Hermannsschlacht mit Nachhilfeunterricht

Heinrich von Kleist hat stärkere Dramen verfasst als „Die Hermannsschlacht“. Darüber sind sich so ziemlich alle einig, die dem Dichter ein paar Sätze widmen. Er selbst hat sein 1808 abgeschlossenes Stück nie auf der Bühne gesehen. Kleist verabschiedete sich bereits 1811 freiwillig in eine möglicherweise bessere Welt. Uraufgeführt wurde die „Hermannsschlacht“ erst 1860 in Breslau.

Worum geht es? Allzu kompliziert ist es nicht. Der Cherusker Arminius, später auch gern unter Hermann geführt, zieht die germanischen Stämme zusammen und besiegt schließlich in der legendären Schlacht im Teutoburger Wald, welche die Geschichtsschreibung im Jahr 9 n. Chr. verortet, die römischen Eindringlinge. Kleist verfasste das Stück zur Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft, der entsprechende Interpretationsstrang ist naheliegend. Den Helden gestaltete der Dichter, gelinde ausgedrückt, ambivalent. Zielstrebigkeit und Entschlossenheit sind ihm nicht abzusprechen, jedoch heiligt ihm der Zweck die Mittel. Um seine Mitstreiter anzuspornen, stachelt er nicht nur auf, sondern lässt tatsächliche Gräueltaten der Besatzer ausschmücken. Er scheut sich nicht, Germanen loszuschicken, die, verkleidet als Römer, nicht nur im übertragenen Sinne im eigenen Land zündeln. Moralisch also alles andere als ein Vorzeigeheld. Zwar sind da auf der einen Seite die Truppen des Feldherrn Varus, andererseits – und hier darf man sich ausnahmsweise mal zu recht eines inzwischen sehr verbreiteten Vokabulars bedienen – schürt Arminius/Hermann Hass, lügt, hetzt, verbreitet Falschnachrichten und lässt seinen Landsleuten Schaden zufügen. Ein unangenehmer Typ. Allerdings auch einer, der es am Ende reißt.

Eigentlich eine ganze Menge Stoff, um per Theaterinszenierung über Widersprüchlichkeiten, fragwürdige Notwendigkeiten, menschliche Stärken, Schwächen, Abgründe und den niemals ganz glatten Gang der Geschichte zu reflektieren. Und, das ist das Beste, man kann das Stück mit wenig Mühe in die nicht erst seit dem Jahr 2019 gefühlt nahezu allgegenwärtige politische Wunsch-Linie bringen. Der böse Arminius/Hermann lässt sich gut rausarbeiten – dass die Römer nicht so direkt eingeladen waren, kann man ruhig hinantstellen. Da das Stück im Original ewig lang ist und eine riesige Zahl von Rollen zu vergeben wäre, ist es ohnehin ratsam, im Hinblick auf das ungeduldige Publikum, das 200 Jahre alte Drama zu kürzen und Texte ausgelassener Darsteller in den Mund verbliebener zu verlegen. Soweit verläuft erwartungsgemäß die Vorstellung der „Hermannsschlacht“, die derzeit am Schauspiel Leipzig zu sehen ist.

„Bedingungslose Gastfreundschaft“

Eigentlich hatte man es verstanden. Ausreichend. Eigentlich. Um aber ganz sicher zu gehen, ist nach dem Schlussapplaus, trotz berechtigtem Garderobenmarkengeklapper, doch noch nicht ganz Schluss. Wir leben in politisch hochbrisanten Verhältnissen, und da muss nochmal nachgesetzt werden. Die Darsteller des Arminius/Hermann und der Thusnelda, seiner Frau, treten abermals vor. In einer Art Wechselmonolog, der die römische beziehungsweise Kleist-zeitliche französische Invasion (wir erinnern uns, die ist für das Spannungsfeld bezüglich des amoralischen Helden Arminius/Hermann wichtig) gänzlich aus dem Blickwinkel rückt, wird nun auch dem Letzten im Publikum klar gemacht, wo das eigentliche Übel, vielleicht sogar das Urübel liegt. Im Deutschen.

Mehr oder weniger bekannte Zitate werden aufgeboten. Zum Beispiel kommt Kaiser Wilhelm II. zu Wort, der zu Beginn des Ersten Weltkrieges vernehmen ließ: „Mitten im Frieden überfällt uns der Feind.“ Hier würden noch einige Historiker in die Bresche springen und sagen, das mit der deutschen Alleinschuld im Sommer 1914, auf die der offensichtliche Irrtum der Majestät hinweisen soll, sei eine streitbare Angelegenheit. Aber spätestens mit dem Zitat „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen!“, dessen bekanntem Urheber nun wirklich kein vernünftiger Mensch irgendwelche positiven Züge zuerkennen wird, ist allen verständlich, dass über Kleist vor Deutschland an sich gewarnt werden muss. Ein verdorbenes Land eben, das möglichst schnell verschwinden sollte. Dass Deutschland darüber hinaus lächerlich und blöde ist, zeigt aktuell auch gerade die Bundesregierung. Und die muss es wissen.

