Lese ich noch richtig? "SS-Skandal um Heino-Platte" titelt Bild und „Heino verschenkt Platte mit Lieblingsliedern der SS“ die FAZ. Also doch! Heino ist ein Rechtsradikaler! Was ist passiert? Heino wurde zum „Heimatbotschafter“ von NRW auserwählt, weil sonst keiner wollte, und schenkte der dortigen Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung (wow, was für ein barockes Ressort muss das sein!), Ina Scharrenbach, dankbar eine etwas in die Jahre gekommene Vinyl-Schallplatte, die er im Jahre 1981 eingesungen hatte. Darauf befänden sich auch Lieblingslieder der SS. Heino habe es außerdem gewagt, einst, unter dem Apartheid-Regime „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ in Südafrika zu singen, wo, wenn ich mich irgendwie recht entsinne, mehr als die Zweidrittelmehrheit der Frauen irgendwie schwarzbraun ist. Heino muss irgendwie subversiv sein, was man auch daran erkennen könnte, dass er 1977 alle drei Strophen des Deutschlandlieds gesungen hat, für Hans Filbinger.
Apropos NSDAP: Ob es sehr geschmackvoll ist, das Absingen aller drei Strophen des Deutschlandlieds für den ehemaligen NS-Marinerichter Hans Filbinger geleistet zu haben, ist eine sehr berechtigte Frage. Es wäre aber auch nicht viel besser (oder irgendwie auch ironisch?) gewesen, dies für andere Mitglieder irgendwie geschmackvollerer Organisationen des NS-Staats getan zu haben, beispielsweise für den Wehrmachtsoffizier, Kontaktmann zum Widerstand und späten Deserteur Richard von Weizsäcker, den Wehrmachtsoffizier, Freund von Widerständlern und wahrscheinlich eher unfreiwilligen Zuschauer beim Volksgerichtshof Helmut Schmidt, den Ritterkreuzträger Erich Mende, die NSDAP-Mitglieder Heinrich Lübke, Walter Scheel, Karl Carstens, Horst Ehmke, Liselotte Funcke, Richard Stücklen, Hans-Dietrich Genscher, Walter Jens oder den Waffen-SS-Mann Günter Grass. Tut gerade mal wieder ein bisschen weh? Ich kann es auch bei einer Rede de mortuis nicht ändern, denn ungefähr so war es.
Theodor Heuss war nie in der NSDAP. Er hatte als Liberaler „nur aus Fraktionsdisziplin“ dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und später mit Konrad Adenauer dafür gesorgt, dass das Deutschlandlied (1841) des August Heinrich Hoffmann, genannt von Fallersleben, Nationalhymne auch der Bundesrepublik Deutschland blieb, und zwar alle drei Strophen, von denen bei offiziellen Anlässen allerdings nur diejenige gesungen werden soll, die mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ beginnt, die dritte. Kann man das noch singen, wenn es auf einer Heino-Schallplatte vorkommt, beispielsweise, wenn die Fußballnationalmannschaft gerade eine Ehrenrunde gegen Rassismus im Berliner Olympiastadion gelaufen ist, unter der „Führertribüne“, oder stimmt dann auch da was nicht? Und wenn ja, was?
Dann, so die Spezialisten der FAZ für nationalsozialistisches Liedgut, gebe es auf der Heino-Platte da noch „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte“ (Ernst Moritz Arndt, 1812) und „Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“ (Max von Schenkendorf, 1814). Immerhin erwähnt die FAZ, neben dem, was sie unerwähnt lässt und dem, was sie erwähnt, wenigstens diese Daten.
