achgut.de dokumentiert mit Erlaubnis von Helmut Markwort dessen Laudatio:
Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, wie unser Preispatron Ludwig Börne sich heute fühlt. Rotiert er wie wild im Grab, wie mir ein entrüsteter Zeitgenosse aus der Gegend von Dinkelsbühl mailt, oder freut er sich, dass eines seiner ungezogenen Geisteskinder seinen Preis bekommt? Sympathisiert er mit der “taz”, in der zu lesen ist, Henryk Broder habe den Preis nicht verdient und die Auszeichnung sei eine „Beleidigung des Humanismus“, oder fragt er mit der FAZ: „Warum ist man nicht schon früher auf Broder gekommen?“
Ich bin fest davon überzeugt, dass Ludwig Börne von Wolke 1832 mit Wohlgefallen auf Henryk M. Broder herabblickt, weil er viele Parallelen, viel Denk- und Schreibverwandtschaft entdeckt. Auch Börne wurde zu Lebzeiten bejubelt und verteufelt. Auf dem Freiheitsfest bei Hambach, wohin er aus Paris gereist war, feierten ihn die Menschen auf den Straßen und in den Wirtshäusern als deutschen Patrioten, huldigten ihm mit Sprechchören „Es lebe Ludwig Börne!“ Er war der erste Journalist, der allein durch die Wirkung seiner Worte berühmt wurde.
Zu seinen Schreibzeiten hat er genauso polarisiert wie heute Henryk Broder. In den „Blättern für literarische Unterhaltung“ schreibt der damalige Bestsellerautor Willibald Alexis: „Börne ist ein deutscher Ultraliberaler. Reicht denn das Wort aus, diesen Inbegriff von knabenhafter Wut, pöbelhafter Ungezogenheit, diesen bodenlosen Revolutionsgeist, diese hohle, ans Alberne streifende Begeisterung für negierende Begriffe auszudrücken?“ Und die „Münchener Politische Zeitung“ tobte mehrere Monate nach dem Triumph von Hambach ganz primitiv: „Wo irgend auf deutschem Boden ein Galgen steht, wird man kein würdigeres Subjekt daran aufzuhängen finden als diesen Herrn Baruch modo Börne.”
Heute haben diese giftigen Texte nur noch den Wert von kuriosen Zwischenrufen. Ludwig Börnes Leistung ist unbestritten, sein lebenslanger Kampf gegen Goethe wird akademisch bewertet, als einziger Nur-Journalist ist er in die Reihen der Klassiker aufgenommen worden. Seine Pamphlete werden genossen, seine Polemiken werden zitiert. Ist nur ein toter Polemiker ein guter Polemiker? Ulrich von Hutten und Martin Luther, Lessing und Lichtenberg, Schopenhauer und Tucholsky sind Klassiker, anerkannte deutsche Meister in den Kategorien grober Ton und freche Schreibe.
Henryk Broder ist der Nachfahre dieser Klassiker, aber er steckt noch mitten im Getümmel von Freund und Feind. Ihm fliegen noch in aller Öffentlichkeit die Konter ins Gesicht.