Wie aber nun weiter? Erlösung ist möglich, so steht es im Programmheft zur „Hermannsschlacht“, im hier abgedruckten (und auch schon anderweitig erschienenen) Text von Priya Basil, Titel: „Bedingungslose Gastfreundschaft“.

Frau Basil hat im Alter von zwölf Jahren begriffen, so ihre eigenen Worte, dass „die Liebe keine erschöpfliche Ressource“ ist. Dann zitiert sie Hélène Cixous: „Was man liebt, ist, was man sich nicht gewünscht hat.“ Spätestens an dieser Stelle möchte man die trapsende Nachtigall zur Ruhe mahnen. Aber es geht noch was. Chefdekonstrukteur Jacques Derrida kommt ins Spiel. „Absolute Gastfreundschaft“, so gibt Frau Basil ihn wieder, „erfordert, dass ich mein Zuhause (chez-moi) öffne und nicht nur dem Fremden, sondern auch dem unbekannten, anonymen absolut Anderen eine Statt gebe (donne lieu), ohne von ihm eine Gegenseitigkeit zu verlangen oder ihn nach seinem Namen zu fragen.“

Angesichts des großen Bogens, der hier geschlagen wird, wirken Fragen, was das noch mit Kleists „Hermannsschlacht“ zu tun hat und ob die Römer seinerzeit „Gäste“ waren oder der Hinweis, dass das Wort „Gast“ auch immer das Element des befristeten Aufenthalts und der Rückkehr enthält, kleingeistig.

Von schwierigen Germanen bis zur EU

Um jeglichen Irrtum, was das Ganze soll, auszuschließen, heißt es im Programmheft weiter: „In einer Zeit, da die Frage danach, wer das Recht hat, sich wo aufzuhalten und unter welchen Bedingungen, so verworren ist, steht die EU – mit ihren Idealen, nicht immer ihrem Handeln – für ein umfassendes Konzept von Zugehörigkeit. Der Sternenkreis auf ihrer Flagge kann einem, kneift man die Augen zusammen, wie ein Glorienschein der Gastfreundschaft vorkommen.“ Eines besseren belehrt sieht sich hier jeder, dem in der DDR Musikunterricht vergönnt war und der bislang die Liedzeilen „Hammer und Zirkel im Ährenkranz, Zeichen des Glücks an der Wiege…“ für einen Gipfelpunkt gehalten hatte.

Das war auch schon die schönste Passage des Textes von Frau Basil, der Rest (etwas über „Nationalismus“, dessen „schamloses Revival“ und „hässliche, verlogene Rhetorik“) kommt da schon nicht mehr mit. 

Von Kleist und seinem Rückgriff auf einen schwierigen Germanen über Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler zum Glorienschein der EU-Flagge. Mehr ist aus einem Theaterabend kaum rauszuholen.

Foto: Schauspielhaus Leipzig/Rolf Arnold

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Leserpost

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Marcel Seiler / 30.10.2019

Dieser deutsche Selbsthass, der zur Selbstzerstörung aufruft, treibt Björn Höcke die Massen in die Arme. Wie hoch ist eigentlich der IQ derer, die an deutschen Theatern das Sagen haben?

Martin Rühle / 30.10.2019

Ins Theater gehe ich erst wieder, wenn diese elende linksgrüne MultiKulti Schickeria ihre ebensolchen Vergewaltigungen der Kultur und niveaulosen Indoktrinierungen unter Aufsicht in der Produktion oder beim Rübenstechen auf dem Feld praktiziert! Bis dahin erlaube ich mir die Klassiker an langen Winterabenden zu LESEN ...

Petra Wilhelmi / 30.10.2019

Alles richtig. Wer aber sagt, dass Arminius deshalb auch als negativ einzuschätzen wäre, weil er meinte, dass im Krieg jedes Mittel geheiligt wäre, liegt falsch. Wer gewinnen will, muss jedes Mittel ergreifen, was er in die Hand bekommen kann. Es war auch damals ein asymetrischer Krieg, der eben nur mit List, Tücke und strategischem Können gegen die größte Militärmacht des Altertums gewonnen werden konnte. Arminius hatte den unbedingten Willen zum Sieg. Und genau dort liegt der Knackpunkt, der überall im linksgrünen Mainstream verleugnet wird. Dieser Wille zum Sieg ist vor allem den Deutschen abhanden gekommen. Die Deutschen sind besoffen von einem Bild des “Edlen Wilden”, das uns aus den bürgerlichen Wohnzimmern des 19. Jhd überkommen ist. Vor allem Frauen begreifen nicht, dass Kriege IMMER schmutzig sind - heroisch und edel nur im Fantasyfilm - und nur der gewinnt, der es auch unter allen Umständen will. Und genau deshalb werden wir untergehen, weil wir keinen Willen zum Sieg mehr in uns spüren, zumindest die meisten nicht. Da das heutige Theater meist nur noch Agit-Prop-Theater ist, muss man nicht über das Leipziger Schauspielhaus berichten. Das existiert nur noch, weil es Steuergelder verbraten darf.