Reino statt Heino
Okay, auch ich bin lernfähig. Da Lieder aus dem Befreiungskrieg gegen den Revolutionskaiser, Europa-Besatzer und Kriegstreiber Napoleon Bonaparte und Lieder aus dem Vormärz von 1848 – für die demokratische Einigung Deutschlands gegen seine Fürsten – offenbar rückwärtskontaminiert sind, weil sie in einem Liederbuch der SS zu finden waren, schlage ich weitere dringliche Maßnahmen vor:
Verbot aller alten Filme von Walt Disney, denn diese sollen Hitler und Goebbels bei ihren Privatvorstellungen sehr gefallen haben. Disney soll ein Rechter gewesen sein und antisemitische Stereotype bedient haben, beispielsweise in Gestalt des „Bösen Wolfs“. Ausrottung aller deutschen Schäferhunde, denn es gibt Bilder, auf denen Hitler seine „Blondi“ streichelt. Verbot aller Schallplatten der englischen Popsängerin „Blondie“, die darauf anspielt. Verbot des Films „The Great Rock 'n' Roll Swindle“ der britischen Punk-Truppe „Sex Pistols“, denn dort trägt Sid Vicious ein T-Shirt mit dem Hakenkreuz, ausgerechnet quer durch die Straßen von Paris, wo mein Großvater von 1943 bis 1944 auch ungefähr so herumgelaufen sein soll, völlig ziellos, als Stabsarzt der Wehrmacht, bevor er, der Träger des EK-1 von 1917 und der Kriegsverdienstmedaille von 1941, wegen Wehrkraftzersetzung degradiert und unehrenhaft aus der Wehrmacht entlassen wurde. Großvaters Bild hänge ich übrigens auch gleich weg.
Ach, ja, fast hätte ich es vergessen: Außer den Platten des deutschen Volksmusik-Urgesteins namens Heino gibt es noch die wirklich kontaminierten Dinge, vor allem Orte und Gebäude, die auf den Müllhaufen der deutschen Geschichte gehören. Also, Umbenennung des Theodor-Heuss-Platzes in Berlin, Abriss des nahe gelegenen Olympiastadions; dort fanden die Spiele von 1936 statt. Und des Reichsluftfahrtminsteriums des Reichsmarschalls Hermann Göring, heute Sitz des Bundesfinanzministeriums des Olaf Scholz. Öffentliche Verbrennung der Bücher von Günter Grass, vor allem jenes selbst-apologetischen, moralinsauren, in dem er die „Wilhelm Gustloff“ erwähnt, denn die war auch nach einem Nazi benannt und gehörte zum NS-Erholungswerk „Kraft durch Freude“.
Weg auch mit dem Bendlerblock, Widerstand und Gedenkstätte hin oder her, von dort aus wurde ein Angriffs- und Vernichtungskrieg geplant. Fort auch mit Dachau, Buchenwald, Sachsenhausen, Oranienburg und Auschwitz, dort haben SS-Leute „gearbeitet“ und nach Feierabend beim Bierchen das Heino-Liedgut aus den Befreiungskriegen und dem Vormärz gesungen, von dessen Bedeutung sie offenbar genauso wenig Ahnung hatten wie heutige Rezensenten von Heino-Schallplatten. Dann haben wir es endlich erreicht, das Ende der deutschen Geschichte, den von ganz rechts und ganz links und ganz interessenlos heiß ersehnten Schlussstrich!
Ach, was soll's. Das wird heute noch ein langer Abend für einen wie mich, der sich lieber daran erinnern will, wie es wirklich war. Ich lege mir nämlich jetzt nacheinander das Kaiserquartett des Joesph Haydn auf, singe dazu aber abwechselnd „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ und Bert Brechts „Kinderhymne“, dann höre ich Ernst Busch: „Vorwärts, und nie vergessen“, es folgen Lale Andersen, Zarah Leander, „Das neue Leben“, irgendwas von Ton Steine Scherben, Franz-Josef Degenhardt, den Toten Hosen und dem wahren Heino. Dann sehe ich mir „Das Boot“ an, höre Herbert Grönemeyer: „Flugzeuge in meinem Bauch“. Ich denke bei den Flugzeugen an „Des Teufels General“: Ernst Udet. Danach lese ich zur Abwechslung Ernst Jünger, Ernst Toller, Ernst Röhm, Ernst Thälmann. Kurz vor dem Finale entspanne ich mich wieder bei Musik von Ernst Busch und Ernst Mosch.
Sollte sich die FAZ auch mal machen, so einen netten, ernsten Abend. Zuletzt sehe ich mir dann nämlich „Der Untergang“ an, mit Heino als Albert Speer. Heino Ferch natürlich. Mein Musikvorschlag, für die FAZ und für die Zigarette danach: Heute singen wir mit Reino.