Freuen wir uns, dass es ihn gibt, freuen wir uns, dass er Tag für Tag den Mut aufbringt, in klarem verständlichen Deutsch Fakten zu benennen und zu bewerten. Er tut dies – mit einem Begriff von Ludwig Marcuse – „grobianissimo“ und erfüllt damit die Forderung von Ludwig Börne an einen „Zeitschriftsteller“, wie der sich selber definiert hat. Broder schreibt, wie Börne es verlangt. In einem seiner 115 Briefe aus Paris steht das Rezept: „Der Deutsche liebt bescheidenes Rechten, mäßiges Fordern, sanften Tadel, stille Vorwürfe. Darum muss man, um auf sie zu wirken, durch Rede und Schrift anmaßlich streiten, ungebührlich fordern, bitten, tadeln und polternd zurechtweisen. Man muss ihnen alles übertreiben, sie haben eine Elefantenhaut, zarten Kitzel fühlen sie nicht, man muss ihnen eine Stange in die Rippen stoßen.“
Seinem Temperament gemäß formuliert er leidenschaftlich und überraschend. Auch mit seinen krassen Sprachbildern erfüllt er eine Forderung des Klassikers Ludwig Börne. Auf den Vorwurf, eine „nicht gebräuchliche Formulierung“ verwandt zu haben, antwortete Börne mit einem Appell, den bis heute viele Phrasen drescher und Fertigdeutschverwender nicht beherzigen. Er schrieb: „Es soll nicht gebräuchlich seyn.“ Ein Schriftsteller dürfe nichts Gebrauchtes, sondern müsse immer Frisches schreiben. In diesem Sinne schreibt Henryk Broder immer frisch – und oft unfair. Was Jan Philipp Reemtsma über Lessing sagt, gilt selbstverständlich auch für Broder: „Polemik ist per se nicht fair, jedenfalls nicht fair in dem Sinne, wie es ein Kampf wäre, in dem man dem Gegner, wenn ihm aus Ungeschick die Waffe in den Sand fällt, Gelegenheit gibt, sie wieder aufzuheben. Man sticht zu.“
Marcel Reich-Ranicki, der Börne heute nicht nur großartig rezitiert, sondern hier vor zwölf Jahren auch voller Zuneigung und Kennerschaft analysiert hat, rechtfertigt den Attacken-Ton mit der These: „Einseitigkeit und Ungerechtigkeit gehören nun einmal zum Handwerk des Pamphletisten.“ Ich berufe mich darauf ausdrücklich gegenüber Henryk M. Broder. Der bestreitet nämlich, ein Polemiker und Pamphletist zu sein, obwohl er diese Gattung erfrischend wiederbelebt hat. Als wir uns nach der Bekannt gabe dieser Ehrung für ihn einen Nachmittag zusammen setzten, wollte er von Polemik und Pamphleten nichts wissen. Er sei einer, der nur höre, lese, staune und aufschreibe, wollte er mir weismachen. Ich halte diese Simplicius-Simplicissimus-Rolle für pure Koketterie und lasse mich nicht davon abbringen, ihn als einen Meister dieser leider wenig gepflegten und bei uns wenig geliebten Kunstformen zu preisen.
Wie weit er die Koketterie treibt, fand ich heraus, als ich mich mit seinem middle initial „M“ beschäftigte. Ich wollte wissen, wie der zu lobende Preisträger Henryk M. Broder komplett heißt. In mehreren Veröffentlichungen fand ich die Erklärung, M stehe für Modest, also – zur Auswahl – der Besonnene, der Bescheidene, der Mäßigende. Alle drei Übersetzungen passen natürlich überhaupt nicht zu einem polemischen Provokateur, der keinem Streit aus dem Weg geht und keine Pointe unterdrücken mag. Die Eltern hatten daneben gelangt, aber vielleicht, so mutmaßte ich, waren sie ja Liebhaber des russischen Komponisten Modest Petrowitsch Mussorgskij und hatten schöne Erinnerungen an die Oper „Boris Godunow“.
Nichts davon ist richtig. Recherchen im ehemaligen Ober schlesien haben die Wahrheit ans Licht gebracht. Broders Eltern hatten ihren Sohn mit dem zweiten Namen Marcin getauft, das polnische Wort für Martin. Henryk selber hat sich später eigenmächtig in Modest umbenannt, ein Beispiel von extremer Selbstironie. Wir haben es also mit dem ungewöhnlichen Fall eines pseudonymen Zweitvornamens zu tun. Die Eltern des kleinen Henryk hatten vermutlich auch nie etwas von Modest Mussorgskij gehört.
Sie hatten Ghettos und KZ überlebt und schlugen sich mühsam durchs Leben, als im August 1946 in Kattowitz nach seiner Schwester, die heute unter uns ist, ein Sohn geboren wurde. Henryk war Pole, hörte zu Hause in der Familie nur Polnisch und besuchte die polnische Grundschule. Nichts sprach für eine Karriere in Deutschland, schon gar nicht mithilfe der deutschen Sprache. Weil Henryk in der Schule als Judenkind gemobbt wurde, wollten die Eltern weg aus Polen. Als Henryk elf war, zog die Familie mit ihm zuerst nach Wien und dann bald nach Köln. Dort startete der polnische Junge aus Kattowitz eine beispielhafte Aufholjagd in der Disziplin deutsche Sprache.
