Volker Seitz / 01.01.2019 / 12:00 / Foto: Pixabay / 17 / Seite ausdrucken

Hat Madagaskar noch eine Chance?

Der frühere madagassische Staatschef Andry Rajoelina hat die Stichwahl am 19. Dezember 2018 mit 55,66 Prozent gegen Marc Ravalomanana, ebenfalls ein früherer Präsident, gewonnen. 2009 stürzte Rajoelina mithilfe der Militärs Ravalomanana und trat selbst an die Staatsspitze. Die Rivalität zwischen beiden Politikern prägt seit Jahren Madagaskars Politik. Wegen des Putsches bekam die Regierung keine Hilfsgelder mehr. Bei der nächsten Wahl 2013 durften beide auf internationalen Druck nicht mehr antreten. Beide waren erfolgreiche Unternehmer und hatten im Wahlkampf versprochen, die Insel aus der Armut zu führen. Rajoelina pflegt enge Kontakte nach Frankreich, wo er die letzten Jahre verbrachte.

Die Insel ist seit 1960 von Frankreich unabhängig. Die Entwicklung wurde seit seiner Unabhängigkeit von zahlreichen politischen Krisen gekennzeichnet. Nach einer Periode des Sozialismus ist Madagaskar seit dem 19. August 1992 eine Republik (offiziell: République de Madagascar). Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutivgewalt ist der direkt für fünf Jahre gewählte Staatspräsident. 

Madagaskar mit der Hauptstadt Antananarivo liegt vor der Ostküste von Mosambik im Indischen Ozean. „La Grande Île“, „die große Insel“, nennen die Madagassen ihre Heimat. Die Bevölkerung soll von Indonesiern und Afrikanern abstammen. Die indonesische Komponente der madagassischen Kultur kommt sehr deutlich in der Sprache zum Ausdruck, die eng verwandt ist mit einem Dialekt in Borneo. Die Amtssprachen von Madagaskar sind Malagasy und Französisch. Madagaskar ist eine der größten Inseln der Welt und mehr als anderthalb Mal größer als Deutschland. Politische Krisen haben das Land in seiner Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Nur knapp fünf Prozent der ländlichen Bevölkerung hat Zugang zu Elektrizität.

Seit Jahren gibt es nicht genug Nahrung auf der Insel, Madagaskar muss vieles importieren, auch das Hauptnahrungsmittel Reis. Madagaskar ist hauptsächlich ein Agrarland: Export von Kaffee, Vanille, Gewürznelken, Pfeffer, Sisal, Kakao, Holz und Graphit. Die Struktur ist von der französischen Kolonialzeit geprägt. Über 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft in bäuerlichen Klein- und Kleinstbetrieben und leben überwiegend von Subsistenzwirtschaft. Der Anteil der Landwirtschaft am Brutto-Inlands-Produkt liegt bei 30 Prozent.

Die biologische Vielfalt ist eine der höchsten der Erde

Das Land ist reich an Bodenschätzen: Chrom, Glimmer, Graphit, Edelmetalle und Edelsteine. Deren wirtschaftliche Bedeutung und ihr Anteil am Export sind bislang noch gering. Rio Tinto hat investiert und betreibt eine Ilmenit-Mine bei Fort Dauphin und verschifft Titansand nach Kanada, und Sheritt baute die größte Nickel- und Kobaltmine der Welt bei Moramanga. Die wirtschaftliche Entwicklung Madagaskars leidet unter der schlechten Verkehrsinfrastruktur, es gibt nur wenige gute Straßenverbindungen, die ganzjährig befahrbar sind, aber auch unter Rechtsunsicherheit und Strukturschwächen der öffentlichen Verwaltung. „Staatliche Institutionen in Madagaskar dienen oft den Interessen der Eliten statt denen der breiten Bevölkerung“, stellte die Weltbank fest.

Die biologische Vielfalt Madagaskars ist eine der höchsten der Erde. Rund 200.000 bekannte Arten gibt es auf Madagaskar, davon kommen 150.000 ausschließlich dort vor. So zum Beipiel 60 Arten von Lemuren, die nur auf der Insel existieren. Die Primatenart Cleese-Wollmaki wurde 1990 entdeckt. Der Name ehrt den britischen Schauspieler John Cleese („Monty Phyton“), der sich für den Erhalt der Lemuren auf Madagaskar einsetzt. Obwohl das Land seit den 1990er Jahren mehr als 700 Millionen US-Dollar für den Naturschutz erhielt, hat die Insel trotz immer neuer nationaler Umwelt-Aktionspläne zum Regenwaldschutz seit dem Jahr 2000 mehr als 2,3 Milliarden Hektar Waldfläche verloren. Kaum ein Fünftel Madagaskars ist noch bewaldet. Bis 2020 sollen weitere 6,4 Milliarden US-Dollar an Entwicklungs- und Umwelthilfe fließen. Die Bevölkerung ist weniger an dem Regenwaldschutz interessiert, die Menschen gewinnen durch das Roden und Niederbrennen der Wälder Platz für ihre Reisplantagen.

