rassist“ hat hingegen wenig Chancen auf Entschädigung. Heute werden bekanntlich fast alle, die sich in der Migrationsfrage etwas kritisch äußern, als „Rassist“ bezeichnet. Spätestens seit die Spitzenkandidatin der AfD, Frau Weidel, in Deutschland von einem Moderator des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als „Nazischlampe“ bezeichnet wurde – Letzterer wurde vom Gericht freigesprochen –, denke ich, dass ich den Begriff „Rassist“ nicht geldbringend anfechten könnte. Die Begründung des Berichts lautete nämlich: „Frau Weidel steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit und muss daher auch überspitzte Kritik hinnehmen (Beschluss vom 11.05.2017, Az.: 324 O 217/17).
Wer austeilt, sollte auch einstecken
In einem Leserbrief beschimpfte mich der pensionierte Lehrer Bruno Vögeli kürzlich als „Brunnenvergifter“. Angesichts der heutigen Geschichtskenntnisse der Richter und wohl auch des Leserbriefschreibers ist nicht anzunehmen, dass ihnen bewusst ist, dass diese Bezeichnung seinerzeit eine beliebte Zuschreibung der Nazis für Juden war. Wie steht es aber mit der Zuschreibung als „Volksverhetzer“, den der ehemalige Lehrer ebenfalls gegen mich verwendete? Hier könnte sich eine Verleumdungsklage lohnen, denn dann müsste der Schreiber seine Behauptung beweisen, also Stellen aus meinem schriftlichen Fundus ausfindig machen, die dessen These erhärten. Der Begriff „Schweinehund“, den ein VPOD-Sekretär und damit Gewerkschaftskollege im Netz an meine Person richtete, als ich mich kritisch über die Integrationsprobleme an unseren Schulen äußerte, geht wohl wieder eher in das Kapitel „Beleidigung“.
Natürlich kommt es mir nicht im Traum in den Sinn, gegen all das juristisch vorzugehen. Unsere überlastete Justiz und die Polizei haben weiß Gott genug zu tun, als sich um beleidigte Kolumnisten zu kümmern. Ich habe nichts gegen Polemik, und wer austeilt, sollte auch einstecken. Ein gewisses Niveau oder ein wenig Sprachwitz würde den Beschimpfungen allerdings einen höheren Unterhaltungswert verleihen. Der leider verstorbene Geologe und Lehrer Max Antennen, eine Bieler Saftwurzel vom Feinsten, bezeichnete seinen Kommissionspräsidenten einmal als „eine Pause in der Schöpfung“, was ihm neben anderem seine Stelle kostete. Und Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, verhöhnte den Berliner Kulturstaatssekretär als „nettes, weißes Hemd“ und „Lebenszwerg“.
Auf ein Wort wie „Lebenszwerg“ muss man erst einmal kommen, das wird der arme Staatssekretär so schnell nicht wieder los. Herbert Wehner, der legendäre deutsche SPD-Fraktionschef in den 1970er Jahren verhunzte bewusst den Namen des CDU-Abgeordneten Todenhöfer als „Hodentöter“ und des Abgeordneten Wohlrabe als „Übelkrähe“. 77 Ordnungsrufe erhielt dieser Mann, das ist einsamer Rekord. Ich übe mich in Gelassenheit. Und das empfehle ich auch all den Mahnern gegen Hetze und Hassrede, die derzeit vor allem von links kommen. Sie rufen nach Regulierungen und sogar Verboten, obwohl viele von ihnen selbst gerne den Zweihänder brauchen, wie die obgenannten Beispiele zeigen. Aber hetzen tun bekanntlich immer die Anderen. Den Verfassern von Hassrede, ob sie nun von links oder rechts kommen, ist nur zu raten, sich bei der Schmährede etwas Zeit zu nehmen. Plumper Hass erniedrigt den Hassenden.
Alain Pichard ist Grünliberaler Großrat im Kanton Bern und Mitbegründer des Bildungsblogs condorcet.ch. Trotz seiner Pensionierung ist er immer noch Lehrer an einer Brennpunktschule in Biel.