Man muss sich das vorstellen: Der Elfjährige konnte nur Polnisch, schwamm aber schon nach wenigen Jahren in der deutschen Sprache wie ein Fisch im Wasser. Die armen Eltern leisteten sich eine Privatlehrerin für den Sohn, und der selber stürzte sich mit Ehrgeiz und Hartnäckigkeit in seine Lektionen. Deutsch war sein Wahlfach. Er konnte gar nicht warten, bis die Lehrerin kam, hörte Radio zur Erweiterung seines Wortschatzes und übte solo mit dem Tonbandgerät, um korrekt zu sprechen und um die andere Silbenbetonung loszuwerden, die er in der polnischen Sprache gelernt hatte.
Er beschloss, bald besser Deutsch zu können als seine Lehrer. Er hat es wohl geschafft. Bald schrieb er in der Schülerzeitung seines Kölner Gymnasiums, wurde schnell ihr Chefredakteur. Und er las, was er in die Finger bekam. Erst alles von Karl May, dann entdeckte er Kästner, Fallada, Tucholsky und Friedell. Er hatte mehr Zeit als die Mitschüler und nutzte sie zum Lesen. Religion verhalf ihm zu Freistunden und oft auch der Sport. Manchmal konnte er wegen seines Asthmaleidens nicht teilnehmen, und wenn er einmal teilnahm, wählten ihn die Sportfreunde nur ungern in ihre Mannschaft. Nicht, weil er Jude war, sondern weil sie fürchteten, mit dem unsportlichen Kleinen zu verlieren. Henryk tröstete sich im Antiquariat um die Ecke und lernte von van der Velde und Nabokov, was zwischen Männern und Frauen möglich ist.
Zur Freude am Lesen kam die Lust am Schreiben. Im Abitur zeugnis stand hinter Deutsch die Traumnote 1. An der Uni studierte er Jura – wie der Doktor Ludwig Börne – und Volks wirtschaft, suchte aber gleichzeitig mit Feuereifer nach einem journalistischen Job. Der WDR gab ihm die erste Chance. Später durfte er für die “St. Pauli Nachrichten” schreiben und für das Satiremagazin “Pardon”. Bald – mit 23 Jahren – hielt er sein erstes Buch in der Hand. Es hieß: „Wer hat Angst vor Pornografie?“
Inzwischen hat Henryk M. Broder die stattliche Zahl von 22 Büchern veröffentlicht: über die Deutschen, über die Juden, über die Deutschen und die Juden, über Nazis, über Ossis, über Linke, über Antisemiten von rechts und von links, über Terror und Terroristen. Er schrieb über seine Lieblingsländer Amerika, Israel, Island, Holland und natürlich Deutschland. Wir sehen: Henryk Modest Broder ist fleißig, vielseitig und erfolgreich.
In seiner Haltung hat er sich gewandelt. Er fing ziemlich links an, bei der Zeitung der IG-Metall, bei der “Frankfurter Rundschau” und bei der “Welt der Arbeit”. Er gehörte zum linken Netzwerk. 1981 hat er mit der linken Szene spektakulär gebrochen. Ich glaube nicht, dass für diesen Schritt nur die klassische Entwicklungs formel gilt „Wer mit 20 nicht links ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch links ist, hat keinen Verstand“. Erstens war Broder noch 35, als er das linke Lager verließ, und zweitens berief er sich auf ein eigenes Motiv. Broder protestierte gegen den „Antisemitismus von links“. In einem offenen Brief in der „Zeit“ warf er den alten Freunden vor: „Ihr bleibt die Kinder eurer Eltern. Euer Jude von heute ist der Staat Israel.“ Broder nennt die wachsende Anti-Israel-Haltung nach dem Jom-Kippur-Krieg und den linken Antizionismus eine subtile Variante des traditionellen Rassismus.
Nach einer wilden Debatte, die viele zum Nachdenken veranlasste, verlässt Broder Deutschland und zieht für zehn Jahre nach Jerusalem. Er lernt dort immerhin, wie er es nennt, „Straßen-Hebräisch“, berichtet regelmäßig für deutsche Blätter und beweist in dem Buch „Die Irren von Zion“, dass er auch gut beobachten und satirisch erzählen kann.
Das wiedervereinigte Deutschland lockt ihn wieder zurück. Er wird ein Berliner und das mühsame Zusammenwachsen der deutschen Teile sein neues Thema. Mit Sarkasmus und Zorn, mit beißender Ironie und immer mit Wachsamkeit notiert und moniert er, was ihn stört und was uns alle einengen könnte.
