Alexander Wendt / 23.12.2013 / 10:09 / 0 / Seite ausdrucken

Helmut Schmidt - der Tag der Dankbarkeit

In diesem Moment müssen alle kleinkarierten Kritiker verstummen, all diejenigen, die Helmut Schmidts weltweise Worte von heute impertinenterweise mit seinen Entscheidung in seiner Kanzlerära engführen wie in kürzlich Ralf Neukirch im Spiegel. Denn heute feiert der Überkanzler aller Deutschen seinen 95. Geburtstag, und alle Bonsaipolitiker und Untertanen sagen: danke, danke, danke! Wie Schmidts Geburtstag begangen wird, lesen Sie unten. Mehr erschütternde Gespräche, von den Achsen-Autoren Silvia Meixner, Gideon Böss und Alexander Wendt protokolliert, gibt es unter helmutschmidtbuch.de oder gleich in dem schmucken roten Bändchen “Auf ein Gläschen mit Helmut Schmidt”.

Skol! Geburtstag mit Willy

Helmut Schmidt bereitet seinen Ehrentag vor, erinnert sich an seinen Beitrag zum Sechstagekrieg, kann aber beim besten Willen nicht mehr sagen, wo sein weißer Elefant abgeblieben ist

Lieber Herr Schmidt, ein großes Ereignis steht bevor: Ihr 95. Geburtstag. Wie sollten wir ihn begehen?

Was heißt wir? Sind Sie eingeladen?

Ich versehe die Aufgabe des Organisators, wenn ich Sie erinnern darf. Ich sorge für die richtige Atmosphäre, schenke Wein nach…

Richtig, Sie sind der Butler. Das hatte ich kurzzeitig verdrängt. Die Frage, wie mein 95. Geburtstag gefeiert werden sollte, liegt doch auf der Hand: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr.

Ich dachte mir fast, das Sie das sagen würden. Und ich soll wie immer die Geburtstagsgäste spielen?

Wie gesagt: dieselbe Prozedur. Ich finde, es spart viel Kosten und Mühe, wenn beim Feiern nur einer am Tisch sitzt.  Überhaupt stehe ich dem ganzen Brimborium kritisch gegenüber. Aber als Jubilar kann ich mich meiner Verantwortung ja schlecht entziehen. Geschenke kommen zum Glück mit der Post.

Wollen wir dann kurz die Gästeliste durchgehen? Zunächst hätten wir Giscard d’Estaing. Ich verknote mir immer die Zunge, wenn ich diesen französischen Akzent nachmachen muss.

Das gehört nun mal zu Ihren Aufgaben. In der Tat, Ihr nasaler Akzent könnte besser ein. Aber um Gräfin Dönhoff zu zitieren: Es ist nicht leicht, gutes Personal zu finden.

Wenn ich d’Estaing spiele, muss ich dann auch wieder über Ihren Standardwitz lachen: Warum haben französische Panzer vier Rückwärtsgänge und ein Vorwärtsgang?

Den kenne ich gar nicht. Wieso einen Vorwärtsgang?

Falls der Feind von hinten kommt. Sie erzählen den jedes Mal.

Nee? Das sind eben die Freuden des Alters – man vergisst auch das eine oder andere. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Sollte ich den Witz erzählen, dann bitte ich um zustimmendes Gelächter.

Ich werde mein Bestes tun. Als nächstes hätten wir Norbert Blüm. Ich werde also wieder in die Hocke gehen und rufen: ‚Ein fröhliches neues Jahr, Herr Schmidt!’

Das gehört unabdingbar dazu. Ich finde, diese alberne und eigentlich ziemlich bedauernswerte Figur verkörpern Sie immer besonders gut.

Freut mich, wenn ich zu Ihrer Erheiterung beitragen darf. Allerdings, wenn ich Willy Brandt spiele, muss ich dann wirklich wieder die Hacken zusammenschlagen und Skol rufen?

Lorenzo, tun Sie es mir zuliebe.

Aber warum?

Für einen Halbskandinavier wie Willy passt Skol doch ausgezeichnet.

Ich meine das Hackenschlagen. Das tut meinen Knochen nämlich außerordentlich weh.

Das macht Ihre Darstellung ja so authentisch. Willy verstand nämlich nichts vom Militär. Als der ägyptische Präsident Nasser ihn im Sechstagekrieg um Rat gefragt hatte, wusste er überhaupt nicht, was er ihm sagen sollte. Also schickte er Nasser zu mir.

Und wozu hatten Sie ihm geraten?

Zur russischen Strategie: Sich tief ins Land zurückziehen und auf den Winter warten. In der konkreten Umsetzung hatten die Ägypter allerdings gepfuscht.

