„Was wird das?“, fragt mich der Schatz. Und „fahren wir heute Motorrad, Herr Schneider?“, fragt er mich auch. Er fragt mich in diesem gereizten bist-Du-behämmert-Ton, den ich so gut leiden kann wie das Anstoßen des kleinen Zehs an einem Möbelstück. „Natürlich nicht“, gebe ich korrekt zurück, wir haben nämlich gar kein Motorrad.“ „Wenn dem so ist“, forscht der Schatz weiter, „warum trägst Du dann für einen Stadtbummel einen Integralhelm?“ Nun, eigentlich ist sie intelligent genug, um selbst darauf zu kommen, aber anscheinend habe ich mich doch in meiner Ehegattin geirrt. So etwas merkt man ja meistens erst, wenn der Vertrag am Standesamt unterschrieben ist. „Ich schlage zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen erspart mir der Helm diesen dämlichen Mundschutz, ohne den ich keinen Laden betreten darf, außerdem jedoch schützt er meinen Schädel vor schweren Kopfverletzungen, sollte ich stürzen.“
Der Schatz überlegt einen Moment. „Ich hätte jetzt gerade im Moment gute Lust, Deinen Helm zu testen und Dir irgendetwas über den Schädel zu ziehen. Ein Klavier zum Beispiel oder einen Tresor oder so etwas…“, stellt er fest. „Kannst Du Dich wenigstens einmal wie ein ganz normaler Mensch verhalten?“, will meine Gattin außerdem wissen. Das könnte ich natürlich schon, aber dann hätte sie mich wahrscheinlich nicht geheiratet. Allerdings war ja auch nicht ich es, der sich den Grad des Irrsinns ausgedacht hat, der uns derzeit umwabert. Wie gesagt, man merkt es ja erst nach dem Standesamt.
„Wusstest Du“, hebe ich an, während meine unbehelmte Hälfte den Blick flehentlich gen Himmel richtet, „dass sich in den USA 50 von 10.000 Menschen eine Kopfverletzung zuziehen? Dass es alleine in den USA 56.000 Todesfälle durch Kopfverletzungen gibt? Und dass 5,3 Millionen Menschen ebendort durch eine Kopfverletzung dauernd behindert sind?“ Der Schatz seufzt: „Wenn ich Dich so sehe, Einsvierundsiebzig groß, einhundert Kilo schwer, wie Du in Shorts und T-Shirt und Integralhelm im Flur stehst, frage ich mich schon, ob Du selbst schon mal eine schwere Kopfverletzung hattest…“ Er kann sehr garstig sein, wenn er will, der Schatz.
Frag doch den Professor Drosten
„Mit dem Helm schütze ich andere vor mir und mich vor anderen“, gebe ich trotzig zurück, „man kann nie vorsichtig genug sein!“ Mein mir angetrautes und anvertrautes Weib rollt wieder mit den Augen und wirft die Arme in die Höhe, wie bei einem Stoßgebet. „Wenn Du mit dem Helm auch nur den Müll nach draußen bringst, dann gehen wir gar nicht weg!“, droht es mir, mein Weib. Vielmehr meint der Schatz, dass das eine Drohung wäre. „Das wäre sowieso die Königslösung. Wenn wir alle zu Hause bleiben, dann flachen wir nämlich die Kurve ab und können schon niemanden mit Corona anstecken“, schlage ich zurück. „Aber niemand von uns HAT Corona“, kontert sie. „Das weißt Du nicht! Wir könnten uns bereits angesteckt haben und wissen es nicht. „Inkubationszeit 14 Tage“ und so. "Frag doch den Professor Drosten, wenn Du mir nicht glaubst!“, bleibe ich am Ball.
„Thilo!!!“, sagt der Schatz mit drei Ausrufezeichen, die ich trotz der Schalldämpfung durch den Helm deutlich höre, „DU bist doch derjenige, der sich im Wochentakt die Krankenzahlen dieses Fleckchens Erde zieht, wir hatten in der Stadt keine und im Landkreis nur eine Infektion. Und das seit Wochen! Die Wahrscheinlichkeit, dass einer von uns sich den Virus geholt hat, tendiert gegen Zero. Eher werden wir beide vom Blitz erschlagen!“ „Siehst Du? Die Maßnahmen greifen also. Allerdings gab es letzte Woche einen Verkehrsunfall und da hat sich jemand eine schlimme Kopfverletzung geholt. Vor Verkehrsunfällen ist niemand gefeit!“, erkläre ich mein Tun und hebe dabei den Zeigefinger der rechten Hand auf Helmhöhe, „außerdem habe ich in der Presse keinen Fall finden können, in dem jemand mit einem Helm beim Laufen eine Kopfverletzung erlitten hätte. Das beweist: Eine Helmpflicht für Fußgänger könnte durchaus sinnvoll und gesellschaftlich diskussionsfähig sein!“ „Aber wir gehen doch nur in die Stadt. In die Fußgängerzone! Das Schlimmste, was Dir da passieren kann, ist, dass Dich ein Radfahrer anfährt. Der prallt dann auf 100 Kilo Spaß, das verletzt den mehr als Dich!“ Der Schatz ist sichtlich verzweifelt.
„Mein lieber verzweifelter Schatz“, tröste ich die Gattin, „schau, ich tu das doch nur für Dich und für mich und unsere Umwelt. Man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein. Neben den ganzen Pestkranken lauern da Unfallfahrer, Ungeschickte, Menschen aus der internationalen Partyszene, Nazis und Vandalen vom linken schwarzen Block, rassistische Polizisten und rassistische Bundeswehrsoldaten, und da haben wir von aus Bananenkisten entflohenen Giftspinnen oder sich aus Zoohaft befreiten Löwen und Tigern noch gar nicht gesprochen!“ In diesem Moment springt mich der Schatz an und versucht, mir den Helm vom Kopf zu reißen. Gut, dass ich den Kinnriemen bereits geschlossen hatte. „Bist Du übergeschnappt? Willst Du mir den Kopf abreißen?“, brülle ich überrascht, „so was kann ganz böse ausgehen!“
Nicht mit einem Stormtrooper zum Einkaufsbummel
„Apropos Ausgehen“, giftet der Schatz zurück, „Ich gehe jetzt. Und zwar ohne Dich. Obwohl ich Dir liebend gerne den Kopf abgerissen hätte!“ „Und ich bleibe hier, oder was?“, will ich wissen. „Ja. Du setzt Dich jetzt mit Deinem dämlichen Helm vor den Fernseher. Ich gehe doch nicht mit einem Stormtrooper zum Einkaufsbummel!“, erklärt sie, wirft die Tür und weg ist sie. Und hat ihre Mundmaske vergessen. Aber das merkt sie dann schon im ersten Laden. Die sagen es ihr schon.
Und so habe ich mir das Geld für einen Einkaufsbummel und das dazugehörige Abendessen gespart. Ein hübscher Nebeneffekt meines Helms: Er schützt nicht nur den Kopf, sondern auch das Portemonnaie. Ich mag ihn.
(Weitere Sicherheitstipps des Autors auch unter www.politticker.de)