Dass die alten Unterdrücker sich wieder nach vorne gedrängt haben, empört sein Gerechtigkeitsgefühl. Broder kann sich jeden Tag aufregen – so wie Börne. Heinrich Heine schrieb über Börne, mit dem ihn ein bitteres Zerwürfnis verband: „Börne steht immer auf einer Barrikade.“ Broder steht auch immer auf einer Barrikade. Und an Gegnern fehlt es ihm nie. Sie beschimpfen ihn, sie bedrohen ihn, sie zeigen ihn an. Broder lässt sie zu Wort kommen. Auf seiner Online-Seite hat er ihnen Platz eingeräumt. „Das meint der Leser“ heißt die Rubrik für seine Feinde. Sie füllen sie mit Beschimpfungen und unflätigen Behauptungen. Auch zu dieser Haltung gibt es eine verblüffende Parallele mit Ludwig Börne. Der sammelte alle Schimpfattacken, die er fand, in einem Wörterbuch, das mit A begann und mit Z endete.
Über online konnte er sie nicht verbreiten. Hätte Ludwig Börne online benutzt, wenn das Netz damals schon existiert hätte? Vieles spricht dafür. Börne hätte sich leichter und häufiger mitteilen können. Er hätte sich das zeitraubende und erfolglose Suchen nach Druckern und Verlegern sparen können. Er hätte die lästige Zensur umgehen können. Weil Zeitungen seine Texte aus Angst gar nicht veröffentlichten, musste er lange auf das Erscheinen seiner Bücher warten. Über Verhandlungen mit der “Hamburger Zeitung” schreibt Börne, „Sie machte mir die Bedingung, ich müsste mich auf Tatsachen beschränken und dürfte nicht räsonieren.“ Da das Räsonieren ihm das wichtigste Motiv zum Schreiben war, brach Börne die Verhandlungen ab. Mithilfe des Internets hätte er seine von den deutschen Demokraten sehnsüchtig erwarteten Pariser Briefe in schnellerem Rhythmus veröffentlichen können. So schickte er sie erst an seine Frankfurter Muse und Freundin Jeanette Wohl, bis sie dann für ein Buch gesammelt wurden.
Unter solchen Verzögerungen muss Henryk Broder nicht leiden. Er nutzt das Internet mit Leidenschaft und Erfolg. Das Netz ist ein Medium für alle: für Dichter und Intellektuelle, für Verbrecher und Terroristen, für Betrüger und Gauner, für Forscher und Sucher, für Verschwörer und Spinner. Broder hat geschrieben, das Netz könne zur Idiotisierung und Infantilisierung der Menschheit beitragen. Die „New York Times“ habe denselben Zugang zur Öffentlichkeit wie eine Kannibalen-Selbsthilfegruppe. Das stimmt, aber auch die Broders und Börnes können ohne Geld und Aufwand Fakten und Gedanken unter die Menschheit bringen.
Der große Frankfurter Leitartikler Paul Sethe ist durch das Netz widerlegt. Er hatte geschrieben, die Pressefreiheit sei nur die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung verbreiten zu lassen. Heute kann jedermann online seine Meinung verbreiten, egal, ob arm oder reich, ob Narr oder Genie. Für den Vielschreiber Henryk Broder ist das Netz wie geschaffen. Er hat zwar seit 1995 einen Autoren vertrag beim “Spiegel”, aber der ist vor allem ökonomisch attraktiv. Das Honorar ist immer auf dem Konto, aber die Texte sind ihm nicht oft genug im Blatt. Dahinter steckt kein Misstrauen gegen Broder, sondern die Menge der Autoren, die in der Schlange steht.
Eine wöchentliche Kolumne im “Spiegel” hat auch Henryk M. Broder noch nicht geschafft, aber bei “Spiegel online” kommt er häufiger dran und vor allem auf seiner eigenen Website http://www.henryk-broder.de. Da bietet er eine eigene Publikation an mit Rubriken wie „Tagebuch“, „Schmock der Woche“, „Fremde Federn“ und Links zu befreundeten Schriftstellern. Auf diesen Seiten lebt Broder seine Schreiblust aus. Er nimmt Stellung zu allem, blickt auf der einen Seite durchs Fernrohr, auf der anderen durch die Lupe. Und – ich will es nicht vergessen – er schreibt auch in der Schweizer „Weltwoche“. Max Frisch, der auch alles beobachtete und in jeder freien Minute niederschrieb, was ihn bewegte, definierte dieses Verhalten als „Grafomanie“.