Zum Glück hatten die wenigstens beim Pyramidenbau auf Sie gehört.

Wie bitte?

Kleiner Scherz. Gut, dann wäre die Liste komplett. Und als Geburtstagsspeisefolge wieder Kartoffelsuppe, Labskaus, Pekingente und zwei Schachteln Mentholstäbchen?

Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr, Lorenzo.

Heißt das, ich muß auch wieder über das Eisbärenfell mit der Kohl-Maske stolpern?

Selbstverständlich. Das beherrschen Sie doch jedes Mal besser.

Erwarten sie auch wieder so viele Geschenke aus aller Welt wie zur letzten Feier?

Sie wissen doch, dass ich nichts mehr brauche. Jedes Jahr schicken die Leute mir neue Staubfänger: Lapislazulitruhen für meine Zigaretten, Ascher aus Obsidian, eine Dunstabzugshaube aus Rauchquarz habe ich auch schon bekommen. Außerdem ein Schachspiel aus Elfenbein von diesem Sozialdemokraten. Was soll ich damit?

Ein Sozialdemokrat?

Sparen Sie sich die Polemik.

Neinnein, verstehen Sie mich nicht falsch: Sie meinen mit Sicherheit Peer Steinbrück. Bekanntlich kam er zu Ihnen nach Hause, und Sie hatten ihn gewissermaßen im Alleingang zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei ausgerufen. Wollen Sie diesen historischen Moment für unsere Leser nicht genauer schildern?

Eigentlich war das ein ganz netter junger Mann, so weit ich mich erinnere. Allerdings erzählte er unentwegt, er würde Klartext reden. Erst einmal wollte er, dass wir ein schönes Erinnerungsfoto mit meinem Schachbrett machen. Und dann legt er mit seinem Klartext los: Bei mir sei die Luft genau so stickig wie in der Parteizentrale, ich sollte mal richtig durchlüften, und Zigaretten ohne Steuerbanderole, wie sie für mich im Freihafen vom Laster fallen, das könnte er sich in seiner Position gar nicht leisten. Dann sagte er, versteh ich aber auch, Ihre Sparsamkeit, schließlich mussten Sie jahrelang mit dieser mittelmäßigen Bezahlung zurandekommen. Ihm würde schon der Titel für sein nächstes Buch vorschweben, gleich nach dem Wahlkampf: „Karrierefalle Kanzleramt.“ Jedenfalls, er redete und redete. Irgendwann hatte ich die Hörgeräte rausgenommen und ein bisschen geraucht.

Faszinierend. Wie ging der Austausch zwischen ihnen weiter?

Zwei Tage später hatte ich seine Rechnung im Briefkasten: Einmal Klartext: fünfzehntausend Euro plus Mehrwertsteuer. Das fand ich dann doch etwas impertinent. Er reagierte dann allerdings sofort auf meinen Anruf: ‚Natürlich bin ich umsonst bei Ihnen gewesen, Herr Schmidt.’ Als Wiedergutmachung kam dann das Elfenbeinschachspiel zum Vierundneunzigsten. Wie gesagt, netter junger Mann

An welchem Ihrer Geburtstage hatten Sie eigentlich die meisten Geschenke erhalten?

Das Gesamtgeschenkgewicht an meinem Achtzigsten lag bei 42,9 Tonnen, das war mein persönlicher Rekord und noch ein Tick mehr, als Willy zu seinem Fünfundsiebzigsten bekommen hatte.

Zweiundvierzig Tonnen!

Komma neun!

Klingt nach einer gewaltigen Menge. Was hatte denn damals so viel gewogen?

Ein weisser Elefant. Das war ein Geschenk des indischen Premierministers. Der Mann musste einfach immer so tun, als wäre ich der Kaiser von China.

Parbleu! Was ist dann mit dem Tier passiert?

Mit diesem Detail bin ich wirklich überfragt. Mir ist ein anderer Punkt wichtig, wenn ich hier schon über Lapislazulikästen, Elefanten und Elfenbeinzeugs spreche: Prunk und Aufwand befremden mich. Wahrscheinlich hatte ich das noch nie erwähnt, aber die Eigenschaft, die ich an mir selbst am meisten schätze, ist Bescheidenheit. Wenn ich anderen eine Aufmerksamkeit erweise, dann tue ich das auf dezente Weise. Ich verschenke seit über 50 Jahren handsignierte Exemplare meines Buches ‚Abschreckung oder Vergeltung’  von 1961.

Wem sagen Sie das? Ich besitze schon elf Stück.

Na sehen Sie! Demnächst haben Sie das Dutzend voll. Das erinnert mich übrigens daran, dass ich einen Nachdruck in Auftrag geben sollte. Langsam werden die Mängelexemplare von damals nämlich knapp.

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