Dushan Wegner, Gastautor / 20.09.2020 / 16:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 58 / Seite ausdrucken

Herr Merz und sein Geschwätz von „wir“ und „uns“

Der Herr Merz, so lesen wir (merkur.de, 7.12.2018), der hat eine "Villa am Tegernsee". Das "schmucke Anwesen soll schon länger in Familienbesitz sein", so lesen wir, und außerdem liegt es "recht abgelegen". Komfortable Privatsphäre ist doch der letzte große Luxus. Es gibt keinen Grund zu Neid, weil Herr Merz so eine schicke Hauptwohnung hätte. Wenn wir dem Bericht glauben dürfen, dann ist es nicht seine Hauptwohnung, sondern seine Nebenwohnung. Das Tegernseer Tal, so lernen wir, ist nämlich ein "Zweitwohnsitz-Eldorado".

Vor einiger Zeit wurde debattiert, ob Herr Merz ein Flugzeug besitzt – oder zwei (haha, Sie haben es gemerkt: indem ich "oder zwei" nachschob, änderte sich die Bedeutung des vorherigen "ein" vom unbestimmten Artikel zum Zahlwort; zur Flugzeugfrage jedoch: stern.de, 28.11.2018).

Nun fragen Sie sich selbst womöglich: "Will der Wegner eine Neiddebatte entzünden?" – Und die champagnerkristallglasklare Antwort lautet: "Nein – eine Heucheleidebatte!"

Fast als wäre Herr Merz seit langer Zeit zuerst ein Geldverdiener, und als wäre er nur noch dreimal die Woche ein Politiker – und das auch nur am Abend – sagt Herr Merz immer wieder mal etwas zur Lage des Landes, und es lässt sich wohl nur mit kultureller Tageszeit erklären, wie erstaunlich lang die Schatten in den Zeitungskolumnen sind, die seine in ihrer vertikalen Dimension durchaus sparsamen Worte werfen.

Am 15. September 2020 wurde Herr Merz zitiert:

„Es macht daher weder Sinn, weiter nach einer ‚europäischen Lösung‘ zur Verteilung zu suchen, noch in einen Überbietungswettbewerb in Deutschland einzutreten, wie viele Migranten wir denn aufnehmen sollen". (Merz nach welt.de, 15.9.2020)

Eher „Orakel vom Tegernsee“

Diese Aussage klang nun gar nicht "Bierdeckel", eher "Orakel vom Tegernsee", will sagen: Jeder konnte sie deuten, wie er wollte. Einige deuteten sie tatsächlich so, dass Merz dagegen sei, dass Deutschlands Wohlfahrtskonzerne weiter auf dem Rücken der Bürger den Erfüllungsgehilfen krimineller Schlepperbanden spielen. Nun, wer solche Hoffnung hegte, der wurde nur wenige Tage später wohl korrigiert.

„Solange es in Europa keinen funktionierenden Verteilmechanismus gibt, kann Deutschland einen Teil der anerkannten Flüchtlinge aufnehmen. Das überfordert uns nun wirklich nicht". (Merz nach welt.de, 19.9.2020)

(Ich meine ja, dass seine erste Aussage zu unscharf war – und damit dann doch professionell politisch – um sicher im Widerspruch zu stehen, doch böse Zungen sollen gerufen haben: Widersprich nicht dem Merz – warte, bis er es selbst tut!)

Nein, nicht die Wendigkeit wäre das Problem, und schon gar nicht die Uneindeutigkeit. Ein Politiker musste noch nie zurücktreten, weil er nicht eindeutig genug war – aber mancher, weil er an der entscheidenden Stelle einen Hauch zu greifbar wurde (zumindest früher, als Politik noch ein Schamgefühl kannte; unter Merkel und Staatsfunk ist ohnehin so manches wurscht).