Henryk M. Broder ist ohne Zweifel grafoman, aber er ist ein Grafomaniac mit wachsender Gemeinde. Neuerdings, wenn er auf Lesereise durch Deutschland unterwegs ist, staunt er über viel Publikum. Zwar erscheinen auch immer ein paar Krawalleure, die ihn kurioserweise einen Rassisten nennen, aber vor allem kommen Menschen, die den Mann sehen und hören wollen, der den Bestseller geschrieben hat: „Hurra, wir kapitulieren!“ mit der Unterzeile „Von der Lust am Einknicken“.
Der Essay stand viele Wochen auf den Bestsellerlisten – und das mit Recht. Henryk Broder hat darin ein großes wichtiges Thema aufgegriffen, das uns und unsere Kinder möglicherweise noch lange beschäftigen wird. Er fragt sich und sorgt sich – wie viele andere auch –, ob der fanatische Islamismus unsere Frei heiten bedrohen und einschränken kann. Leider sprechen viele Indizien dafür, dass der Islamismus der Totalitarismus des 21. Jahrhunderts werden kann. Die Religionsführer und Imame, die den Koran als Gottes Gebot buchstäblich ernst nehmen, wollen missionieren, dem dekadenten Westen seine Verderbtheit austreiben und ihre Gesetze durchsetzen. Es sind Gesetze und Regeln, die uns zurück ins Mittelalter führen. Broder nimmt die Imame ernst.
Weil er davor warnt und beschreibt, was jetzt schon passiert – mitten in Deutschland – , muss er sich einen neuen Kampfbegriff um die Ohren schlagen lassen. Die Vokabel heißt Islamophobie. Wer Ehrenmorde, Zwangsehen und andere religiös motivierte Gewalt anklagt, der wird als islamophob diffamiert. Wer will schon islamophob sein? Das klingt nach Rückständigkeit und Intoleranz, also reagieren viele so, wie es auf Broders Buchumschlag steht: Sie kapitulieren und knicken ein. Sollen doch andere sich das Maul verbrennen.
Broder verbrennt sich das Maul. Gott sei Dank. Lieber ist er islamophob als feige. Den Effekt mit dem Totschlagwort kennen wir schon. Das Totschlagwort zur Beschwichtigung einer anderen Diktatur hieß Antikommunismus. Wer die Zustände in der DDR so beschrieben hat, wie sie tatsächlich waren, der war ein Anti kommunist. Wer gegen eine Ideologie protestiert hat, die 100 Millionen Menschen das Leben gekostet hat – die Fakten stehen im „Schwarzbuch des Kommunismus“, erster und zweiter Teil – der wurde als antikommunistisch ausgegrenzt aus der Gemein schaft der anständigen Menschen. Wer die Ver brechen im Namen des Kommunismus unbestreitbar belegte, dem wurde erklärt, diese Pannen seien nicht systemimmanent gewesen. Das waren allenfalls der schlimme Stalin und sein Stalinismus. Stalin war der Böse, Lenin und die Nachfolger wollten nur das Gute. Wer das nicht anerkannte, war Anti kommunist. Wer damals schon für die Freiheit kämpfte und es jetzt aus Angst vor einer Religions diktatur wieder tut, der wechselt möglicherweise ohne Schonzeit vom Antikommunismus in die Islamophobie über. Da muss er tapfer sein.
Wem unsere Freiheitswerte und Grundrechte lieb und teuer sind, der darf nicht kapitulieren vor dem Versuch, sie schleichend aufzuweichen. Auf dem Fest am Hambacher Schloss vor 175 Jahren, wo 30 000 Menschen Ludwig Börne als Heros der Freiheits bewegung umjubelten, wurde auch die Gleichbe rechti gung der Frauen gefordert. Erst 1958 wurde sie ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen.
Da dürfen wir jetzt, knapp 50 Jahre später, nicht gelassen zusehen, wie diese Rechte wieder eingeschränkt werden. Weil Henryk Broder diese Gefahr sieht, hat er seine Streitschrift gegen den islamistischen Terror verfasst. Weil ihn die Fälle erschrecken, in denen Väter ihre Töchter gegen deren Willen mit fremden Männern verheiraten. Weil es ihn empört, dass jungen Musliminnen aus der Türkei, aus Marokko und aus anderen Ländern im Einflussbereich des Islam bei uns in Deutschland die Chance zu einer guten schulischen und beruflichen Ausbildung verwehrt wird.
