Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat ein Interview gegeben und erzählt zum Thema Migration unglaublich dummes Zeug.
Präsident Marcel Fratzscher und sein Deutsches Institut für Wirtschafsforschung in Berlin insgesamt sind bekannt für ihre durchweg regierungsfreundlichen, ja regierungsentlastenden Bekundungen zur Wirtschaftspolitik. Bei Licht betrachtet, scheint es, seit Fratzscher das Haus anführt, dabei oft genug weniger um die Unterstützung der Regierungspolitik insgesamt, sondern von deren grünen Elementen zu gehen. Bestes Beispiel dafür: Die Energieexpertin des DIW, Claudia Kemfert, war von Anfang an überzeugt von der eingeschlagenen Energiewende. Der Umstieg von gesicherter Grundlast auf die windige Schönwettertechnik der Erneuerbaren kann ihr gar nicht schnell genug gehen. DIW eben. So weit so immer erwartbar.
Fratschers hierfür einschlägige jüngste Einlassung in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau (FR) allerdings, in der er sich in die Sozial- und Migrationspolitik hinüberwagt, ist von einem Kaliber, das keinem Leser vorenthalten bleiben sollte. Zunächst mal kann er bei der Lektüre seinen Mitbürgern leidtun, denn Fratscher fühlt sich unwohl in Deutschland:
Die FR fragt: „Herr Fratzscher, wenn Sie sich überlegen müssten, in welches Land Sie einwandern – würden Sie sich für Deutschland entscheiden?“
Fratzscher antwortet: „Aus dem Bauch heraus, nein. Deutschland hat keine gute Willkommenskultur und es geht auch darum, wo man sich wohlfühlt.“
Der Leser beginnt darüber nachzudenken, ob der weltgewandte Fratzscher wohl nur die Bundesregierung und insbesondere die Grünen nicht allein lassen will, nur deshalb sein Wohlbefinden hintanstellt und wider Willen hierbleibt. Natürlich drängt sich sofort auch die Frage auf, wohin der arme Präsident denn überhaupt sonst gehen könnte. Welches andere Land würde sich hier mit einer besseren Willkommenskultur aufdrängen? Eines unserer Nachbarländer? Wirklich? Die USA? Hatte er da irgendeine Idee? Ist der FR die auf der Hand liegende Nachfrage nicht eingefallen, wollte sie ihn nicht in Verlegenheit bringen? Oder wurde dann alles aus Platzgründen weggekürzt? Schade, es wäre interessant gewesen. Vielleicht hätte er sich auch bei Migranten umhören können, in welches Land sie wohl am liebsten gehen, von wegen Willkommenskultur. „Raten Sie mal!“, hätten sie ihm vielleicht freundlich geantwortet.
Ob der gute Mann gelegentlich Zeitung liest?
Noch ganz in Gedanken über all diese Fragen wird der Leser beim Weiterlesen allerdings erst richtig stutzig. Die FR fragt: „Was meinen Sie damit?“
Fratzscher antwortet: „Zum Beispiel die grauenvolle Diskussion um die Bezahlkarte. Die lässt den Eindruck entstehen, Menschen kommen nur wegen der Sozialleistungen zu uns. Aber Personen, die verzweifelt sind, die Schutz suchen, kommen zu uns, egal wie hoch die Sozialleistungen sind. Das Einzige, das wir mit der Bezahlkarte bewirken, ist, dass die IT-Programmiererin aus Indien oder der Ingenieur aus Brasilien sagen: „Das tue ich mir nicht an. Ich gehe lieber dahin, wo ich als Mensch ordentlich behandelt werde.“
Hier fragt sich der Leser, ob der gute Mann gelegentlich Zeitung liest. Hat er eine Ahnung davon, für wen die Bezahlkarte gedacht ist und für wen nicht? Und meint er, die Inderin oder der Brasilianer wohnen so weit weg, dass die das auch nicht unterscheiden könnten? Wüsste man nicht, dass Fratzscher sich gelegentlich auch mal in Asien aufgehalten hat, könnte man ihm Ahnungslosigkeit vorwerfen. So aber muss man konstatieren: Es ist schlicht eine unverschämte Beleidigung ausgerechnet einer gutausgebildeten Inderin, sie als Kronzeugin für die eigene ideologische Denke zu missbrauchen, man könne sich nur wohlfühlen in einem Staat, der ein Sorglos-Vollversorgungspaket für alle bereithält, egal ob sie arbeiten wollen, können, dürfen oder nicht. Eine Inderin? Ein Brasilianer? Als ob die sich nicht ausreichend respektiert und geachtet fühlen würden in einem anderen Land, nur weil man dort mit der Bezahlkarte unterbinden will, dass Armutsflüchtlinge aus Afrika Teile ihrer Unterstützungszahlungen in die Heimat überweisen. Wenn dem führenden Wirtschaftsexperten in Deutschland die Leistungsgesellschaft nicht mehr so recht in den Kram passt, muss man sich in Indien solche Gedanken noch lange nicht zu eigen gemacht haben.
Eine Zumutung für jeden Menschen mit Verstand
Nach nunmehr fast einem Jahrzehnt Erfahrung mit unkontrollierter, illegaler Massenzuwanderung und seinen sozialen wie politischen Verwerfungen ist es eine Zumutung für jeden Menschen mit Verstand, feststellen zu müssen, dass der Chef eines der sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute des Landes immer noch nicht den Unterschied dieser Entwicklung zu einer gezielten Fachkräftezuwanderung erkannt hat, er arglistig den Anschein erwecken will, dass dies in allen anderen Ländern auch in einen Topf geschmissen werde und dort vor allem eine Willkommenskultur herrsche und in Deutschland nicht. Und dass rundweg alle Flüchtlinge „verzweifelt“ seien, „Schutz suchen“ – da sollte man Fratzscher auch mal die tägliche Zeitungslektüre empfehlen. Die geringe Quote der Asylanerkennungen, über die dort hin und wieder informiert wird, könnte ihn – bei gutem Willen – eines Besseren belehren.
Obendrein scheint es dem Wirtschaftsexperten völlig egal zu sein, dass die Sozialhaushalte endlich sind, sie in Deutschland inzwischen ein Drittel des gesamten Bruttoinlandsproduktes und weit über die Hälfte aller öffentlichen Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden ausmachen. Insbesondere die Kommunalhaushalte werden durch die Hilfe für illegal Eingewanderte stranguliert. Bildlich abzulesen ist all das am Zustand der deutschen Infrastruktur, des Bildungswesens und der Lage der Wirtschaft allgemein. Fratzscher könnte sich auch mal mit Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner unterhalten, die würden ihm mitteilen: „Deutschland ist nicht mehr konkurrenzfähig.“ Nun gut, dem DIW-Präsidenten Fratzscher scheint die Konkurrenzfähigkeit bei der Willkommenskultur wichtiger zu sein. Leider hat man ihn nicht gefragt, an welcher Stelle er Deutschland hierbei eigentlich sieht. Und warum.
Ulli Kulke ist Journalist und Buchautor. Zu seinen journalistischen Stationen zählen unter anderem die „taz“, „mare“, „Welt“ und „Welt am Sonntag“, er schrieb Reportagen und Essays für „Zeit-Magazin“ und „SZ-Magazin“, auch Titelgeschichten für „National Geographic“, und veröffentlichte mehrere Bücher zu historischen Themen.