Ob der Herrscher ein Monarch oder ein Demokrat ist (oder eine Mischform aus beidem, so wie heute in Moskau, Istanbul oder Berlin), immer ist er/sie auch eine Projektionsfläche und eine Vertretung der Anliegen des Einzelnen gegenüber den Realitäten der Welt. Wer den Vielen eine Projektionsfläche sein will, muss unbestimmt bleiben und doch zugleich die Phantasie des Einzelnen wie der Masse anregen. Wer zur Macht strebt, soll ein magischer Spiegel sein, in welchem ein jeder sich selbst sieht, wenn auch sprachgewaltiger und weltklüger.

Wer ist das „uns“?

Nein, nicht die Unbestimmtheit verärgert mich, nicht einmal die orwellsche Gegenteilphrase "europäische Lösung". Wenn Merkel, Merz & Co. von einer "europäischen Lösung" reden, meinen sie de facto, dass ganz Europa dem deutschen Irrweg einer praktischen Generaleinladung an Afrika folgen soll (und wenn sie schon dabei sind, dann auch noch Deutschland hinterher in die Abschaffung zuverlässiger Energieversorgung und De-Industrialisierung durch Bürokratieaufwuchs von der Klippe springen). Es gibt eine faktische "europäische Lösung" – der deutsche Wahn ist das Gegenteil davon. Der Twitterer daspunkt brachte es elegant auf eben diesen:

"Ich finde die europäische Lösung beim Thema der illegalen Migration gut. Was mich stört, ist der Umstand, dass Deutschland nicht mitmacht." (@daspunkt, 19.9.2020)

Nein, nicht die Unbestimmtheit und die Übernahme merkellsch-orwellscher Gegenteilworte sind das ärgste Ärgernis. Es ist die Heuchelei, es ist die ganz selbstverständliche Heuchelei des Herrn, der irgendwie gleichzeitig Politrentner und politische Nachwuchshoffnung spielt.

"Das überfordert uns nun wirklich nicht«, sagt der Herr mit der Zweitwohnsitzvilla am Tegernsee". Wie schon beim "Wir" in der Jahrhundertlüge "Wir schaffen das" fragt man sich: Wer ist das "uns", von dem der Multimillionär Merz spricht?!

Wird Herr Merz seine Villa für "junge Männer" öffnen – entgeltfrei natürlich? Seine Kinder sind erwachsen, doch so er Enkel hat: Werden diese auf "Brennpunktschulen" gehen? Muss seine Frau sich nervös fühlen, weil die Gegend um die billigen Discounter, wo sie täglich die Sonderangebote absucht, in den letzten Jahren unsicher wurde?

Nein, natürlich nicht. Nichts von alldem. Die Golf-, Yacht- und sonstigen Clubs der Leute seiner Gehaltsklasse sind abgeriegelt und wohlbeschützt. Deren Milchkaffee kostet mehr als euer Abendessen. Die (Enkel-)Kinder, so meine wilde und freie Vermutung, werden feine Privatschulen und ebensolche Universitäten besuchen, dann Praktika bei Firmen absolvieren, wo "Rolex" eher etwas für die unteren Ränge ist (was dazu führen kann, dass Luxus-Praktikanten für den Job von ihrer Royal Oak auf die Datejust "downgraden").

„Wofür steht Merz – außer dass er die AfD doof findet?“

Ich gönne ja jedem alles, wonach sein Herz begehrt – das Geschwätz von "wir" und "uns" jedoch, wenn im wahren Effekt eigentlich gemeint ist: "ihr da unten, die ihr zu arm und also zu wehrlos seid", dieses heuchlerische Geschwätz ist es, das mir bitter und gallig aufstößt.

Im Essay „Ich fordere das Ende der Forderungen" schlug ich vor: Wer etwas fordert, dessen Folgen er anderen aufbürdet, ist ein Schwätzer und sollte als solcher behandelt werden. (Essay vom 11.9.2020) Friedrich Merz will "uns" etwas aufbürden, das ihn und seine relevanten Strukturen genau gar nicht betreffen wird. Herr Merz lässt ungewollt den Eindruck durchschimmern, dass Deutschland und die Deutschen ihm eher nicht so eine relevante Struktur sind.