Da gilt das große kühle Wort von Ludwig Börne: „Die Freiheit ist gar nichts Positives, sie ist nur etwas Negatives: die Abwesenheit der Unfreiheit.“ Für diese jungen Frauen, Mädchen und Kinder ist die Freiheit abwesend. Das ist bitter in ihren Heimatländern, wo die Religion das Gesetz ist oder zumindest so einflussreich, dass sich viele Familien ihr nicht entziehen können.
Die Abwesenheit von Freiheit droht aber auch uns in Europa, falls sich die aufgeklärten Muslime nicht durchsetzen oder einfach schweigen, wenn ihre fanatischen Glaubensbrüder die Rechtsregeln des Korans bei uns importieren wollen, zumindest in der Version „Scharia light“. Die National ver sammlung hat dazu hier in der Paulskirche im Dezember 1848 einen präzisen Beschluss gefasst. In Artikel 15 heißt es: „Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Übung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetz zu bestrafen.“ Die Übernahme dieses Gebots ins Grundgesetz ist dringend zu empfehlen.
Es ist wünschenswert, dass Religionen sich gegenseitig tolerieren, aber einseitige Toleranz ist für uns hochgefährlich. Wir sind gerne großzügig gegenüber Minderheiten, aber was wird, wenn die Minderheiten zu Mehrheiten anwachsen? Man wird uns beschwichtigen, dass die meisten hier lebenden Türken längst integriert und angepasst seien und nach unserer Mentalität leben. Das mag sein, aber die Stillen haben sich in keiner Diktatur gewehrt. Wenn demagogische Fanatiker aktiv wurden, haben sie geschwiegen oder sind mitgelaufen. Sie waren Mitläufer, oft auch Mitschreier.
Henryk Broder beschreibt in seinem Buch, was passiert ist, nachdem eine dänische Zeitung Karikaturen über den Islam veröffentlicht hatte. „Die Moslems haben bewiesen, wie schnell und effektiv sie Massen mobilisieren können, und der freie Westen, der sonst bei jedem Hakenkreuz auf einer Hauswand „Wehret den Anfängen!“ ruft, hat gezeigt, dass er der islamischen Offensive nichts entgegenzusetzen hat – außer Angst, Feigheit und der Sorge um seine Handelsbilanz.“ Ende des Zitats.
Die Errungenschaften der westlichen Welt waren plötzlich nichts mehr wert. Die Botschafter schwärmten nicht aus, um zu erklären, dass zur Presse– und Meinungsfreiheit der westlichen Demo kratien auch das Recht zu Karikaturen gehört, egal, ob sie witzig geraten oder simpel, niveauvoll oder geschmacklos. Herdenweise duckten sich Verantwortliche weg, zeigten mit den Fingern sogar auf die dänische Regierung und verlangten mehr Anpassung der Medien an die Empfindlichkeiten des Islam und seiner Gläubigen.
Als Prototyp der Anpasserei zitiert Henryk Broder den Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der in allen öffentlichen Angelegenheiten immer weiß, was politisch korrekt ist. Günter Grass gab also sein Urteil bekannt, die Millionenproteste der Moslems seien „die fundamentalistische Antwort auf eine fundamentalistische Tat“. Günter Grass, der Großmeister der schiefen Äquidistanz, setzte also die „fundamentalistische Tat“ von ein paar mittelmäßigen Zeichnungen gleich mit den Gewaltaktionen am offiziell ausgerufenen „Tag des Zorns“, bei denen die Massen mehrere Botschaften in Brand setzten und christliche Kirchen zerstörten.
Henryk Broder hat die Zivilcourage von Günter Grass in seinem Buch noch an anderer Stelle gewürdigt. Da schlägt der Dichter vor, die Christen mögen doch als freundliche Geste eine Kirche in Lübeck in eine Moschee umwidmen.
Dieser Vorschlag ist natürlich völlig unschädlich und risikolos für alle Beteiligten. Die evangelische Kirche wird sich darüber wenig aufregen, zumal sie in allen Regionen Kirchengebäude besitzt, für die sie mangels Besuch gern einen Käufer mit neuem Ver wen dungs zweck fände. Gegenüber den muslimischen Gläubigen ist der Vorschlag auch nicht besonders mutig oder originell, denn es gibt bereits etwa 2000 Moscheen in Deutschland, allein 80 in Berlin.
