Julian Marius Plutz, Gastautor / 13.11.2021 / 16:00 / Foto: Imago / 50 / Seite ausdrucken

Helge Braun greift nach der Macht

Kanzleramtsminister haben, neben zunehmendem Körperumfang – zumindest bei der CDU – einiges gemeinsam: Vor Jobantritt kennt sie kein Mensch. Kaum einer wusste 1997 um das Talent von Frank-Walter Steinmeier, die wenigsten erahnten vor seinem Eid im Dezember 2013, dass es einen Sympathieträger mit dem Namen Peter Altmaier gibt. Und machen wir uns nix vor: Nur Politikexperten kannten den Namen Helge Braun, bevor er 2018 die rechte Hand von Angela Merkel wurde. 

Kanzleramtsminister arbeiten im Hintergrund. Man sagt, ihr Arbeitspensum sei überdurchschnittlich hoch. Wochenenden gäbe es nicht wirklich. Und vor allem scheint der Job ein echtes Karrieresprungbrett zu sein. Steinmeier wurde erst Kanzlerkandidat für die SPD, dann Außenminister und schließlich Bundespräsident. Peter Altmaier wurde mit dem Wirtschaftsministerium belohnt. Und Helge Braun? Er könnte der nächste CDU-Vorsitzende werden.

Die Union erstaunt immer wieder. Nachdem die Großkopferten mehrfach den Wunschkandidaten der Basis, Friedrich Merz, erfolgreich verhindert hatten, gibt es nun erneute Kräfte, den Hünen vom Hochsauerland in die Schranken zu weisen. Es ist das letzte Krähen, der letzte Schrei des Merkel-Lagers nach Macht beziehungsweise deren Erhalt. Helge Braun steht für alles, was Daniel Günther, Tobias Hans & Friends ausstrahlen: ein wohlig-lächelndes Nichts in Verbindung mit einem grenzdebilen „Weiter so“. Einziger Wille ist der Ausbau der machtpolitischen Möglichkeiten. Politische Überzeugungen jenseits der Umfragewerte stören da nur. 

Aussichtslos ist Brauns Kandidatur nicht. Er ist der fleischgewordene Konsens; als Adlatus der Politik Merkels, die Jahrzehnte dem Kanzlerwahlverein CDU Macht und den Delegierten hübsche Posten beschert hat, bietet er mehr Sicherheit als ein Aufbruch in neue, alte Themen, wie es Friedrich Merz womöglich tun würde. Doch jetzt ist die große Angela weg und hinterlässt Scherben und Trümmer. Und Helge Braun, der es nochmal wissen will. 

Es braucht mehr als einen lächelnden Dampfplauderer

Auf die Frage, ob Geimpfte ihre Freiheitsrechte zurückbekommen sollten, antwortete der Kanzleramtsminister im März dieses Jahres mit diesem viel zitierten Satz: „Wenn wir jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht haben, dann können wir zur Normalität in allen Bereichen zurückkehren“. Ein Satz, der sich als Lüge herausgestellt hat, als eine schiere Unverschämtheit gegen all die, die zweifeln. Doch die Antwort von Braun ging noch weiter: 

„Diejenigen, die ihr Impfangebot nicht wahrnehmen, treffen ihre individuelle Entscheidung, dass sie das Erkrankungsrisiko akzeptieren. Danach können wir aber keine Grundrechtseinschränkung eines anderen mehr rechtfertigen. Dann kehren wir im vollen Umfang zur Normalität zurück. Und alle Einschränkungen fallen.“ Acht Monate später wird zwischen geimpft und ungeimpft unterschieden, wie man es nur aus sehr dunklen Zeiten kennt. Menschen, die ihre „individuelle Entscheidung“ der Corona-Impfung wahrnehmen, wie der gelernte Arzt Helge Braun es formulierte, und sich nicht injizieren lassen wollen, werden verhetzt und ausgegrenzt. 

Man kann der CDU nur wünschen, dass die Partei ihren Restverstand zusammenkratzt und nicht den neuen, alten Merkel Helge Braun zum neuen Vorsitzenden macht. Vielleicht mag er ein Kandidat des Konsenses sein. Aber gegen einen Kanzler des Konsenses, Olaf Scholz, braucht es mehr als den lächelnden Dampfplauderer, der im März von Freiheit spricht und im Oktober davon nichts mehr wissen möchte. Nicht, dass ich der größte Friedrich-Merz-Fan aller Zeiten wäre. Aber er scheint mir der Einäugige unter den blinden Kandidaten zu sein, die CDU-Chef werden wollen. 

Vielleicht hat es schon seinen Grund gehabt, warum Helge Braun niemand kannte. Und vielleicht werden wir uns an den netten Mann aus Gießen in Zukunft gewöhnen müssen. Als Oppositionsführer. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Neomarius.

Foto: Imago

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Leserpost

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Peter Woller / 13.11.2021

Die Leute sagen immer, die Zeiten werden schlimmer. Die Zeiten gehen immer, die Leute werden schlimmer.

STeve Acker / 13.11.2021

Als Spahn kandidieren wollte, dachte ich mir: Wenn der gewählt wird, ist die CDU nicht mehr zu retten. Als er zurückzog , dachte ich mir: ah,,  Vernunft ist eingekeht. Und jetzt Braun.  ! Da gilt wieder das erstgesagte. Wenn die CDU sich nicht demerkelisiert, wird sie untergehen.

Gert Köppe / 13.11.2021

Könnte optisch fast Altmaiers Bruder sein. Macht aber nichts. Von den Fähigkeiten her haben die Beiden sich ja auch schon angeglichen.

Roland Müller / 13.11.2021

Wenn wir uns an den Mann gewöhnen müssen, dann höchstens als Oppositionsführer gegen die Opposition. Für irgendetwas Vernünftiges kann man ihn wohl kaum gebrauchen.

Dr. Dirk Reitz / 13.11.2021

@Dirk Jürgens: wohl beobachtet! Das Merkel-Regime als effeminiert Eunuchokratie ... Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen, die des Nachts gut schlafen. Der Cassius dort hat einen hohlen Blick. Er denkt zuviel: Die Leute sind gefährlich. Julius Cäsar I, 2. (Cäsar) so möge die CDU einen Cassius finden ....

Bernd Meyer / 13.11.2021

Wenn die Kanzlerin gen Osten nach Hilfe kreischt, und sich gleichzeitig Truppen an der Ukrainischen Grenzen massieren, dann muss doch Herr Braun nach der Macht greifen. Ist daran irgendetwas unlogisch? Ich verstehe Helmut Schmidts tief besorgten Blick an Helmut Kohl, bei der Gratulation zur Kanzlerernennung, immer besser. Man tut, was man kann, solange man es kann. The table turned mit Schröder und Merkel. Kapiert es endlich und handelt patriotisch. Für einen freien Westen, geführt von freien Ländern.

R. Schäfer / 13.11.2021

In der Natur kommen nach dem Lebensende eines Tiers die Aasfresser. Gibt es hier irgendwelche Parallelen?

Frances Johnson / 13.11.2021

Die Jüngeren in D, die in vier Jahren mehr sein werden, haben übrigens vier Politiker mit ansehnlichen Maßen und von gutem Aussehen gewählt. Vielleicht sollte man das bei der CDU mal zur Kenntnis nehmen. Gewählt wird auch nach dem Äußeren. Vergessen wird gern, dass Merkel vor vier Jahren auch nur noch auf 26% kam. Die Generation Selfie tut sich nicht mehr alles an, dazu hat sie sich zu oft im Handy betrachtet.

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