Vor zwei Jahren fragte ich: "Wofür steht Merz – außer dass er die AfD doof findet?" (Essay vom 15.11.2018) – Ich kenne die Antwort bis heute nicht. Ich weiß, dass manche Bürger in ihrer Verzweiflung ihre Hoffnung auf Merz richten – ich sehe es nicht.

Ich gönne den Reichen ihren Reichtum, ihre Villen und ihre Flugzeuge, ob sie davon nun eines oder mehrere haben. Wenn die Reichen uns aber regieren wollen, dann sollen sie bitteschön auch uns verteidigen. Schwätzer, die "wir" sagen, aber "ihr da unten in den Brennpunkten" meinen, hat Deutschland genug – es braucht nicht noch einen.

Nein, Merz ist nicht das Licht am Ende des Tunnels. (Um der Zug zu sein, der entgegenkommt, dafür ist er wiederum auch nicht wichtig genug.) – Die politische Figur Merz wirkt mir eher so wie ein liegengebliebenes Fahrzeug am Straßenrand, das regelmäßig mit den Lichtern flackert, und dann schauen wir nach und stellen fest, dass wir uns um die Insassen keine Sorgen machen müssen, und dann fahren wir wieder weiter.

"Deutschland sucht den Superstar" heißt eine Kandidatenshow im Fernsehen. Was Deutschland heute wirklich braucht – und wen es suchen sollte, ist ein simpler Kandidat, dem es magischerweise gelingt, die durch und durch bösartigen Ränkespiele der Parteien zu überleben, ohne innerlich entseelt und zynisch geworden zu sein, ohne vergessen zu haben, was "uns hier unten" wirklich wichtig ist. Ich sehe noch keinen.

Die Suche geht weiter.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com.

 

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Günter Schaumburg / 20.09.2020

Wolf Hagen@ Voll auf den Punkt gebracht. Dieser neue (Geld-)Adel ist einfach nur noch widerlich. Sollen sie mit ihrem Reichtum klotzen und protzen, aber uns gefälligst in Ruhe lassen, denn am Ende erliegen sie auch der Krankheit “Leben”.

Zdenek Wagner / 20.09.2020

Die arrogante Fresse sagt eigentlich schon alles. Davon mal abgesehen: mit den “uns” und “wir” und “Deutschland will” habens die Lumpen und Heuchler alle. Merkel: “Deutschland will” 1500 Flüchtlinge aufnehmen - hoppla! Wer ist Deutschland? Wetten dass dieses hehre Vorhaben keine landesweite Befragung überstehen würde? Versuchen wir uns doch einfach mal in einer direkten Demokratie wie in der Schweiz. Dann aber gute Nacht. Grönemeyer, Schweiger und wie ganzen s.g. Promis alle heißen: keiner von denen hat auch nur einen einzigen Flüchtling bei sich aufgenommen und deren Kinder gehen allesamt auf Elite und Privatschulen. In der Rütlischule in Berlin, wo die zwei deutschen Schüler in einer Klasse voller Moslemkinder tagtäglich Spießruten laufen und sich als Schweinfresser und Schlampen beschimpfen lassen müssen, wird man die Promikinder wohl kaum antreffen. Herr Merz findet die AfD doof? Wie die AfD wohl Herrn Merz findet?