Wirklichen Respekt hätte Grass sich erwerben können, so animiert ihn Broder, wenn er vorgeschlagen hätte, beispielsweise in Saudi-Arabien eine Moschee in eine christliche Kirche umzuwidmen. So weit haben wir es noch nicht gebracht, dass Christen in muslimisch ge steuerten Ländern ihren Glauben so offen praktizieren können, wie es Muslimen bei uns erlaubt ist. Henryk Broder hat für sein Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ viele Beispiele dafür gesammelt, wie die Appeasementpolitik in Europa, die Anpassung an gottesstaatliche Forderungen, die Freiheit der westlichen Gesellschaften gefährdet.
Zum Beispiel in den Niederlanden. Ian Buruma hat in seinem Buch „Die Grenzen der Toleranz“ aufgezeigt, wie die Konflikte um Migration, Religion und soziale Benachteiligung dort die Situation verschärfen. Bei gleichbleibender Migrationsrate werden im Jahr 2015 – also in acht Jahren – in Amsterdam mehr Muslime als Christen leben. 1,5 Milliarden Muslime leben auf der Welt, 15 Millionen in der EU. Auch Engländer fragen, was aus ihrer traditionsreichen Demokratie wird, wenn die Zahl der fanatischen Muslime weiter wächst wie bisher. Sie regen sich wohl nicht besonders darüber auf, dass Mohammed kurz davor ist, der beliebteste Babyvorname zu werden. Die „Times“ hat vor zwei Wochen vorgerechnet, dass der Name des Propheten bei gleicher Steigerung zum Jahresende den ersten Platz vor dem urenglischen Jack belegen werde.
Mehr sorgen müssen sich die freiheitsliebenden Engländer wegen einer anderen Statistik. Eine Umfrage hat ergeben, dass sich junge britische Muslime verstärkt dem politischen und radikalen Islam zuwenden. 37 Prozent, also mehr als ein Drittel der jungen Muslime zwischen 16 und 24 Jahren, möchten lieber nach der Scharia leben als nach dem freiheitlichen britischen Rechtssystem. Nur ein Prozent weniger ist der Meinung, dass Muslime, die sich einem anderen Glauben zuwenden, getötet werden sollten. Dreizehn Prozent sind bereit, „gegen den Westen zu kämpfen“. Sie sympathisieren mit Al Kaida, bekennen sich zur Verbreitung von Angst und Terror. Diese jungen Muslime sind die Anhänger von Islampredigern, die folgendermaßen zitiert werden: „Wir müssen die ganze Welt besiedeln und zum Islam bekehren. Die Zukunft gehört der Religion Allahs. Mit eurer Hilfe werden wir es schaffen, mit den Alten und den Jungen.“
Dass Mohammeds Jünger so denken und so träumen, müssen wir ertragen, aber wir dürfen nicht hinnehmen, dass sie bei uns Erfolg haben. Wie die Pressefreiheit und die Gleichberechtigung von Mann und Frau gehört die Trennung von Kirche und Staat zu den Grundrechten, die unsere Vorfahren zäh erkämpft haben, Ludwig Börne an der Spitze. Hinter diesen Fortschritt dürfen wir nicht zurück, auch wenn Migrantenfamilien ihr patriarchalisches Weltbild mit unterdrückten Frauen und Töchtern bei uns längst in einer Gegengesellschaft praktizieren.
Henryk Broder kämpft dagegen, dass wir Freiheiten aufgeben und kapitulieren. Neben ihm stände Ludwig Börne auf dieser Barrikade. Ihm wurde ohnehin zu viel regiert, und erst recht hätte er sich vehement gegen eine Religionsdiktatur gewehrt. Broder will wie Börne keinen Gottesstaat, sondern einen Menschenstaat.
Broder weiß wie viele andere, warum Millionen Anhänger des Islam nicht aus ihrer Unmündigkeit befreit werden. Zitat: „Der Unterschied liegt darin, dass im Islam keine Säkularisierung stattgefunden hat. Es hat keine Neuinterpretation gegeben, keine Verweltlichung, keine Aufklärung. Es gab dort keinen Mendelssohn, keinen Luther und auch keine bibelkritische Auslegung, die die Schrift nicht wörtlich nimmt. Da, wo die Schrift wörtlich genommen wird, kommt es ja auch bei Juden und Christen zu Katastrophen.“ Ende des Zitats.
