Kanzleramtsminister haben, neben zunehmendem Körperumfang – zumindest bei der CDU – einiges gemeinsam: Vor Jobantritt kennt sie kein Mensch. Kaum einer wusste 1997 um das Talent von Frank-Walter Steinmeier, die wenigsten erahnten vor seinem Eid im Dezember 2013, dass es einen Sympathieträger mit dem Namen Peter Altmaier gibt. Und machen wir uns nix vor: Nur Politikexperten kannten den Namen Helge Braun, bevor er 2018 die rechte Hand von Angela Merkel wurde.
Kanzleramtsminister arbeiten im Hintergrund. Man sagt, ihr Arbeitspensum sei überdurchschnittlich hoch. Wochenenden gäbe es nicht wirklich. Und vor allem scheint der Job ein echtes Karrieresprungbrett zu sein. Steinmeier wurde erst Kanzlerkandidat für die SPD, dann Außenminister und schließlich Bundespräsident. Peter Altmaier wurde mit dem Wirtschaftsministerium belohnt. Und Helge Braun? Er könnte der nächste CDU-Vorsitzende werden.
Die Union erstaunt immer wieder. Nachdem die Großkopferten mehrfach den Wunschkandidaten der Basis, Friedrich Merz, erfolgreich verhindert hatten, gibt es nun erneute Kräfte, den Hünen vom Hochsauerland in die Schranken zu weisen. Es ist das letzte Krähen, der letzte Schrei des Merkel-Lagers nach Macht beziehungsweise deren Erhalt. Helge Braun steht für alles, was Daniel Günther, Tobias Hans & Friends ausstrahlen: ein wohlig-lächelndes Nichts in Verbindung mit einem grenzdebilen „Weiter so“. Einziger Wille ist der Ausbau der machtpolitischen Möglichkeiten. Politische Überzeugungen jenseits der Umfragewerte stören da nur.
Aussichtslos ist Brauns Kandidatur nicht. Er ist der fleischgewordene Konsens; als Adlatus der Politik Merkels, die Jahrzehnte dem Kanzlerwahlverein CDU Macht und den Delegierten hübsche Posten beschert hat, bietet er mehr Sicherheit als ein Aufbruch in neue, alte Themen, wie es Friedrich Merz womöglich tun würde. Doch jetzt ist die große Angela weg und hinterlässt Scherben und Trümmer. Und Helge Braun, der es nochmal wissen will.
Es braucht mehr als einen lächelnden Dampfplauderer
Auf die Frage, ob Geimpfte ihre Freiheitsrechte zurückbekommen sollten, antwortete der Kanzleramtsminister im März dieses Jahres mit diesem viel zitierten Satz: „Wenn wir jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht haben, dann können wir zur Normalität in allen Bereichen zurückkehren“. Ein Satz, der sich als Lüge herausgestellt hat, als eine schiere Unverschämtheit gegen all die, die zweifeln. Doch die Antwort von Braun ging noch weiter:
„Diejenigen, die ihr Impfangebot nicht wahrnehmen, treffen ihre individuelle Entscheidung, dass sie das Erkrankungsrisiko akzeptieren. Danach können wir aber keine Grundrechtseinschränkung eines anderen mehr rechtfertigen. Dann kehren wir im vollen Umfang zur Normalität zurück. Und alle Einschränkungen fallen.“ Acht Monate später wird zwischen geimpft und ungeimpft unterschieden, wie man es nur aus sehr dunklen Zeiten kennt. Menschen, die ihre „individuelle Entscheidung“ der Corona-Impfung wahrnehmen, wie der gelernte Arzt Helge Braun es formulierte, und sich nicht injizieren lassen wollen, werden verhetzt und ausgegrenzt.
Man kann der CDU nur wünschen, dass die Partei ihren Restverstand zusammenkratzt und nicht den neuen, alten Merkel Helge Braun zum neuen Vorsitzenden macht. Vielleicht mag er ein Kandidat des Konsenses sein. Aber gegen einen Kanzler des Konsenses, Olaf Scholz, braucht es mehr als den lächelnden Dampfplauderer, der im März von Freiheit spricht und im Oktober davon nichts mehr wissen möchte. Nicht, dass ich der größte Friedrich-Merz-Fan aller Zeiten wäre. Aber er scheint mir der Einäugige unter den blinden Kandidaten zu sein, die CDU-Chef werden wollen.
Vielleicht hat es schon seinen Grund gehabt, warum Helge Braun niemand kannte. Und vielleicht werden wir uns an den netten Mann aus Gießen in Zukunft gewöhnen müssen. Als Oppositionsführer.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Neomarius.

Helge Braun als Oppostionsführer, das hätte was. Das gäbe der Union den letzten Rest.