Petra Wilhelmi / 20.09.2020

Ja, auch mir ist es wurscht, wenn jemand schwer reich ist, soll er doch. Was hat ein Reicher denn davon, wenn er z.B. 5 Schlafzimmer und 6 Bäder hat. Auch der Reiche kann nur in einem Bett liegen und unter einer Dusche stehen. Ich frage mich nur immer, wieso Bürger immer noch Merz als Heilsbringer sehen können. Meiner Meinung nach hat das nichts mit Verzweiflung, sondern mit Dummheit zu tun. Bisher hat er kein einziges Mal wirklich Kritik an den Zuständen in Deutschland geübt. Alles weiter laufen lassen, wie es gerade läuft, vielleicht dort mal einen bisschen drehen und dort mal ein bisschen rumschrauben, aber immer so, dass die Hauptrichtung erhalten bleibt, so geht das nicht, denn dann könnte man auch Merkel weiter ihr Zerstörungswerk tun lassen. Wie sagt man: Dann lieber das Original als eine zweitklassige Kopie. Eigene konstruktive Pläne von ihm habe ich nicht gehört. Was will er denn nun wirklich? Mal ein bisschen Macht ausüben. Ist mal etwas anderes als was er sonst macht. Und das was er sonst macht, ist ihm vielleicht zu langweilig geworden. Und wenn man reich ist, passiert es dann, dass man vor lauter Blödheit und Langeweile, weil das Leben keinen Kick mehr zu bieten hat, mal CDU-Chef und Kanzler spielen will. Mehr ist es doch nicht.

Carsten Bertram / 20.09.2020

Sehr gut geschrieben Herr Wegner. Aber die spielen ihr Spiel und genug Leute werden darauf abfahren. Der Eine hat seinen Merz, der Andere steht auf Mutti oder Robert. Völlig egal. Das Ganze geht genau so weiter. Wicht ist, dass es nach einer Alternative aussieht, die Stimme aber bei den Blockparteien der Volkskammer bleibt.

G. Schilling / 20.09.2020

Klaro, immer her mit den “schutzsuchenden” Messermännern, Bombenlegern, Zugschubsern, Vergewaltigern, Dieben, Räubern (hab ich was vergessen?) bezahlen dürfen der dämliche Michel (m,w,d) und zwar so lange wie es den Geschenkbürgern beliebt und nicht den Zahlern. Hoffentlich knallt die Euroblase bald. Dann reicht die Knete nämlich nicht mehr für 26 Prozent Ausländer in D. (neueste Zahlen) Eingebürgerte sind bereits rausgerechnet. Dann wird zwischen wir und ihr klar getrennt.

E Ekat / 20.09.2020

Merz, Söder, Laschet, Röttgen. Habeck, Seehofer,  kann man sich immer wieder über ein Thema aufregen, auf das wir erkennbar keinen Einfluß haben, keiner der Kandidaten wird eine Veränderung herbeiführen.  Das müßte hier doch jedem eigentlich klar sein. Bereits die täuschende Verwendung des Begiffs ” Seenotrettung” muß doch deutlich machen, daß es hier um etwas anderes geht.

P. Wedder / 20.09.2020

Zwischenzeitlich kann einem der Gedanke kommen, dass die Leute die finanziell überdurchschnittlich gut versorgt sind und derartige Forderungen stellen, immer im Hinterkopf haben, dass sie aufgrund ihres monetären Polsters dieses Land jederzeit verlassen können und woanders auch problemlos unterkommen werden. Das ist leider nicht jedem möglich.

Dr. Roland Mock / 20.09.2020

@Herr Faller: Genau das ist das Problem. Aus „ein paar“ werden ein paar zigtausend, 10, 20 oder 100 Kriminelle Clans….. und sie alle werden nie wieder zurückkehren in ihre Heimatländer. Egal ob sie arbeiten oder studieren oder einfach nur herumlungern. Egal ob sie sich an Regeln halten oder ob sie Straftaten begehen. Merz weiß das; es interessiert ihn aber aus den von Dushan Wegner genannten Gründen nicht die Bohne. Trotzdem gibt er seinen dümmlichen Wischiwaschi-Senf dazu ab, Auf welchem Gebiet ist Merz denn noch kompetent? Spätestens nach seinen Forderungen einer „europäischen Arbeitslosenversicherung“ (ein klassisch linkes Projekt) zweifle ich auch stark an seiner Wirtschaftskompetenz. Merz, der einstige Hoffnungsträger, hat sich überflüssig gemacht.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com