Die aktuellste Katastrophe droht aus dem Iran. Der dortige Präsident Ahmadinedschad kündigt die Vernichtung Israels an und arbeitet auch konkret daran. Er finanziert die Hisbollah im Norden Israels und die Hamas im Süden und er propagiert die Ausrottung Israels über die Medien so ungeniert, wie Adolf Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ angekündigt hat, was er der Menschheit antun wollte. Hitlers Bekenntnis wurde nicht ernst genug genommen. Heute wird Ahmadinedschad ähnlich unterschätzt und verharmlost. Henryk Broder nennt den Völkermordankündiger ohne Wenn und Aber einen Völker mordankündiger und muss sich deswegen vorhalten lassen, er baue einen neuen Buhmann auf, weil Amerika und Israel nicht ohne Feindbild leben könnten. Was für ein erbärmliches Ver stecken vor der Realität! Wir müssen Henryk Broder dazu beglückwünschen, dass er angesichts solcher absurder Attacken seinen Humor nicht verliert. Er hat nämlich viel Humor, auch wenn der immer grimmiger wird.
Wie Börne ärgert er sich täglich bei der Lektüre und verwandelt seinen Ärger in Spott und Hohn und giftigen Witz. Weil Lachen entlarvt. Börne unterscheidet: „Die Lacher will ich auf meine Seite ziehen; die Lacher, die gutes Herz und gute Fäuste haben, und nicht die feinen Lächler.“ Auch Broder bekennt sich zu saftiger Sprache, zu Deutlichkeit und zu Metaphern, die jeder versteht. „Mein Schreibstil dient dem Publikum. Leute wollen unterhalten werden, weil sie es leid sind, belehrt zu werden.“
Und er hat auch schon ein langfristiges Ziel vor Augen, ein Ziel in hoffentlich weiter Ferne. Er hat einen Vorschlag, was auf seinem Grabstein stehen soll. Die Inschrift soll heißen: „Er hat nicht gelangweilt.“ Bis jetzt, lieber Henryk M. Broder, steht die Zeile. Ich bin sicher, auch in der Zukunft muss niemand sie redigieren. Das garantieren uns Ihr Verstand, Ihr Temperament, Ihre Leidenschaft und Ihre Schärfe.
Den Gebildeten aber unter Ihren Verächtern, die sich weniger unterhalten als provoziert fühlen, unter denen ich durchaus Verehrer Börnes zu erkennen glaube, denen gebe ich zu bedenken: Kann nicht auch ein lebender Polemiker ein guter Polemiker sein?
Dass Sie uns weiterhin mit Polemiken und Pamphleten unter halten werden, dafür bürgen auch die Vorbilder, an denen Sie sich orientieren: Ihre polemische Ahnengalerie. Ihre Eltern, die den Beginn Ihres Aufstiegs miterleben durften, haben Ihnen das großartige Geschenk einer Sprachlehrerin gemacht, aber anschließend – so habe ich mir ausgemalt – haben Sie sich als Fazit Ihrer Lesesucht unter den großen Spöttern Wahlverwandt schaften zusammengesucht. Als Großvater sehe ich Gotthold Ephraim Lessing, als Mutter Oriana Fallaci, als Vater Kurt Tucholsky, als Bruder Hanns Dieter Hüsch und als Onkel Erich Kästner.
Der Onkel Kästner hat einen schönen Satz geschrieben: „Der kleine dicke Berliner, der mit der Schreib maschine eine Katastrophe aufhalten wollte.“ Kästner meinte mit dem kleinen dicken Berliner, der gegen Katastrophen anschreibt, Ihren Wahlvater, Kurt Tucholsky, aber ich finde, die Charakterisierung passt auch nicht schlecht zu Henryk M. Broder. Ich weiß, ich weiß und lobe Sie ausdrücklich auch dafür, dass Sie gerade vier Kilo abgenommen haben, aber manchmal geht es mir so, wie es Ihnen immer geht: Ich kann eine Pointe nicht unterdrücken. Zum großen Familienbild der Wahlverwandten gehört natürlich über allen der Pate, den wir Ihnen zugedacht und angetragen haben: Ludwig Börne. Aus vielen guten Gründen haben Sie seinen Preis verdient, weshalb ich jetzt in dieser legendären Paulskirche ausrufen kann: „Hurra, wir gratulieren.“