Ich mochte den frühen Heiner Geißler sehr, aber er hat es politisch wirklich übertrieben. Wenn ich lese, wer ihn jetzt lobt, dann ahne ich auch, wieviele konservative CDU-Mitglieder sich wegen ihm zum Partei-Austritt entschlossen haben…
Tut mir Leid, so ohne weiteres kann ich in diese Lobeshymne nicht einfallen. Von kritische Analyse war angesichts desjenigen Themas, das die Leute umtreibt wie keines sonst, nichts zu spüren. Im Gegenteil, fast bis zuletzt war Geißler noch unterwegs, um Merkels Kurs des “Wir schaffen das” zu verteidigen. Einen einflußreichen Querdenker und Quertreiber, der angesichts des Alters und der bereits abgeschlossenen Karriere keine Rücksicht mehr nehmen muß, hätte die CDU bitter nötig. Doch diese Rolle wollte Geißler offenbar nicht einnehmen, da seine Wandlung vom “rechten” zum “linken” CDU-Flügel nur allzu gut zum Merkelkurs passte (wobei ich jetzt die gesellschaftspolitischen Aspekte meine). Sehr schade, Geißler hätte da vielleicht wirklich etwas bewegen können.
Immer das Gleiche. Ein bekannter Politiker stirbt und plötzlich sind alle ehemaligen Todfeinde unheimlich betroffen von dem unheimlichen Verlust, den die Demokratie angeblich erlitten hat. Da soll man doch mal die Kirche im Dorf lassen. Erst ein Krakeeler und Populist exakt wie heute “Pöbelralle#” Stegner, nur damals halt umgekehrt gegen die SPD. Dann der üble Verrat an Helmut Kohl, der ihn jahrelang gefördert und sicher mal als Vertrauten angesehen hatte. Dann die Wandlung vom Saulus zum Paulus, altersmilde und als Krönung noch der Beitritt zu den Wirrköpfen von Attac. Nein, mir wird Heiner Geißler nicht fehlen.
Erinnere mich an die Zeit, als Heiner Geißler bei “Stuttgart 21” als Schlichter fungierte und dabei einen Spruch losließ, der ihn bei einigen Zeitgenossen in die Nähe der Nazi-Sprache rückte. Geißler ein verkappter Nazi ? Irrsinniger geht es wohl nicht, dachte ich mir, doch als Hörer des DLF wurde ich Zeuge eines grusligen Interviews, in dem der übereifrige DLF-Moderator minutenlang genau das versuchte, bis offensichtlich jemand im Sender das Interview endlich abbrach.
Mir fehlt Heiner Geißler nicht. Sein rechthaberisch-jesuitischer Impetus hat in mir jeglichen Zugang für seine möglicherweise vorhandenen Argumente verhindert. Und genau daran ist er letzten Endes völlig gescheitert, zusammen mit einem anderen Clevere aus Baden-Württemberg. Unerträglich die Vermittlungsversuche bei S21, dort konnte jeder zum ersten Mal öffentlich Geißlers Fähigkeiten verfolgen, abseits salbungsvoller populistischer Sprüche. Eine einzige Enttäuschung.
Heiner Geißler war ein Politiker, der für seine Überzeugung einstand und auch dafür kämpfte. Er war eine dynamische, vitale Figur, die nicht im Einheitsbrei der Mehrheit verschwand - dafür sorgten auch schon seine Hobbies wie das Gleitschirmfliegen und Bergsteigen. Mir war er seinerzeit als einziger CDU-Politiker sympathisch, weil er direkt aussprach was er dachte, und das auch notfalls im direkten Konfrontationskurs zu seiner eigenen Partei. Er war für seine Partei vor allem eines: Unbequem und ein Querdenker, der sich nicht vor kritischen Debatten scheute, und trotzdem fair blieb. Er wird mir fehlen, auch weil es heute solche Politiker mit diesem Format nicht mehr gibt.
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