2017 und 2018 war auf der Insel erneut die Pest ausgebrochen. Betroffen sind vor allem Hafenstädte und die Hauptstadt Antananarivo. Die WHO zählte 2.300 Krankheitsfälle. Etwa 10 Prozent starben an der Infektionskrankheit. Grund für den Ausbruch sind die schlechten Hygiene-Bedingungen: Ratten, Mücken und Flöhe übertragen die Beulenpest-Bakterien auf den Menschen. Diese vergiften das Blut und können zu Nieren- und Leberversagen führen. Die Lungenpest wird über die Atemluft von Mensch zu Mensch übertragen. 

Der neue Präsident hat versprochen, nach den Wahlen die Armut zu bekämpfen. In seiner früheren Amtszeit war ihm dies aber nicht gelungen. Jeder Fortschritt beim Kampf gegen Armut und Unterentwicklung wird auch in Madagaskar durch die wachsende Bevölkerung wettgemacht. Madagaskar ist eines der ärmsten Länder der Welt. Jeder Dritte kann nicht lesen und schreiben; die Geburtenrate zählt zu den höchsten der Welt. Die korrupten Regierungen seit der Unabhängigkeit haben dazu geführt, dass jeder dritte Madagasse unter der Armutsgrenze lebt. Gut ausgebildete junge Leute verlassen die Insel. Über 60.000 qualifizierte Madagassen leben allein in Frankreich.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe ist am 21. September 2018 erschienen. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Frances Johnson / 01.01.2019

Wenn Madagaskar eineinhalb mal so groß ist wie Deutschland und ca. 20 Mio Einwohner hat, ist es längst nicht so überbevölkert wie unser Land. Daher schlage ich vor, Wanderungswillige hier auszubilden und dann nach Madagaskar umzusiedeln zwecks Know-How und Aufbau des Landes. Die Religion wäre überdies passend. Zur Lösung des Waldproblems fällt mir nur eine Umsiedelung der deutschen Grünenpartei ein, die sicherlich hilfreich wäre, auch bezüglich korrekter Müllentsorgung zur Reduktion der Beulenpest verursachenden Ratten. Entschuldigen Sie meinen (wachsenden) Zynismus. Alles, was Sie schreiben, finde ich interessant.

Gottfried Meier / 01.01.2019

Überall das gleiche Dilemma. Afrika wird nie auf die Beine kommen.

Wolfgang Kaufmann / 01.01.2019

Laut Wikipedia wurden 1994 bei den Lemuren 32 Spezies unterschieden, 2006 schon 68 und im Jahre 2010 bereits 101 Arten. Ein schönes Beispiel dafür, dass nicht nur Lebewesen aussterben, sondern Arten auch neu entstehen oder zumindest – wie hier – neu entdeckt werden. Naturschutz ist gut; aber die gängige Angst vor dem Weltuntergang ist das übliche Mimimi überalterter, lebensuntüchtiger Dinosaurier. Eine Population, die sich dem Gang der Zeit verweigert, hat keine Zukunft.

Dr. Gerhard Giesemann / 01.01.2019

Mit weniger Menschen dort, die alles versauen, hätte M. schon eine Chance, sonst nicht.

Nikolai Alexander / 01.01.2019

Man stelle sich nur mal vor wie gut es Madagaskar ginge wenn es dort eine gebildete Oberschicht gäbe, die was von Wirtschaft versteht. Wo könnte man eine solche Gruppe nur hernehmen und warum sollte sie ihre Heimat verlassen? Fragen über Fragen…

Jochen Grünhagen / 01.01.2019

Sehr geehrter Herr Seitz, ein Fehler hat sich in ihren Artikel geschlichen. Madagaskar ist rd. 587.000 Quadratkilometer groß, also umgerechnet etwa 58,7Millionen Hektar. Da können keine 2,3 Milliarden Hektar verschwinden. Ansonsten sehr informativ,  wie eigentlich alle ihre Beiträge. Vielen Dank dafür und ihnen ein gutes Jahr 2019. Jochen Grünhagen

Peter Susbauer / 01.01.2019

Sehr geehrter Herr Seitz, im zweiten Absatz des Textabschnitts ” Die biologische Vielfalt…” muss es vermutlich heißen: “2,3 Millionen Hektar Waldfläche” anstelle von “2,3 Milliarden Hektar”. Ansonsten: ich lese Ihre Texte mit besonderem Interesse. Ein gutes neues Jahr! Peter Susbauer

R. Nicolaisen / 01.01.2019

Da ging es ihnen zu Kolonialzeiten wohl deutlich besser.

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