Es sind zweifellos gute Neuigkeiten, die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück heute verkünden kann. Der Bund hat im vergangenen Jahr deutlich weniger neue Schulden gemacht als zunächst erwartet. 27,9 Mrd. Euro waren es am Ende und nicht, wie noch vor Monaten befürchtet, 38,2 Mrd. Euro. Damit sank das Defizit auf 1,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und lag zum ersten Mal seit 2001 wieder unter der Maastricht-Vorgabe von 3,0 Prozent.
Doch so erfreulich diese Zahlen auch sind, Anlass zu finanzpolitischer Euphorie geben sie nicht, und zwar aus mehreren Gründen. Zunächst wird in der öffentlichen Diskussion gerne übersehen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur aus der Regel für die jeweilige Neuverschuldung eines Jahres besteht, sondern auch eine Vorschrift für die staatliche Gesamtverschuldung enthält. Maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes soll diese betragen. In Deutschland liegt ihr Wert aber nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler bei knapp 68 Prozent. Um ihn auf ein Maastricht-konformes Niveau abzusenken, wäre somit ein Schuldenabbau von etwa 150 Mrd. Euro nötig.
Weiterhin wird übersehen, dass ein Neuverschuldungswert von unter drei Prozent an sich noch kein Ausweis einer guten Finanzpolitik ist. Genaugenommen war die Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent für konjunkturelle Krisenzeiten gedacht, während im Aufschwung eher alte Schulden abgebaut als neue Schulden aufgenommen werden sollten. Davon kann aber zur Zeit keine Rede sein. Während sich nämlich im vergangenen Jahr die Konjunktur durchaus erfreulich entwickelte, wurden schließlich immer noch 27,9 Mrd. Euro zum Ausgleich von Staatsausgaben und -einnahmen benötigt. Nach Angaben des Finanzministers klafft im Bundeshaushalt eine strukturelle Lücke von knapp 40 Mrd. Euro. Das ist zwar deutlich weniger als noch vor einem Jahr, aber sicherlich kein Grund, Entwarnung zu geben.
Mit den verbesserten Verschuldungszahlen hat sich auch der Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt verringert, und zwar auf 45,8 Prozent. Auch dies ist erfreulich, zumal es der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung ist. Allerdings ist die deutsche Staatsquote immer noch deutlich höher als in anderen Ländern, die in der Vergangenheit eine bessere Wirtschaftsentwicklung aufweisen konnten als Deutschland. Dass dies kein Zufall ist, zeigt etwa eine Studie der Europäischen Zentralbank von Ludger Schuknecht und Vito Tanzi. Diese kam zu dem Ergebnis:
“We show that, contrary to common beliefs, over the past two decades several countries were able to reduce public spending by remarkable amounts. These countries did not seem to have suffered from these large reductions either in a macroeconomic sense, or in terms of lower values for socio-economic indicators. On the contrary, ambitious expenditure reform coincides with improvements in fiscal, economic, human development and institutional indicators.”
Insofern sollte die Bundesregierung die heute vorgestellten positiven Daten zur Entwicklung von Neuverschuldung und Staatsanteil nicht zum Anlass nehmen, sich selbstzufrieden zurückzulehnen. Ganz im Gegenteil sind weitere Schritte in Richtung einer Senkung der Verschuldung und des Staatsanteils geboten, um die Voraussetzungen für künftiges Wachstum zu verbessern.
Für Finanzminister Steinbrück bleibt noch viel zu tun. Vor allem wird er die angesichts der verbesserten Haushaltslage aufkeimenden Begehrlichkeiten von Fachpolitikern zurückzuweisen haben. Dass dies eine schwierige Aufgabe ist, können ihm alle seine Vorgänger bestätigen.