Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 23.12.2006 / 19:46 / 0 / Seite ausdrucken

Have yourself a merry little Winterval

Beim Besuch des Nürnberger Christkindlesmarktes am letzten Wochenende konnte ich mich persönlich davon überzeugen, dass der Advent in Deutschland immer noch ganz traditionell begangen wird. Da gab es neben Glühwein und Lebkuchen die altvertrauten Weihnachtslieder, einen Posaunenchor und holzgeschnitzte Krippen. Niemand würde wohl in Nürnberg oder sonstwo auf deutschen Weihnachtsmärkten auf die Idee kommen, das Weihnachtsfest um angeblich nicht mehr zeitgemäße, religiöse oder als politisch unkorrekt angesehene Elemente zu bereinigen. Genau das passiert aber gerade in England.

An die Grußkarten mit „Season’s Greetings“, also „jahreszeitlichen Grüßen“, musste man sich schon seit einigen Jahren gewöhnen. Neu ist allerdings, dass heute nicht einmal mehr entfernt christliche Motive auf ihnen abgebildet sind. Es gibt ja schließlich auch Atheisten, Juden, Muslime oder Buddhisten, denen man mit einem Weihnachtsgruß vielleicht zu nahe treten könnten – selbst wenn die meisten von ihnen offenbar selbst ein (säkularisiertes) Weihnachten feiern. Auf Londons Einkaufsstraßen sind Musliminnen mit Kopftuch, die Tüten voller Weihnachtsgeschenke tragen, jedenfalls keine Seltenheit.

Aber es könnte sich durch ein christliches Fest ja vielleicht doch jemand in seinen religiösen Gefühlen verletzt oder sonstwie diskriminiert fühlen, also geht man in England vorsorglich jeder Konfrontation aus dem Weg. Drei Viertel aller britischen Arbeitgeber haben Umfragen zufolge dieses Jahr auf Weihnachtsschmuck in den Büros verzichtet – aus Respekt vor ihren nicht-christlichen Angestellten, wie es heißt. Der Fernsehsender Channel 4 lässt dafür dieses Jahr seine „alternative Weihnachtsansprache“ (die offizielle Ansprache wird von der Queen gehalten) von einer vollverschleierten Muslimin sprechen.

Auch im südenglischen Bournemouth ist der Geist der Zeit eingezogen. Die örtliche Gesamtschule ersetzte die Weihnachtsfeier durch eine „Winterparty“. Von Eltern gefragt, was denn aus Weihnachten geworden sei, erklärte die Schulleitung, dass im gegenwärtigen Klima manche Leute bereits durch das Wort „Weihnachten“ beleidigt sein könnten. In Birmingham war man da schon vor Jahren viel weiter. Dort läuft das ehemalige Weihnachtsprogramm seither unter der Überschrift „Winterval“.

Was übrigens vergessen wurde: Immer noch wünschen sich Briten untereinander vor dem oder am 1. Januar ein gutes Neues Jahr. Offenbar haben sie völlig übersehen, dass das Kalenderjahr nicht mit dem chinesischen, jüdischen oder muslimischen Jahr übereinstimmt. Aber auch auf die Abschaffung des Neujahrstages wird man wohl früher oder später noch kommen.

Die Bereinigung des Weihnachtsfestes geht noch weiter. Krippenspiele gehören in den meisten Schulen bereits der Vergangenheit an, und dort, wo sie noch stattfinden, geschieht dies unter größten Sicherheitsvorkehrungen. Diesmal allerdings nicht aus Angst vor religiösen Gefühlen, sondern vor Kinderschändern. So wurde es in einigen Schulen den Eltern der Kinder verboten, bei Krippenspielen zu fotografieren, obwohl es bislang keinen einzigen Fall von pädophilen Krippenspielbildersammlern gibt. Andere Schulen, die sich noch trauen, einen Santa Clause auftreten zu lassen, bestehen darauf, von den Darstellern zuvor ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt zu bekommen.

Wenn Weihnachten so nach und nach abgeschafft wird, dann sollte es eigentlich niemanden beunruhigen, dass es demnächst auch kein „White Christmas“ mehr geben wird. Auch das Heu für die verbliebenen Krippen ist dieses Jahr teurer, da es seit Monaten sehr wenig in England geregnet hat. Verantwortlich ist natürlich in beiden Fällen, man ahnt es, der Klimawandel. So gibt es denn auch in der Zeitung „The Independent“ gute Ratschläge für ein ethisch-korrektes und klimafreundliches Weihnachten, zum Beispiel den Hinweis, dass die Lichterkette am Weihnachtsbaum doch zumindest mit Energiesparlampen bestückt sein sollte.

Bliebe noch das letzte große Weihnachtsproblem: das Essen. Doch auch hier wissen die vom Independent befragten Experten Rat. Einfach weniger „junk food“ und mehr gesunde Produkte vom Biobauern zum Fest essen und dazu Bio-Wein und Bio-Champagner servieren – er schmeckt angeblich viel „rounder and softer than the Bollinger I used to fill up on“.

So wird in England aus dem traditionellen, christlichen Weihnachtsfest mit Krippenspielen, Weihnachtsgrußkarten, königlicher Fernsehansprache und gutem Truthahn ein völlig traditionsentleertes, politisch korrektes und für niemanden mehr auch nur entfernt anstößiges Winterfest – außer für ein paar verbliebene Christen natürlich, die gerne Weihnachten feiern würden „just like the ones we used to know“. Aber wie ein richtiges Weihnachtsfest einmal aussah, das können die Bus- und Billigfliegerladungen britischer Touristen ja zumindest noch auf deutschen Weihnachtsmärkten bestaunen.

In diesem Sinne: A happy Winterval and Merry Christmas from London!

Links:
http://www.thisisdorset.net/display.var.1080740.0.anger_over_pc_christmas.php
http://iaindale.blogspot.com/2006/12/how-they-are-stealing-spirit-of.html
http://www.wakefieldtoday.co.uk/ViewArticle2.aspx?SectionID=702&ArticleID=1937190
http://www.portsmouthtoday.co.uk/ViewArticle2.aspx?SectionID=462&ArticleID=1941934
http://icwales.icnetwork.co.uk/0100news/0200wales/tm_headline=white-christmas-takes-a-warm-holiday—&method=full&objectid=18283777&siteid=50082-name_page.html
http://news.independent.co.uk/environment/article2092083.ece
http://news.bbc.co.uk/1/hi/uk/210672.stm
http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2006/12/06/nxmas06.xml
http://news.bbc.co.uk/1/hi/entertainment/6210324.stm

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