B.Kröger / 30.10.2019

Ob Frau Basil die von ihr propagierte “bedingungslose Gastfreundschaft” auch selber praktiziert?  Ob sie ihre Wohnung, ihr Haus für alle vorbeikommenden Menschen bedingungslos offen hält?

Jörg Themlitz / 30.10.2019

“Mehr ist aus einem Theaterabend kaum rauszuholen.” Da geht noch jede Menge mit den Werken und Taten unserer Vorfahren. DDR Fernsehen 2.0 anlässlich des A. von Humboldt Jubiläums wurde mir mitgeteilt, Humboldt war nicht Berliner, Brandenburger, Preuße und Deutscher schon gar nicht. Er war “Europäer”! ...und eigentlich schon ein Grüner. Keine Erwähnung fand die Tatsache, dass er jahrelang im Bergbau gearbeitet und dort viele neue Verfahren entwickelt hat, um mehr und schneller das Erz zu Tage zu fördern. Wer essen will, muss arbeiten! Erst nach einer Erbschaft konnte er diesen Broterwerb beenden und seinem Hobby nachgehen, mit hervorragenden Ergebnissen. Leider greift heut immer mehr die Auffassung um sich, wir wollen essen, die Anderen sollen zu unseren Bedingungen arbeiten. Unschlagbar das Zitat von E. Bauer: “Sie säen nicht sie ernten nicht aber wissen alles besser”

Detlef Jung / 30.10.2019

Haha, der Kulturbetrieb - so ein Theaterbesuch konnte schon vor 9/11 eklig sein - der verschwurbelten Interpretation und der Humorlosigkeit der Beteiligten wegen. Aber ja, ich lass das inzwischen vollumfänglich, da sind sind ja hundert Euro für ein Knöllchen besser angelegt. Lieber Herr Lommatzsch, was hatten Sie denn von und in “Leibzsch” , liebevoll auch Soros Endzeit Community genannt - anderes derzeit erwartet? Eventuell sollten wir uns den von den Klatschhasen der Globalisten euphorischen begleiteten Einmarsch der “erfordert, dass ich mein Zuhause (chez-moi) öffne und nicht nur dem Fremden, sondern auch dem unbekannten, anonymen absolut Anderen eine Statt gebe (donne lieu), ohne von ihm eine Gegenseitigkeit zu verlangen oder ihn nach seinem Namen zu fragen” für eigene Ambitionen listig auslegen. Solln se alle herkommen in das Land wo sie gut und gerne leben, wir gehen dann geschlossen nach Namibia et al und machen dort erst dicht und es uns dann gemütlich. Nach und nach tauschen wir mit den noch bleibewilligen Indigenen unsere Kenntnisse uns und hurra - die Integration läuft - anders allerdings als es sich die spendablen Großinvestoren vorgestellt haben werden. Und nein, Afrika nimmt die neudeutschen Globisierungsverlierer dann womöglich nicht mehr zurück.

Hannes Schmidt / 30.10.2019

“...ob die Römer seinerzeit „Gäste“ waren…” Okay… die Römer derzeit sollen jetzt Gäste gewesen sein…(???) War die Wehrmacht in Polen, Frankreich etc. auch nur “zu Gast”? Und was ist mit dem “bösen Kolonialismus”? Das müssten doch nach Logik von Frau Basil auch “Gäste” gewesen sein… Oder kann die Welt nur in Deutschland/Europa zu Gast sein, aber Deutsche/Europäer nicht in der Welt (da dies dann automatisch böser Kolonialismus oder feindliche Besatzung ist)? Und nur so nebenbei eine rhetorische Frage an Frau Basil: Würden sie in ihrem Haus jemanden aufnehmen, von dem sie rein gar nichts wissen? Jemanden, der evtl. zuvor lautstark ihre Lebensführung angegriffen hat? Jemanden, der vielleicht zuvor ihren Vorgarten verwüstet hat? Oder würden sie eine solche Person doch eher an der Tür abweisen, aus Selbstschutz?

Dr. Gerhard Giesemann / 30.10.2019

Also gut, Herr Lommatzsch, ich bin überzeugt: Lasst uns die Merkel, den culino inchiavabile ablösen durch Salvini, München ist eh nur ein Vorort von Roma aeterna - schon länger - mit Leuten, die eine gute und bessere Kültür ins Land bringen: Siempre benvenuti - welcome. (O.k., der Satz ist verunglückt). Auch die französische Küche ist letztlich italienisch, hätten die Römer doch den Arminius rechtzeitig gegriffen, ordentlich durch gefüttert, immer leicht besoffen gehalten - nix wäre passiert, außer, dass wir schon lange Salvini als BKler ... .  Und wie isses doch am Rhein so schön, dort, wo die Römer waren, porta nigra! (Warum kömmt eigentlich so viel an Unglück aus dem Saarland - ach, liegt ja bisschen neben dem Rhein). Glück auf!

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